Soll man sich Sorgen machen, dass menschliche "Mini-Hirne" Bewusstsein erlangen?

Do, 03.08.2017 - 08:29 — Redaktion

RedaktionIcon Gehirn

Seit vor vier Jahren eine Wiener Forschergruppe um Jürgen Knoblich (IMBA, ÖAW) aus sogenannten pluripotenten Stammzellen ein "Mini-Hirn" erzeugt hat, werden diese Methoden weltweit angewandt, um Entwicklungsprozesse im Gehirn zu untersuchen und Krankheiten zu erforschen. In einem am 1. August 2017 erschienenen Blog-Beitrag im open access Journal PLOS setzt sich der amerikanische Zell-und Entwicklungsbiologe Mike Klymkowsky (University Colorado) mit der Frage auseinander ob derartige Mini-Hirne bei steigender Komplexität Bewusstsein erlangen können [1].

Die Tatsache, dass Versuche am Menschen nur sehr eingeschränkt möglich sind, ist eines der hauptsächlichen Hindernisse die Entwicklung des Menschen und seine Krankheiten zu verstehen. Bei der deprimierenden Geschichte medizinischer Gräueltaten sind einige dieser Einschränkungen von ethischer Seite nur allzu nachvollziehbar, notwendig und gerechtfertigt. Andere Einschränkungen sind technischer Natur, hängen mit dem langsamen Tempo der menschlichen Entwicklung zusammen.

Modellsysteme

Die Kombination aus moralischen und technischen Faktoren hat experimentelle Biologen dazu gebracht, das Verhalten eines breiten Spektrums von Modellsystemen zu erforschen, die von Bakterien, Hefen, Fruchtfliegen , Würmern über Fische, Frösche, Vögel, Nagetieren bis hin zu Primaten reichen. Dies erscheint durch die evolutionäre Kontinuität zwischen den Organismen zweifellos gerechtfertigt - schließlich stammen alle Organismen von einem gemeinsamen Urahn ab und teilen viele molekulare Eigenschaften. Evolution-basierte Untersuchungen an Modellsystemen haben dementsprechend zu vielen, therapeutisch wertvollen Erkenntnissen über den Menschen geführt - für einen Anhänger des Intelligent Design Kreationismus zweifellos eine sehr schwer vorhersagbare/erklärliche Tatsache.

Menschen sind mit anderen Säugetieren zwar nahe verwandt, es ist aber auch klar, dass wesentliche Unterschiede bestehen - letztendlich sind Menschen ja sofort von nahe verwandten Spezies unterscheidbar und sicherlich sehen sie nicht wie Mäuse aus und verhalten sich auch nicht so. Beispielsweise weist die oberflächliche Rinde unseres Gehirns außerordentliche Faltungen auf, während das Gehirn der Maus glatt ist, wie ein Babypopo. Beim Menschen ist das Fehlen der Gehirnfaltung - die sogenannte Lissenzephalie - mit schweren neurologischen Defekten verbunden.

Mit dem Aufkommen von immer mehr Gensequenzierungsdaten lassen sich nun für den Menschen spezifische, molekulare Unterschiede erkennen. Viele dieser Unterschiede liegen in den Sequenzen unserer DNA, welche regulieren, wann und wo spezifische Gene exprimiert werden. Beispielsweise gibt es den HARS1 (human accelerated region S1) Lokus, einen Abschnitt von 81 Basenpaaren, die in verschiedenen Wirbeltieren - von Vögeln bis hin zu Schimpansen - streng konserviert sind. Diese Sequenz weist beim Mensch 13 spezifische Variationen auf, die deren Aktivität und die Expression benachbarter Gene zu verändern scheinen. Etwa 1000 genetische Elemente, in denen sich der Mensch von anderen Wirbeltieren unterscheidet, wurden bis jetzt identifiziert, eine Zahl, die wahrscheinlich noch steigen wird. Derartige human-spezifische Unterschiede erschweren das Modellieren von spezifisch menschlichem Verhalten in nicht-menschlichen Systemen auf der Ebene von Zellen, Geweben, Organen und Organismen. Aus diesem Grund haben Forscher versucht bessere humanspezifische Systeme zu generieren.

Stammzellen

Ein besonders vielversprechender Ansatz basiert auf den sogenannten embryonalen Stammzellen (ESCs) oder den pluripotenten Stammzellen (PSCs). Humane embryonale Stammzellen werden aus der inneren Zellmasse eines menschliche Embryos gewonnen und bedeuten so die Zerstörung des Embryos - dies lässt ethische und religiöse Bedenken bezüglich der Frage aufkommen:"wann beginnt das Leben".

Humane pluripotente Stammzellen werden dagegen aus den Geweben Erwachsener isoliert, benötigen zur Gewinnung aber meistens invasive Methoden, die ihre Verwendbarkeit limitieren. Beide, ESCs und PSCs, können im Labor vermehrt werden und zur Differenzierung in sogenannte Gastruloide induziert werden. Derartige Gastruloide entwickeln sich dreidimensional, können Achsen in Richtung anterior - posterior (Kopf -Rumpf), dorsal-ventral (Rücken- Bauchseite) und links-rechts ausbilden, in analoger Weise, wie man sie im Embryo und im ausgewachsenem Organismus findet. Abbildung 1. Abbildung 1.Die Entwicklung des Gastruloids aus ESCs oder PSCs erfolgt in Richtung von drei Achsen - in analoger Weise, wie man sie im Embryo und im ausgewachsenem Organismus findet.

Im Fall der PSCs ist das Gastruloid tatsächlich ein Zwilling des Organismus, von dem die Zellen stammen , ein Umstand, der zu schwierigen Fragen Anlass gibt:

  • Ist dies nun ein unterschiedliches Individuum? -
  • Ist es das Eigentum des Spenders?
  •  Ist es die Schöpfung des Labortechnikers?

Das Problem wird noch größer werden, wenn (oder eher wann) es möglich werden wird, lebensfähige Embryonen aus solchen IPCs zu züchten.

Induzierte pluripotente Stammzellen…

Für ihre Methoden, mit denen sie ausdifferenzierte humane Körperzellen in ESC/PSC-ähnliche Zellen umprogrammierten, wurden Kazutoshi Takahashi und Shinya Yamanaka im Jahr 2012 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Diese sogenannten induzierten pluripotenten Zellen (iPSCs) stellten einen technischen Durchbruch dar, der ein neues Gebiet initiierte. Während die ursprünglichen Methoden Zellen aus Gewebeproben sammelten, können nun- in nicht -invasiver Weise - aus dem Urin isolierte Zellen des Nierenepithels umprogrammiert werden.

…....und zerebrale Organoide

In der Folge haben nun Madeline Lancaster, Jürgen Knoblich und Kollegen (Institut für molekulare Biotechnologie, Wien) einen Ansatz entwickelt, mit dem derartige Zellen induziert werden konnten, um etwas zu bilden, das sie als "zerebrale Organoide" bezeichneten. Die Forscher wandten diese Methode an, um die mit der Mikroenzephalie verbundenen Entwicklungsstörungen zu untersuchen.

Die Bedeutung dieses Verfahrens wurde rasch erkannt, man begann die Methoden zur Untersuchung von humanen Erkrankungen - u.a. Lissenzephalie, durch Infektion mit Zika-Virus verursachte Mikroenzephalie und Down's Syndrom - zu nutzen.

Zerebrale Organoide - Mini-Hirn - Gehirn

Die Erzeugung zerebraler Organoide aus umprogrammierten Körperzellen des Menschen hat die Aufmerksamkeit der Medien erregt. Mit der Bezeichnung Mini-Hirn wurde zwar ein zweifellos griffigerer Begriff geprägt, aber eine weniger genaue Beschreibung - ein wenig Übertreibung - eines zerebralen Organoids, - es ist ja nicht klar, wie weit solche Organoide "zerebral" sind.

Beispielsweise bilden embryonale Signale im sich entwickelnden Gehirn Muster, welche seine Asymmetrien erzeugen; es entsteht am vorderen Ende des Neuralrohrs (daraus entstehen Gehirn und Rückenmark) mit typischen anterior-posterior, dorsal-ventral und links-rechts Asymmetrien. Derartiges ist bei den einfachen zerebralen Organoiden nicht der Fall.

Weiters: um zerebrale Organoide herzustellen, benutzt man gegenwärtig hauptsächlich sogenannte neuroektodermale Zellen. Unser Gehirn (wie auch das anderer Wirbeltiere) geht aus der spezialisierten Zellschicht an der Oberfläche des Embryos hervor, die sich während der Entwicklung nach innen einstülpt. Im Embryo interagiert das sich entwickelnde Neuroektoderm mit dem Kreislaufsystems (Kapillaren, Venen, Arterien) , das von Endothelzellen gebildet wird und sogenannten Perizyten , die diese umschließen. Diese Zellen bilden zusammen mit Gliazellen (Astrozyten - ein nicht-neuronaler Zelltyp) die Blut-Hirn-Schranke. Auch andere Gliazellen (Oligodendrozyten) sind vorhanden. Abbildung 2.

Beide Arten von Gliazellen sind in der derzeitigen Generation von zerebralen Organoiden kaum vorhanden. Es gibt auch keine Gefäße.

Schließlich gibt es im Gehirn auch noch Mikrogliazellen, Immunzellen, die von außerhalb des Neuroektoderms stammen; diese wandern ein, interagieren mit Nerven- und Gliazellen und sind Bestandteil des dynamischen zentralen Nervensystems. Abbildung 2. In den Organoiden fehlen Mikrogliazellen.

Abbildung 2. Schematische Darstellung wie die unterschiedlichen Zellen - Neuronen, Gliazellen, Endothelzellen, Pericyten und Mikrogliazellen - interagieren (links). Die von den Zellen gebildete Blut-Hirn-Schranke ist eine hochselektive Barriere, welche das Gehirn vor den im Blut zirkulierenden Mikroorganismen, Toxinen, Proteinen, etc. schützt. Rechts: Nervengewebe, das (auf Grund der Färbemethode) nur die Neuronen zeigt. Es sind mindestens ebenso viele Gliazellen und Mikrogliazellen anwesend.

Im Verlauf von 6 - 9 Monaten wachsen zerebrale Organoide bis zu einer Größe von 1 - 3 mm Durchmesser an - das ist ganz wesentlich kleiner als das fötale Hirn oder das Hirn eine Neugeborenen.

Zerebrale Organoide können Strukturen ausbilden, die charakteristisch für das Pigmentepithel der Netzhaut (Retina) sind, und lichtempfindliche Neuronen, wie sie mit der Retina assoziiert sind. Es ist dabei aber nicht klar, ob ein nennenswertes Signal in das neuronale Netzwerk im Organoid hinein- oder herausgelangt.

Eine berechtigte Frage

Kann ein zerebrales Organoid - also ein recht einfaches Zellsystem (wenngleich es selbst komplex ist) Bewusstsein haben?

Die Frage wird umso berechtigter, als Systeme mit immer höherer Komplexität entwickelt werden und derartige Arbeiten rasch voranschreiten. Forscher manipulieren bereits das Nährmedium des sich entwickelnden Organoids, um die Ausbildung der Achsen zu fördern. Man kann auch voraussehen, dass Blutgefäße eingebracht werden. Tatsächlich wurde bereits über die Erzeugung von Mikroglia-artigen Zellen aus induzierten pluripotenten Stammzellen berichtet. Derartige Zellen können in zerebrale Organoide eingebaut werden , wo sie auf Schäden an Neuronen in der gleichen Weise reagieren, wie Mikroglia in intaktem Nervengewebe.

Wir können uns nun die Frage stellen, was uns davon überzeugen würde, dass ein, innerhalb eines Inkubators im Labor lebendes, zerebrales Organoid, Bewusstsein hat.

Wie würde sich dieses Bewusstsein manifestieren? Vielleicht durch ein spezifisches Muster neuronaler Aktivität?

Dazu meint der Autor des vorliegenden Artikels, Mike Klymkowsky, der ein hauptsächlich an molekularen und zellulären Systemen interessierter Biologe ist: Bewusstsein ist eine emergente Eigenschaft komplexer Nervensysteme ist, erzeugt durch evolutionäre Mechanismen, aufgebaut während der embryonalen Phase und der darauffolgenden Entwicklung und beeinflusst durch soziale Kontakte.

Es wird spannend werden den Diskussionen auf akademischem, gesellschaftlichem und politischem Niveau zu lauschen, wenn es darum geht, was man mit den Mini-Hirnen anfangen soll, wenn diese an Komplexität zunehmen und vielleicht unvermeidbar zu Bewusstsein gelangen.


[1] Der Artikel "Is it time to start worrying about conscious human “mini-brains”?"von Mike Klymkowsky ist am 1. August 2017 in PLOSBLOGS Sci-Ed erschienen. Der unter einer cc-by Lizenz stehende Artikel wurde von der Redaktion ins Deutsche übersetzt und geringfügig (mit Untertiteln) für den Blog adaptiert. Die Literaturzitate und zwei Abbildungen wurden allerdings weggelassen und können im Originaltext nachgesehen werden: http://blogs.plos.org/scied/2017/08/01/is-it-time-to-start-worrying-abou... 

Zum Autor: Der Biophysiker Mike Klymkowsky ist Professor für Molekulare, Zelluläre und Entwicklungsbiologie an der Universität Colorado Boulder. Er verwendet sich entwickelnde Systeme, um zelluläres Verhalten zu untersuchen; seit kurzem arbeitet er auch mit zerebralen Organoiden. Mehr als ein Jahrzehnt beschäftigt er sich mit der Frage, wie man die Ausbildung von Undergraduate-Studenten (d.i. in Postsekundärer Ausbildung) in biologischen Wissenschaften verbessern kann. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten und die Entwicklung von Bildungskonzepten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Klymkowsky war seit 2010 academic editor von PLOS ONE; er leitet das SciEd Blog Team: http://blogs.plos.org/scied/about/

Homepage: http://klymkowskylab.colorado.edu/


Weiterführende Links

Synthetisches Mini-Hirn. Interviews mit Jürgen Knoblich, Madeline Lancaster. Video 13:34 min. mce mediacomeurope GmbH, Grünwald, im Auftrag von HYPERRAUM.TV - © 2014. https://www.youtube.com/watch?v=Lks3QAkRkv8 . Standard-YouTube-Lizenz

Madeline Lancaster: Growing mini brains to discover what makes us human TEDxCERN (2015) Video 14:24 min. https://www.youtube.com/watch?v=EjiWRINEatQ Standard YouTube Lizenz

Ernst Wolvetang: Growing Mini-Brains To Solve Big Problems TEDxUQ. Video 13:17 min. https://www.youtube.com/watch?v=ulvvjafx8Rc.  Standard YouTube Lizenz

Typ(isch) Stammzelle: Embryonale Stammzellen. Video 8:22 min. https://vimeo.com/19517196

Artikel zu verwandten Themen im ScienceBlog