…Themenschwerpunkten

…Themenschwerpunkten Redaktion Tue, 19.03.2019 - 10:12

Aufbau der Materie

Aufbau der Materie Redaktion Wed, 20.03.2019 - 01:19

RedaktionIcon Physik Woher stammt die Materie auf unserer Erde, was ist Materie überhaupt, woraus besteht sie und durch welche Kräfte wird sie zusammengehalten? Diese Fragen beschäftigen seit jeher die Menschheit. Das "Woher" überstieg jedes Vorstellungsvermögen - dafür wurden (und werden auch heute noch) übernatürliche Kräfte bemüht. Es entstanden folglich Schöpfungsmythen und diese entsprachen naturgemäß den jeweiligen Lebensumständen der einzelnen Kulturen. Geradezu modern wirkt hier aber bereits der Vorsokratiker Anaxagoras (der allerdings auch wegen Gottlosigkeit angeklagt wurde). Anaxagoras lebte im 5. vorchristlichen Jahrhundert, übte großen Einfluss auf die Zeit des Perikles und danach aus und formulierte für die Anfangssituation ein "Apeiron" - ein Grenzenloses: "Alle Dinge waren anfänglich zusammen, grenzenlos was ihre Zahl betraf, ebenso wie ihre kleinen Ausmaße. Auch die Kleinheit war unbegrenzt (Abbildung 1, frei übersetzt: Red.) Abbildung 1. Das Apeiron des Anaxagoras (aus Fragments and Commentary. The First Philosophers in Greece. K. Paul et al., 1898: Hanover Historical Texts Project) Dass Materie aus Grundbausteinen besteht, die nicht mehr teilbar sind, ist in schriftlichen Fragmenten des griechischen Philosophen Demokrit (460 - 371 v. Chr.) postuliert: "Nichts existiert, als die Atome und das Leere. Alles andere sind Anschauungen." Vom griechischen Wort für unteilbar "atomos" leitet sich unser Begriff der Atome ab, auch wenn sich deren Unteilbarkeit als überholt herausgestellt hat. Die Vorstellung eines leeren Raums, in dem die Atome umherschwirren, wurde von den nachfolgenden Kulturen und philosophischen Richtungen kategorisch abgelehnt. Man hat vielmehr die Welt auf der Basis der vier Elemente - Feuer, Wasser, Luft und Erde - zu erklären versucht. Erst rund 2200 Jahre später sollte der Atombegriff wieder aktuell werden. Abbildung 2. Elemente verbinden sich miteinander in ganzzahligen Verhältnissen zu Verbindungen. Erste Seite von John Dalton's "A New System of Chemical Philosophy" (1808; Bild: Wikipedia). Es waren Chemiker - Joseph L. Proust und John Dalton - die am Beginn des 19. Jahrhunderts herausfanden, dass die chemischen Elemente sich nur in ganzzahligen Verhältnissen miteinander zu Molekülen verbinden. Dalton folgerte : „Elemente bestehen aus für das jeweilige Element charakteristischen, in sich gleichen und unteilbaren Teilchen, den Atomen“ (Abbildung 2). Bei chemischen Reaktionen handelte es sich dementsprechend darum, dass sich die Atome der Ausgangsstoffe neu anordneten.

Atome sind nicht unteilbar

Dass Atome weiter zerlegt werden können, wurde im 20. Jahrhundert eindrucksvoll demonstriert: - Ionisation führt zur Abspaltung der negativ geladenen Elektronen, - der Atomkern lässt sich in Protonen mit elektrisch positiver Ladung und ungeladene Neutronen teilen. Chemische Elemente werden durch eine jeweils idente Zahl von Protonen im Kern -die "Ordnungszahl" -definiert und besitzen (im elektrisch ungeladenen Zustand) eine jeweils gleiche Zahl an Elektronen in der Elektronenhülle. Die Atome eines Elements können aber eine unterschiedliche Zahl an Neutronen aufweisen - es sind dies dies die Isotope eines Elements. Radioaktivität: das Verhältnis von Protonen zu Neutronen im Kern ist für dessen Stabilität verantwortlich. Isotope eines Elements mit relativ zu vielen oder zu wenigen Neutronen sind radioaktiv, d.h. unter Emission von Teilchen/Stahlung - radioaktiver Strahlung - wandelt sich der Kern in einen anderen Kern um oder ändert seinen Energiezustand.

Elementarteilchen

Elektronen gelten als - unteilbare - Elementarteilchen, Protonen und Neutronen sind dagegen intern strukturiert, aus jeweils drei Elementarteilchen, den Quarks, zusammengesetzt (Abbildung 3). Abbildung 3. Grundbausteine der Materie- Elementarteilchen (stark vereinfachte Chronologie) In der Folge wurden weitere Arten von Elementarteilchen entdeckt, Teilchen, die beim Zerfall von radioaktiven Atomen oder bei Zusammenstößen hochenergetischer anderer Teilchen erzeugt werden können. Das Letztere geschieht auf natürliche Weise, wenn hochenergetische Teilchen aus der kosmischen Strahlung (Höhenstrahlung) auf die Atome in der Erdatmosphäre treffen. Ebenso entstehen sie in den Experimenten an großen Teilchenbeschleunigern, wo auf enorm hohe Geschwindigkeit - annähend Lichtgeschwindigkeit - gebrachte Teilchen - zumeist Protonen aber auch ganze Atome - zur Kollision gebracht werden. Eine schier unendliche Vielfalt an Teilchen wurde so entdeckt - man spricht von einem Teilchenzoo. Derartige Versuche, wie sie vor allem am größten Beschleuniger Forschungszentrum CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) bei Genf durchgeführt werden, haben fundamentale Erkenntnisse erbracht, wie die Materie aus Elementarteilchen aufgebaut ist und wie diese miteinander wechselwirken

Auf dem Weg zur Weltformel: das Standardmodell

Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik ist die bis jetzt umfassendste Theorie zum Aufbau unserer Welt. Auf Basis der nun bekannten Elementarteilchen - zusammengefasst in die Gruppen Leptonen (dazu gehören Elektron und Neutrino), Quarks und Kraftteilchen (Photon, Gluon, W-, Z-Boson) - und 3 der 4 fundamentalen Wechselwirkungen zwischen diesen (starke, schwache und elektromagnetische Wechselwirkungen) lässt sich die uns bekannte Materie beschreiben. Die Gültigkeit des Standardmodells wird an Hand experimenteller Bestätigungen von Voraussagen des Modells erhärtet. Eine zentrale Voraussage war hier die Existenz eines Feldes (Higgs-Feld), das das Universum durchzieht, mit dem die Elementarteilchen wechselwirken und daraus ihre Masse beziehen. 2012 konnte in Experimenten am Large-Hadron-Collider (LHC) des CERN ein neues Teilchen entdeckt werden, dessen detektierte Eigenschaften dem des postulierten Higgs-Teilchens entsprechen. Das Standardmodell ist ein grandioser Meilenstein auf dem Weg zu einer Weltformel, hat aber noch Schwächen. Insbesondere wird die 4. fundamentale Kraft, die besonders schwache Gravitation noch nicht erfasst, das Modell ist auch nicht in der Lage "Dunkle Materie" zu beschreiben. Mit der seit dem Vorjahr wesentlich erhöhten Energie des Teilchenbeschleuniger LHC am CERN und neuen hochpräzisen Analysemethoden erwarten die Forscher Abweichungen im Standardmodell zu entdecken, die zu dessen Weiterentwicklung führen könnten. Aus diesen Experimenten gibt es aktuell einen Hinweis darauf, dass ein neues, superschweres Materieteilchen existieren könnte, das mit den bisherigen Theorien nicht erklärbar ist.

Aufbau der Materie im ScienceBlog

Die Hauptgewicht dieses Schwerpunkts erstreckt sich von (der Entstehung der) Elementarteilchen über Atome und Moleküle bis zu geordneten Strukturen (Abbildung 4). Es sind dies Gebiete, die überwiegend der Physik und der physikalischen Chemie zuzuordnen sind. Abbildung 4. Von Elementarteilchen zum Atom zum Molekül zur geordneten Struktur (Kristallstruktur) am Beispiel von Wasserstoff und seiner Verbindung Wasser dargestellt. (Die Eisstruktur stammt aus Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Liquid-water-and-ice.png; CC BY-SA 3.0 ) In Hinblick auf fundamentale Erkenntnisse der Teilchenphysik liegt naturgemäß ein besonderer Fokus auf dem größten und leistungs­stärksten Teilchen­beschleuniger der Welt, dem LHC am CERN.

Elementarteilchen

Elementarteilchen Redaktion Wed, 20.03.2019 - 01:21

Teilchen im Weltall

Teilchen im Weltall Redaktion Wed, 20.03.2019 - 01:22

Vom Molekül zur Struktur

Vom Molekül zur Struktur Redaktion Wed, 20.03.2019 - 01:24

Biokomplexität

Biokomplexität Redaktion Wed, 20.03.2019 - 01:26

Icon Biologie„Über Generationen hin haben Wissenschafter Teile unserer Umwelt separiert untersucht – einzelne Spezies und einzelne Habitate. Es ist an der Zeit, zu verstehen, wie diese Einzelteile als Ganzes zusammenwirken. Biokomplexität ist ein multidisziplinärer Ansatz um die Welt, in der wir leben, zu verstehen“ (Rita Colwell, 1999 [1]).

Der Begriff Komplexität ist ein Modewort geworden und aus dem Alltagsleben nicht mehr wegzudenken. Was früher als kompliziertes, aber mit entsprechendem Einsatz als durchaus lösbares Problem angesehen wurde (also beispielsweise ein Uhrwerk zu reparieren), erhält nun häufig das Attribut „komplex“.

Was ist Komplexität?

Tatsächlich ist Komplexität etwas anderes. Komplexe Prozesse sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht durchschaubar sind, ihre Ergebnisse durch sehr viele Faktoren beeinflussbar und nicht vorhersagbar sind. Auch, wenn man die Ausgangsbedingungen eines komplexen Systems – also seine Einzelelemente und die Wechselwirkungen zwischen diesen - genau analysiert hat, führt deren Zusammenspiel zu Phänomenen, die nicht aus der Summe der einzelnen Eigenschaften/Wechselwirkungen hergeleitet werden können, zur sogenannten Emergenz. Dies lässt sich damit erklären, dass bei den Wechselwirkungen mehrerer Elemente miteinander (Mehrkörperproblem) Rückkopplungen entstehen, dass über die Zeit hin die Wechselwirkungen sich ändern können. Es besteht also keine lineare Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Diese nichtlineare Dynamik kann zu einem chaotischen System führen, aber auch ermöglichen, dass Systemelemente zu makroskopischen Strukturen zusammentreten (Selbstorganisation). Beispiele aus der unbelebten Natur sind u.a. durch den Wind verursachte Musterbildungen auf Sandoberflächen, Entstehung von Gewittern, Tornados, etc. Die Komplexitätsforschung nahm ihren Ausgang von Systemtheorie und Mathematik in den 1960er Jahren und entwickelt sich seitdem zu einer Leitwissenschaft, die gleichermaßen in den (angewandten) Naturwissenschaften, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereichen hilft komplexe Systeme mit entsprechenden Computermodellen zu untersuchen, zu verstehen und Prognosen zu erstellen.

Was ist Biokomplexität?

Biokomplexität ist ein junger interdisziplinärer Forschungszweig. Erste Erwähnungen von „biocomplexity“ finden sich in den Literaturdatenbanken erst knapp vor der Jahrtauendwende; zurzeit gibt es in Google-scholar bereits rund 11 000 Eintragungen. Eine sicherlich noch nicht umfassende Beschreibung dieser Disziplin könnte lauten: Biokomplexität verknüpft Biodiversität mit ökologischer Funktion:

  • untersucht auf vielfachen biologischen Organisationsebenen, räumlichen und zeitlichen Skalen die komplexen biologischen, sozialen, chemischen, physikalischen Wechselwirkungen von Lebewesen mit ihrer Umwelt,
  • strebt an den Menschen als Teil der Natur zu verstehen, eng gebunden an sein Habitat an Land und Wasser und an die Gemeinschaften der Lebewesen,
  • untersucht wie die Umwelt den Menschen formt, ebenso wie die Auswirkungen der Aktivitäten des Menschen auf seine Umwelt.

Rita Colwell, damals Direktor der US National Science Foundation hat 2001 in einer Rede ein praktisches Beispiel von Biokomplexität gegeben: „Warum sind Eicheln anscheinend mit einem Ausbruch der Lyme-Krankheit (durch Zecken übertragene Borreliose) assoziiert? Dies ist tatsächlich der Fall: Wenn Eichen übermäßig Eicheln produzieren, dann kommen in dieses Gebiet mehr Hirsche, die sich von den Eicheln ernähren. Mehr Hirsche bedeuten mehr Zecken auf den Hirschen. Mehr Zecken lassen sich in eine höhere Wahrscheinlichkeit für Lyme-Krankheit übersetzen. Wissenschafter sind der Überzeugung, dass sie aus der Menge der in einem bestimmten Jahr produzierten Eicheln den Ausbruch der Lyme-Krankheit zwei Jahre später vorhersagen können.“ [2; aus dem Englischen übersetzt]

Biokomplexität im ScienceBlog

Kernthemen dieser Disziplin sind: Komplexität, Biodiversität und Ökosysteme.


[1] Rita Colwell (1999) zitiert in J. Mervis, Biocomplexity Blooms in NSF’s Research Garden. Science 286:2068-9 [2] Rita Colwell (2001), Future Directions in Biocomplexity. Complexity 6,4:21-22


 

Komplexität

Komplexität Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:15

Biodiversität

Biodiversität Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:16

Ökosysteme

Ökosysteme Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:16

Böden

Gewässer

Umwelt

 

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Evolution

Evolution Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:22

„Evolution“ ist ein zentrales Thema auf ScienceBlog.at, ist Leitmotiv von Artikeln aus unterschiedlichsten Disziplinen und lässt sich wohl am besten durch das Zitat des Evolutionsbiologen Theodosius Dobzhansky aus dem Jahr 1973 charakterisieren „Nichts macht Sinn in der Biologie, wenn man es nicht im Lichte der Evolution betrachtet.“

Evolution als Hauptthema ihrer Beiträge haben bis jetzt 7 Autoren gewählt; sie repräsentieren state-of-the-art-Standpunkte aus den Disziplinen Mathematik, Informatik, Physik, Astrophysik, Chemie, Biochemie und Biologie. Die insgesamt 22 Beiträge geben ein umfassendes Bild, das von der Evolution des Kosmos und der Entstehung von Molekülen, die als Bausteine des Lebens fungierten (chemische Evolution) zur Entstehung des Lebens und primitiver Lebensformen führten und von hier zur Entwicklung und Modellierung von immer komplexeren biologischen Systemen (biologische Evolution) bis hin zu Vorgängen zur Umgestaltung von Gesellschaften und deren Verhaltensweisen.

Entstehung des Lebens, primitive Lebensformen

Entstehung des Lebens, primitive Lebensformen Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:24

Evolution komplexer Lebensformen

Evolution komplexer Lebensformen Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:25

Wie geht es weiter?

Wie geht es weiter? Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:27

Theoretische Aspekte der Evolution

Theoretische Aspekte der Evolution Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:27

Energie

Energie

Fr, 19.02.2021 — Redaktion

Redaktion

Icon Physik

Energie ist Ursprung aller Materie und auch das, was die Materie bewegt. Energieforschung und -Anwendung sind daher für unsere Welt von zentraler Bedeutung und beschäftigen Wissenschafter quer durch alle Disziplinen - Physiker, Chemiker, Geologen, Biologen, Techniker, etc., ebenso wie Wirtschafts- und Sozialwissenschafter. Mit dem bereits spürbaren Klimawandel steht Energie nun auch im Rampenlicht von Öffentlichkeit und Politik; das Ziel möglichst rasch fossile Energie durch erneuerbare Energie zu ersetzen, steht im Vordergrund. Energie ist auch im ScienceBlog von Anfang an eines der Hauptthemen und zahlreiche Artikel von Topexperten sind dazu bereits erschienen. Das Spektrum der Artikel reicht dabei vom Urknall bis zur Energiekonversion in Photosynthese und mitochondrialer Atmung, von technischen Anwendungen bis zu rezenten Diskussionen zur Energiewende. Ein repräsentativer Teil dieser Artikel ist nun in einem Themenschwerpunkt "Energie" zusammengefasst.

Was versteht man überhaupt unter Energie?

Werner Heisenberg (1901 -1976), einer der bedeutendsten Physiker des 20. Jh, (Nobelpreis 1932) hat Energie so definiert: "Die Energie ist tatsächlich der Stoff, aus dem alle Elementarteilchen, alle Atome und daher überhaupt alle Dinge gemacht sind, und gleichzeitig ist die Energie auch das Bewegende."

Der Begründer der Quantenphysik Max Planck (1858 – 1947, Nobelpreis 1918) hat Energie mit der Fähigkeit eines Körpers beschrieben äußere Wirkungen hervorzubringen.

Richard Feynman (1918 - 1988), ebenfalls einer der ganz großen Physiker des 20. Jahrhunderts (und Nobelpreisträger) hat konstatiert: "Es ist wichtig, einzusehen, dass wir in der heutigen Physik nicht wissen, was Energie ist."

Auch, wenn wir, wie Feynman meint, nicht wissen was Energie ist, so sagt die etablierte kosmologische Schöpfungsgeschichte, dass sie am Beginn des unermesslich dichten und heißen Universums - also zur Zeit des Urknalls - bereits vorhanden war. (Abbildung 1). Energie wurde dann Ursprung aller Materie und blieb uns in Form von Energie und Masse erhalten.

UrknallAbbildung 1. Urknall-Modell: Entstehung und Expansion des Weltalls. Das anfänglich sehr dichte und heiße Universum enthielt im kosmischen Plasma Photonen, die vorerst an den geladenen Teilchen gestreut wurden, Nach der Abkühlung und Entstehung von Atomen konnten sich die Photonen nahezu ungehindert ausbreiten = Hintergrundstrahlung. Danach begann allmählich unter der Wirkung der Gravitation die Kondensation der Materie zu den Strukturen wie wir sie heute beobachten.

Wie Albert Einstein vor etwas mehr als einem Jahrhundert entdeckte, sind Energie (E) und Masse (m) ja nur zwei Seiten einer Medaille und können ineinander umgewandelt werden; dieses Naturgesetz wird durch die berühmte Formel E = mc2 ausgedrückt, wobei c eine Konstante ist und für die Lichtgeschwindigkeit steht. Einer derartigen Umwandlung von Masse in Energie - als Ergebnis einer Kernfusion - verdanken wir die Sonnenstrahlung: im Sonnenkern verschmelzen Wasserstoffkerne (Protonen) zu einem Heliumkern, der etwas weniger Masse hat als die ursprünglichen Protonen. Die Massendifferenz wird in Energie umgewandelt und abgestrahlt. Eine vollständige Umwandlung von Masse in Energie hat in der für die Nuklearmedizin sehr wichtigen Positronen-Emissions-Tomografie (PET) Anwendung gefunden: wenn das Elementarteilchen Elektron auf sein Antiteilchen, das Positron stößt (das von einem Radiopharmakon emittiert wird), werden beide Teilchen in einer sogenannten Vernichtungsstrahlung annihiliert und es können dafür zwei hochenergetischen Photonen detektiert werden, die die Position des Radionuklids im Körper anzeigen.

Landläufig versteht man unter Energie die Fähigkeit eines Systems, "Arbeit" zu verrichten, wobei "Arbeit" ein weit gefasster Begriff ist und besser als die Fähigkeit des Systems verstanden werden sollte, Veränderungen zu bewirken. Die Übertragung der Energie erfolgt über Kräfte, die auf das System einwirken. Energie wird indirekt, nämlich über diese "Arbeit" auch gemessen: Die Einheit 1 Joule (j) entspricht dabei der Energie, die bei einer Leistung (d.i. Energieumsatz pro Zeiteinheit) von einem Watt in einer Sekunde umgesetzt wird.

Energie schafft Veränderungen in unbelebter und belebter Welt

Energie ist nötig, um einen Körper zu bewegen, ihn zu verformen, zu erwärmen, um Wellen im Bereich des elektromagnetischen Spektrum zu erzeugen (von der kürzestwelligen Höhenstrahlung über den für den Menschen sichtbaren Bereich bis zu den niederfrequenten Wechselströmen), um elektrischen Strom fließen zu lassen oder um chemische Reaktionen ablaufen zu lassen.

In unserem Alltagsleben benötigen wir Energie aus physikalisch/chemischen Prozessen, um von einem Ort zum anderen zu gelangen, um Bedürfnisse des Wohnens zu befriedigen, um diverseste Wirtschaftsgüter zu produzieren und, um eine Vielfalt an Mitteln zur Kommunikation und Unterhaltung bereit zu stellen.

Um leben zu können brauchen wir, wie alle Lebewesen, externe Energie. Externe Energie bedeutet für Pflanzen, Algen und auch einige Bakterien Sonnenenergie. Um diese einzufangen, nutzen sie den Sonnenkollektor Chlorophyll und verwandeln mittels der sogenannten Photosynthese Lichtenergie in chemische Energie: das heißt, sie synthetisieren aus den ubiquitären, energiearmen Ausgangsstoffen CO2 und Wasser energiereiche Kohlehydrate und in weiterer Folge alle für Aufbau und Wachstum nötigen Stoffe - Proteine, Lipide, Nukleinsäuren und die Fülle an Intermediärmetaboliten. Abbildung 2.

Stoffkreislauf

Abbildung 2: Photosynthese und Stoffkreislauf  (modifiziert nach Amsel, Sheri: “Ecosystem Studies Activities.” Energy Flow in an Ecosystem.  https://www.exploringnature.org/)

Für uns und alle nicht Photosynthese-tauglichen Lebewesen besteht die externe Energie aus den durch Photosynthese entstandenen energiereichen Stoffen, die über die Nahrungskette zu unseren Lebensmitteln werden. Wir oxydieren ("verbrennen") diese energiereichen Stoffe schrittweise unter hohem Energiegewinn (in Form der metabolischen Energiewährung ATP) schlussendlich zu den energiearmen Ausgangsprodukten der Photosynthese CO2 und Wasser.

Diesen schrittweisen Prozess haben bereits in der Frühzeit bestimmte Bakterien entwickelt; es waren dies zelluläre Kraftwerke, die später als Mitochondrien in die Zellen höherer Lebewesen integriert wurden und nun über Citratcyclus und Atmungskette den Großteil der von den Zellen benötigten chemischen Energie liefern.

Energieerhaltungssatz, Energieumwandlung und Energieverbrauch

Energie charakterisiert den Zustand eines System, ist also eine sogenannte Zustandsgröße. Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik (Energieerhaltungssatz) ist ein bewiesener, fundamentaler physikalischer Satz; er sagt aus, dass in einem geschlossenen System Energie weder verloren gehen noch erzeugt werden kann. Energie kann nur von einem Körper auf den anderen übertragen und von einer Form in die andere verwandelt werden.

Kinetische Energie (Bewegungsenergie), wie beispielsweise in der Windkraft, in den Gezeiten oder im fließenden Wasser, kann mittels Turbinen /Generatoren in elektrische Energie umgewandelt werden und diese wiederum in chemische, mechanische und thermische Energie. Potentielle Energie (Lageenergie), die ein System aus seiner Lage in einem Kraftfeld erhält (im Gravitationsfeld wie beispielsweise Wasser im Stausee, im elektrostatischen Feld von Kondensatoren, oder im magnetischen Feld) oder auch in der in Stoffen gespeicherten chemischen oder nuklearen Energie, wird ebenfalls in unterschiedliche Energieformen verwandelt.

Wenn Energie erhalten bleibt, wie kommt es aber zum Energieverbrauch?

Wird Energie von einem Körper zum anderen übertragen und oder von einer Form in die andere umgewandelt, so entsteht dabei immer etwas an Energie, die für uns nicht (direkt) nutzbar ist. Infolge von Reibung, Abstrahlung, Ohmschen Widerständen wird ein Teil der zu übertragenden Energie in Wärmeenergie verwandelt, die an die Umgebung abgegeben wird. Ein herausragendes Beispiel von ineffizienter Energiewandlung ist die nun nicht mehr verwendete Glühlampe, die Auer von Welsbach entwickelt hat. Diese nutzt nur 10 % der elektrischen Energie zur Erzeugung von Strahlung (d.i. den Glühdraht zum Leuchten zu bringen), die 90 % restliche Energie heizen Lampe und Umgebung auf. Verlorene thermische Energie verteilt sich (man denke an die Aufnahmen der infraroten Strahlung von Häusern) und wird schlussendlich als IR-Strahlung in den Weltraum emittiert.

Auch, wenn in Summe die übertragenen/umgewandelten Energien konstant geblieben sind, ist ein Verbrauch an nutzbarer Energie entstanden.

Energieverbrauch und Klimawandel

Wachsender Wohlstand einer in den letzten Jahrzehnten unverhältnismäßig stark gewachsenen Weltbevölkerung bedeutet natürlich höheren Energiebedarf. Nach wie vor stammt der bei weitem überwiegende Teil (85 %) der globalen Primärenergie noch aus fossilen Quellen. Abbildung 3. Die Umwandlung der chemischen Energie in diesen fossilen Brennstoffen hat mit dem Anstieg des Energieverbrauchs zu einem rasanten Anstieg der CO2-Emissionen in allen Sparten geführt, die wiederum kausal für den nun nicht mehr wegdiskutierbaren Klimawandel stehen.

Abbildung 3. Der globale Verbrauch von Primärenergie ist seit 1965 stetig gestiegen und speist sich zum überwiegenden Teil aus fossilen Energieträgern. Solar- und Windenergie spielen eine minimale Rolle. Primärenergie: Energie, die aus natürlich vorkommenden Energieformen/-quellen zur Verfügung steht. In einem mit Verlusten behafteten Umwandlungsprozess (z.B. Rohöl zu Benzin) entsteht daraus die Sekundärenergie/Endenergie. (Grafik modifiziert nach: BP Statistical Review of World Energy, 67th ed. June 2018)

Um atmosphärisches CO2 zu reduzieren, ist ein Umbau des Energiesystems unabdingbar - weg von fossiler Energie, hin zu erneuerbarer Energie, wobei hier die Erzeugung von elektrischer Energie durch Windkraft, Solarenergie, Wasserkraft und Biomasse im Vordergrund steht. Ob ein solcher Umbau allerdings rasch erfolgen kann, ist fraglich. Auch bei Akzeptanz durch politische Entscheidungsträger, vorhandener Finanzierung und Zustimmung der Bevölkerung fehlen nicht nur in Europa ausreichend große, für den Ausbau von Windkraft und Solarenergie geeignete Flächen.

Der Schlüssel für eine sofort wirksame globale CO2-Reduktionsstrategie ist Energieeinsparung: d.i. ohne Einbußen mit weniger Primärenergie auskommen, indem man den Energieverbrauch senkt, d.i. die Umwandlung zu nicht nutzbarer Energie reduziert. Dies ist u.a. möglich durch thermische Isolation, industrielle Verbesserungen, Wärmepumpen für Kühlung & Heizung, etc.

 


Energie - Themenschwerpunkt im ScienceBlog

Von Anfang an gehört Energie zu unseren Hauptthemen und zahlreiche Artikel von Topexperten sind dazu bereits erschienen. Das Spektrum der Artikel reicht dabei vom Urknall bis zur Energieumwandlung in Photosynthese und mitochondrialer Atmung, von technischen Anwendungen bis zu rezenten Diskussionen zur Energiewende. Ein repräsentativer Teil dieser Artikel ist nun in einem Themenschwerpunkt "Energie" zusammengefasst. Derzeit sind die Artikel unter drei Themenkreisen in chronologischer Reihenfolge gelistet.

Energie, Aufbau der Materie und technische Anwendungen

Francis S. Collins, 27.8.2020: Visualiserung des menschlichen Herz-Kreislaufsystems mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET)

Claudia Elisabeth Wulz, 18.1.2018: Die bedeutendsten Entdeckungen am CERN

Robert Rosner, 13.7.2017:Marietta Blau: Entwicklung bahnbrechender Methoden auf dem Gebiet der Teilchenphysik

Marietta Blau: Entwicklung bahnbrechender Methoden auf dem Gebiet der Teilchenphysik

Stefan W.Hell, 7.7.2017: Grenzenlos scharf — Lichtmikroskopie im 21. Jahrhundert

Josef Pradler, 17.6.2016: Der Dunklen Materie auf der Spur

Manfred Jeitler, 21.2.2013: Woraus unsere Welt besteht und was sie zusammenhält. Teil 2: Was ist das Higgs-Teilchen?

Manfred Jeitler, 7.2.2013: Woraus unsere Welt besteht und was sie zusammenhält — Teil 1: Ein Zoo aus Teilchen

Michael Grätzel, 18.10.2012,Der Natur abgeschaut: Die Farbstoffsolarzelle

Energie und Leben

Christina Beck, 21.10.2021: Signalübertragung: Wie Ionen durch die Zellmembran schlüpfen

Inge Schuster, 10.10.2019: Wie Zellen die Verfügbarkeit von Sauerstoff wahrnehmen und sich daran anpassen - Nobelpreis 2019 für Physiologie oder Medizin

Antje Boetius, 13.05.2016: Mikrobiome extremer Tiefsee-Lebensräume

Peter Lemke, 30.10.2015: Wie Natur und Mensch das Klima beeinflussen und wie sich das auf die Energiebilanz der Erde auswirkt

Gottfried Schatz, 08.11.2013: Die Fremden in mir — Was die Kraftwerke meiner Zellen erzählen

Gottfried Schatz, 14.03.2013: Der lebenspendende Strom — Wie Lebewesen sich die Energie des Sonnenlichts teilen

Gottfried Schatz, 01.11.2012: Grenzen des Ichs — Warum Bakterien wichtige Teile meines Körpers sind

Gottfried Schatz, 27.09.2012: Sonnenkinder — Wie das atomare Feuer der Sonne die Meerestiefen erhellt

Energieformen, Energiewende, Gesellschaft

IIASA, 24.03.2022: Anstelle von Stauseen, Staumauern, Rohrleitungen und Turbinen: Elektro-Lkw ermöglichen eine innovative, flexible Lösung für Wasserkraft in Bergregionen

Redaktion, 27.01.2022: Agrophotovoltaik - Anbausystem zur gleichzeitigen Erzeugung von Energie und Nahrungsmitteln

Roland Wengenmayr, 02.12.2021: Brennstoffzellen: Knallgas unter Kontrolle">

IIASA, 16.09.2021: Wie viel Energie brauchen wir, um weltweit menschenwürdige Lebensverhältnisse zu erreichen?

Roland Wengenmayr, 13.05.2021: Die Sonne im Tank - Fusionsforschung

Redaktion, 29.04.2021: Weißer als weiß - ein Farbanstrich, der die Klimaanlage ersetzen kann

Inge Schuster, 05.03.2021: Trojaner in der Tiefgarage - wenn das E-Auto brennt

Georg Brasseur, 10.12. 2020: Die trügerische Illusion der Energiewende - woher soll genug grüner Strom kommen?

Georg Brasseur, 24.09.2020: Energiebedarf und Energieträger - auf dem Weg zur Elektromobilität"

Anton Falkeis & Cornelia Falkeis-Senn, 30.01.2020: Nachhaltige Architektur im Klimawandel - das "Active Energy Building"

Redaktion, 19.09.2019: Umstieg auf erneuerbare Energie mit Wasserstoff als Speicherform - die fast hundert Jahre alte Vision des J.B.S. Haldane

Robert Schlögl,26.09.2019: Energiewende (6): Handlungsoptionen auf einem gemeinschaftlichen Weg zu Energiesystemen der Zukunft

Robert Schlögl,22.08.2019: Energiewende(5): Von der Forschung zum Gesamtziel einer nachhaltigen Energieversorgung.

Robert Schlögl,08.08.2019: Energiewende (4): Den Wandel zeitlich flexibel gestalten.

Robert Schlögl,18.07.2019: Energiewende (3): Umbau des Energiesystems, Einbau von Stoffkreisläufen.

Robert Schlögl, 27.06.2019: Energiewende (2): Energiesysteme und Energieträger

Robert Schlögl, 13.06.2019: Energie. Wende. Jetzt - Ein Prolog">

Robert Rosner, 20.12.2018: Als fossile Brennstoffe in Österreich Einzug hielten

IIASA, 08.02.2018: Kann der Subventionsabbau für fossile Brennstoffe die CO₂ Emissionen im erhofften Maß absenken?

IIASA, 11.03.2016: Saubere Energie könnte globale Wasserressourcen gefährden

IIASA, 08.01.2016: Klimawandel und Änderungen der Wasserressourcen gefährden die weltweite Stromerzeugung

Niyazi Serdar Sariciftci, 22.05.2015: Erzeugung und Speicherung von Energie. Was kann die Chemie dazu beitragen?

Gerhard Glatzel, 18.04.2013: Rückkehr zur Energie aus dem Wald – mehr als ein Holzweg? Teil 3 – Zurück zur Energie aus Biomasse

Gerhard Glatzel, 05.04.2013: Rückkehr zur Energie aus dem Wald – mehr als ein Holzweg? Teil 2

Gerhard Glatzel, 21.03.2013: Rückkehr zur Energie aus dem Wald – mehr als ein Holzweg? Teil 1 – Energiewende und Klimaschutz

Erich Rummich, 02.08.2012: Elektromobilität – Elektrostraßenfahrzeuge

Gottfried Schatz, 19.04.2012, Die lange Sicht - Wie Unwissen unsere Energiezukunft bedroht

Helmut Rauch, 04.08.2011: Ist die Kernenergie böse?

 

inge Sat, 20.02.2021 - 00:08

Gehirn

Gehirn

Do, 23.07.2021 — Redaktion

RedaktionIcon Gehirn

  Seit den Anfängen von ScienceBlog.at gehört das Gehirn zu unseren wichtigsten Themen. Rund 10 % aller Artikel - d.i. derzeit mehr als 50 Artikel - befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten zu Aufbau, Funktion, Entwicklung und Evolution des Gehirns und - basierend auf dem Verstehen von Gehirnfunktionen - mit Möglichkeiten bisher noch unbehandelbare Gehirnerkrankungen zu therapieren. Die bisherigen Artikel sind nun in eine Schwerpunkt zusammengefasst, der laufend ein Update erfahren soll.  

Vor Verletzungen, Stößen und Erschütterungen durch starke Schädelknochen und die Einbettung ins Hirnwasser (Liquor cerbrosinalis) geschützt, ist das empfindliche, weiche Gehirn ununterbrochen damit beschäftigt Wahrnehmungen und Reize aus der Umwelt und aus dem Körper zu verarbeiten. Rund 86 Milliarden unterschiedliche Neuronen (die meisten davon im Kleinhirn) sind über 1000 Billionen Synapsen verkabelt; die entsprechenden Nervenfasern weisen insgesamt eine Länge von über 5 Millionen km auf. Sie bestimmen was wir wahrnehmen, was wir fühlen, was wir denken, woran wir uns erinnern, wie wir lernen und wie wir schlussendlich (re)agieren.

Die zweiten zellulären Hauptkomponenten des Gehirns-zahlenmäßig etwa gleich viele wie Neuronen - sind unterschiedliche Typen sogenannter Gliazellen. Ursprünglich als inaktiver Kitt zwischen den Neuronen betrachtet, weiß man nun, dass Gliazellen wesentlich in die Funktion des Gehirns involviert sind - Oligodendrozyten in die Ausbildung der Myelinscheide, die als Isolator die Axone ummantelt, Mikroglia fungieren als Immunabwehr, Astrozyten regulieren u.a. das Milieu im extrazellulären Raum.

Neue Verfahren

haben in den letzten Jahrzehnten der Hirnforschung einen außerordentlichen Impetus gegeben. Mit Hilfe bildgebender Verfahren und hochsensitiver Färbetechniken ist es nun möglich, den Verlauf einzelner Neuronen samt aller ihrer Verbindungen und dies auch dynamisch zu verfolgen. (Dazu im ScienceBlog: Das Neuronengeflecht entwirren - das Konnektom)

Abbildung 1. Reise durch das menschliche Gehirn - Visualisierung des Verlaufs von Nervenbahnen mittels Diffusions Tensor Traktographie (ein Kernspinresonanz-Verfahren, das die Diffusionsbewegung von Wassermolekülen in Nervenfasern misst). Oben: Nervenfaserbündel im Limbischen System (links) und visuelle Nervenfasern von den Augen zum Hinterhauptslappen (rechts).Unten: Nervenbündel des Corpus callosum (grün, links), die die Kommunikation zwischen den Hirnhälften ermöglichen und viele Nervenbündel, die kortikale und subkortikale Regionen verbinden (links, rechts). Screen Shots aus einem preisgekrönten Video. Die Farben zeigen den Verlauf der Nervenfasern(Hauptrichtung der Diffusion); rot: von links nach rechts, grün: von vorn nach hinten, blau: von oben nach unten. (Quelle: Francis S. Collins (2019) https://directorsblog.nih.gov/2019/08/20/the-amazing-brain-mapping-brain-circuits-in-vivid-color/)

Beispielsweise ist die Diffusions Tensor Traktographie ein Kernspinresonanz-Verfahren, das die Diffusionsbewegung von Wassermolekülen in Nervenfasern, d.i. in den Axonen, misst und so deren Position und Verlauf dreidimensional abbilden kann. Das nicht-invasive Verfahren liefert sowohl der Grundlagenforschung (u.a. im Connectome-Projekt) als auch der medizinischen Anwendung - hier vor allem zur präoperativen Bildgebung von Gehirntumoren und Lokalisierung von Nervenschädigungen - grundlegende Informationen. Abbildung 1.

Optogenetik - von der Zeitschrift Nature als Methode des Jahres 2010 gefeierte Strategie - benutzt Licht und genetisch modifizierte, lichtempfindliche Proteine als Schaltsystem, um gezielt komplexe molekulare Vorgänge in lebenden Zellen und Zellverbänden bis hin zu lebenden Tieren sichtbar zu machen und zu steuern. (Dazu im ScienceBlog: Optogenetik erleuchtet Informationsverarbeitung im Gehirn)

Mit Hilfe der Positronenemissionstomographie (PET) kann nichtinvasiv der Hirnstoffwechsel dargestellt und krankhafte Veränderungen mittels der gleichzeitig durchgeführten Computertomographie (CT) lokalisiert werden.

Internationale Großprojekte

Eine enorme Förderung hat die Hirnforschung durch längerfristige internationale Initiativen erfahren wie das von 2013 bis 2022 laufende europäische Human Brain Project , für das rund 1,2 Milliarden € veranschlagt sind und an dem mehr als 500 Wissenschafter von über 140 Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen zusammenwirken (https://www.humanbrainproject.eu/en/about/overview/). Das Ziel ist das gesamte Wissen über das menschliche Gehirn zusammenzufassen und es mittels Computermodellen auf allen Ebenen von Molekülen, Genen, Zellen und Funktionen nachzubilden. In der nun angelaufenen letzten Phase des Projekts sollen vor allem die Netzwerke des Gehirns, deren Rolle im Bewusstsein und künstliche neuronale Netzwerke im Fokus stehen.

Abbildung 2. "Neuroscience Fireworks". Zur Feier des „Independence Day“ in den US am 4. Juli zeigt Francis S. ein Feuerwerk von Neuronen in verschiedenen Hirnarealen der Maus. Mittels Lichtscheibenfluoreszenzmikroskopie wird eine 3D-Auflösung in zellulärem Maßstab erreicht: man sieht die rundlichen Zellkörper und die davon ausgehenden Axone, welche die Signale weiterleiten. Links oben: Der Fornix - Nervenfasern, die Signale vom Hippocampus (Sitz des Gedächtnisses) weiterleiten. Rechts oben: Der Neocortex - Zellen im äußeren Teil der Großhirnrinde, die multisensorische, mechanische Reize weitergeben . Links unten: Der Hippocampus - die zentrale Schaltstelle des limbischen Systems. Rechts unten: Der corticospinale Trakt, der motorische Signale an das Rückenmark weiterleitet. (Quelle: Video von R. Azevedo, S. Gandhi, D. Wheeler in https://directorsblog.nih.gov/2021/06/30/celebrating-the-fourth-with-neuroscience-fireworks/).

Eine weiteres, mit 1,3 Milliarden $ gefördertes 10-Jahres Programm ist The Brain Initiative https://braininitiative.nih.gov/ . Es wird von den US National Institutes of Health (NIH) realisiert und läuft von 2016 bis 2025. In den ersten Jahren wurde hier der Fokus auf neue Technologien gelegt, die nun angewandt werden, um die Aktivitäten aller Zellen im lebenden Hirn zu erfassen, die biologische Basis mentaler physiologischer und pathologischer Prozesse zu verstehen und darauf aufbauend therapeutische Anwendungen für bislang unbehandelbare Hirnerkrankungen zu schaffen.

Francis S. Collins, Direktor der NIH, hat in seinem Blog kürzlich ein faszinierendes Video gepostet, das Lichtscheibenfluoreszenzmikroskopie anwendet (für hohe Auflösung werden dabei nur sehr dünne Gewebeschichten ausgeleuchtet), um Neuronen in verschiedenen Gehirnarealen der Maus darzustellen. Abbildung 2 zeigt einige Screenshots dieser "Neuroscience Fireworks" (Collins).

Ein Meilenstein wurde kürzlich im Allen Institute for Brain Science in Seattle erreicht: Ein Kubikmillimeter Mäusehirn mit rund 100 000 Neuronen und 1 Milliarde Synapsen wurde anhand von mehr als 100 Millionen Bildern digitalisiert und kartiert.


Das Gehirn - Artikel im ScienceBlog

Komponenten

Susanne Donner, 08.04.2016: Mikroglia: Gesundheitswächter im Gehirn

Reinhard Jahn, 30.09.2016: Wie Nervenzellen miteinander reden

Inge Schuster, 13.09.2013: Die Sage vom bösen Cholesterin

Inge Schuster, 08.12.2016: Wozu braucht unser Hirn so viel Cholesterin?

Nora Schultz, 24.12.2020: Myelin ermöglicht superschnelle Kommunikation zwischen Neuronen

Hinein ins Gehirn und heraus

Redaktion, 06.02.2020: Eine Schranke in unserem Gehirn stoppt das Eindringen von Medikamenten. Wie lässt sich diese Schranke überwinden?

Redaktion, 19.10.2017: Ein neues Kapitel in der Hirnforschung: das menschliche Gehirn kann Abfallprodukte über ein Lymphsystem entsorgen

Informationsverarbeitung

Nora Schultz, 29.12.2022: Fliegen lehren uns, wie wir lernen

Michael Simm, 06.05.2021: Das Neuronengeflecht entwirren - das Konnektom

Wolf Singer, 05.12.2019: Die Großhirnrinde verarbeitet Information anders als künstliche intelligente Systeme

Wolf Singer & Andrea Lazar, 15.12.2016: Die Großhirnrinde, ein hochdimensionales, dynamisches System

Gero Miesenböck, 23.02.2017: Optogenetik erleuchtet Informationsverarbeitung im Gehirn

Ruben Portugues, 22.04.2016: Neuronale Netze mithilfe der Zebrafischlarve erforschen

Nora Schultz, 20.02.2020: Die Intelligenz der Raben

Körper - Hirn

Susanne Donner, 01.12.2022: Mit dem Herzen sehen: Wie Herz und Gehirn kommunizieren

Nora Schultz, 13.10.2022: Neurokardiologie - Herz und Gehirn bilden ein System

Francis S. Collins, 15.07.2016: Die Muskel-Hirn Verbindung: Training-induziertes Protein stärkt das Gedächtnis

Nora Schultz, 31.10.2019: Was ist die Psyche

Ilona Grunwald Kadow, 11.05.2017: Wie körperliche Bedürfnisse und physiologische Zustände die sensorische Wahrnehmung verändern

Francis S. Collins, 17.10.2019: Projektförderung an der Schnittstelle von Kunst und Naturwissenschaft: Wie trägt Musik zu unserer Gesundheit bei?

Jochen Müller, 19.11.2020: Warum essen wir mehr als wir brauchen?

Francis S. Collins, 25.01.2018: Primäre Zilien auf Nervenzellen- mögliche Schlüssel zum Verständnis der Adipositas

Nora Schultz, 02.06.2018: Übergewicht – Auswirkungen auf das Gehirn

Redaktion, 29.06.2017: Mütterliches Verhalten: Oxytocin schaltet von Selbstverteidigung auf Schutz der Nachkommen

Schmerz

Gottfried Schatz, 30.8.2012: Grausamer Hüter — Wie uns Schmerz schützt – oder sinnlos quält

Nora Schultz, 10.11.2016: Vom Sinn des Schmerzes

Manuela Schmidt, 06.05.2016: Proteinmuster chronischer Schmerzen entziffern

Susanne Donner, 16.02.2017: Placebo-Effekte: Heilung aus dem Nichts

Schlaf

Henrik Bringmann, 25.05.2017: Der schlafende Wurm

Niels C. Rattenborg, 30.08.2018: Schlaf zwischen Himmel und Erde

Sinneswahrnehmung

Dazu existiert ein eigenerSchwerpunkt: Redaktion, 25.04.2014: Themenschwerpunkt: Sinneswahrnehmung — Unser Bild der Aussenwelt

Susanne Donner, 11.01.2018: Wie real ist das, was wir wahrnehmen? Optische Täuschungen

Michael Simm, 24.01.2019: Clickbaits - Köder für unsere Aufmerksamkeit

Erkrankungen

Inge Schuster, 14.08.2022: Alzheimer-Forschung - richtungsweisende Studien dürften gefälscht sein

Irina Dudanova, 23.09.2021: Wie Eiweißablagerungen das Gehirn verändern

Francis S. Collins, 14.02.2019: Schlaflosigkeit fördert die Ausbreitung von toxischem Alzheimer-Protein

Inge Schuster, 24.06.2016: Ein Dach mit 36 Löchern abdichten - vorsichtiger Optimismus in der Alzheimertherapie

Francis S. Collins, 27.05.2016: Die Alzheimerkrankheit: Tau-Protein zur frühen Prognose des Gedächtnisverlusts

Gottfried Schatz, 03-07.2015: Die bedrohliche Alzheimerkrankheit — Abschied vom Ich

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Michael Simm, 16.06.2022: Manche Kontakt-Sportarten führen zu schweren, progressiven Gehirnschäden

Redaktion, 05.05.2022: Warum Psychedelika eine Schlüsselrolle in der Behandlung von posttraumatischen Störungen und Depression erlangen können

Inge Schuster, 16-04.2022: KEINESWEGS ZU BAGATELLISIEREN - neue Befunde zum neuropathologischen Potential von COVID-19

Francis S. Collins, 15.01.2021: Näher betrachtet: Auswirkungen von COVID-19 auf das Gehirn

Redaktion, 22.03.2018: Schutz der Nervenenden als Strategie bei neuromuskulären Erkrankungen

Ricki Lewis, 02.11.2017: Ein modifiziertes Poliovirus im Kampf gegen bösartige Hirntumoren

Nora Schultz, 15.12.2017: Multiple Sklerose - Krankheit der tausend Gesichter

Gottfried Schatz, 26.07.2012: Unheimliche Gäste — Können Parasiten unsere Persönlichkeit verändern?

Hans Lassmann, 14.07.2011: Der Mythos des Jungbrunnens: Die Reparatur des Gehirns mit Stammzellen

Entwicklung, Evolution

Nora Schultz, 31.12.2021: Sinne und Taten - von der einzelnen Sinneszelle zu komplexem Verhalten

Nora Schultz, 11.06.2020: Von der Eizelle zur komplexen Struktur des Gehirns

Susanne Donner, 05.08.2016: Wie die Schwangere, so die Kinder

Nora Schultz, 19.08.2017: Pubertät - Baustelle im Kopf

Redaktion, 03.08.2017: Soll man sich Sorgen machen, dass menschliche "Mini-Hirne" Bewusstsein erlangen?

Georg Martius, 09.08.2018: Roboter mit eigenem Tatendrag

Nora Schultz, 25.10.2018: Genies aus dem Labor

IngeSchuster, 12.12.2019; Transhumanismus - der Mensch steuert selbst siene Evolution

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Philipp Gunz, 24.07.2015: Die Evolution des menschlichen Gehirns

Philipp Gunz, 11.10.2018: Der gesamte afrikanische Kontinent ist die Wiege der Menschheit

Christina Beck, 20.05.2021: Alte Knochen - Dem Leben unserer Urahnen auf der Spur


 

 

 

inge Fri, 23.07.2021 - 19:14

Klima & Klimawandel

Klima & Klimawandel Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:29

Artikel zu diesem Themenschwerpunkt im ScienceBlog:

Klimamodelle

Carbon Brief Serie


Von den Folgen des Klimawandels bis zu Strategien der Eindämmung

Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz

Sa, 19.10.2024— Inge Schuster

Inge Schuster Icon Künstliche Intelligenz

„Künstliche Intelligenz (KI) ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren.“ (Europäisches Parlament, Webseite). In rasantem Tempo hat sich die KI-Forschung von einem teilweise als Science Fiction belächelten Gebiet zum unverzichtbaren, effizienten Werkzeug in Wissenschaft und Wirtschaft entwickelt und in zunehmendem Maße auch in unserem Alltag Einzug gehalten. Seit mehr als zehn Jahren wird im ScienceBlog über Erfordernisse, Anwendungen aber auch Risiken der KI informiert. Der folgende Bericht ist eine Zusammenstellung der bereits sehr umfangreichen Artikelsammlung, die laufend ergänzt werden soll..

Von der uralten Vision.....

Seit jeher besteht der Wunsch künstliche, dem Menschen an Fähigkeiten gleichende Kreaturen zu schaffen. So berichtet die griechische Mythologie von Hephaistos, dem Gott der Kunstfertigkeit, der u.a. auf Geheiß des Göttervaters Zeus die wunderschöne, mit allen positiven Eigenschaften versehene weibliche Figur, Pandora, aus Lehm fabrizierte (Abbildung 1). Mit Hilfe dieses unwiderstehlichen Wesens wollte Zeus aber die Menschen für den Diebstahl des Feuers durch Prometheus bestrafen; Pandora sollte Epimetheus, den erst im Nachhinein denkendenBruder des Prometheus verführen und von Neugier geplagt einen Krug öffnen, der mit allem Leid und Übel gefüllt war. Neugier und fehlendes Überlegen möglicher Folgen führten dazu, dass sich alles Böse über die Erde ergoss - eine auch für unsere heutige Wissenschaft gültige Metapher.

Abbildung 1. Pandora - eine Metapher für von Neugier getriebenes vorschnelles Handelns . Vase aus dem 5 Jh- v.Chr, Oben: Pandora (Mitte) wird von den Göttern mit allen positiven Atrtributen versehen; untere Reihe : Tanzende Satyren. (Bild: British Museum, London (CC BY-NC-SA 4.0)

Die Literatur ist voll von weiteren fiktiven Kreationen. Einige hervorstechende Beispiele sind der im 12. Jahrhundert vom Prager Rabbi Löw aus Lehm mittels eines Buchstabencodes geschaffene Golem, ein Befehlsempfänger ohne eigenen freien Willen, die im 19. Jh. von E.T.A. Hoffmann im Sandmann beschriebene Puppe Olimpia oder Mary Shelley's Frankenstein. Einige Darstellungen haben die realen Entwicklungen der künstlichen Intelligenz vorweg genommen.

............ zum Forschungsgebiet

Der Anfang des Forschungsgebiets Künstliche Intelligenz ist mit der Dartmouth Conference (New Hampshire) im Jahr 1956 festzusetzen. Die Konferenzteilnehmer - u.a. Marvin Minsky, Claude Shannon und John Mc Carthy - waren über Jahrzehnte hinweg führend in der KI-Forschung. In einem Antrag auf Förderung an die Rockefeller Foundation schrieben die Initiatoren: „Wir schlagen vor, im Laufe des Sommers 1956 über zwei Monate ein Seminar zur künstlichen Intelligenz mit zehn Teilnehmern am Dartmouth College durchzuführen. Das Seminar soll von der Annahme ausgehen, dass grundsätzlich alle Aspekte des Lernens und anderer Merkmale der Intelligenz so genau beschrieben werden können, dass eine Maschine zur Simulation dieser Vorgänge gebaut werden kann. Es soll versucht werden, herauszufinden, wie Maschinen dazu gebracht werden können, Sprache zu benutzen, Abstraktionen vorzunehmen und Konzepte zu entwickeln, Probleme von der Art, die zurzeit dem Menschen vorbehalten sind, zu lösen, und sich selbst weiter zu verbessern. Wir glauben, dass in dem einen oder anderen dieser Problemfelder bedeutsame Fortschritte erzielt werden können, wenn eine sorgfältig zusammengestellte Gruppe von Wissenschaftlern einen Sommer lang gemeinsam daran arbeitet.“ (http://www-formal.stanford.edu/jmc/history/dartmouth/dartmouth.htm).

Die Hauptthemen dieses Workshops zeigten - neben Informatik und Mathematik - bereits viele, aus verschiedenen Forschungsrichtungen stammende Teildisziplinen. Anfängliche Erfolge beim Lösen einfacher mathematischer Probleme oder im Schachspiel führten zu überoptimistischen Einschätzungen. Einer der Pioniere in KI, Marvin Minsky meinte 1970: "In 3 bis 8 Jahren werden wir eine Maschine mit der allgemeinen Intelligenz eines Durchschnittsmenschen haben." Die Enttäuschung folgte. Es fehlten damals noch ausreichende Computerkapazitäten zur Verarbeitung und Speicherung von Daten. Die anfängliche Hype brach in sich zusammen, es kam zu einer "Eiszeit" der KI.

Erst mit dem exponentiellen Anstieg der Computerleistung und neuen Technologien, die nicht nur in den Lebenswissenschaften zu einem explosionsartigen Anstieg von gespeicherten Datenmengen - den Big Data - führten, erlebte die KI ab den 1990er Jahren eine Renaissance. Auf der Basis von Maschinellem Lernen und dem vom diesjährigen Physik-Nobelpreisträger Geoffrey Hinton entwickelten tiefen Neuronalen Netzwerk, dem Deep Learning, ermöglichten nun Datenbanken die Erkennung von Mustern in riesigen, komplexen wissenschaftlichen Datensätzen.

---------- und unverzichtbarem Werkzeug in Forschung, Industrie und Alltag

Wir stehen am Beginn eines neuen, durch maschinelle Intelligenz geprägten Zeitalters. In vielen unserer Lebensbereiche gibt es bereits künstliche Unterstützung - dies reicht vom allgegenwärtigen Smartphone, Übersetzungstools und dem immer häufiger genutzten Sprachmodell ChatGPT, über Ansätze zum autonomen Fahren und in Dienstleistungsbereichen eingesetzte Roboter bis zu präziser medizinischer Diagnostik und Einsatz von Implantaten für immer mehr Körperfunktionen. Einige Beispiele sind in Abbildung 2 zusammengefasst.

Abbildung 2. Künstliche Intelligenz – Nutzen im Alltag und mögliche Einsatzgebiete. (© Europäische Union, [20-06-2023 ] – Quelle: Europäisches Parlament) /em>

In vielen naturwissenschaftlichen Disziplinen hat sich die Künstliche Intelligenz bereits gut etabliert. KI ist aus Biologie und medizinischer Diagnostik nicht mehr wegzudenken; die in Genanalyse, Mikroskopie, Computertomographie und MRI-Analyse anfallenden enormen Datenmengen können nun schnell verarbeitet werden und aussagekräftige Muster/Diagnosen liefern. Auch in der Suche nach neuen Wirkstoffen und nach Systemen, die Umweltgifte abbauen, spielt die KI eine wichtige Rolle. In den Geowissenschaften wird KI eingesetzt, um belastbare Vorhersagen über die Auswirkungen von Klimaextrema zu erhalten und die Gesellschaften dagegen widerstandsfähiger zu machen. Die Liste könnte fast endlos fortgesetzt werden.

Welche Bedeutung Künstliche Intelligenz (KI) heute in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft hat, lässt sich wohl am besten daran zu erkennen, dass der Nobelpreis 2024 sowohl in Physik als auch in Chemie für Pionierleistungen in diesem Gebiet vergeben wurde. Die Physik-Preisträger John Hopfield (USA) und Geoffrey Hinton (Kanada) waren Wegbereiter, die für »bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen, die maschinelles Lernen mit künstlichen neuronalen Netzen ermöglichen« ausgezeichnet wurden. Darauf aufbauend ist es den Chemie-Preisträgern Demis Hassabis (UK) und John Jumper (UK) gelungen mit ihrem KI-Modell AlphaFold2 die räumliche Struktur praktisch aller Proteine mit hoher Genauigkeit aus den Aminosäuresequenzen vorherzusagen; David Baker (US) hat mit Rosetta ein Computerprogramm zum Design von völlig neuen Proteinen mit speziellen Eigenschaften entwickelt. Die nun ausgezeichneten KI-gestützten Technologien sind öffentlich frei zugänglich und wurden in den wenigen Jahren seit ihrer Freigabe bereits von Millionen Forschern für "unzählige" Fragestellungen des Proteindesigns und der Strukturvorhersage genutzt. Die Ergebnisse werden wohl unsere Welt verändern.

Wo viel Licht ist, ist auch Schatten

In zunehmendem Maße wird Kritik laut, dass KI sich auch zu einer dunklen Seite entwickeln kann. So meint der Evolutionsbiologe Paul Rainey: "Wie Viren oder andere invasive Organismen den Menschen, die Umwelt und sogar den Planeten bedrohen können, besteht auch die reale Gefahr, dass vermehrungsfähige KI unbeabsichtigte negative Auswirkungen auf den Menschen und die Erde hat. Sie könnte sich unkontrolliert verbreiten, die Ressourcen der Erde erschöpfen und die Ökosysteme schädigen" (Paul Rainey, 2023).

Schärfer formuliert es das Center for AI Safety, dem neben anderen prominenten KI-Forschern auch der diesjährige Chemie Nobelpreisträger Demis Hassabis angehört, in einem Aufruf im Jahr 2023: "Die Minderung des Risikos für eine Auslöschung der Menschheit durch künstliche Intelligenz sollte neben anderen Risiken von gesellschaftlichem Ausmaß wie Pandemien und Nuklearkrieg eine globale Priorität haben“.

Auch der diesjährige Physik-Nobelpreisträger Geoffrey Hinton warnt vor der Technologie, die er miterschaffen hat, weil sie die Menschen überfordern, durch kriegerische Anwendungen und poltische Manipulationen sogar gefährden könne.

Die eingangs erwähnte Metapher von der Nutzung einer Technologie ohne Überlegen der möglichen Folgen sollte bedacht werden, um nicht eine Büchse der Pandora zu öffnen.


Artikel im ScienceBlog über Erfordernisse für und Anwendungen von  Künstlicher Intelligenz

Inge Schuster, 15.10.2024: Chemie-Nobelpreis 2024 für die KI-gestützte Vorhersage von Proteinstrukturen und das Design völlig neuer Proteine

Roland Wengenmayr, 03.10.2024: Künstliche Intelligenz: Vision und Wirklichkeit

Andreas Merian, 30.05.2024: Künstliche Intelligenz: Wie Maschinen Bilder verstehen und erzeugen

Ricki Lewis, 08.09.2023: Warum ich mir keine Sorgen mache, dass ChatGTP mich als Autorin eines Biologielehrbuchs ablösen wird

Redaktion, 08.06.2024: Aurora - mit Künstlicher Intelligenz zu einem Grundmodell der Erdatmosphäre

Redaktion, 04.01.2024: Wird die künstliche Intelligenz helfen können, schwere Erdbeben vorherzusagen?

Lebenswissenschaften

Redaktion, 30.03.2023: Decodierung des Gehirns: basierend auf Gehirnscans kann künstliche Intelligenz rekonstruieren, was wir sehen

Michael Simm, 06.05.2021: Das Neuronengeflecht entwirren - das Konnektom

Wolf Singer, 05.12.2019: Die Großhirnrinde verarbeitet Information anders als künstliche intelligente Systeme

Wolf Singer, Andrea Lazar, 15.12.2016: Die Großhirnrinde, ein hochdimensionales, dynamisches System

Ruben Portugues, 22.04.2016: Neuronale Netze mithilfe der Zebrafischlarve erforschen

Redaktion, 25.04.2019:Big Data in der Biologie - die Herausforderungen

Francis S. Collins, 26.04.2018: Deep Learning: Wie man Computern beibringt, das Unsichtbare in lebenden Zellen zu "sehen

Gottfried Schatz; 24.10.2014: Das Zeitalter der “Big Science”

Ricki Lewis, 06.09.2024: CHIEF - ein neues Tool der künstlichen Intelligenz bildet die Landschaft einer Krebserkrankung ab und verbessert damit Diagnose, Behandlung und Prognose

Ricki Lewis, 25.01.2024: Bluttests zur Früherkennung von Krebserkrankungen kündigen sich an

Inge Schuster, 27.02.2020: Neue Anwendungen für existierende Wirkstoffe: Künstliche Intelligenz entdeckt potentielle Breitbandantibiotika

Ricki Lewis, 13.09.2018: Zielgerichtete Krebstherapien für passende Patienten: Zwei neue Tools

Norbert Bischofberger, 16.08.2018: Mit Künstlicher Intelligenz zu einer proaktiven Medizin

Norbert Bischofberger; 24.05.2018: Auf dem Weg zu einer Medizin der Zukunft.

Robotics

Roland Wengenmayr, 02.12.2023: Roboter lernen die Welt entdecken Paul Rainey, 2.11.2023: Können Mensch und Künstliche Intelligenz zu einer symbiotischen Einheit werden?

Georg Martius, 09.08.2018: Roboter mit eigenem Tatendrang

Inge Schuster, 12.12.2019: Transhumanismus - der Mensch steuert selbst seine Evolution

Ilse Kryspin-Exner, 31.01.2013: Assistive Technologien als Unterstützung von Aktivem Altern.

Algorithmen, Computer, Digitalisierung, Big Data

Redaktion, 29.07.2023: Welche Bedeutung messen EU-Bürger dem digitalen Wandel in ihrem täglichen Leben bei? (Special Eurobarometer 532)

IIASA, 24.09.2019: Die Digitale Revolution: Chancen und Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung

Peter Schuster, 19.08.2016: Das Ende des Moore'schen Gesetzes — Die Leistungsfähigkeit unserer Computer wird nicht weiter exponentiell steigen

Manfred Jeitler; 13.11.2015: Big Data - Kleine Teilchen. Triggersysteme zur Untersuchung von Teilchenkollisionen im LHC.

Gerhard Weikum, 20.06.2014:Der digitale Zauberlehrling

Peter Schuster, 28.03.2014:Eine stille Revolution in der Mathematik.

Peter Schuster, 03.01.2014: Computerwissenschafter — Marketender im Tross der modernen Naturwissenschaften

Peter Schuster, 28.03.2013: Wie Computermethoden die Forschung in den Naturwissenschaften verändern


 

inge Sat, 19.10.2024 - 21:52

Mikroorganismen

Mikroorganismen Redaktion Sun, 06.07.2014 - 07:10

Icon BiologieMit einzelligen Mikroorganismen hat vor mehr als 3 Milliarden Jahren das Leben auf unserem Planeten begonnen. Die winzigen Organismen haben den Evolutionsprozess in Gang gesetzt und eine Atmosphäre aufgebaut, welche viel später – vor rund 650 Millionen Jahren - die Entstehung von Vielzeller-Organismen erlaubte. Als individuelle Zellen sind Mikroorganismen mit dem freien Auge nicht erkennbar. Um sie sichtbar zu machen, bedurfte es erst eines Mikroskops mit sehr hoher Auflösung, welches erstmals der Holländer Antonie Van Leeuwenhoek (1632–1723) designte. Mit diesem sehr kleinen Instrument beobachtete in wässrigem Milieu „eine große Vielzahl unterschiedlicher Animalcula“ - Bakterien, Protozoen und Pilze (Hefen) -, die sich bewegten (Abbildung 1) .

Leeuwenhoek mit MikroskopAbbildung 1. Antonie Van Leeuwenhoek hält sein winziges Mikroskop in der rechten Hand. Daneben seine Beschreibung in einem Brief „concerning Green Weeds Growing in Water, and some Animacula Found about Them“ Phil.Trans. 1702-1703 23. Darunter seine Darstellung von Hefe aus einem Brief an Thomas Gale (14. Juni 1680, pp. 6-10; Bild: Wikipedia)

Erst rund 200 Jahre später begann mit den Pionieren Louis Pasteur (1822 – 1895) und Robert Koch (1843 – 1910) die eigentliche Mikrobiologie, die Charakterisierung, Kultivierung und Klassifizierung der Mikroorganismen, welche damals in erster Linie als Krankheitserreger gesehen wurden. Die Erreger von Milzbrand, Tuberkulose und Cholera wurden entdeckt und auch die Möglichkeit Infektionen mittels Impfung vorzubeugen.

Was sind Mikroorganismen?

Unter diesen Begriff sind vorwiegend einzellige Organismen subsummiert (Abbildung 2): Bakterien und Archäa sind die einfachsten Lebensformen, Zellen ohne Zellkern, sogenannte Prokaryoten. Pilze (beispielsweise Bäckerhefe, Candida), Mikroalgen und Protozoen (z.B. Erreger von Malaria, Toxoplasmose, Schlafkrankheit) sind Eukaryoten, besitzen Zellkern und Organellen. Nach der Endosymbiontentheorie sind Eukaryoten dadurch entstanden, dass prokaryotische Zellen (Archäa?) andere, photosynthetisch aktive oder chemotrophe Bakterien eingefangen haben, die dann zu Plastiden oder Mitochondrien wurden. Da Viren keinen eigenen Stoffwechsel besitzen und die Synthese-Maschinerie Wirtszellen benötigen um sich zu vermehren, können sie ein wesentliches Kriterium für Lebewesen nicht erfüllen, werden aber üblicherweise zu den Mikroorganismen gerechnet.

Untergruppen der MikroorganismenAbbildung 2. Untergruppen der Mikroorganismen. Ihre Größe reicht von 0,03 Millionstel Meter (µM) des Maul-und-Klauenseuche Virus bis mehrere 100 µm der Protozoen (rechts; Bild: Wikipedia).

 

 

Habitate

Mikroorganismen stellen den Großteil der globalen Biomasse dar. Sie passen sich den unterschiedlichsten Habitaten an und können unter extremen Bedingungen - in sehr heißen vulkanischen Quellen, unter dem Polareis, bei sehr hohen Salzkonzentrationen, enormer Radioaktivität, sehr hohen Drücken, in absoluter Finsternis, etc. - existieren und sich vermehren. Mikroorganismen besiedeln auch alle anderen Lebensformen. Im und am menschlichen Körper leben mehr als 100 Billionen Mikroorganismen (10 mal so viele, wie unsere Körperzellen): auf der Haut und vor allem im Verdauungstrakt. Die allermeisten dieser „Gäste“ sind aber keine Krankheitserreger, sondern üben essentielle Funktionen aus indem sie mithelfen u.a. Nahrungsmittel zu verwerten, die der Mensch nicht verdaut (z.B. Hemizellulose), Toxine abzubauen und Oberflächen blockieren, die von möglicherweise gefährlichen Keimen besiedelt werden könnten. Um den Einfluss dieses sogenannten „Human Microbiom“ auf Physiologie, Immunsystem, Entwicklung und Ernährung zu erforschen, wurde vom US National Institute of Health (NIH) im Jahr 2007 das bis 2015 dauernde Human Microbiome Project ins Leben gerufen (Details und aktuelle Resultate: https://commonfund.nih.gov/hmp/index).

Perspektiven

Wenn auch nur ein sehr kleiner Teil der ungeheuren Vielzahl und Vielfalt global existierender Spezies der Mikroorganismen bis jetzt entdeckt und charakterisiert wurde, so weisen die dabei gemachten Erfahrungen auf neuartige, ungewöhnliche Fähigkeiten der Mikroorganismen hin, die erfolgreiche Anwendungen in verschiedensten Disziplinen versprechen: in Medizin, Landwirtschaft, Umwelt, Ökologie, Lebensmitteltechnologie, Biotechnologie und vor allem in der besonders zukunftsweisenden Synthetischen Biologie.


Mikroorganismen im ScienceBlog

Evolution
Symbiose
Habitat
Kontrolle
Infektionskrankheiten

 

Pharmazeutische Wissenschaften

Pharmazeutische Wissenschaften Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:29

Schwerpunktsthema. Unter „Pharmazeutische Wissenschaften“ wird ein neues interdisziplinäres Gebiet an der Schnittstelle von Pharmazie und molekularen Lebenswissenschaften verstanden, dessen Fokus auf Forschung und Entwicklung neuer Therapeutika ausgerichtet ist. Rund 40 Artikel im ScienceBlog befassen sich mit Aspekten dieses Gebiets.

Kenntnisse über Heilmittel und Gifte, deren Herstellung und Anwendung – also pharmazeutisches Wissen und Erfahrung – datieren in die frühesten Kulturen zurück und wurden in Kräuterbüchern und später in Rezeptsammlungen (sogenannten Pharmakopöen) weitergegeben. Die ältesten Aufzeichnungen sind bereits über 5000 Jahre alt, stammen aus China und beschreiben hochwirksame Heilpflanzen, die beispielsweise gegen Malaria (die Alkaloid-haltige Pflanze Dichroa febrifuga) oder gegen Asthma (die Ephedrin-haltige Pflanze Ephedra sinica) Anwendung fanden. Eine lange Liste von Heilmitteln findet sich auch in Papyri aus dem alten Ägypten: diese reichen von Abführmitteln, über Hustenmittel, Mittel zur Behandlung von Hauterkrankungen und Wunden, bis hin zu Rheumamitteln und gegen Parasiten wirkende Medikamente (ein auf Granatapfel basierendes Mittel gegen den Bandwurm war bis vor 50 Jahren in Verwendung).

Ein sehr interessantes Buch aus dem Jahr 1891: J Berendes „Die Pharmacie bei den alten Culturvölkern“(free download: https://archive.org/details/diepharmaciebeid00bere) In unseren Kulturkreisen wurde das Wissen um die Heilmittel ("Materia medica") und ihre Wirkungen anfänglich von Mönchen und auch von Medizinern weitergegeben. Bereits im Mittelalter trennte sich die Pharmazie aber von der Medizin und es entstanden in der Folge an mehreren Universitäten Lehrstühle für Arzneikunde.

Damals wurde - wie zumeist auch heute - der Pharmazeut mit dem Beruf des Apothekers assoziiert. Dessen Aufgabe ist es Menschen mit Medikamenten zu versorgen und in Gesundheitsfragen zu beraten. Die Behandlung von Krankheiten mit Arzneimitteln ist dann dem Arzt vorbehalten. Die Berufsbilder von Medizinern und Pharmazeuten überlappen also teilweise; demnach sollten Ärzte Grundlegendes über Medikamente und deren Wirkung wissen, Pharmazeuten über Physiologie und Pathologie des menschlichen Organismus. Dennoch erfahren – zumindest in unserem Kulturkreis - beide Berufsgruppen eine unterschiedliche Ausbildung und dringen relativ wenig in das Nachbargebiet ein.

Der Apotheker bedient einen Kunden, sein Gehilfe zerreibt Material im Mörser. (Coloured etching by H. Heath, 1825. Iconographic Collections Keywords: Henry Heath.)

Beginnend mit der steigenden Bedeutung der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert - als die neuen Disziplinen Chemie und Botanik im Pharmaziestudium dazukamen - wurde die Pharmazie mehr und mehr zu einem molekular geprägten Forschungsgebiet. Auf der Suche nach Ansatzpunkten für neue Wirkstoffe mit neuen Wirkmechanismen ist heute ein Verständnis in Gebieten wie der Molekularbiologie, Genetik, Immunologie, Biotechnologie aber auch im Computer-unterstützten Modellieren und der Bioinformatik unabdingbar geworden.

Brauchen wir überhaupt noch neue Medikamente?

Diese Frage muss eindeutig mit Ja beantwortet werden: Für rund zwei Drittel der über 30 000 klassifizierten Krankheiten (laut WHO) gibt es noch keine oder eine nur unbefriedigende Therapie. Dazu gehören häufige Krankheiten wie Tumoren (u.a. des Magen-Darmtrakts, des Pankreas, der Lunge, des Gehirns), Autoimmunerkrankungen, chronischer Schmerz, neurodegenerative/neurologische Erkrankungen, u.v.a., ebenso wie die meisten seltenen Krankheiten.

Was bereits (z.T. schon sehr lange) existierende Arzneimittel betrifft, so ist in vielen Fällen nicht geklärt, wie diese wirken und welche Nebenerscheinungen sie auslösen können.

Es besteht also dringender Handlungsbedarf.

Bis vor einem Jahrzehnt hat die Pharmaindustrie praktisch „im Alleingang“ die Forschung & Entwicklung (F&E) neuer Medikamente vorangetrieben. Pharma gehört zwar - nach dem Finanzsektor - zu den größten globalen Industriesektoren, hat seit der Jahrtausendwende ihre Umsätze auf das 2, 5 fache gesteigert und (trotz Wirtschaftskrise) nun nahezu die Marke von 1000 Mrd US $ erreicht. Dennoch steckt sie in einer schweren Krise: das Risiko ein neues Medikament auf den Markt zu bringen ist enorm hoch geworden. Bei explodierenden Kosten und einer übermäßig langen Entwicklungsdauer werden viel zu wenige neue, Gewinn versprechende Produkte zugelassen. Um den zu erwartenden niedrigeren Einnahmen gegenzusteuern, fusionieren die Konzerne und reduzieren ihre Forschungskapazitäten. Hier könnte es nun zu neuen Kooperationen kommen: Grundlagenforschung in akademischen Institutionen könnten therapeutische Lösungsansätze erarbeiten, die in fairer Weise von der Pharmaindustrie übernommen und zur Marktreife entwickelt werden.

Es besteht damit in akademischen, ebenso wie in industriellen Einrichtungen ein Bedarf an Experten, die, über das pharmazeutische Wissen hinaus, Kenntnisse in den für Forschung und Entwicklung notwendigen Fächern besitzen und diese auch anwenden können.

Was sind pharmazeutische Wissenschaften?

Dem Bedarf an transdisziplinär ausgebildeten, pharmazeutisch orientierten Experten wird seit einigen Jahren Rechnung getragen: Studiengänge zu dem neuen Fachgebiet „Pharmazeutische Wissenschaften“ werden an mehreren Orten angeboten. Im deutschen Sprachraum, beispielsweise an der ETH (Zürich), den Universitäten Basel , München und Freiburg.

Kurz umrissen: Pharmazeutische Wissenschaften sind auf Forschung und Entwicklung neuer Therapeutika ausgerichtet. Sie umfassen state-of-the-art Technologien und grundlegendes Wissen über

  • die chemischen, physikalischen und biologischen Charakteristika von Wirk- und Hilfsstoffen,
  • deren Herstellungstechnologien und Nachweisverfahren
  • deren «Schicksal» im menschlichen Körper und
  • deren Wirkungsprinzipien (erwünschte/unerwünschte Wirkungen)

Die Ausbildung in Pharmazeutischen Wissenschaften bereitet vor allem auf eine Forschungs- und Entwicklungstätigkeit an akademischen Einrichtungen oder in der pharmazeutischen Industrie vor. Die Pharmazie-Ausbildung führt meistens zum Beruf des Apothekers.

Das Berufsbild des Pharmazeutischen Wissenschafters unterscheidet sich damit wesentlich von dem des Pharmazeuten. Im ersten Fall liegt der Fokus auf moderner Pharmaforschung, bereitet also auf eine Forschungs- und Entwicklungstätigkeit an akademischen Einrichtungen oder in der pharmazeutischen Industrie vor. Die Pharmazie-Ausbildung führt meistens zum Beruf des Apothekers.


In diesem Schwerpunkt finden Sie Artikel zu folgenden Themenbereichen:

Pharma-Forschung & -Entwicklung

Pharma-Forschung & -Entwicklung Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:49

Targets & Strategien

Targets & Strategien Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:54

personalisierte Medizin

personalisierte Medizin inge Mon, 15.04.2019 - 10:29

Vitamine & Hormone

Vitamine & Hormone Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:50

Toxizität

Toxizität inge Mon, 15.04.2019 - 00:11

Bindegewebe

Bindegewebe Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:52

Infektionen

Infektionen Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:53

Sinneswahrnehmung

Sinneswahrnehmung Redaktion Wed, 20.03.2019 - 06:55

Zur Wahrnehmung der Außenwelt haben Lebewesen im Laufe der Evolution Sinnesorgane entwickelt und diese an die jeweiligen Gegebenheiten adaptiert, um ihre vitalen Bedürfnisse in entsprechender Weise zu decken und sich situationsgerecht zu verhalten.

Licht, Schall, chemische und mechanische Reize der Außenwelt werden über spezifische Sensoren - Rezeptoren – von spezialisierten Zellen unserer Sinnesorgane Augen, Ohren, Haut, Nase und Zunge wahrgenommen, in elektrische Signale umgewandelt und über Nervenfasern in das zentrale Nervensystem, das Gehirn, weitergeleitet. Hinsichtlich des Fühlens sind in unserem größten Sinnesorgan, der Haut, unterschiedliche Typen von Rezeptoren lokalisiert, welche durch Berührung, Temperatur oder Schmerz angenehme und unangenehme Empfindungen auslösen und bereits im frühesten Alter die Welt „begreifbar“ machen. Aus dem Tierreich ist überdies auch die Wahrnehmung elektrischer Felder (bei verschiedenen Fischen/Meerestieren) und Magnetfelder (nicht nur bei Zugvögeln) bekannt.

Der primäre Schritt im Prozess der Sinneswahrnehmung – wie Reize aus der Außenwelt mit den Rezeptoren der Sinnesorgane wechselwirken und, von Nervenzellen in elektrische Impulse umgewandelt, weitergeleitet werden – ist zum großen Teil gut verstanden. Vorwiegend mit diesen molekularen Grundlagen der „unteren Ebene“ der Wahrnehmung beschäftigen sich die derzeit 10 Artikel des Themenschwerpunkts „Sinneswahrnehmungen“, die durch weitere Aspekte aus dem „Reich der Sinne“ laufend ergänzen werden.

Detaillierte Darstellung siehe: http://scienceblog.at/themenschwerpunkt-sinneswahrnehmung

Riechen, Schmecken

Riechen, Schmecken Redaktion Wed, 20.03.2019 - 07:01

Synthetische Biologie — Leitwissenschaft des 21. Jahrhunderts?

Synthetische Biologie — Leitwissenschaft des 21. Jahrhunderts? Redaktion Wed, 20.03.2019 - 07:04

Die in den letzten Jahren entstandene Synthetische Biologie könnte zur wichtigsten Disziplin im 21. Jahrhundert werden. Auf der Biologie aufbauend ist die Synthetische Biologie als Anwendung der Prinzipien von Ingenieurswissenschaften auf die Biologie zu verstehen. Dieses neue, rasant wachsende, interdisziplinäre Fachgebiet birgt ein beispielloses Potential an Einsatzmöglichkeiten: Für Grundlagenforscher bietet es leicht manipulierbare Systeme zur Erforschung der Funktion lebender Systeme. In der Angewandten Forschung und Entwicklung entstehen aus dem Nachahmen und Optimieren biologischer Strukturen und Funktionen maßgeschneiderte Produkten, welche breiteste Anwendung in Technik, Industrie und Medizin finden.


Folgende Artikel erschienen in diesem Schwerpunkt

Weiterführende Links zu diesem Schwerpunkt

(Linksammlung aus den Artikeln – unsortiert)

  • Eine hervorragende Broschüre: Synthetische Biologie: Eine Einführung. Zusammenfassung eines Berichts des European Academies Science Advisory Council (EASAC). 2011. (PDF-Download)
  • „Synthetische Biologie, Ein neuer Weg der Evolution“ Uwe Sleytr, Video(3,25 min.) Diese site enthält auch viele andere Videos vom „Synthetic Biology Science, Art and Film Festival“ Wien, 13-14.Mai 2011 http://biofiction.com/videos/
  • “Konkurrenz für Gott” J.Grolle. Der Spiegel 1:110-19, 2010 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-68525307.html
  • „Synthetische Biologie. Leben – Kunst“ Internationale Tagung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 8 – 9.12.2011: Mediathek, mehrere Vorträge. http://jahresthema.bbaw.de/2011_2012/mediathek/synthetische-biologie.-leben-kunst-1
  • V. Rouilly (Imperial Coll. London, Bioengineering Dept): “Introduction to Synthetic Biology“ (53 slides)
  • In diesem Video (7½ min.) des Max-Planck-Institut für Polymerforschung erläutert Professor Eva-Kathrin Sinner (siehe SB-Beitrag vom 15. Dezember 2011), wie es gelang, einen Sensor für den Duftstoff Lilial herzustellen:
  • Solarzelle nach Vorbild der Natur | Projekt Zukunft 3,27 min:
  • Dye Sensitised solar cell animation 3 min:
  • Solar energy / Dye-Sensitized Solar Cells - Michael Grätzel / epflpress.com 5:12 min:
  • Millenium Prize. Laureate 2010: Michael Grätzel 3:45 min
  • Distinguished Lecture Series - Dr. Michael Grätzel (2010) 1:00:12
  • Swiss Electric Research Award 2012 — Text in englischer Sprache
  • Michael Grätzel - Solar andersrum Filmreihe «SCIENCEsuisse» 11:45 min
  • Musei Vaticani: Interaktive 3D-Animation der Sixtinischen Kapelle ("Gott beseelt Adam" befindet sich senkecht über dem Beobachter)
  • Craig Venter unveils "synthetic life" Video 18.18 min (2010, in Englisch, deutsche Untertitel) http://www.ted.com/talks/craig_venter_unveils_synthetic_life.html (from TEDTalks: a daily video podcast from the TED Conference, where the world's leading thinkers and doers give the talk of their lives in 18 minutes.)

Wissenschaftskommunikation

Wissenschaftskommunikation Redaktion Wed, 20.03.2019 - 07:06

Wissenschaft und Gesellschaft – Themenschwerpunkt Wissenschaftskommunikation

„Wissenschaft und Technologie beeinflussen fast alle Bereiche unseres täglichen Lebens. Trotzdem kann die Haltung zur Wissenschaft in der Gesamtgesellschaft sich als zwiespältig erweisen, und frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass nicht immer ein breites Verständnis für Wissenschaft oder wissenschaftliche Methoden vorhanden ist.“

Mit diesem Satz beginnt der Bericht „Spezial Eurobarometer 401: Verantwortungsvolle Forschung, Innovation, Wissenschaft und Technologie“ [1]. Wie die detaillierten Ergebnisse dieser, von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Umfrage zeigen, trifft dieses Statement auf viele Staaten – nicht nur in Europa – zu, in besonderem Maß aber auf Österreich. Was den Grad des Interesses und Informationsstandes an naturwissenschaftlichen Themen betrifft, nimmt unser Land die untersten Plätze der Skala ein. Mehr als die Hälfte unserer befragten Mitbürger gibt an über naturwissenschaftliche und technologische Wissensgebiete weder informiert noch daran interessiert zu sein und diesbezügliche Kenntnisse für das tägliche Leben auch nicht zu brauchen.

Naturwissenschaft ist unpopulär

Für das fehlende Verständnis und die daraus folgende Ablehnung naturwissenschaftlicher Bildung gibt es mehrere Gründe. Diese beginnen in den Schulen, wo man den Naturwissenschaften geringe Bedeutung zumisst – es sind bloß Nebengegenstände, für die (noch) keine Bildungsstandards existieren –, und setzen sich im Erwachsenenleben fort. Ja, man ist gebildet, kann vielleicht Goethes Lebensabschnittspartnerinnen aufzählen, die aus der Schulzeit stammenden, bestenfalls rudimentären naturwissenschaftlichen Kenntnisse aber kaum mehr verbessern. Man bezieht nun die Informationen aus den Medien: vorzugsweise aus dem Fernsehen, in zweiter Linie aus den Printmedien und – was die jüngere Generation betrifft - aus dem Internet. Keines dieser Medien vermittelt zurzeit Laien in befriedigender Weise Information.

Wissenschaftsmeldungen in den Medien – bringt das Quote?

Sowohl im TV als auch in den Zeitungen werden Naturwissenschaften als wenig quotenbringend angesehen und rangieren zumeist an unterster Stelle.

  • Das öffentlich-rechtliche österreichische Fernsehen hat von 2009 bis jetzt die Sendezeit für Wissenschaft (+ Bildung) um 30 % reduziert (zugunsten Unterhaltungs- und Sportsendungen) – es bleiben jetzt in beiden Programmen nur mehr magere 1,2 % der Gesamtsendezeit (216 von 17 637 Stunden – etwa die Hälfte der Zeit, die der Werbung gewidmet wist)[2]. Dass davon nur ein Teil naturwissenschaftliche Inhalte hat und auch hier auf Quoten geschielt wird (herzige Viecherln, interessante Landschaften), sollte nicht unerwähnt bleiben.
  • Was die Zeitungen betrifft, weisen nur wenige eine eigene Wissenschaftsrubrik auf (Zeitungen mit der höchsten Reichweite fallen nicht darunter). Es ist offensichtlich wenig Bedarf dafür da, keine Lobby, die sich über mangelnde wissenschaftliche Information beklagt. Ein Problem ist auch, dass Wissenschaftsjournalisten kaum Zeit haben, um in diversen Gebieten komplexe Sachverhalte ausreichend zu recherchieren und zu verstehen (und dafür auch nicht angemessen entlohnt würden). So resultieren dann Artikel, die für Laien wenig verständlich sind (manchmal Fehler enthalten) und damit deren Interesse nicht steigern können. Natürlich, gibt es auch Meldungen mit hohem Unterhaltungswert: wirkliche oder vermeintliche Skandale – beispielsweise Fälschungen, die genussvoll ausgewalzt werden. Oder Jubelmeldungen, die von PR-Büros wissenschaftlicher Institutionen stammen („Krebs besiegt“, „ Alzheimer geheilt“). Viele dieser „Durchbrüche“ enden kurz darauf im Nichts.

Wissenschaft im Internet

Kann der Mangel an naturwissenschaftlicher Bildung durch das ungeheure Wissensangebot im Internet wettgemacht werden? Man kann ja googeln, Wikipedia schmökern, Videos auf Youtube sehen, etc. Leider ist für interessierte Laien seriöse, leicht verständliche Information nur schwer zu finden. Googeln führt zu enorm vielen Resultaten und es erscheint schwierig hier die unseriöse Spreu vom seriösen Weizen zu trennen. Seriös ist natürlich (zumindest meistens) die eigentliche Fachliteratur, in ihrem „Fachchinesisch“ jedoch weitestgehend unverständlich. Auch Wikipedia-Artikel sind meistens seriös, erweisen sich aber in vielen Fällen als zu schwierig: wenn bereits im ersten Absatz zu zehn weiterführenden Erklärungen verlinkt wird, wirft der Leser bald entnervt das Handtuch. Videos schließlich eignen sich hervorragend zur Wissenschaftsvermittlung. Es gibt vor allem im anglikanischen Sprachraum didaktisch großartig aufgebaute Videos. Ein Großteil der Videos auf Youtube, ebenso wie viele Diskussionsplattformen und auf den ersten Blick seriös wirkende Webseiten erweisen sich bei näherem Ansehen aber als zu wenig verständlich oder krass pseudowissenschaftlich. Aus eigener Erfahrung gesprochen: für die Links, die wir hier zwecks  weiterer Information den einzelnen Artikeln des ScienceBlog anfügen, bedarf es oft eines tagelangen Suchens, Ansehens und Aussortierens eines zum überwiegenden Teil unbrauchbaren Materials.

Die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit

Der Mangel an naturwissenschaftlicher Bildung ist erkannt. Es ist zweifellos nicht mehr nur die Bringschuld der Wissenschafter. Viele von ihnen möchten mithelfen das Interesse an ihren Wissenszweigen zu wecken, Wissen zu vermitteln und die Faszination der Forschung erlebbar zu machen. Die Frage ist dabei: wie kann Wissenschaft so effizient als möglich kommuniziert werden und möglichst viele Menschen erreicht werden? Wie kann man die zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit stehende Mauer von Ignoranz und Desinteresse durchbrechen? Vielleicht kann hier unser ScienceBlog einige Anregungen geben. Eine Reihe von Wissenschaftern, Experten in ihren speziellen Fächern, äußern sich hier zur Rolle der akademischen Institutionen in der Gesellschaft, zum Stand der Wissenschaft in der Gesellschaft, zur Kommunikation Wissenschaft – Gesellschaft und schließlich auch zu negativen Aspekten der Kommunikation.

 

[1] Spezial- Eurobarometer 401 „Verantwortliche Forschung und Innovation, Wissenschaft und Technologie; November 2013 (223 p.) http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_401_de.pdf

[2] ORF-Jahresbericht 2014 (März 2015)


Artikel zum Themenschwerpunkt:

Forschungsträger

Forschungsträger inge Tue, 16.04.2019 - 23:49

Naturwissenschaften und Gesellschaft

Naturwissenschaften und Gesellschaft inge Tue, 16.04.2019 - 23:54

Wissensvermittlung

Wissensvermittlung inge Tue, 16.04.2019 - 23:58

Negative Aspekte

Negative Aspekte inge Wed, 17.04.2019 - 11:40

Themenschwerpunkt: Viren

Themenschwerpunkt: Viren

RDo, 04.06.2020 — Redaktion

RedaktionIcon Medizin Alle Formen des Lebens sind seit ihrer Frühzeit dem Angriff der nicht lebenden Viren ausgesetzt. Die rasch veränderlichen Viren nutzen zu ihrer rasanten Vermehrung den Stoffwechsel der Wirtsorganismen, üben auf diese damit einen enormen Selektionsdruck aus möglichst effiziente Abwehrmechanismen zu entwickeln und haben so die Evolution der Arten mitgeprägt. Über verschiedenste Aspekte der Viren sind im ScienceBlog bereits zahlreiche Artikel erschienen, die vom Kampf gegen virale Infektionen bis zu einigen nutzbringenden Anwendungen viraler Prinzipien reichen. Diese Artikel sind nun in einem Schwerpunkt zusammengefasst.

Die COVID-19 Pandemie führt uns vor Augen, wie wir in unserer modernen, globalisierten Welt von Seuchen bedroht sind, die sich rasend schnell ausbreiten, weil weder Breitband-wirkende antivirale Medikamente noch Vakzinen vorhanden sind. Wie bereits seit Jahrhunderten sind Techniken der Abschottung - des social distancing - noch immer Mittel der Wahl, um zumindest die Ausbreitung einzudämmen. Nicht aber, um hunderttausenden schwer erkrankten Menschen das Leben zu retten.

Virologie rückt in den Brennpunkt des Interesses

Die Hotspots der neuen Seuche sind (noch) Staaten der westlichen Welt in Europa und Nordamerika. Dementsprechend gibt es enorme finanzielle Unterstützung für Projekte, die wesentliche Eigenschaften des neuen Virus erforschen oder klinische Untersuchungen zur Identifizierung potentieller Medikamente oder Impfstoffe anstreben. Vor 10 Wochen hatten wir im ScienceBlog von 178 klinischen Studien berichtet, die unter dem Stichwort "COVID-19 " Eingang in das weltweit größte Register von sowohl aus öffentlicher Hand als auch von privaten Sponsoren finanzierten klinischen Studien - der US National Library of Medicine (NIH) betriebenen Datenbank ClinicalTrials.gov - gefunden haben. Inzwischen ist deren Zahl bereits auf 2032 Studien angewachsen (um 107 mehr als am Vortag). Ob diese Initiativen schnell zu wirksamen Medikamente und/oder über längere Zeit effektiven Vakzinen führen werden, ist ungewiss.

Womit wir aber sicherlich rechnen können, ist, dass viele bislang unerforschte weiße Flecken auf der Landkarte der Virologie nun neues Wissen hervorbringen werden.

Eine Erde ohne Viren ist undenkbar

Diese winzigen biologischen Partikel bevölkern in enormer Vielfalt und unvorstellbar hoher Zahl unseren Planeten; Schätzungen gehen von 1033 (1 Trillion Billiarden) Exemplaren aus.

Viren dürften bereits früh in der Erdgeschichte entstanden sein - möglicherweise um die Zeit als das Leben seinen Ursprung hatte -und kommen in allen Habitaten und allen Lebensformen vor, in Bakterien und Archaea ebenso wie in allen höheren Lebewesen, Menschen mit eingeschlossen. Die rund 30 Billionen (30.1012) menschlichen Zellen in einem gesunden Individuum koexistieren mit etwa 39 Billionen Bakterien und 100 mal so vielen Viren. (Die Funktion dieser Viren gehört zu den weißen Flecken auf der Landkarte.)

Vermehrung durch Infektion

Da Viren im Wesentlichen bloß aus einer von einer Proteinhülle umschlossenen Erbsubstanz (RNA oder DNA, die jeweils nur ein paar Gene enthalten) bestehen, also keinen eigenen Stoffwechsel besitzen, werden sie nicht lebenden Spezies zugerechnet (allerdings auch in der wissenschaftlichen Literatur meistens unter Mikroorganismen geführt).

Wie Viren aussehen und zusammengesetzt sein können, zeigt Abbildung 1 am Beispiel des neuen Coronavirus SARS-CoV-2.

Abbildung 1. Das neue Coronavirus - SARS-CoV-2 - , das COVID-19 verursacht. (Abbildung übernommen aus: Francis S. Collins: Strukturbiologie weist den Weg zu einem Coronavirus-Impfstoff) Links: Elektronenmikroskopische Aufnahme von Viren, die von einem US-Patienten isoliert wurden.  Spikes, welche kronenartig die Oberfläche des Virus säumen, haben zur Bezeichnung Coronavirus geführt (Credit: NIAID RML). Rechts: Graphische Darstellung des Coronavirus in der Lunge. Das Virus ist von einer Membran umschlossen, aus welcher das für die Anheftung an und das Eindringen in die Körperzellen verantwortliche Spike-Protein (lila) herausragt.. Ein Kanal-Protein in der Membran (rosa) ist in die Abschnürung des Virus involviert. Im Innern findet sich die genomische RNA (weiße Stränge), daran gebunden viele Kopien des Nucleocapsid-Proteins (blau). Das Virus ist vom Abwehrsystem der Lunge umringt: Mukus (grüne Bänder), sezernierten Antikörpern (gelb) und verschiedenen kleineren Proteinen des Immunsystems (Bild von David S. Goodsell, RCSB Protein Data Bank; doi: 10.2210/rcsb_pdb/goodsell-gallery-019).

Viren können sich nur vermehren, indem sie eine passende Wirtszelle finden, an diese spezifisch andocken, eintreten und deren Stoffwechsel dahingehend manipulieren, dass diese mit ihren Bausteinen und Synthesemaschinerien nun zu einer Virenfabrik wird. Rasch entstehen massenhaft Kopien des viralen Genoms und seiner anderen Bestandteile, werden zu ganzen Viren zusammengebaut, aus der Wirtszelle durch Knospung oder Zerstörung der Wirtszelle (Lyse) freigesetzt und können nun weitere Zellen infizieren. An Hand von Viren, die Bakterien befallen - sogenannten Bakteriophagen (Phagen) -, ist dieser Vorgang in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2. Infektion einer Bakterienzelle durch einen Phagen. Der Bakteriophage dockt an passende Rezeptoren an der Oberfläche des Bakteriums an (a) und injiziert die phageneigene DNA bzw. RNA (b). Dann beginnt die Transkription des Virusgenoms und es kommt zur Produktion der Virusbestandteile (c). Diese werden zu reifen Phagen zusammengebaut (d). Die fertigen Phagen werden durch Auflösung der Wirtszelle befreit (e). Die Zelle platzt und etwa 200 infektiöse Phagen werden frei. (Bild aus:Christina Beck: Genom Editierung mit CRISPR-Cas9 - was ist jetzt möglich?)

Hohe Mutationsraten und…

Generell erfolgt der Kopiervorgang von Genomen nicht fehlerfrei und virale Genome zeigen die höchsten Mutationsraten. Da solche Mutanten zu veränderten Strukturen und damit Funktionen der davon kodierten Virusproteine führen können, kann dies einen Vorteil oder auch einen Nachteil für die Replikation des Virus und damit für die Größe seiner Nachkommenschaft bedeuten. Es ist dies ein Evolutionsprozess von Mutation und Selektion, der die Infektiosität und Pathogenität des Virus abschwächen oder auch verstärken kann und dann massive Ausbrüchen von Seuchen zur Folge haben kann. Ein besonderes Problem hoher Mutationsraten tritt in der Behandlung von Virusinfektionen zutage: antivirale Arzneimittel und Vakzinen büßen rasch ihre Wirksamkeit ein, Therapeutika für neue Varianten wie beispielsweise das neue Coronavirus ist ein langer steiniger Weg./p>

Evolution, die für uns auch zu positiven Auswirkungen führen kann

Viren passen sich an Wirtszellen an, Wirtszellen entwickeln Strategien um Viren abzuwehren. Es ist eine Ko-Evolution, welche die Entwicklung der Arten entscheidend mitgeprägt hat und weiter prägt. Viren haben über die Zeit hin Stücke des Wirtsgenoms in ihr Genom einverleibt, das Genom von Wirtsorganismen enthält beträchtliche Anteile viraler Gen(stück)e. Beispielsweise haben Bakterien Mechanismen entwickelt, um die sie infizierenden Phagen zu bekämpfen: indem sie das injizierte Virusgenom zerschneiden, Stücke davon in das eigene Genom einbauen und vererben , kann mit diesen Markersequenzen bei einer weiteren Infektion mit dem Virus dieses erkannt und unschädlich gemacht werden. Auf diesem Schutzmechanismus basiert die vor wenigen Jahren entdeckte und entwickelte CRISPR-Cas9 Technik. Die einfache, billige Methode mit der man innerhalb weniger Stunden die DNA unterschiedlichster Organismen präzise schneiden und nach Wunsch verändern kann, ist innerhalb kürzester Zeit weltweit zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel in biologisch-medizinischer Grundlagenforschung und Anwendung geworden. Bei der Sequenzierung des Humangenoms, von Tausenden weiteren menschlichen Genomen und ebenso von Genomen vieler anderer Organis¬men wurde entdeckt, dass die DNAs zahllose Fremdgene von anderen Organismen und vor allem von Viren aufweisen, die weiter vererbt werden. In der menschlichen DNA sind mehr als 8 % viralen Ursprungs und von einigen dieser Gene wurden bereits nachgewiesen, dass sie für uns nützliche Funktionen erlangt haben, z.B. in der Plazenta, in der embryonalen Entwicklung aber auch für unser Immunsystem. Daneben spielen Viren eine bedeutende Rolle in der medizinischen Forschung und Anwendung: Viren werden in der Gentherapie als Vektoren genutzt, um genetisches Material in Körperzellen einzuschleusen und damit Gendefekte zu kurieren. Viren, nämlich Phagen, finden im Einsatz gegen Antibiotika-resistente Bakterien - der sogenannten Phagentherapie - neues Interesse.


Artikel über Viren im ScienceBlog

Bekämpfung von Virusinfektionen

COVID-19

Influenza

Ebola

Andere Virusinfektionen

Initiativen der Bill & Melinda Gates Foundation

Evolution

Nutzbringende Anwendungen

inge Thu, 04.06.2020 - 18:33