Fr, 19.1.2012- 04:20 — Reinhard Böhm
Als im 19. Jahrhundert das erste Unterseekabel verlegt worden war, konnten die an der Ostküste Amerika abgegebenen Morsesignale bei Ihrer Ankunft an der Westküste Irlands kaum noch vom störenden Rauschen unterschieden werden. Im analogen Zeitalter der Phonotechnik waren hohe „signal to noise ratios“ ein Qualitätsmerkmal einer HiFi Anlage.
Heute ersparen uns die digitalen Speichermedien, die immer ein „Entweder oder“ bzw. ein „0 oder 1“ zur Grundlage haben, die Schwierigkeiten, aus einem Grundrauschen ein Signal herauszuhören oder zu sehen.
Vielleicht trägt unterbewusst diese Fixierung auf klar Unterscheidbares dazu bei, dass auch in der Diskussion über den Klimawandel – sei es in der Öffentlichkeit, den Medien aber auch in der Wissenschaft selbst, meist ebenfalls die klaren und einfachen Aussagen dominieren. Dies obwohl uns einerseits die Gesetze der Statistik nahelegen, einen Trend, oder anders ausgedrückt ein „Klimasignal“, immer zunächst auf seine Signifikanz gegenüber dem „weißen Rauschen“ der Zufälligkeit zu prüfen. Auf einer anderen Ebene, jener der Modellergebnisse über die Klimazukunft, ist das auch der Fall, obwohl gerade sie Aussagen sehr unterschiedlicher Härtegrade liefern.
Letzteres ein Gräuel offenbar speziell für Physiker, die es gewohnt sind, in ihren Experimenten zunächst ganz klare „Laborverhältnisse“ zu schaffen um auf ihre Fragestellungen auch ganz klar definierte Antworten zu bekommen. Nicht zuletzt deshalb gibt es unter denen, die der Diskussion über den Klimawandel skeptisch gegenüberstehen, nicht wenige auch renommierte Physiker, die offenbar die Klimatologie für eine weiche Wissenschaft halten.
Der Wissenschaft vom Wetter und Klima ist ja, bis auf wenige Ausnahmen, der Weg über das klar definierte Experiment versperrt. Das vernetzte Klimasystem der Erde in verkleinertem Maßstab ins Labor zu holen ist nicht möglich. Die Nachprüfung von postulierten Zusammenhängen ist, wenn es ums Klima geht, nur über „in situ“ Messreihen möglich. Und diese müssen in hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung und mit möglichst einheitlich definierten Messanordnungen stattfinden.
Diese zunächst als Nachteil zu empfindende Notwendigkeit hat allerdings in der Meteorologie zu einem in anderen Wissenschaften selten gegebenen global vernetzten Beobachtungs- und Messnetz geführt, dessen Daten ohne gröbere Probleme frei zugänglich sind. Spätestens seit der Gründung der Meteorlogischen Weltorganisation im Jahr 1873 in Wien (heute als WMO eine Teilorganisation der UNO) geschieht dies auch für einen genau definierten Kanon an Messgrößen und nach genormten Bedingungen, was die Instrumente betrifft, deren Aufstellung, deren Kalibrierung, die Messtermine u.a.m.
Das alles macht die Wissenschaft vom Klima sehr wohl zu einer Naturwissenschaft im strengen Sinn, deren Messbefunde allerdings in einem räumlich und zeitlich chaotischen System erhoben werden, in dem es vor Nichtlinearitäten, Rückkopplungen und anderen unangenehmen Dingen nur so wimmelt. Genau deshalb ist in unserer Wissenschaft bei Messbefunden die strenge statistische Betrachtungsweise notwendig, auf die ich im Titel hinweisen wollte. Und genau deshalb können auch noch so aufwändig konstruierte Modellsimulationen immer nur Aussagen unterschiedlicher Härtegrade liefern. Diese werden dann von den „Klimawandelleugnern“ oder „Klimaskeptikern“ als „weich“ bis „unbrauchbar“ bezeichnet, für die „Klimabewegten“ oder „Alarmisten“ sind sie in der Regel so etwas wie heilige und damit nicht in Frage zu stellende Glaubenswahrheiten – eine wunderbare Ausgangssituation also für all den überflüssigen Streit, die gegenseitigen Unterstellungen wie wir sie in der öffentlichen Abhandlung des Themas Klimawandel vorfinden. Die emotionslose und rationale Zugangsweise steht eher im Hintergrund.
Gerade in jüngster Zeit kann das mit einigen praktischen Beispielen belegt werden, die aus unserem Haus, der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, stammen, die das Basismessnetz für Wetter und Klima in Österreich betreibt. Gerade das Jahr 2011 eignet sich dazu, da es einige „Rekordwerte“ geliefert hat, die sofort – von uns Datenlieferanten kaum noch beeinflussbar – die ebenso übliche und für das Klimawandelmarketing zu schnellem Erfolg führende Zuordnung „Klimawandel = Zunahme der Extremereignisse“ gefunden haben.
Beispiel 1: Das warme Rekordjahr 2011 auf Österreichs Bergen
(und seine beinahe korrekte Auslegung in den Medien):
Das Jahr 2011 war an den österreichischen Hochgebirgsstationen das wärmste bisher gemessene (Reihenbeginn 1851). Das Mittel der Gipfelobservatorien lag um 4.5°C über dem des 20. Jahrhunderts. Das zweitwärmste Jahr (1938) war nur um 3.7°C zu warm. Der Rekordwert 2011 liegt auch im statistisch signifikanten Erwärmungstrend, der seit dem 19. Jahrhundert in Österreich beinahe 2°C betragen hat.
Diese Aussage war eine statistisch harte Aussage, die von den Medien auch mit Freuden aufgenommen wurde. Im Überschwang der Sensationsberichterstattung wurde aus den Österreichischen Bergstationen gern auch ganz Österreich, was dann nicht mehr stimmte, da im Tiefland das Jahr 2011 zwar ebenfalls ein warmes, aber kein Rekordjahr war.
Beispiel 2: Der trockene Rekordnovember 2011
(und seine statistisch falsch interpretierte Weitergabe in den Medien):
Der November 2011 war, über alle österreichischen Langzeitstationen gemittelt, der mit Abstand trockenste November seit Beginn der Messreihe (1820). Es wurden nur 2% des langjährigen Niederschlagsmittels des 20. Jahrhunderts gemessen. Der zweittrockenste November (im Jahr 1920) war mit 13% deutlich feuchter. Der November 2011 war jedoch ein extremer statistischer Ausreißer und lag nicht in irgendeinem Trend. Ein Zusammenhang mit dem anthropogenen Klimawandel ist nicht ersichtlich, wie auch das Diagramm der Novemberzeitreihe zeigt.
Der vom Moderator der ORF ZIB-1 am Abend unserer entsprechenden Aussendung offenbar „aus dem Bauch heraus“ formulierte Zusammenhang mit dem gängigen Klimawandelklischee „es wird immer trockener“ war leider ebenso populär wie er falsch war. Der Ausreißer 2011 war eben zufällig und entsprach gar keinem Trend und war schon gar nicht durch „den Klimawandel“ verursacht (worunter üblicherweise der menschlich verursachte Klimawandel verstanden wird).
Beispiel 3: „UNO warnt: Bis zu 50 Grad Celsius auch in Österreich“
Eine neue Veröffentlichung des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) wird offenbar ohne irgendetwas davon zu lesen sofort ins übliche Klischee „Klimawandel = Zunahme der Extremwerte“ gerückt. Dieses Beispiel zeigt besonders gut, wie dabei ein beinahe schon automatisch ablaufender Vorgang wie von selbst stattfindet – ich will ihm daher mehr Raum geben (der Abschnitt stammt aus einer von mir verfassten Stellungnahme der ZAMG vom 23.11.2011):
„Am 18.11.2011 gab das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) die politische Kurzfassung (Summary for Policymakers) eines neuen Berichts heraus, der sich mit den Möglichkeiten befasst, durch Anpassungsmaßnahmen die Schäden, die extreme Wetter- und Klimaereignisse verursachen, gering zu begrenzen bzw. zu vermeiden. Der Bericht heißt im englischen Original (Deutsch ist keine offizielle UN-Sprache) „Special Report on Managing the Risks of Extreme Events and Disasters to Advance Climate Change Adaptation“ – kurz SREX.
Da unserer Ansicht nach die starke Präsenz des Themas der Extremwerte und Katastrophen vor allem in der öffentlichen Debatte über „den Klimawandel“ nicht in Relation dazu steht, was dazu mit gut abgesicherten Fakten seitens der Wissenschaft auf rationale Art zu sagen ist, stellt die politische Zusammenfassung von SREX eine wohltuende Überraschung dar. Sie diskutiert sehr rational den Wissensstand, versucht eine Abwägung zwischen dem, was gut abgesichertes Wissen darstellt und dem was weniger bis gar nicht verstanden, durch Daten beweisbar oder durch Modellierung für die Zukunft vorhersehbar ist.
Leider begeht IPCC wieder den Fehler, aus Aktualitätsgründen mit der politischen Kurzfassung Monate vor der Publikation der ausführlichen Langfassung herauszukommen, die für das Frühjahr 2012 angekündigt ist. Das macht es schwer, den angeführten Aussagen nachzugehen und sie zu überprüfen. Sie müssen „geglaubt“ werden, und glauben ist in der Wissenschaft nie eine gute Basis. Wir empfehlen trotzdem, diese geringe Mühe auf sich zu nehmen und die weniger als 20 Seiten englischen Originaltext zu lesen. Offenbar ist jedoch das in der schnelllebigen Welt unserer Medien noch zuviel verlangt, sonst wäre der sofort entstandene Minihype nicht erklärlich, der bereits am Tag der Veröffentlichung und davor unter folgender Überschrift in Österreich die Runde machte: „UNO warnt: Bis zu 50 Grad Celsius auch in Österreich“ (http://www.krone.at)
Einen Tag später war es auch in der Schweiz soweit:
„Der Schweiz droht Extremhitze bis 50 Grad“ (http://www.blick.ch)
Und auch in Medien wie der Frankfurter Rundschau (http://www.fr-online.de) wurde gemeldet, „Klimaforscher der UN … prophezeien Europa extreme Hitzesommer und Temperaturen bis 50 Grad“.
Die Welt (http://www.welt.de) hatte es schon vor der Freigabe des IPCC-Berichtes gewusst , dass laut Klimaforscher Mojib Latif im Deutschlandfunk (http://www.dradio.de) „Temperaturen bis 50 Grad möglich seien“ wobei aus dem Zusammenhang klar Deutschland angesprochen war.
Es ist offenbar nutzlos zu betonen, dass von diesen 50°C im veröffentlichten Originaldokument des IPCC nirgends die Rede war. Anscheinend genügt es bereits, wenn ein IPCC Bericht in einem Titel etwas wie „Extremwerte“ führt, dass sofort die selbstverstärkenden Rückkopplungsprozesse des modernen Medienzirkus darauf anspringen. Es braucht lediglich den Hauch der Beteiligung eines „Experten“, wie in diesem Fall des allgegenwärtigen Kollegen aus Kiel, und aus einem seriösen und ernst zu nehmenden Bericht wird in Windeseile einer dieser hochgradig entbehrlichen Hypes, die auf lange Sicht gesehen der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft nur abträglich sein können.
Daher zum Schluss zur Sicherheit nochmals in aller Deutlichkeit:
1. es drohen weder Österreich noch Deutschland Temperaturen von 50°C
2. Nichts von dieser Behauptung ist in dem gerade erschienenen SREX Bericht des IPCC enthalten“
Soweit unsere Stellungnahme vom vergangenen November. Das Medienecho auf diese Zurechtrückung war endenwollend, genau genommen Null. Gegen den gängigen Grusel-Mainstream schwimmt es sich eben nicht leicht.
Was können wir daraus ableiten?
Seitens der Öffentlichkeit:
Wenn man das Thema Klimawandel für ein wichtiges Thema hält – und der Verfasser dieser Zeilen tut dies aus verschiedenen Gründen sehr wohl – dann muss man dem auch einen gewissen Teil seiner Zeit und Aufmerksamkeit widmen. Lediglich Schlagzeilen zu konsumieren führt in vielen Fällen dazu, den Alarmisten auf den Leim zu gehen. Gewarnt sei vor allem vor den verdächtig runden Sensationszahlen wie z.B. die oben genannten 50 °C. Sie sind das spiegelbildliche Gegenstück zu den Preisen mit der Kommastelle .9 oder .99, die uns ebenfalls für dumm verkaufen wollen.
Was man auch ohne spezielles Expertenwissen als Laie tun kann und sollte, ist Fragen zu stellen. Etwa die an einen Experten, der gerade hochtrabend die Welt als Ganzes erklärt, auf welchem Gebiet genau er denn seine Spezialexpertise hat. Man wird sich wundern, wie wenige tatsächliche Klimatologen dann als „Klimaexperten“ übrig bleiben.
Gerade in einer demokratischen Gesellschaft sollten wir es uns nicht nehmen lassen, bei wichtigen Fragen uns unsere Meinung selbstständig zu bilden. Das mag zwar nicht der bequemste Weg sein, die Alternative jedoch ist der Verzicht auf rationale Mitbestimmung.
Wie heißt es doch so richtig im Buchtitel der „Science Busters“ Gruber, Oberhummer und Puntigam: „Wer nichts weiß muss alles glauben“ – wer will das schon?
Seitens der (Klima)Wissenschaft:
Es ist höchste Zeit, unser gestörtes Verhältnis zur Öffentlichkeit zu korrigieren. Wir gehen in der Mehrzahl ebenfalls den bequemen Weg, den des problemlosen Mitschwimmens mit dem Mainstream. Das bringt zwar kurzzeitig Erfolg, Forschungsgelder fließen leichter, man wird von den Medien eher beachtet. Gerade das von mir in diesem Beitrag aufgegriffene Thema „Klimawandel und Extremwerte“ ist da besonders verführerisch. Gerade der langfristige Klimatrend, um den es ja in der Frage des anthropogenen Klimawandels eigentlich geht, versteckt sich perfekt hinter dem Zufallsrauschen der hochfrequenten Klimavariabilität. Auch „spürt“ niemand einen Langfristtrend in der Größenordnung von sagen wir 2°C pro Jahrhundert. Da kann man besser „Aufmerksamkeit erregen“, wenn man mit Katastrophenmeldungen „aufrüttelt“. Auf längere Sicht hingegen - gebrauchen wir jetzt endlich das Modewort „nachhaltig“ - werden wir mit Übertreibungen „um der guten Sache zu dienen“ nicht Erfolg haben. Früher oder später fliegt das auf und das Thema ist tot.
Oberstes Ziel seitens der Wissenschaft kann nur höchstmögliche Rationalität sein. Nur sie kann langfristig unsere Glaubwürdigkeit absichern.
Weiterführende und vertiefende Hinweise
zur rationalen naturwissenschaftlichen Information über den Klimawandel sind in der Informationsplattform Klimawandel der ZAMG populärwissenschaftlich aufbereitet: http://www.zamg.ac.at/klimawandel.
Eine empfehlenswerte Plattform für die soziologisch-philosophisch-politische Abhandlung des Themas ist der Blog http://klimazwiebel.blogspot.com in dem Hans von Storch und seine Freunde mit viel Freude und Engagement die Zwiebel „Klimawandel“ Schicht für Schicht schälen.
Manchmal schadet auch ein gutes Buch nicht. 3000 Seiten wissenschaftliche Klimainformation und unglaublich viele Literaturzitate findet man frei zugänglich im Internet in dem IPCC-Reports (http://www.ipcc.ch) . Ich meine übrigens die vollständigen Reports, die zuletzt 2007 erschienen sind. Fragwürdig, weil auch politisch beeinflusst, sind die diversen Kurzfassungen („summaries for policymakers“), von denen ich abrate. Wen die 3000 Seiten (auf Englisch) abschrecken, dem gebe ich zu bedenken, dass er wahrscheinlich auch ein Lexikon daheim stehen haben. Auch das muss man nicht zur Gänze lesen, aber als Nachschlagwerk kann es gar nicht umfangreich genug sein.
http://www.zamg.ac.at/klimawandel http://klimazwiebel.blogspot.com http://www.ipcc.ch
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