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Der gläserne Wissenschafter (oder: Täuschung durch „Wissenschaft“?)

Fr, 20.09.2013 - 08:28 — Peter Stütz

Peter StützIcon Politik & Gesellschaft

Fälle von wissenschaftlichem Fehlverhalten sind in den letzten Jahren in zunehmendem Maße bekannt geworden und haben zu berechtigtem Argwohn der Öffentlichkeit hinsichtlich der Arbeitsweise von Wissenschaftern und der Glaubwürdigkeit ihrer Ergebnisse geführt. Als Beispiel sei hier nur der Physiker Jan Hendryk Schön genannt, der lange als „Rising Star“ gefeiert wurde, bis man ihm nachwies, daß er in zahlreichen seiner Veröffentlichungen Meßdaten gefälscht hatte. Auch der Veterinärmediziner Hwang Woo-suk hatte weltweite Berühmtheit durch seine Stammzellarbeiten erreicht, welche sich später als Totalfälschungen herausstellten – ordnungsgemäße Aufzeichnungen fehlten, Versuchsführung, Messergebnisse und Fotos zur Dokumentation der Ergebnisse waren erfunden.

In beiden Fällen waren die Arbeiten in Spitzenjournalen, wie Nature und Science, erschienen und lösten nun Mißtrauen gegenüber der Qualität des Begutachtungsverfahrens (nicht nur) dieser Zeitschriften aus. Außerdem mussten ranghohe Politiker zurücktreten, als ihnen nachgewiesen wurde, dass große Teile ihrer Doktorarbeit fahrlässig von anderen Autoren abgeschrieben worden waren.

Fehlverhalten - ein Schaden für die Allgemeinheit

Fehlverhalten von Wissenschaftern beschädigt ganz allgemein deren eigenes Ansehen und das Ansehen ihrer Institutionen und führt darüber hinaus bis hin zur Ablehnung ganzer Forschungsrichtungen. Es bedeutet aber auch ein Vergeuden von finanziellen Ressourcen, von Zeit und menschlicher Arbeitskraft aller derjenigen, die im guten Glauben versuchen Projekte auf Basis der gefälschten Befunde aufzubauen. Wenn es sich noch dazu um manipulierte Forschungsergebnisse aus pharmazeutischen/medizinischen Untersuchungen handelt, sind massiv negative Folgen für das Gesundheitssystem nicht auszuschließen. Welches Ausmaß Konsequenzen für die Entwicklung neuer Medikamente und Therapien haben, wenn diese auf der Basis publizierter, aber unreproduzierbarer oder gar erfundener Angaben über neue Therapien von Krankheiten beruhen, kann nur vage vermutet werden:

Der Forschungs- und Entwicklungsprozeß, der zu einem innovativen, neuen Arzneimittel mit umfassenden Patentschutz führen soll, dauert sehr lange (etwa 15 Jahre), ist immens teuer (bis zu 2 Milliarden $ ) und mit einem sehr hohen Risiko verbunden – von den Arzneimittel-Kandidaten, die nach rund 6 Jahren präklinischer Forschung und Entwicklung in die klinischen Untersuchungen eintreten, erreichen im Schnitt nur 6 % den Markt. Der Großteil der Kandidaten scheidet in den klinischen Prüfungen aus, vor allem auf Grund mangelnder Wirksamkeit und/oder untolerierbaren Nebenwirkungen. Einerseits ist unbestritten, dass es heute schon sehr viele gute Medikamente gibt, die nur schwer zu übertreffen sind. Andererseits dürfte ein Grund für die hohe Ausfallsrate darin liegen, daß die Arzneimittel-Kandidaten für die Modulation biologischer Angriffspunkte (Targets) entwickelt wurden, die für die zu behandelnden Krankheiten nicht genügend relevant sind, nicht entsprechend „validiert“ wurden. Letzeres wird eine kürzlich vom Pharmakonzern Bayer publizierte Studie unterstützt: als man dort 67 als ausreichend validiert beschriebene Targets zu reproduzieren oder verifizieren versuchte, gelang dies nur in 14 Fällen! [1]

Wieviele Wissenschafter manipulieren Daten oder wenden andere fragwürdige Praktiken an?

Dazu haben in den letzten Jahren anonyme Befragungen von vielen Tausenden Wissenschaftern stattgefunden. In einer der neueren, durchaus repräsentativ erscheinenden Analysen gaben rund 2 % der Befragten zu, selbst zumindest einmal Daten gefälscht/erfunden zu haben, dies aber bei 14 %der Kollegen beobachtet zu haben. Andere fragwürdige Praktiken hatten rund 34 % selbst angewandt, aber bei rund 72 % der Kollegen bemerkt [2]. Auskunft über die Art der bestürzend hohen Zahl an fragwürdigen Praktiken kann aus einer Befragung von insgesamt 3247 US-Wissenschaftern erhalten werden (Abbildung 1).

Analyse der Befragung von 3247 Wissenschaftern in den USAAbbildung 1. Analyse der Befragung von 3247 Wissenschaftern in den USA: Prozent der Wissenschafter, die zugaben mindestens 1x in einem Zeitraum von 3 Jahren ein bestimmtes Fehlverhalten begangen zu haben. (Unvollständige Auflistung der Daten von Martinson et al., 2005[3])

Das Ergebnis dieser Befragung zeigt in Summe ein Überwiegen von schlechter Versuchsführung, Dokumentation und Analyse. Dies dürfte zweifellos auch auf andere Länder außerhalb den USA zutreffen.

Die Beweggründe für derartige Praktiken sind vielfältig: es ist der heute zum Aufbau/Erhalt einer Karriere vorherrschende Zwang zu publizieren („Publish or Perish“) ebenso wie die Zufriedenstellung des Vorgesetzten, der bestimmte Ergebnisse sehen möchte und die Tatsache, daß negative Ergebnisse nicht belohnt werden. Dazu kommt fehlende Objektivität den eigenen Daten gegenüber, ein Herauspicken von „sexy“ Ergebnissen, die in die eigene Hypothese passen.

Es ist heute im Zeitalter der elektronischen Dokumentation leichter denn je Daten zu manipulieren. Können diese dann von unabhängigen Forschern nicht reproduziert werden, werden häufig Unterschiede in der Laborausstattung, in den Materialien (vom selben Hersteller, aber unterschiedliche Agenzien/Chargen) und den Methoden als gängige Ausreden vorgeschützt.

Kontrolle und Selbstkontrolle im wissenschaftlichen Arbeiten

Eine relativ einfacher Weg um fragwürdige Praktiken zumindest entscheidend zu reduzieren, aber auch als Selbstschutz vor ungerechtfertigten Anschuldigungen, ist durch die korrekte Führung eines Laborjournals gegeben, welches Versuche komplett dokumentiert und auch nach vielen Jahren der Nachprüfung durch andere Forscher und der eventuellen Kontrolle durch Behörden standhält.

Das Laborjournal – ein rechtsgültiges Dokument

Ein gut geführtes Laborjournal dient

  • Als chronologische Aufzeichnung – daher Nachweis - aller experimentellen Aktivitäten,
  • als essentielle Grundlage seriöser wissenschaftlicher Berichte,
  • als rechtsgültiges Dokument zum Nachweis des Inhalts, der Autorenschaft und des Zeitpunkts von Innovationen und
  • als Unterlage einer eventuellen Kontrolle von Behörden.

Das Laborjournal enthält die komplette Dokumentation eines Versuchs von der Planung bis zu den Ergebnissen, d.h.

  • Bezeichnung des Versuchs und der Zielsetzung,
  • Angabe der verwendeten Materialien, Geräte und Methoden,
  • Beschreibung der Durchführung eines Experiments, wobei anfallende Messwerte und Berechnungen – inklusive eines links zu den Rohdaten - und auch Beobachtungen während des Experiments (z.B. durch Fotos) dokumentiert werden,
  • sowie die Auswertung und Schlussfolgerungen.
  • Ein Inhaltsverzeichnis am Beginn erleichtert den Überblick über den Versuch und dessen Wiederauffinden durch externe Prüfer.

Die Darstellung eines Versuchs muß dabei so detailliert erfolgen, daß eine fachlich versierte Person diesen auch nach Jahren erfolgreich reproduzieren kann. (Dies stellt insbesondere in Labors mit häufigem Mitarbeiterwechsel – z.B. Diplomanden, Doktoranden – ein massives Problem dar und kann zur Datenmanipulation führen.) Die Einträge in das Laborjournal werden durch Datum und Unterschrift (des Experimentators und einer zweiten fachkundigen Person) bestätigt. Im Falle eines Patentstreits ermöglicht dieses Vorgehen den exakten Nachweis, wann und von wem eine Erfindung gemacht wurde.

Wie sieht ein Laborjournal aus?

 

LaborjournalAbbildung 2. Ein Laborjournal

 

Ein Laborjournal ist kein Collegeheft, sondern im allgemeinen ein fixgebundenes Buch, in welchem die Seiten fortlaufend nummeriert und datiert sind. Die Eintragungen in das Buch erfolgen leserlich handschriftlich, und chronologisch, das heißt das Experiment unmittelbar begleitend. Um zu verhindern, daß „unpassende“ Ergebnisse entfernt oder manipuliert werden, dürfen Seiten nicht herausgerissen werden, Irrtümer nicht unkenntlich gemacht werden, d.h. man streicht sie mit einer dünnen Linie durch, fügt eine Korrektur ein und bestätigt diese durch ein eigenes Visum. Unbeschriebene Teile einer Seite werden diagonal durchgestrichen. Ein Beispiel ist in Abbildung 2 gezeigt.

Im digitalen Zeitalter hat man allerdings bereits begonnen zu elektronischen Laborjournalen überzugehen. Für beide Arten von Laborjournalen – handschriftlich und elektronisch - gelten im Prinzip dieselben Regeln. Die elektronische Variante bietet gegenüber der manuellen Vorteile hinsichtlich der enormen Menge an Rohdaten, Auswertungen und Darstellungen in Tabellen- und Grafikform, die nun in einem definierten Folder untergebracht werden können, ebenso wie hinsichtlich der, in Subfoldern übersichtlich platzierten, relevanten Literatur und der Methodenbeschreibungen. Ein weiterer Pluspunkt ist die Suchfunktion, die ein rasches Auffinden von Daten gestattet und die Möglichkeit Informationen automatisch weiterzuleiten und in Datenbanken zu inkorporieren. Zur Zeit gibt es allerdings noch keine generell akzeptierte Lösung für die elektronische Signatur derartiger Dokumente und auch deren Archivierung für 15 Jahre und länger erscheint problematisch.

Qualitätssicherungssysteme

Von besonderer Bedeutung ist die Qualität der wissenschaftlichen Untersuchungen für Behörden und akademische und kommerzielle Institutionen, wenn es sich dabei um gesundheits- und umweltrelevante Sicherheitsprüfungen im Anschluss an reine Forschungsarbeit handelt, welche als Basis für eine Risikoabschätzung/Gefahrenbewertung dienen sollen. Hier wurden seit den späten 70er-Jahren von den Staatengemeinschaften internationale Kriterien zur Durchführung und Überwachung derartiger Untersuchungen aufgestellt, vor allem die Qualitätssicherungsysteme:

  • „Gute Laborpraxis“ („Good Laboratory Practice“ - GLP), welche „sich mit dem organisatorischen Ablauf und den Rahmenbedingungen befasst, unter denen nicht-klinische gesundheits- und umweltrelevante Sicherheitsprüfungen geplant, durchgeführt und überwacht werden sowie mit der Aufzeichnung, Archivierung und Berichterstattung der Prüfungen.“ [4]
  • „Gute Herstellungspraxis“ (“Good Manufacturing Practice” – GMP) - eine „Qualitätssicherung der Produktionsabläufe und Produktionsorte zur Gewährleistung der Produktqualität von Arzneimitteln, Wirkstoffen, Lebens- und Futtermittel und Kosmetika und der für die Vermarktung verpflichtenden Anforderungen der Gesundheitsbehörden“ [5 ]
  • „Gute Klinische Praxis“ („Good Clinical Practice“ – GCP), “ein internationaler ethischer und wissenschaftlicher Standard für Planung, Durchführung, Dokumentation und Berichterstattung von klinischen Prüfungen am Menschen.“ [6]

Alle diese im Laufe der Zeit laufend verbesserten Systeme sind aber ohne entsprechende Kontrolle praktisch wirkungslos. Eine detaillierte Beschreibung dieser Systeme findet sich in den zitierten Dokumenten.

Unzumutbare Zwangsmaßnahmen oder Notwendigkeit?

Sicherlich gibt es nicht wenige Wissenschafter, vor allem in akademischen Institutionen, welche die Führung eines kontrollierbaren Laborjournals ablehnen, dies als Eingriff in ihren Verantwortungsbereich (durch, in ihren Augen, weniger kompetente Personen), als Mißtrauen in ihre Fähigkeiten ansehen. Dem sollte man die Vorteile einer korrekten Protokollierung entgegenhalten, die ein rechtskräftig dokumentierter Nachweis der eigenen Ideen, Innovationen, Konzepte und Erfolge und damit auch eine hervorragende Basis für Berichte und Veröffentlichungen darstellt. Dazu gehört auch eine Archivierung von Laborjournalen inkl. dazugehörigen Primär- und Sekundärdaten sowie der elektronischen Datenträger in verschließbaren Räumen über längere Zeiträume. Gerade in diesem Punkt besteht bei den meisten Universitäten ein großer Nachholbedarf!

Schlechte Versuchsführung, Dokumentation und Analyse stehen – wie in Abbildung 1 gezeigt – an der Spitze fragwürdiger Praktiken. Die „Zwangsmaßnahme“ einer korrekten Dokumentation führt zweifellos zu der Reduktion der Praktiken (auch, wenn Datenfälschungen nicht vollständig ausgeschlossen werden können) und von allfälligen Fehlern und Schlampereien und damit zu einer höheren Qualität der Untersuchungen. Dies sollte auch Grund genug sein um bereits Studenten anzuweisen, wie „Gute Wissenschaft“ ausgeführt und dokumentiert werden sollte, sie zu sensibilisieren für alle – auch selteneren – Spielarten wissenschaftlichen Fehlverhaltens, im Sinne der kürzlich vom European Research Council herausgegebenen „ERC Scientific Misconduct Strategy“ [7]:

“To maintain the trust of both the scientific community and society as a whole is to uphold ethical standards at all stages of the competitive process, and to maintain and promote a culture of research integrity.”


[1] F Prinz et al., Believe it or not: how much can we rely on published data on potential drug targets? Nature Reviews Drug Discovery 10, 712, 2011
[2] D Fanielli. How Many Scientists Fabricate and Falsify Research? A Systematic Review and Meta-Analysis of Survey Data. PLoS ONE 4(5): e5738, 2009.
[3] BC Martinson et al., Scientists behave badly. Nature 435: 737-38, 2005
[4]http://www.oecd.org/chemicalsafety/testing/oecdseriesonprinciplesofgoodlaboratorypracticeglpandcompliancemonitoring.htm
[5] http://ec.europa.eu/health/documents/eudralex/vol-4/index_en.htm
[6] http://www.mk1dd.de/bereiche/qualitaetsmanagement/klinische-studien/ich-...
[7] http://erc.europa.eu/sites/default/files/document/file/ERC_Scientific_mi...

 


Weiterführende Links

Im ScienceBlog: Diskussionsthema: Wissenschaftliches Fehlverhalten

Natascha Miljkovics Plagiatspräventions-Blog (Agentur Zitier-Weise)

»Vier von fünf Studenten schummeln« Studie an Deutschen Universitäten (im wesentlichen Geistes-, Sozial, Wirtschaftswissenschaftliche Fächer):

http://www.zeit.de/2012/34/C-Abschreibestudie-Interview-Sattler/komplett...
http://www.zeit.de/campus/2012/05/abschreiben-schummeln-studenten-studie...
http://pdf.zeit.de/studium/hochschule/2012-08/schummeln-studie-studium.pdf


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