Do, 17.05.2012- 05:20 — Helmut Denk
Zur Rolle der österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) als größter außeruniversitärer Forschungsträger unseres Landes und als Plattform für wissenschaftsbasierte Gesellschaftsberatung und Wissenschaftserziehung. Rede des Präsidenten der ÖAW, Helmut Denk, anläßlich der Feierlichen Sitzung am 9. Mai 2012 (leicht gekürzt).
Die Akademie blickt auf ein schwieriges Jahr zurück, geprägt von Bestandsaufnahme, Strategiediskussion und Kontroversen, von Reform, Sparmaßnahmen und Neuorientierung, aber auch von beachtlichen wissenschaftlichen Erfolgen unserer Forschungseinrichtungen. (Auf letztere sind die Klassenpräsidenten eingegangen.)
Reform und Entwicklung
Auf Basis des im April 2011 beschlossenen Entwicklungsplanes für die Jahre 2012 bis 2014 wurde im November die Leistungsvereinbarung mit dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung unterzeichnet, in der die Akademie ihre für diese Periode geplanten Leistungen darlegt und im Gegenzug dreijährige Finanzierungs- und Planungssicherheit erhält.
Zentrale Wissenschaftsfelder
Die Leistungsvereinbarung konkretisiert die im Zentrum stehenden Wissenschaftsfelder; nämlich:
- Europäische Identitäten sowie Wahrung und Interpretation des kulturellen Erbes
- Demographischer Wandel, Migration und Integration von Menschen in heterogenen Gesellschaften
- Biomedizinische Grundlagenforschung auf Basis molekularbiologischer und molekulargenetischer Erkenntnisse
- Molekulare Pflanzenbiologie als Grundlage für agrarische Ressourcennutzung
- Angewandte Mathematik
- Quantenphysik, Hochenergiephysik, Weltraum- und Materialforschung
Inhalte und Umsetzung der Leistungsvereinbarung, aber auch die Budgetknappheit, die durchaus drastische Strukturmaßnahmen erfordert, haben zu Verunsicherung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Kritik aus dem In- und Ausland geführt. Dabei ging aber weitgehend unter, dass eine Reform der Akademie zur Erfüllung ihrer Mission als moderner außeruniversitärer Forschungsträger grundsätzlich notwendig und nicht nur durch die finanzielle Krise aufgezwungen ist. Eine lebendige Akademie muss Forschungsfelder und Organisationsformen immer wieder kritisch hinterfragen und für Erneuerung offen sein.
Es gibt keine traditionelle oder progressive Wissenschaft, sondern nur Wissenschaft auf der Höhe der Zeit mit ihren Voraussetzungen, das sind: kluge Köpfe, Budget und Planungssicherheit.
Die österreichische Forschungspolitik hat zunehmend nicht einzelne Akteure, sondern die gesamte Wissenschaftslandschaft im Blick. Die Akademie identifiziert sich angesichts des zunehmend harten, globalen wissenschaftlichen Wettbewerbs und der beschränkten Mittel mit dieser Strategie der Bündelung der Kräfte; wir erwarten aber Gleichbehandlung aller exzellenten österreichischen Forschungsträger. Für die ÖAW gilt es, wissenschaftliche Fächer mit hochqualifizierten Arbeitsplätzen zu sichern – und zwar dort, wo die besten Entfaltungsmöglichkeiten bestehen. Wir danken Herrn Bundesminister Professor Töchterle und unseren Partnern im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung für die produktive Zusammenarbeit, aber auch den Universitäten für ihre Unterstützung.
Leistungsvereinbarung
Lassen Sie mich einige Überlegungen zur Leistungsvereinbarung anstellen:
1. Was bedeutet Leistungsvereinbarung?
Kann man Leistung in von Neugierde getriebener Grundlagenforschung überhaupt vereinbaren, einfordern und deren Erbringung und Qualität objektiv erfassen?
Die meisten grundlegend neuen Ideen stammen von einigen begabten Menschen, die sehen und zu deuten verstehen, was vielen anderen nicht gelingt. Der Versuch, Forschung zu regulieren und in ein enges Korsett zu zwängen, hemmt die Innovation; die gescheiterten Diktaturen Europas haben dies hinlänglich gezeigt. Der innovative Forscher muss, wie Werner Heisenberg einmal gesagt hat, immer wieder „festen Grund verlassen und ins Leere springen“.
Es liegt im Wesen der Grundlagenforschung, dass sie Wissen schafft, aber gleichzeitig neue Fragen aufwirft und sich damit neue Ziele steckt. Wie misst man die Qualität des Erreichten? Bemühungen um Objektivität führen oft (nach dem Prinzip: nur was man zählen kann, zählt) zu Überbewertung quantitativer Indikatoren, die aber die wirkliche Leistung, wie sie der wissenschaftliche Sachverstand sieht, nur unzureichend erfassen.
Somit ist eine Balance zwischen der wissenschaftlichen Freiheit und der für die Zuteilung der Ressourcen notwendigen Steuerung zu finden. Der Konflikt zwischen Autonomie und Selbstverantwortung der Forschung einerseits und der Kontrolle durch den Geldgeber andererseits lässt sich mit dem Instrument der Leistungsvereinbarung nur unzureichend lösen.
2. Profilschärfung der ÖAW als Forschungsträger
Zur weiteren Profilierung der Akademie als Forschungsträger werden international höchst kompetitive Forschungseinrichtungen schwerpunktmäßig gefördert. Die Vernetzung fachnaher Bereiche und das Zusammenwirken von Disziplinen begünstigen die gesamthafte Bewältigung komplexer Themen.
Von der Zusammenfassung kleiner thematisch verwandter Forschungsrichtungen in größeren Instituten erwarten wir neben Synergien verbesserte internationale Sichtbarkeit, effizientere Leitung und Administration und optimierten Mitteleinsatz.
Die Übertragung von Forschungseinheiten oder Arbeitsgruppen an Universitäten sichert den Fortbestand und stärkt die aufnehmende Universität in Forschung und Lehre. Das dadurch freiwerdende Budget steht der ÖAW weiter zur Verfügung, sodass sie ihrer Mission, nämlich Kristallisationskeime für innovative, durchaus auch risikoreiche Forschung zu bilden, besser gerecht werden kann. Ich möchte allerdings nicht verschweigen, dass einige wegen des Budgetmangels erforderliche Übertragungen für die ÖAW durchaus schmerzhaft sind.
Die weitere Steigerung der Drittmittelquote ist ein wichtiges Ziel. Die Höhe der Drittmittel ist in vielen Wissenschaftsdisziplinen ein brauchbarer Leistungsindikator. Bezüglich kompetitiver Drittmitteleinwerbung (z.B. Grants des European Research Council) sind die ÖAW Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Relation zum Basisbudget und zur Mitarbeiterzahl schon jetzt klare Spitzenreiter in Österreich. Wir erhoffen uns die Anerkennung der Bundesregierung durch Verdoppelung der eingeworbenen Mittel.
3. Neue Wege der Nachwuchsförderung
Die Zahl der in der Forschung Tätigen liegt in Österreich unter dem europäischen Durchschnitt. Eine selektive Karrierestruktur, die den besten Talenten in unseren Forschungseinheiten einerseits optimale Förderung und andererseits schon früh wissenschaftliche Eigenständigkeit und Freiheit bietet, ist der beste Weg zum wissenschaftlichen Erfolg. Der Akademie wurden zusätzliche Mittel aus der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung in Höhe von 8 Mio. Euro für fünf Jahre für innovative Vorhaben zuerkannt. Für die tatkräftige Unterstützung möchte ich Frau Sektionschefin Barbara Weitgruber vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sehr herzlich danken.
Somit können im Rahmen unseres neuen Exzellenzprogramms „New Frontiers Groups“ neue Wege beschritten werden: hoch qualifizierte, im internationalen Wettbewerb bewährte Wissenschaftler(innen) aus dem In- und Ausland werden bei freier Themenwahl unabhängige Forschergruppen an einem ÖAW-Institut aufbauen und damit frischen Wind in unser Forschungsportfolio bringen. Wir hoffen, dass dieses Programm auch derzeit im Ausland tätige österreichische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu selbständiger Tätigkeit in Österreich motiviert.
4. Wissenschaftsbasierte Gesellschaftsberatung und Wissenschaftserziehung
Was muss man über die Zusammenhänge zwischen Natur- und Technikwissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften, Wissenschaftsethik, eigene und fremde Kulturen wissen, um sich ein Bild von der Welt zu machen? Wie jede andere Wissenschaftsinstitution hat die Akademie als Teil der Gesellschaft heute nicht nur dem wissenschaftlichen Fortschritt zu dienen, sondern muss auch als Aufklärer, Übersetzer und Vermittler wirken.
Trotz erfreulicher Signale, wie z.B. der gute Besuch der Veranstaltungen im Rahmen der „Langen Nacht der Forschung“, ist der Stellenwert von Wissenschaft und Forschung in Österreich in der öffentlichen Wahrnehmung noch unzureichend. Abbildung 2. Laut einer von der Europäischen Kommission 2010 in Auftrag gegebenen Umfrage in allen EU-Ländern erklären 57 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher, dass Informationen über Wissenschaft und Forschung für ihr tägliches Leben keine oder nur untergeordnete Bedeutung haben. Warum sind es fast doppelt so viele wie im EU-Durchschnitt? Ist es unter diesen Umständen wirklich verwunderlich, dass die Wissenschaftsförderung in der österreichischen Politik – im Unterschied zu so manchem Nachbarland – einen eher untergeordneten Rang einnimmt? Halbwissen und Nicht-Wissen führen zwangsläufig zu Unsicherheit, Verständnislosigkeit und mangelnder Unterstützung.
Hier liegt eine Bringschuld der Wissenschaft vor.
Jede Wissenschaft ist anwendungsoffen im weitesten Sinn; eines ihrer Ziele muss sein, in einer erkenntnisoffenen Gesellschaft zu agieren.
Es ist daher ein Gebot der Stunde, dass sich die Akademie intensiver mit Wissenschaftskommunikation beschäftigt.
Die Gesellschaft hat nur in selektiven Bereichen die Möglichkeit, eigene Erfahrung zu sammeln, und bezieht ihre Kenntnisse vor allem aus den diversen Medien. Welche Medieninhalte interessieren die österreichische Bevölkerung am meisten? Laut einer EU-weiten Umfrage und Untersuchungen unserer Kommission für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung steht Unterhaltung an erster Stelle, dicht gefolgt von Sport. Damit liegt Österreich deutlich über dem EU-Durchschnitt. Mit großem Abstand folgen Politik und Kunst. Wirtschaft und Wissenschaft bilden das Schlusslicht.
Umfragen verweisen auf eine weitere prekäre Situation: Wissenschaftler können scheinbar nur selten die richtigen Worte finden, um mit einem breiteren Publikum zu kommunizieren.
Dem Konzept einer wissenschaftszentrierten „Aufklärung“ der Öffentlichkeit lässt sich ein Modell entgegen setzen, das nicht mehr auf der bloßen Vermittlung, sondern auf der kommunikativen Einbettung wissenschaftlich fundierten Wissens in den Lebenszusammenhang der Menschen beruht.
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften sieht ihren Beitrag darin, eine Plattform für den Diskurs über gesellschaftlich relevante Problemstellungen zu bieten.
5. Was wollen wir zur Wissenschaftserziehung beitragen
Wissenschaftserziehung muss ein integraler Teil der Bildungsstrategie für alle sein; und dies unabhängig von Schultyp, Alter, Geschlecht oder Intelligenzgrad. Ziel ist, das natürliche Interesse von Kindern an Wissen und Wissensproduktion zu fördern und damit das Fundament für die Weiterbildung im späteren Leben zu schaffen. Sie sollen verstehen, was Wissenschaft ist und wie viel sie zur Kultur beiträgt.
Wissenschaftserziehung ist also komplex und bezieht sich auf Fakten, Prozesse und Modelle; sie fordert körperlichen und geistigen Einsatz, heute heißt das „Minds on and hands on“. Sie funktioniert nur mit hoch qualifizierten Lehrern. Schon seit Jahren unterstützt die ÖAW verschiedene Initiativen des Bundes, der Bundesländer und privater Organisationen. Sie will zukünftig eine noch aktivere und koordinierende Rolle spielen.
Fortschritt aus Tradition!
Mit ihren Aktivitäten investiert die ÖAW in die Zukunft und setzt auf Neues, ohne Bewährtes und Bewahrungswürdiges aus den Augen zu verlieren. Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft. Denn in ihr gedenke ich den Rest meines Lebens zu verbringen. Albert Einstein (1879-1955)
Weiterführende Links
Special Eurobarometer: Science and Technology, June 2010”: Die in Abbildung 2 zitierte Quelle zeigt ein verheerendes Bild unseres Landes in Hinblick auf Akzeptanz und Interesse an Wissenschaft: Führend in Wissenschaftsignoranz, uninformiert und desinteressiert an wissenschaftlichen/technischen Neuerungen, besonders misstrauisch hinsichtlich der Ehrlichkeit von Wissenschaftern, allerdings aufgeschlossen, wenn die Forschung in Richtung Gesundheit geht, jedoch Tierversuche ausschließt, usw. Die kritische Lektüre des Eurobarometers ist dringendst zu empfehlen!
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