Das mikrobielle Leben der Tiefsee

Fr, 21.02.2014- 09:04 — Gerhard Herndl

Icon Meere Gerhard Herndl

Der tiefe, dunkle Ozean - das größte und am wenigsten erforschte Ökosystem der Erde - bietet Lebensraum für eine enorme Vielfalt an Mikroorganismen. Zu deren Stoffwechsel liefert der Autor essentielle Beiträge mit dem Ziel die biogeochemikalischen Kreisläufe im Meer (mikrobielle Ozeanographie) zu erforschen und damit zu einem generell besseren Verständnis des globalen Kohlenstoffkreislaufs und damit des Ökosystems Erde beizutragen.

Der tiefe dunkle Ozean nimmt mehr als 70% des Gesamtvolumens der Meere ein. Er ist der größte und zugleich unerforschteste Lebensraum unserer Erde, eine Zone ohne Licht, welches dort lebenden Organismen mittels Photosynthese ein autotrophes Leben ermöglichen könnte. Bereits ab 200 m Tiefe – der mesopelagialen- oder „Zwielicht“ Zone - dient schwach durchschimmerndes Licht nur noch der Orientierung von Lebewesen; ab 1000 m herrscht totale Finsternis. Die hier lebenden Organismen müssen sich auch dem zunehmenden Druck der Wassersäule – 1bar je 10 m; bei 5000 m sind es bereits 500 bar – anpassen, den niedrigen Temperaturen von etwa 2 °C und dem verringerten Nährstoffangebot.

Die Tiefenzonen des Ozeans sind in Abbildung 1 dargestellt.

Tiefenzonen im offenen MeerAbbildung 1. Tiefenzonen im offenen Meer (griechisch: pelagos). Photosynthese findet nur in der obersten, der epipelagialen (oder euphotischen), Zone statt. (Bild: Wikipedia)

Marine Mikroorganismen stellen eine ungeheure Biomasse dar. Schätzungen an Hand gemessener Zellzahlen gehen von insgesamt bis zu 1030 prokaryotischen Organismen –Bakterien und Archaea - aus, die einer Masse fixierten Kohlenstoffs von bis zu 300 Gigatonnen entsprechen [1]. Der Großteil dieser Biomasse liegt als Sediment am Meeresboden.

An der Meeresoberfläche generieren photosynthetisch aktive Mikroorganismen aus dem CO2 der Atmosphäre jährlich rund 50 Gigatonnen Kohlenstoff, in Biomasse gebunden - ebensoviel, wie alle terrestrischen Pflanzen zusammen [1]. Diese durch mikroskopisch kleinen Algen produzierte Biomasse ist die Basis des marinen Nahrungsnetzes, das Ausmaß ihrer Speicherung in den Ozeanen von fundamentaler Bedeutung für die Regulierung des globalen Kohlenstoffkreislaufs und damit auch des Klimas.

Mikrobielle Ozeanographie – ein neues Forschungsgebiet

Die Erforschung des mikrobiellen Lebens der Tiefsee, seiner Rolle im Ökosystem der Meere und darüber hinaus seiner Bedeutung für die globalen Stoffkreisläufe, erfordert interdisziplinäre, ganzheitliche Ansätze und langfristige Programme: Experten der unterschiedlichsten Disziplinen arbeiten hier in multinationalen Teams zusammen, verknüpfen Biochemie, Mikrobiologie, Ozeanographie und Ökologie zu einer neuen Fachrichtung, der mikrobiellen Ozeanographie.

Grundlegend sind Untersuchungen an Wasserproben, die mittels eigens dafür konstruierter Hochdrucksammelgefäße aus unterschiedlichen Regionen und Meerestiefen bis zu 7000 m gewonnen werden. Diese Proben geben Auskunft über Verbreitung, mikrobielle Gemeinschaften und Stoffwechseleigenschaften der Mikroorganismen. Unser Team bestimmt noch an Bord des Forschungsschiffes Zellteilungsraten und somit Stoffwechselraten und zwar unter den für die Proben authentischen Druck- und Temperaturbedingungen. Die weitere biochemisch-molekularbiologische Charakterisierung erfolgt dann In den Labors am Heimatort. Wie eine vor kurzem erfolgte Hochdurchsatz-Sequenzierung der mikrobiellen Genome zeigt, weisen die Mikroorganismen eine enorme phylogenetische Diversität und Komplexität auf; vormalige Schätzungen, die von mehreren Tausend unterschiedlichen „Spezies“ sprachen, werden um Größenordnungen übertroffen [2].

Das, was in der Tiefe lebt, kann auch direkt beobachtet werden. Eine neu entwickelte Kamera – eine Art Unterwassermikroskop - ermöglicht es mit ungewöhnlicher Schärfe Partikel und Organismen im Wasser abzulichten, die nur wenige Tausendstel Millimeter groß sind [3].

Die Basis des marinen Nahrungsnetzes

In den sonnendurchfluteten Wasserschichten an den Oberflächen der Ozeane nimmt das Phytoplankton das aus der Atmosphäre im Meerwasser gelöste CO2 auf und verwandelt es mittels Photosynthese in organische Kohlenstoffverbindungen, die Bausteine seiner Zellen. In diesem Prozeß wird auch Sauerstoff – etwa die Hälfte des Sauerstoffs in unserer Atmosphäre - generiert.

Phytoplankton, eine Sammelbezeichnung für mikroskopisch kleine, (vorwiegend) einzellige Mikroorganismen, besteht vor allem aus Kieselalgen, Grünalgen, Dinoflagellaten und Cyanobakterien (Abbildung 2). Diese autotrophen Organismen stellen die Basis des gesamten Nahrungsnetzes im marinen Ökosystem dar: sie sind primäre Nahrungsquelle für das Zooplankton – die am häufigsten vorkommenden vielzelligen Organismen der Meere –, welche wiederum Nahrungsquelle für Fische und viele andere Meereslebewesen sind. Für effizientes Wachstum des Phytoplanktons sind außer Sonnenlicht, Wasser und CO2 auch Nährstoffe, vor allem Nitrat und Phosphat nötig, in einigen Regionen ist Eisen der wachstumslimitierende Faktor. PhytoplanktonAbbildung 2. Phytoplankton (links) ist eine Sammelbezeichnung für photosynthetisch aktive Mikroorganismen und besteht vor allem aus Kieselalgen, Grünalgen, Dinoflagellaten und Cyanobakterien. Phytoplankton ist primäre Nahrungsquelle für das Zooplankton und zahlreiche Tiere. Produktivität des Phytoplanktons im Nordatlantik (rechts), dargestellt sind die über das Jahr 2007 gemittelten Chlorophyllkonzentrationen. (Quelle http://lms.seos-project.eu/learning_modules/oceancurrents/; creative commons licensed)

Meeresschnee – ein kontinuierlicher Materialfluß in die Tiefe

Im globalen Mittel sinken rund 30% des an der Meeresoberfläche produzierten organischem Kohlenstoffs in die dunklen Meerestiefen ab und zwar in der Form von gelösten organischen Kohlenstoffverbindungen („dissolved organic carbon“: DOC) und als schwebende und absinkende größere Partikel („particulate organic carbon“: POC). Etwa 1% organischer Kohlenstoff erreicht den Meeresgrund.

Die Partikel sind unregelmäßig geformte, fragile Flocken, die mehrere Zentimenter groß werden können und auf Grund ihres Aussehens als Meeresschnee bezeichnet werden (Abbildung 3). Sie bestehen hauptsächlich aus abgestorbenem, nicht abgeweidetem Phytoplankton, zerfallendem Zooplankton, tierischen Exkrementen und hochmolekularen, gallertigen Substanzen, die vom Phytoplankton in den späten Phasen der „Algenblüte“ abgegeben werden und zum Verklumpen der Flocken führen. Von der Art und dem Anteil dieser Komponenten, vor allem von der unterschiedlichen Zusammensetzung des Phytoplanktons in nährstoffreichen Meeresregionen (zB. im Nordatlantik) und in nährstoffarmen Regionen (Tropen, Subtropen) hängt es ab, wie groß die Flocken werden und wie schnell und tief sie absinken.

Einen besonderen Einfluss auf den Meeresschnee haben die Bakterien der Tiefsee, welche bevorzugt die Flocken besiedeln und zersetzen. Um die Inhaltsstoffe der Flocken aufnehmen zu können, produzieren die Bakterien Enzyme (Ektoenzyme), die das organische Material außerhalb der Bakterienzelle zersetzen, sodaß es in gelöster Form durch die Zellwand geschleust werden kann. Die Aktivität dieser Ekto-Enzyme spielt eine entscheidende Rolle in der Umsetzung des organischen Materials und damit für dessen Verfügbarkeit für höhere Organismen ebenso wie für das Wachstum der Bakterien. Meeresschnee (links), Algenblüte vor Kamchatka (rechts)Abbildung 3. Meeresschnee (links), Algenblüte vor Kamchatka (rechts): Satellitenaufnahme am 2. Juni 2010 in natürlichen Farben zeigt (Quellen: http://lms.seos-project.eu/learning_modules/oceancurrents/ und http://earthobservatory.nasa.gov/; cc-license)

Die Biologische Pumpe

Die durch Photosynthese aus CO2 entstandenen organischen Kohlenstoffverbindungen werden über das Nahrungsnetz wieder „remineralisiert“, d.h. durch Atmung in CO2 zurückverwandelt. Der größere Teil der Remineralierung erfolgt bereits durch die Mikroorganismen in den obersten Meeresschichten.

Das von der Meeresoberfläche stetig herabrieselnde Material dient den in den Meerestiefen lebenden Organismen als direkte Nahrungsquelle. Auch diese remineralisieren die Kohlenstoffverbindungen zu CO2 – dies geschieht allerdings wesentlich langsamer als an der Meeresoberfläche. Ein Teil des gelösten organischen Materials (DOC) kann aber offensichtlich nicht verstoffwechselt werden („recalcitrant organic mass“ - RDOC) und bleibt langfristig (auch über Jahrtausende) im Meer gespeichert. In Summe wird also durch die Photosynthese des Phytoplanktons mehr CO2 der Atmosphäre entzogen als dann über die gesamte Nahrungskette durch Atmung wieder freigesetzt wird (Biosequestrierung von CO2 ).

Der so durch Mikroorganismen erzeugte Fluß von CO2 aus der Atmosphäre in die Meerestiefen wird mit dem Begriff „Biologische Pumpe“ bezeichnet (Abbildung 4).

Die biologische PumpeAbbildung 4. Die biologische Pumpe – der Weg des CO2 in die Tiefe. Phytoplankton, das mittels Sonnenenergie CO2 assimiliert, bildet die Basis der marinen Nahrungskette. In die Tiefe absinkendes organisches Material wird von dort lebenden Organismen verbraucht und als CO2 abgeatmet. Damit entsteht ein Fluß von CO2 aus der Atmosphäre in die Tiefe. (Bild modifiziert nach: US Joint Global Ocean Flux Study. http://www1.whoi.edu/images/jgofs_brochure.pdf)

Chemosynthese: Mikroorganismen in der Tiefsee machen sich auch zusätzliche Energiequellen zunutze.

Bestimmungen der Stoffwechselraten von Mikroorganismen in der Tiefsee sind erst seit kurzem möglich. Erstaunlicherweise zeigen diese, dass die Mikroorganismen mehr organischen Kohlenstoff verbrauchen, als von oben angeliefert wird – eine Diskrepanz, die sowohl im Atlantik als auch im Pazifik festgestellt wurde [4]. Offensichtlich besitzen viele der Tiefsee-Bakterien und Archea ein Gen für das Protein RuBisCo (Ribulose-1,5-bisphosphat-carboxylase/-oxygenase), ein Enzym, das alle Pflanzen brauchen, um mit Sonnenenergie CO2 zu fixieren. Sogenannte chemoautrophe Mikroben können ebenfalls mit Hilfe von RuBisCo (abgeatmetes) CO2 in organische Verbindungen umzuwandeln; die dazu nötige Energie entsteht hier aber durch die Oxydation verschiedener in reduzierter Form vorliegender anorganischer Verbindungen, z.B. Schwefelwasserstoff, Ammoniak.

Die Raten an Chemosynthese die in der Wassersäule des tiefen Ozeans gemessen werden, sind wesentlich höher als man bisher gedacht hat und tragen zum Nahrungsnetz aller nicht-autotropher Organismen bei [4]. Allerdings reicht auch die Summe aus der so entstandenen Biomasse und dem Partikelregen von der Meeresoberfläche noch nicht aus, um den Nahrungsbedarf der Organismen der Tiefsee zu decken. Wovon Tiefseeorganismen, nicht nur die Mikroorganismen, nun wirklich leben und welchen Einfluß dies auf den marinen Kohlenstoffkreislauf hat, ist noch weitgehend unbekannt und soll in großen internationalen Forschungsprogrammen (beispielsweise in dem von der European Science Foundation geförderten Projekt: Microbial Oceanography of Chemolitho-Autotrophic planktonic Communities (MOCA) [5]) geklärt werden.

Ausblick

Meeresforschung mit dem Fokus auf mikrobieller Ozeanographie kann globale Fragen, vor allem hinsichtlich des Kohlenstoffkreislaufs klären:

  • Wie wird sich ein steigender CO2-Gehalt der Atmosphäre und damit ein „Saurer-Werden“ des Meerwassers auf die Diversität und Produktivität des Phytoplanktons auswirken?
  • Wieviel CO2 kann via Biologische Pumpe der Atmosphäre entzogen werden und welche Rolle spielen hier die chemoautotrophen Mikroorganismen der Tiefsee?
  • Wie schließlich werden sich die Nahrungsnetze der Ozeane in verschiedenen Breiten verändern?

[1] WB. Whitman, DC Coleman, WJ Wiebe (1998) Prokaryotes: The unseen majority. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 95:6578–6583. [2] MLL Sogin, HG Morrison, JA Huber, WD Mark; SM Huse, PR Neal, JM Arrieta, GJ Herndl (2006), Microbial diversity in the deep sea and the underexplored "rare biosphere". Proc. Natl. Acad. Sci. USA 103: 12115-12120. (Mit bis jetzt 1061 Zitierungen dürfte dies die meistzitierte Veröffentlichung in der Meeresbiologie sein, Anmerkung der Redaktion.) [3] AB Bochdansky, MH Jericho, GJ Herndl, 2013 Development and deployment of a point-source digital inline holographic microscope for the study of plankton and particles to a depth of 6000 m. Limnol. Oceanogr.: Methods 11, 2013, 28–40. [4] GJ Herndl, T Reinthaler, 2013, Microbial control of the dark end of the biological pump. Nature Geoscience 6:718-724. [5] http://www.microbial-oceanography.eu/moca/moca.html


Weiterführende Links

G. Herndl

Im ScienceBlog: Tieefseeforschung in Österreich

Webseite von Gerhard Herndl

Meeresbiologe und Wittgensteipreisträger 2011 Gerhard J. Herndl. Video 5.38 min. Die einmonatige Forschungsreise auf der Pelagia im Herbst 2010 ist unter „Schiffsmeldungen“ im Archiv der online-Zeitung der Universität Wien dokumentiert.

Topics of the Ocean Currents Tutorial

ZDF: Universum der Ozeane