Fr, 04.10.2013 - 04:37 — Walter Kutschera
Als Folge der Kernwaffentests in den 50er -60er Jahren des vorigen Jahrhunderts kam es zur vermehrten Bildung von radioaktivem 14C in der Atmosphäre und nach Ende der Tests zu dessen raschem Absinken. In die DNA von Körperzellen eingebautes 14C zeigt das Alter der Zellen an und erlaubt fundamentale Rückschlüsse über deren Erneuerungsraten.
Die atmosphärischen Kernwaffentests in den Jahren 1950 bis 1963 sind ein gutes Beispiel dafür, dass eine drohende Umweltbelastung selbst unter widrigen politischen Umständen gestoppt werden kann, wenn man die Ursachen und ihre Folgen klar erkannt hat. Es erscheint aus heutiger Sicht eigentlich erstaunlich, dass die USA und die Sowjetunion mitten im kalten Krieg beschlossen, ihre massiven Kernwaffentests zu beenden, um der globalen Verbreitung von radioaktiven Abfall Einhalt zu gebieten (Nuclear Test Ban Treaty von 1963). Als ein zunächst wenig beachteter Nebeneffekt wurde bei diesen Tests auch der natürliche Gehalt des radioaktiven Kohlenstoffisotops (14C) in der Atmosphäre erhöht.Abbildung 1. Der erste Wasserstoffbombentest der USA im Pazifik am 1. November 1952, der eine 700 mal größere Sprengwirkung hatte als die Atombombe von Hiroshima. Das Schema rechts zeigt die Entstehung des radioaktiven Kohlenstoffisotops 14C durch Bombardierung des Stickstoffs 14N mit Neutronen.
Auf natürliche Weise werden durch die kosmische Strahlung (hochenergetische Protonen), die seit Jahrmillionen unsere Erde bombardiert, Atome der Atmosphäre zertrümmert und daher ständig Neutronen freigesetzt, die 14N in 14C umwandeln. Die frisch erzeugten 14C Atome verbinden sich schnell mit Sauerstoff zu 14CO2 und werden dadurch ein Teil des CO2 Pools der Atmosphäre (Abbildung 1). Allerdings ist der Anteil des 14C Isotops relativ zu den stabilen Kohlenstoffisotopen (12C und 13C) winzig klein. 12C : 13C : 14C = 0.99 : 0.01 : 0.000 000 000 001 (10-12).
Einbau von 14C in die belebte Materie
Da die Landpflanzen in der Photosynthese CO2 aus der Luft aufnehmen, wird 14C mit in die Pflanzen eingebaut. Pflanzen wiederum dienen als Nahrung für andere Lebewesen und durch die hohe Löslichkeit von CO2 im Wasser (man denke an Bier und Mineralwasser) findet 14C auch Eingang in die marine Welt. So ist die gesamte belebte Materie (Biosphäre) von 14C durchdrungen. Da dieser Vorgang seit Jahrmillionen abläuft, hat sich ein fast konstantes Gleichgewicht zwischen Produktion und Zerfall von 14C auf der Erde eingestellt und man kann annehmen, dass auch alle Lebewesen dieses Gleichgewicht widerspiegeln.
In Form von organischen Molekülen enthält der Mensch je nach Körpergewicht etwa 14 bis 16 kg Kohlenstoff. Mit der oben genannten 14C-Konzentration in Kohlenstoff und der 14C-Halbwertszeit von 5700 Jahren erhält man über das radioaktive Zerfallsgesetz eine Zerfallsrate von ca. 4000 14C Atomen pro Sekunde. Und diese Radioaktivität tragen wir das ganze Leben mit uns herum. Die bekannte 14C-Altersbestimmung in der Archäologie beruht nun darauf, dass nach dem Tod eines Organismus sein 14C-Gehalt abnimmt, während der Gehalt der stabilen Kohlenstoffisotope 12C und 13C unverändert bleibt. Das bedeutet, dass man aus der Messung der Isotopenverhältnisse 14C/12C oder 14C/13C das Alter bestimmen kann.
Der 14C Bombenpeak
Durch die Kernwaffentests wurden nun ebenfalls Neutronen in der Atmosphäre freigesetzt, die Stickstoff (14N) in 14C umwandelten. Dies hat in wenigen Jahren zu einer Verdoppelung des 14C-Gehalts in der Atmosphäre geführt. Als die atmosphärischen Kernwaffentests 1963 gestoppt wurden, hat sich der Überschuss von 14C durch den CO2-Austausch auf die Biosphäre und die Hydrosphäre (Ozeane, Flüsse und Seen) übertragen und ist dadurch bis heute in der Atmosphäre schon fast wieder auf den “vornuklearen“ Gehalt abgesunken (Abbildung 2). Das Resultat dieses schnellen Anstiegs und Abfalls des atmosphärischen 14C-Gehalts wird als 14C-Bombenpeak bezeichnet.
Abbildung 2. Der 14C Bombenpeak. 14C-Messungen im atmosphärischen CO2 der südlichen und nördlichen Hemisphäre geben den durch die Kernwaffentests erzeugten 14C-Überschuss über dem natürlichen 14C-Gehalt wieder.
Einbau von 14C aus Kernwaffentests in menschliche DNA
Das 14C Bombensignal hat sich durch die Nahrungsaufnahme auch relativ schnell auf die Menschen übertragen, was bedeutet, dass die gesamte Menschheit in den letzten 50 Jahren durch diesen schnell veränderlichen 14C-Überschuss markiert wurde. Dabei wurde das Signal durch den Metabolismus im Körper auf jede Zelle übertragen. Insbesondere wurde auch der Kohlenstoff in jedem DNA-Molekül markiert. Die DNA (Desoxyribonukleinsäure) ist ein Riesenmolekül, das 1011 C Atome enthält und die gesamte Erbinformation in jeder Zelle des Körpers gespeichert hat. Die DNA nimmt nun nur solange 14C auf, bis die Zelle die letzte Teilung gemacht hat. Von diesem Zeitpunkt an verändert sich die DNA nicht mehr. Wenn man nun die Annahme macht, dass der 14C Gehalt der DNA das Jahr der letzten Zellteilung widerspiegelt und man dies mit der 14C-Bombenpeak Kurve vergleicht, dann kann man diesen Zeitpunkt durch Messung des 14C-Gehalt in der DNA bestimmen. Dass diese Bedingung tatsächlich erfüllt ist, wurde 2005 von einer Gruppe des Departments for Cell and Molecular Biology des Karolinska Instituts in Stockholm gezeigt.
Wie alt sind menschliche Zellen?
Durch die Messung des 14C-Gehalts in der DNA, die von Millionen von Zellen eines bestimmten Körperorgans extrahiert wurde, kann dadurch die Geburtsstunde von neuen Zellen, die nach der Geburt des Individuums gebildet wurden, bestimmt werden. Derartige Untersuchungen werden an Organproben bereits verstorbener Personen durchgeführt, von denen man allerdings das Geburtsdatum und die Lebensdauer kennen muss. Das Material für diese Untersuchungen kann von sogenannten Gewebebanken angefordert werden, für welche Menschen Ihren Körper nach dem Tode der Wissenschaft zur Verfügung gestellt haben. Das Einmalige an diesen Untersuchungen ist, dass man keine besonderen Maßnahmen zur Markierung der untersuchten Proben treffen muss, da wir alle automatisch durch die Kernwaffenexperimente mit 14C markiert wurden, wenn wir innerhalb der letzten 50 bis 60 Jahre gelebt haben. Wir sind alle unabsichtlich zu potentiellen Forschungsobjekten geworden!
Abbildung 3. Prinzip der Datierung von menschlichen Zellen mit dem 14C-Bombenpeak.
Finden Zellerneuerungen im Gehirn statt?
Eines der interessantesten Forschungsobjekte der Biomedizin ist zweifelsohne unser Gehirn. Mit Hilfe der 14C-Bombenpeak Datierung lässt sich nun tatsächlich die Frage angehen, wann und in welchem Maße neue Zellen in unserem Gehirn entstehen (Abbildung 3). Eine weitverbreitende Meinung ist ja die, dass im Gehirn nach der Geburt keine neuen Zellen mehr gebildet werden.
Die Frage der Neubildung bestimmter Zelltypen ist nun an deren 14C-Gehalt der DNA ablesbar. Dazu werden die Gehirnzellen vor einer 14C-Messung mit molekularbiologischen Methoden nach ihrer Zugehörigkeit zu Neuronen oder anderen Zellentypen sortiert. Insbesondere ist man dabei an den Nervenzellen (Neuronen) interessiert, die als wesentliche Schaltstellen für Nervenimpulse im Gehirn gelten [2].
In einer Zusammenarbeit mit den Molekularbiologen von Stockholm haben wir am Vienna Environmental Research Accelerator (VERA) der Universität Wien geringste Mengen von DNA (ein paar Millionstel Gramm) aus dem Riechzentrum des menschlichen Gehirns auf seinen 14C-Gehalt untersucht. Das überraschende Ergebnis war, dass beim Menschen nach der Geburt keine neuen Neuronen mehr gebildet wurden, während bei Nagetieren bis zu 50% im erwachsenen Alter erneuert werden [3].
Solche Bestimmungen wurden auch schon für den Hippocampus, einem zentralen Teil des Gehirns, der für Gedächtnis, Lernfähigkeit und Gefühle verantwortlich zeichnet, durchgeführt. Das überaus wichtige Ergebnis dieser Versuche ist, dass hier Neuronen während des ganzem Lebens neu gebildet werden können [4].
Untersuchungen zu Zellerneuerungen an Hand des 14C-Bombenpeaks wurden auch schon auf andere Zelltypen wie beispielsweise Herzmuskel- und Fettzellen ausgedehnt und damit wichtige Schlußfolgerungen über die Zelldynamik dieser Zellen erzielt.
The Ugly and the Beautiful
Die Kombination eines ungewollten Nebeneffekts der Kernwaffentests mit einer nützlichen Anwendung in der Molekularbiologie hat diesem Artikel den Namen gegeben, der wohl in diesem Fall berechtigt ist.
[1] Spalding KL et al., (2005), Retrospective birth dating of cells. Cell 122: 33
[2] Bhardawaj RD et al., (2006). Neocortical neurogenesis in humans is restricted to development. PNAS 103:12564-12568
[3] Bergmann O et al., (2012), The Age of Olfactory Bulb Neurons in Humans. Neuron 74:634-639
[4] Spalding KL et al., (2013). Dynamics of hippocampal neurogenesis in adult humans. Cell 153:1219-1277.
Weiterführende Links
Atombombenversuche (Nevada): arte doku Youtube Videos 3Teile a ca. 15:30 min 1. Teil:
http://www.youtube.com/watch?v=a9Ubvtbj9R4&list=PL897A05AE36108E23
Zur 14C-Altersbestimmung: Harald Lesch: Wie bestimmt man das Alter von Gesteinen? Youtube Video 14:33 min http://www.youtube.com/watch?v=OqVLyt06zds
Ein sehr guter (relativ einfacher) Überblick über die von Kutschera angewandte Massenspektrometrie: W. Kutschera, Massenspektrometrie - Das Sortieren von Atomen „One by One“. Physik in unserer Zeit / 31. Jahrg. 2000 / Nr. 5, 203-208. http://www.uni-ulm.de/fileadmin/website_uni_ulm/nawi.inst.220/lehre/Atom... (free download) (“Sortiert man die in einem Stück Materie enthaltenen Atome nach ihrer Kernladung, Masse und relativen Häufigkeit, so hat man die atomare Zusammensetzung vollständig bestimmt. Die Beschleunigermassenspektrometrie ermöglicht diese Analyse mit bisher nie gekannter Empfindlichkeit”)
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