COVID-19, Luftverschmutzung und künftige Energiepfade

Do, 12.10.2020 — IIASA

IIASAIcon Geowissenschaften Vor dem Hintergrund tiefgreifender Beeinträchtigungen und Ungewissheiten, die durch die COVID-19-Pandemie verursacht wurden, sind gut konzipierte Energiestrategien unerlässlich, um ein resilientes Energiesystem zu entwickeln, das  sowohl die globalen Klimaziele als auch die Standards der Luftqualität zu erfüllen vermag. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat kürzlich ihren alljährlichen Report, den World Energy Outlook (WEO) 2020 veröffentlicht. Zu den von der IEA entwickelten Energieprognosen haben Forscher am International Institute of Applied Systems Analysis (IIASA, Laxenburg bei Wien) beigetragen, indem sie eine quantitative Abschätzung der wichtigsten Luftschadstoffe und deren entsprechende nachteilige gesundheitliche Auswirkungen erstellt haben.*

Es war ein stürmisches Jahr für das globale Energiesystem. Die durch COVID-19 verursachte Krise hat mehr Beeinträchtigungen verursacht als jedes andere Ereignis in der jüngeren Vergangenheit und Narben hinterlassen, die noch jahrelang weiterbestehen werden. Inwieweit diese Umbruchsituation aber die Bemühungen einer Wende zu sauberer Energie und zur Erreichung der internationalen Energie- und Klimaziele letztendlich fördern oder behindern wird, hängt davon ab, wie die Regierungen auf die gegenwärtigen Herausforderungen reagieren werden.

Analysen des World Energy Outlook 2020

Der World Energy Outlook 2020 (WEO 2020, [1]), das Flaggschiff der Internationalen Energieagentur (IEA), untersucht verschiedene Szenarios, die aus der Krise führen können, wobei der Schwerpunkt auf dem nächsten Jahrzehnt liegt. Zu diesem letzten Report haben IIASA-Forscher einen Beitrag geleistet, indem sie die von der IEA entwickelten Energieprognosen hinsichtlich der Konzentrationen der wichtigsten Luftschadstoffe und der entsprechenden, nachteiligen gesundheitlichen Auswirkungen quantitativ ausgewertet haben. Nach Meinung des IIASA-Teams ist es für fundierte politische Strategien in vielen Ländern entscheidend, dass ein klares Verständnis aufgebaut wird, wie Luftverschmutzung und deren gesundheitliche Auswirkungen mit den beschriebenen IEA-Szenarien korrelieren.

Der aktuelle WEO enthält unter anderem die neueste IEA-Analyse zu den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie:

     So soll 2020 der weltweite Energiebedarf um 5% sinken, die energiebedingten CO2-Emissionen um 7% und die Investitionen in Energie um 18%.

Der bereits etablierte Ansatz des WEO - man vergleicht  verschiedeneSzenarien, die angeben, wie sich der Energiesektor entwickeln könnte - ist in diesen unsicheren Zeiten wichtiger denn je. Die Kernaussage daraus ist ernüchternd: Es wird nicht genug getan, um die Welt auf die richtige Bahn zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele zu bringen.

„Die derzeitige Entwicklung von Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität allein dürfte  keinen signifikanten Rückgang der Emissionen oder der vorzeitigen Todesfälle garantieren. Wenn wir saubere Luft erzielen wollen - was die Senkung der Schadstoffkonzentrationen und die Erreichung der Luftqualitätsstandards von Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder von nationalen Standards betrifft -, müssen wir Strategien zur Verbesserung der Luftqualität mit Klimapolitik und auch mit Maßnahmen die Zugang zu sauberer Energie ermöglichen, kombinieren “, erklärt Peter Rafaj, Forscher im IIASA-Programm für Luftqualität und Treibhausgase.

Luftschadstoffe und vorzeitige Todesfälle

„Derzeit sterben jährlich etwa 6 Millionen Menschen vorzeitig aufgrund der Luftverschmutzung in Innenräumen und Außenräumen, und bis 2030 ist der weltweite Trend steigend. Abbildung 1. Wie unsere Auswertung der IEA-Prognosen zeigt, können in den nächsten zehn Jahren in Summe fast 12 Millionen vorzeitige Todesfälle vermieden werden, wenn mehr "Sustainable Development Goals" (nachhaltige Entwicklungsziele) in Angriff genommen werden. Man muss koordinierte politische Maßnahmen ergreifen, die das Problem von mehreren Seiten aus angehen “, sagt Peter Rafaj.

Abbildung 1. Prognostizierte Änderung von Schadstoffemissionen und von vorzeitigen Todesfällen für zwei Szenarien bis 2030. Stated Policies Scenario (STEPS) geht davon aus, dass COVID-19 nächstes Jahr unter Kontrolle gebracht und die Weltwirtschaft Vorkrisenniveau erreicht; Sustainable Development Scenario (SDS) bedeutet die Einhaltung des Pariser Abkommens bis 2050. Die Emissionen im STEPS-Szenario sinken zwar leicht, auf Grund der wachsenden Bevölkerung in den Städten und der dortigen Luft kommt es aber zu einem Anstieg vorzeitiger Todesfälle.

Auswirkungen von COVID-19

Die Auswirkungen von COVID-19 sind einschneidend, doch einige von ihnen haben zu positiven Umweltveränderungen geführt.

Ein solches Beispiel ist, dass in vielen Teilen der Welt die Luftverschmutzung zurückgegangen ist. Diese Rückgänge waren allerdings nur vorübergehend; als die Lockdowns aufgehoben wurden, stiegen die Luftschadstoffe wieder auf Konzentrationen an, die mit denen des letzten Jahres vergleichbar waren und in einigen Regionen der Welt wurden sie sogar noch höher. Viele der aufgrund der Lockdowns erfolgten, kurzfristigen Verbesserungen der Luftqualität waren nicht nur schnell wieder vorbei, sie gingen auch mit hohen Kosten für das Wohl der Bürger und die Gesundheit der Weltwirtschaft einher. Es ist klar, dass wir uns nicht auf globale Pandemien verlassen sollten, um dauerhaft positive Umweltveränderungen herbeizuführen. Was wir stattdessen brauchen, sind systemische und tiefgreifende Transformationen.

„Trotz eines Rekordrückgangs der globalen CO2-Emissionen in diesem Jahr ist die Welt weit davon entfernt, genug zu tun, um ein entscheidendes Absinken hervorzurufen. Der wirtschaftliche Abschwung hat die Emissionen vorübergehend reduziert, aber ein niedriges Wirtschaftswachstum ist keine Strategie für niedrige Emissionen- es ist eine Strategie, die nur dazu führen kann, dass die bedürftigsten Bevölkerungsgruppen der Welt noch mehr verarmen“, erklärt IEA-Direktor Fatih Birol.

Ein deutlicher Umschwung hin zu Investitionen in saubere Energie bietet eine Möglichkeit, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen und Emissionen zu reduzieren. Weitere Anstrengungen müssten sich in den kommenden Jahren auch auf die Reduzierung der Emissionen aus bestehenden Energie-Infrastrukturen wie Kohlekraftwerken, Stahlwerken und Zementfabriken konzentrieren. Fehlen solche Änderungen zur Bekämpfung dieser „gebundenen“ Emissionen - und dies unabhängig von Maßnahmen zur Förderung des Wachstums sauberer Energie - werden internationale Klimaziele unerreichbar bleiben.

[1] World Energy Outlook 2020, https://www.iea.org/reports/world-energy-outlook-2020


*Der von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzte Artikel ist am 29. Oktober 2020 auf der Webseite des IIASA unter dem Titel: " Air pollution implications of re-shaping future energy pathways" erschienen. https://iiasa.ac.at/web/home/about/news/201027-World_Energy_Outlook_.html. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung von Inhalten seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt.

 


Links zu Luftschadstoffen

Bert Brunekreef (Institut für Risikoforschung, Universität Utrecht): Luftschadstoffe und Gesundheit, Video 21:28 min. https://vimeo.com/107579920

Romain Lacombe (Etalab; data.gouv.fr): Global Pandemic - Air Pollution, TEDxAthens. Video 19:06 min. https://www.youtube.com/watch?v=FKBVwX8dVhI. Standard-YouTube-Lizenz

 

Artikel im ScienceBlog

IIASA. 23.07.2020: Es genügt nicht CO₂-Emissionen zu limitieren, auch der Methanausstoß muss reduziert werden. https://scienceblog.at/methan-ausstoss-muss-reduziert-werden.

Francis S. Collins, 27.09.2018: Erkältungen - warum möglichweise manche Menschen häufiger davon betroffen sind. https://scienceblog.at/erk%C3%A4ltungen-warum-m%C3%B6glichweise-manche-menschen-h%C3%A4ufiger-davon-betroffen-sind.

Inge Schuster, 16.11.2017: Einstellung der EU-Bürger zur Umwelt (Teil 1) – Ergebnisse der ›Special Eurobarometer 468‹ Umfrage. https://scienceblog.at/eurobarometer468.

IIASA, 18.05.2017: Überschreitungen von Diesel-Emissionen — Auswirkungen auf die globale Gesundheit und Umwelt . https://scienceblog.at/%C3%BCberschreitungen-von-diesel-emissionen-%E2%80%94-auswirkungen-auf-die-globale-gesundheit-und-umwelt.

 

IIASA, 25.09.2015:Verringerung kurzlebiger Schadstoffe – davon profitieren Luftqualität und Klimahttps://scienceblog.at/verringerung-kurzlebiger-schadstoffe.  

Johannes Kaiser & Angelika Heil, 31.07.2015: Feuer und Rauch: mit Satellitenaugen beobachtet. http://scienceblog.at/feuer-und-rauch.

Inge Schuster, 12.12.2014: Was macht HCB so gefährlich? http://scienceblog.at/was-macht-hcb-so-gef%C3%A4hrlich.


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