Fr, 09.10.2015 - 09:11 — Redaktion
Der diesjährige Nobelpreis für Physiologie oder Medizin wurde für Durchbrüche in der Behandlung parasitärer Erkrankungen verliehen. Der halbe Preis ging an die Chinesin YouYou Tu “für die Entdeckung einer neuen Therapie der Malaria”. Die andere Hälfte erhielten zu gleichen Teilen der aus Irland stammende US-Amerikaner William C. Campbell und der Japaner Satoshi Ōmura "für ihre Entdeckung einer neuen Therapie der durch Fadenwürmer hervorgerufenen Infektionen“. Das Nobelkomitee begründete die Entscheidung: „Diese Entdeckungen haben der Menschheit wirksame Mittel zur Bekämpfung dieser verheerenden Krankheiten zur Verfügung gestellt, die jährlich hunderte Millionen Menschen befallen. Die Auswirkungen – verbesserte Gesundheit, verringertes Leiden – sind unermesslich groß“.*
Naturstoffe spielen seit jeher eine dominierende Rolle in der Behandlung von Krankheiten; die ältesten dazu bekannten Aufzeichnungen stammen aus Babylon (vor rund 4400 Jahren) und Ägypten (Ebers Papyrus , 1534 a.C.). Allerdings handelte es sich dabei um vorwiegend pflanzliche Tinkturen und Extrakte, deren Zusammensetzung und Gehalt an wirksamen Naturstoffen sehr stark variieren konnte. Erst ab Ende des 19. Jahrhunderts ermöglichte eine immer leistungsfähigere analytische Chemie die Isolierung, Reindarstellung und Charakterisierung der wirksamen Substanzen (wie beispielsweise von Salizylsäure – Aspirin - aus Weidenextrakten). Die synthetische Chemie wandelte diese dann ab (Derivierungen) zu immer potenteren und nebenwirkungsärmeren Arzneistoffen.
Der Großteil der heute am Markt vorhandenen Medikamente sind Naturstoffe oder von Naturstoffen abgeleitete Substanzen. Für die Entdeckung von zwei dieser Substanzen wurde der Nobelpreis 2015 verliehen. Der Wirkstoff einer jahrtausendealten Rezeptur und ein in Bodenbakterien entdeckter Naturstoff haben, wie das Nobelkomitee es ausdrückte, die Behandlung einiger der verheerendsten, durch Parasiten hervorgerufenen Erkrankungen – Malaria, Flussblindheit und Elephantiasis - revolutioniert und Millionen Menschen vor Siechtum und verfrühten Tod gerettet.
Parasitäre Erkrankungen
betreffen gut 1/3 der Weltbevölkerung, insbesondere Menschen, die in armen Regionen südlich der Sahara, in Südostasien und Lateinamerika leben. In diesen Gebieten werden von Insekten Malaria, Flussblindheit (Onchocerciasis) und Elephantiasis (lymphatische Filariose) übertragen (Abbildung 1).
Abbildung 1. Risikogebiete für Malaria, Flussblindheit (Onchocerciasis) und Elephantiasis (lymphatische Filariasis) (Quelle: World Health Organization – WHO)
Malaria wird durch Plasmodien hervorgerufen, das sind einzellige Parasiten, welche von damit infizierten Stechmücken (Anopheles) übertragen werden. Im Jahr 2010 erkrankten mehr als 200 Millionen Menschen an Malaria, ca. 655 000 Menschen starben an der Krankheit. Die meisten Opfer waren Kinder unter fünf Jahren [1].
Ebenfalls von infizierten Mücken übertragen werden Fadenwürmer (Filarien), die Elephantiasis und Flussblindheit verursachen. Rund 120 Millionen Menschen sind gegenwärtig an Elephantiasis erkrankt [2]. Deren Erreger (größtenteils Wuchereria bancrofti) reifen im menschlichen Organismus heran, verbreiten sich im Lymphsystem und schädigen es. Es entstehen Ödeme, die vor allem die Beine extrem anschwellen lassen und monströs deformieren. Schmerzen und Stigmatisierung der Betroffenen sind die Folge. Der Erreger der Flussblindheit (Onchocerca volvulus) wird von Mücken übertragen, die an Fließgewässern leben. Diese infizieren Menschen mit Fadenwürmern im Larvenstadium, die dann unter der Haut zu adulten Würmern reifen, dichte Knäuel von Mikrofilarien bilden und schwere Entzündungen hervorrufen (Abbildung 3). Eine besondere Affinität haben diese Parasiten zu den Augen und verursachen Erblindung.
Artemisinin, die Nummer 1 im Kampf gegen Malaria
Die Entdeckung von Artemisinin durch die chinesische Wissenschafterin Youyou Tu liegt bereits mehr als 4 Jahrzehnte zurück und zeigt den langwierigen Weg von der Entdeckung bis zum Einsatz eines neuen Arzneimittels.
Im Vietnamkrieg war China Verbündeter der Nordvietnamesen. Als die Malaria bereits mehr Opfer forderte als der Krieg – das Malariamittel Chloroquin wirkte nicht mehr -, startete die chinesische Regierung unter Mao tse tung 1967 ein Geheimprojekt, das nach Mitteln gegen diese Krankheit suchen sollte, nach synthetischen Wirkstoffen ebenso wie nach Wirkstoffen in Heilkräutern. Insgesamt 500 Wissenschafter wurden eingesetzt, darunter Youyou Tu, eine ausgebildete Pharmazeutin, die am Pekinger Akademieinstitut für chinesische Medizin kräutermedizinische Forschungen betrieb.
Im Zuge ihrer Suche durchforstete Youyou Tu rund 2000 alte chinesische Rezepturen, die Wirksamkeit gegen malariatypische Symptome versprachen. Zum Ziel führte schließlich eine fast 1600 Jahre alte Vorschrift, die einen Extrakt aus dem einjährigen Beifuß Artemisia annua (einem Verwandten unseres Wermutkrauts) - qinghao – beschrieb (Abbildung 2). Nach einigen Schwierigkeiten konnte Youyou Tu einzelne biochemisch aktive Komponenten aus der Pflanze isolieren und an infizierten Mäusemodellen testen (das war 1972). Die in der westlichen Welt nun als Artemisinin bezeichnete, neuartige Substanz erwies sich zu 100 % aktiv.
Die Testungen gingen weiter, es sollte aber noch lange Jahre dauern bis man im Westen auf Artemisinin aufmerksam wurde. Von der WHO erhielt die Substanz im Jahr 2000 Unterstützung, allgemein verfügbar wurde sie erst 2006.
Abbildung 2. Aus dem einjährigen Beifuß – Artemisia annua – wird das hochwirksame Malariamittel Artemisinin gewonnen. Dies ist ein Sesquiterpen mit einem Endoperoxid, das Radikale bildet und vermutlich damit die Parasiten zerstört.
Nach WHO Aussagen ist Artemisinin in den letzten 15 Jahren zur tragenden Säule der Malariatherapie geworden (es gab in diesem Zeitraum mehr als 1 Milliarde Behandlungen). Die Fortschritte in Therapie und begleitenden Maßnahmen haben in vielen Ländern die Zahl der Malariaerkrankungen um mehr als 50% reduziert, die Todesrate auf 20 % gesenkt. Da gegen die Monotherapie mit Artmisinin bereits beginnende Resistenzen bemerkt werden, wird heute eine artemisininhaltige Kombinationstherapie (ACT) angewandt, die hochwirksam ist und von Patienten gut vertragen wird.
Die noch immer sehr hohe Zahl an Erkrankten bedeutet natürlich einen enormen Bedarf an reinem Wirkstoff. Schwankende Wirkstoffgehalte der Pflanze und Ernteerträge führen jedoch zu Lieferengpässen. Um davon unabhängig zu sein wurden auf Basis von genmanipulierter Bäckerhefe semi-synthetische Verfahren zur Produktion von Artemisinin entwickelt - es sind Paradebeispiele der synthetischen Biologie [3].
Interessanterweise zeigt Artemisinin auch gegen unterschiedliche Tumoren vergleichbare Wirkung wie herkömmliche Krebsmittel. Das Interesse der Pharmaindustrie den billigen und nicht patentierbaren Wirkstoff zu einem massentauglichen Krebsmedikament zu entwickeln ist endenwollend [4].
Ivermectin - eine Revolution in der Therapie der durch Fadenwürmer (Filarien) hervorgerufenen Infektionen
Wie im Falle des Artemisinin wurde auch die Wirkstoffklasse der Avermectine - Ivermectin ist ein Derivat - bereits in den 1970er Jahren entdeckt.
Der japanische Mikrobiologe Satoshi Ōmura hatte neue Stämme von Bakterien der Gattung Streptomyces aus Bodenproben isoliert und in Zellkultur gebracht, um möglicherweise neue hochwirksame Antibiotika zu finden (derartige Bakterien produzieren ja eine Reihe wichtiger Antibiotika , wie z.B. Streptomycin). Aus rund 1000 unterschiedlichen Kulturen testete er dann 50 auf ihre Wirkung gegen fremde, krankmachende Keime. Er sandte Bakterienkulturen zur Untersuchung auch an William C. Campbell, einen Experten in der Parasitenforschung.
Als Campbell Extrakte aus diesen Kulturen gegen verschiedene Parasiten testete, zeigte sich einer davon hochaktiv gegen Parasiten in Nutz- und Haustieren. Der daraus isolierte Wirkstoff erhielt die Bezeichnung Avermectin , eine geringfügige Derivatisierung führte zum noch wirksameren Ivermectin, das zum Standard in der Therapie von Wurmerkrankungen des Menschen wurde (Abbildung 3). Ivermectin ist nun seit 1987 auf dem Markt und wird weltweit eingesetzt. Laut WHO hat dieses Medikament das Leben von Millionen Menschen mit Elephantiasis oder Flußblindheit enorm verbessert. Die Wirksamkeit, die sich spezifisch auf die Parasiten richtet, ist so hoch, dass eine Ausrottung dieser Krankheiten plausibel erscheint.
Abbildung 3. Lebenszyklus des Erregers der Flußblindheit (Onchocerca volvulus) und Strukturformel des Ivermectin (Quelle des Lebenszyklus: Giovanni Maki, derived from a CDC image at http://www.dpd.cdc.gov/dpdx/HTML/Filariasis.htm)
Ausblick
Der heurige Nobelpreis für Physiologie oder Medizin hat die Bedeutung der Naturstoffforschung ins zentrale Blickfeld gerückt und ihr weiteren Auftrieb gegeben. Pharmafirmen, die in den letzten Jahren von dieser Strategie der Wirkstoff-Entdeckung abgerückt sind, könnten diesen erfolgversprechenden Weg wieder einschlagen. Die ungeheure Biodiversität der Lebensformen im Wasser und an Land bietet ja ein schier unerschöpfliches Reservoir an neuartigen, biologisch wirksamen Substanzen und die Suche nach diesen hat erst begonnen.
Ein wesentlicher Punkt wurde noch nicht angesprochen: wer finanziert Programme, welche die globale Ausrottung von Krankheiten zum Ziel haben, beispielsweise die Ausrottung der in Entwicklungsländern endemischen parasitären Erkrankungen?
Hier gibt es in zunehmendem Maße gemeinsame Anstrengungen von Regierungen, WHO, UNITAID, Weltbank und anderen multilateralen Organisationen. Besonders hervorzuheben ist die von Bill Gates und seiner Frau Melinda eingerichtete Stiftung, die sich sowohl der Therapie als auch der Ausrottung (nicht nur) der genannten parasitären Krankheiten verschrieben hat. Diese Stiftung stellt großzügigste Ressourcen zur Entwicklung von Diagnosetests und Behandlungsmethoden (mit Medikamenten ebenso wie mit Impfstoffen) bereit und ebenso zur Bekämpfung der übertragenden Stechmücken und Schaffung der benötigten Infrastrukturen [1,2]. Allein den Kampf gegen die Malaria hat die Gatesfoundation bis 2014 mit 2 Milliarden Dollar gefördert. Der Mäzen und Philanthrop Bill Gates sieht die grundlegende Aufgabe der Philanthropie darin, vielversprechende Lösungswege zu testen, die sich Regierungen und Unternehmen finanziell nicht leisten können.
* * Nobel Prize in Physiology or Medicine 2015. http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/laureates/2015/
[1] Bill and Melinda Gates Foundation: Der Kampf gegen Malaria http://scienceblog.at/kampf-gegen-malaria
[2] Bill and Melinda Gates Foundation: Der Kampf gegen Vernachlässigte Infektionskrankheiten http://scienceblog.at/vernachlaessigte-infektionskrankheiten#
[3] Rita Bernhardt Aus der Werkzeugkiste der Natur - Zum Potential von Cytochrom P450 Enzymen in der Biotechnologie http://scienceblog.at/cytochrom-p450
[4] Peter Seeberger, Rezept für neue Medikamente http://scienceblog.at/rezept-fuer-neue-medikamente
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