Rückkehr zur Energie aus dem Wald — mehr als ein Holzweg? (Teil 2)

Fr, 04.04.2013 - 04:20 — Gerhard Glatzel

Icon Wald

Gerhard GlatzelDer Waldökologe Gerhard Glatzel reflektiert über Klimaschutzpolitik im Allgemeinen, über Energiesparen und über die Rolle von Wäldern als Energiequelle und Kohlenstoffspeicher im Speziellen [1]. Im vorliegenden 2. Teil befasst er sich mit Energiesicherheit statt Klimaschutz und dem Dilemma des Energiesparens.

Teil 2 - Energiesicherheit

Paradigmenwechsel nach Fukushima: Energiesicherheit und Verfügbarkeit der Energieträger stehen im Vordergrund

Die am 11. März 2011 von einem gewaltigen Erdbeben mit nachfolgender Tsunamiflutwelle ausgelöste Nuklearkatastrophe von Fukushima rückte den Ausstieg aus der Atomkraft, als das ursprünglich wichtigste Argument für die Energiewende, wieder in den Vordergrund. Deutschland faßte am 30. Mai 2011, also weniger als drei Monate nach Fukushima, den Beschluß aus der Atomenergie auszusteigen und innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren seine Kernkraftwerke abzuschalten. Für die deutsche Energiepolitik bedeutete die Entscheidung, daß Energieträgerverfügbarkeit sowie Energiesicherheit als Hauptargumente für die Energiewende in den Vordergrund traten und daß das durch ständige Wiederholung abgenutzte Klimaschutzargument in der öffentlichen Diskussion in den Hintergrund geriet. Die Verringerung der Abhängigkeit von den oft aus politisch instabilen Gegenden bezogenen fossilen Energieträgern und den sich insgesamt erschöpfenden Erdöl- und Erdgasvorräten des Planeten gaben der Forderung nach einem Umstieg auf nicht-fossile Energie, insbesondere Solar- und Windenergie, Wasserkraft und Biomasse starken Auftrieb.

Der durch die Nuklearkatastrophe von Fukushima ausgelöste Schock bot die Gelegenheit, über die Energiefrage hinaus auch wieder über den Umgang mit endlichen und nicht erneuerbaren Ressourcen nachzudenken. Neue Technologien für die Erzeugung, Speicherung und Verteilung von Energie, insbesondere von elektrischem Strom, bauen auf der Verwendung von Metallen auf, die nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen und bei verstärkter Nachfrage knapp und teuer werden. Die Lagerstätten dieser Rohstoffe sind meist ungleichmäßig auf unserem Planeten verteilt, so daß sich ähnliche Abhängigkeiten von einzelnen Lieferländern ergeben, wie bei Erdöl und Erdgas.

Landwirtschaftliche Produkte für die energetische Nutzung

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die landwirtschaftliche Produktion von Nahrungsmitteln, Viehfutter, pflanzlichen Rohstoffen und Biomasse für die energetische Nutzung.

Die praktisch unbegrenzte Verfügbarkeit fossiler Energieträger und deren niedrige Preise, die oft noch durch Subventionen aus öffentlichen Mitteln (Agrardiesel) gestützt wurden, haben es erlaubt, die Produktivität durch großzügigen Einsatz des Betriebsmittels Energie zu intensivieren. Zu Buche schlagen sich auch Düngemittel und Agrarchemikalien für den Pflanzenschutz, deren Herstellung oft mit erheblichem Einsatz fossiler Energie erfolgt. Bei uns ist die Energieeffizienz der landwirtschaftlichen Produktion an sich noch immer relativ gut; man muß aber in einer Gesamtbeurteilung auch den Energiebedarf der Vermarktung hinzurechnen. „Just in Time“ und die Bewerbung und Vermarktung von Obst, Gemüse, Milchprodukten und Fleisch für ganze Supermarktketten zu im Voraus fixierten Zeitpunkten bedingt sehr großen Aufwand für Transporte. Für die Endverbraucher ist in vielen Gegenden Nahversorgung eher die Ausnahme als die Regel. Selbst in ländlichen Regionen muß man mit dem Auto zu den Supermärkten fahren, weil in den kleineren Orten die Gemischtwarenhandlungen, die Bäcker und die Fleischer längst zugesperrt haben.

Kreislaufwirtschaft – Wälder als Vorbild

Biologischer Landbau, der versucht, Pflanzennährstoffe zu recyceln und auf Agrarchemikalien zu verzichten, ist ein erfolgreicher Ansatz für den schonenden Umgang mit Ressourcen. Vorbild für die Kreislaufwirtschaft sind Wälder, insbesondere tropische Regenwälder. Die aus dem Boden aufgenommenen und in die Baumkronen transportierten Nährstoffe gelangen mit dem Laubfall wieder auf den Waldboden. Dort zersetzen komplexe Lebensgemeinschaften von Insekten, Würmern, Bakterien und Pilzen, um nur einige beteiligte Organismengruppen zu nennen, und die Pflanzennährstoffe werden wieder für die Wurzeln verfügbar. Ein dichter Wurzelfilz sorgt im Verein mit symbiontischen Pilzen – der Mycorrhiza – dafür, daß möglichst wenige Pflanzennährstoffe ausgewaschen werden und dem System verloren gehen (Abbildung).

Stoffkreislauf

Abbildung: Stoffkreislauf im Waldökosystem (modifiziert nach Amsel, Sheri: “Ecosystem Studies Activities.” Energy Flow in an Ecosystem. https://www.exploringnature.org/)

Die Tatsache, daß sich in Waldbächen Fische ernähren können, zeigt, daß der Stoffkreislauf in Waldökosystemen nicht völlig geschlossen ist und Nährstoffe ausgetragen werden. Die geringen Verluste können aber selbst auf den alten und ausgelaugten Böden der Tropenwälder durch Nährstoffeinträge aus Niederschlägen und anderen Quellen ausgeglichen werden.

Verlagerung von Nährstoffen mit verwehtem Laub oder dem Transport durch Tiere sorgt dafür, daß nicht alle Wälder gleich fruchtbar sind. Daher sind auch Wälder an Unterhängen fruchtbarer als an Oberhängen. Die Wahrscheinlichkeit, daß Laub hangabwärts transportiert wird, ist einfach größer als die der Verlagerung hangaufwärts gegen die Schwerkraft. Wandelt man Tropenwälder in Ackerland um, kommt es ohne Düngung sehr rasch zum Verlust der Bodenfruchtbarkeit, weil ausgelaugte Tropenböden Nährstoffe schlecht speichern oder neu durch Verwitterung zur Verfügung stellen. Die Ernte der Agrarprodukte unterbricht das weitgehend geschlossene Kreislaufsystem der Wälder und schafft ein offenes System, das auf die Ergänzung der bei der Ernte entzogenen Nährstoffe angewiesen ist. Das wußten schon unsere Vorfahren, die Nährstoffverluste durch Düngung mit Stallmist, der oft unter Verwendung der Laubstreu aus Wäldern erzeugt wurde, ausglichen. Bodenversauerung wurde durch Ausbringung von Mergel kompensiert. Die Ausdrücke „Mistvieh“ (ein altes Tier, das nur mehr für die Misterzeugung taugte) und „ausgemergelt“ (mangels Mergelung durch Zufuhr von Mergel – einem kalkhältigen Tongestein – unfruchtbar gewordener Boden) haben sich bis heute, losgelöst von der ursprünglichen Bedeutung erhalten.

Es ist an dieser Stelle nochmals anzumerken, daß ein weitgehend geschlossener Stoffkreislauf innerhalb eines Ökosystems nicht einem „Nullwachstum“ gleichzusetzen ist. Innerhalb des Systems gibt es Wachstum, erbitterte Konkurrenz, Unterdrückung, Parasitismus und vieles mehr, was wir in der menschlichen Gesellschaft als „Garstigkeit“ ansehen würden, die mit den Menschenrechten nicht zu vereinbaren sind.

Energie- und Kohlenstoffhaushalt in Wäldern

Hinsichtlich des Energie- und Kohlenstoffhaushaltes sind aus dem Vergleich mit Wäldern allerdings andere Schlüsse zu ziehen. Kohlenstoff, und damit Energie, wird innerhalb des Waldes nicht im Kreislauf geführt. Kohlenstoff wird beim Abbau der organischen Substanz als CO2 freigesetzt und gelangt in die Atmosphäre, wo es sich verteilt und bis zur Fixierung durch Pflanzen oder in Sedimenten länger verweilt. Die Energie für ihr Wachstum beziehen Bäume von der Sonne. Für das Leben nutzbare Energie können sie nur in ihren lebenden Geweben speichern und nicht aus toter Pflanzenmasse gewinnen.

Die in der abgestorbenen Biomasse gespeicherte Energie wird von den Bodenorganismen genutzt und ist für diese unersetzbar. Wenn die Lebensbedingungen für die Zersetzer ungünstig sind, sammelt sich tote Biomasse in Wäldern an:

Ist die Ursache des gehemmten Abbaus Trockenheit, sammelt sich brennbares Material an und der darin gebundene Kohlenstoff wird bei Waldbränden in Form von CO2 in die Atmosphäre freigesetzt.

Ist Vernässung des Bodens die Ursache, entsteht Torf. Die Kohlelagerstätten – der „unterirdische Wald [2]“ – sind Resultat dieses Prozesses.

Bei Sauerstoffmangel entsteht beim Abbau der Biomasse auch Methan, ein weiteres sehr wirksames Treibhausgas. Wälder unterscheiden sich von anderen Ökosystemen der Erde auch darin, daß sie besonders große Mengen an Biomasse ansammeln können, also wichtige Kohlenstoff- und Energiespeicher sind. Der Hauptspeicher dabei ist Holz, ein Stoff, der in mehreren hundert Millionen Jahren dauernder Evolution auf hohe Festigkeit, Dauerhaftigkeit und minimale Bindung von Pflanzennährstoffen optimiert wurde. Daher waren Wälder für die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte die wichtigsten Energie- und Rohstoffquellen.

Spare in der Zeit, so hast du in der Not

Energiesparen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Energiewende. Energiesparen dient dem Klimaschutz, und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wird verringert. Obwohl Energiesparen seit vielen Jahren gefordert und beworben wird, ist der Verbrauch an fossilen Energieträgern im selben Zeitraum nicht wesentlich zurückgegangen, in vielen Ländern sogar gestiegen. Dafür gibt es mehrere Ursachen.

Zunächst ist der Begriff „Sparen“ schwammig und läßt sich durchaus unterschiedlich interpretieren. Unsere Eltern, die Lehrer in der Schule und auch die Sparkassen haben uns „Spare in der Zeit, so hast du in der Not“ vorgesagt und das fleißige Eichhörnchen als Beispiel gezeigt. Diese Art des Sparens ist auf das Anlegen von Vorräten für schlechtere Zeiten gerichtet. Es ist im Tierreich weit verbreitet, und auch die Menschen konnten den Winter oder Dürreperioden nur überstehen, wenn sie einen Teil der Nahrungsmittel nicht gleich konsumierten, sondern einlagerten. Auch das Geld, das wir auf’s Sparbuch einzahlen, wollen wir später einmal – mit Zinsen – genießen. Diese Art des Sparens ist also nicht Konsumverzicht, den wir in Hinblick auf den Klimaschutz und die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern eigentlich erreichen wollen.

Energiesparen – Auswirkungen auf den Gesamtenergieverbrauch

Am Beispiel des Energiesparens durch bessere Wärmedämmung von Häusern läßt sich das Dilemma veranschaulichen. Wenn wir unsere Wohnung besser isolieren, sparen wir an der für die Heizung benötigten Energie. Da wir die Energie kaufen müssen, ersparen wir auch Geld. Das ersparte Geld vernichten wir aber nicht, sondern denken über andere Verwendungen nach. Vielleicht könnten wir uns ein größeres Auto leisten oder eine Fernreise oder den Swimmingpool beheizen? Wenn wir das ersparte Geld für den Ankauf eines Ölbildes verwenden, käme das in erster Annäherung tatsächlich einer Verringerung unseres Energiekonsums gleich. Aber was macht der Verkäufer des Ölbildes? Vielleicht kauft er sich ein größeres Auto oder macht eine Fernreise. Solange wir uns durch Energiesparen auch Geld ersparen, wird der Gesamtenergieverbrauch nicht sinken. Das bedeutet natürlich nicht, daß bessere Isolierung von Häusern sinnlos ist. Allein die höhere Sicherheit in Krisenzeiten rechtfertigt den Aufwand. Als Maßnahme zur Senkung des Energieverbrauchs in Österreich taugt bessere Wärmedämmung allerdings kaum. Wenig Energie verbrauchen nur Arme. Das wird besonders deutlich, wenn man den Energieverbrauch in verschiedenen Ländern den Familieneinkommen gegenüberstellt.

Beim Klimaschutz schlug man einen neuen Weg ein. Im Vergleich zu früheren Maßnahmen des Verhinderung oder Verminderung schädlicher Stoffe in der Atmosphäre, die sich an verbindlichen Grenzwerten orientierten, welche wieder auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Machbarkeit definiert und gegebenenfalls nachjustiert wurden, schlug man bei CO2 und anderen Treibhausgasen den Weg des Emissionshandels ein. Damit wurden Grenzwertüberschreitungen nicht grundsätzlich verboten, sondern verursachen nun Kosten, weil Emissionsberechtigungen, die von der EU in einem komplexen Regelwerk definiert werden, gekauft werden müssen. Die erlöse sollen Klimaschutzaktivitäten zufließen. Die Möglichkeit, im Emissionshandel Geld zu verdienen, wurde von Geschäftsleuten rasch erkannt und führte zu einem breiten Angebot an Investitionsmöglichkeiten, für die Lobbyisten und sektorale Interessensvertretungen in Brüssel und in den nationalen Regierungen werben. Besonders erfolgreiche (oder von Lobbyisten erfolgreich vermarktete) Konzepte schaffen die Aufnahme in Empfehlungen oder Richtlinien der EU. Ein bekanntes Beispiel ist E10, ein für Automotoren vorgesehener Kraftstoff, der einen Anteil von 10 % Bioethanol enthält und damit zu den Ethanol-Kraftstoffen zählt. Er wurde 2011 in Deutschland in Zusammenhang mit den Erfordernissen der EU-Biokraftstoffrichtlinie eingeführt, um den fossilen Rohstoffverbrauch und CO2–Emissionen zu reduzieren.Grundsätzliches Problem aller Maßnahmen ist, daß sie als Einzelmaßnahme Senkungen der treibhauswirksamen CO2–Emissionen bewirken, aber im Gesamtkontext der Ressourcen-politik oft nicht evaluiert wurden. E10 erlaubt weiterhin, mit übergroßen Autos zu fahren, weil es keine Grenzwerte für den maximal zulässigen Treibstoffverbrauch pro Personenkilometer gibt. Bekanntermaßen werden die Automotoren zwar effizienter, die Autos selbst aber größer. Bei Biotreibstoffen wurden auch die Auswirkungen auf die Nahrungsproduktion und die Bodennutzung in Entwicklungsländern viel zu wenig berücksichtigt.

Persönlich sehe ich den Wechsel von Grenzwertregelungen zum Emissionshandelskonzept als bisher schwerste Sünde der Ressourcen-, Umwelt- und Klimaschutzpolitik


[1] Der Artikel basiert auf dem gleichnamigen Essay des Autors in: Qualitatives Wirtschaftswachstum – eine Herausforderung für die Welt. (H.Büchele, A. Pelinka Hsg; Innsbruck University Press, 2012), p 27.

[2] Sieferle P. (1989) Der unterirdische Wald. Energiekrise und industrielle Revolution. München.


Anmerkungen der Redaktion

Zu Teil 1: Energiewende und Klimaschutz

Zu Teil 3: Zurück zur Energie aus Biomasse

Weiterführende Links

Artikel zu verwandten Themen im Science-Blog: