Probiotika - Übertriebene Erwartungen?

So 15.01.2023  — Inge Schuster

Inge Schuster Icon Medizin Innerhalb weniger Jahre ist ein milliardenschwerer Markt für Probiotika entstanden, d.i. für "lebende Mikroorganismen, die, wenn sie in angemessener Menge verabreicht werden, dem Wirt einen gesundheitlichen Nutzen bringen ". Die Werbung verspricht, dass solche "guten" Mikroorganismen eine "gestörte" Darmflora verbessern und in Folge diverseste Erkrankungen verhindern oder heilen können. Für diese Behauptungen fehlt größtenteils ein stichhaltiger, wissenschaftlicher Nachweis.

Als wir In den späten 1970er Jahren im ehemaligen Wiener Sandoz-Forschungsinstitut an neuen, oral verabreichbaren Wirkstoffen gegen Pilzinfektionen forschten, hat mein Labor dazu u.a. mit Untersuchungen zur Aufnahme (Absorption) der Substanzen aus dem Darm beigetragen. Dies war ein Gebiet, in dem der damalige Wissenstand und die experimentellen Möglichkeiten noch sehr bescheiden waren; insbesondere betraf dies auch das Thema, ob und welchen Einfluss Darmbakterien auf die Physiologie/Pathologie (nicht nur) des Verdauungstraktes haben könnten. Hat man auf Tagungen führende Experten danach befragt, kam stereotyp die Antwort: "Das wissen wir leider nicht."

Einige Jahrzehnte später erlebt nun der Markt für Probiotika einen riesigen Boom; laut Definition der International Scientific Association for Probiotics and Prebiotics (ISAPP) versteht man darunter "lebende Mikroorganismen, die, wenn sie in angemessener Menge verabreicht werden, dem Wirt einen gesundheitlichen Nutzen bringen". Die Werbung sieht diese als "gute" Bakterien, deren Anwendung zur Prävention und Therapie eines unglaublichen Spektrums an Krankheiten verhelfen soll. Beispielsweise schreibt das Portal https://probiotics.org/benefits/ "Um nur einige der Wirkungen zu nennen: Probiotische Bakterien bekämpfen Krebs, beugen Karies vor, reduzieren Allergien, senken den Blutdruck und helfen Ihnen, besser zu schlafen!" und listet dann im Detail mehr als 100 unterschiedliche Krankheitsbilder auf, gegen die Probiotika wirksam sein sollen. Solchen Heilsversprechen kann man nicht entrinnen, nicht in den Medien - vor allem in der TV-Werbung zur Hauptsendezeit -, nicht im Internet auf Webseiten und auf sozialen Plattformen.

Man fragt sich hier primär: Wissen wir überhaupt schon genug über unsere Darmbakterien und über gesundheitliche Auswirkungen, wenn deren Gemeinschaften gestört sind (d.i. bei sogenannten Dysbiosen)? Und in weiterer Folge: Welche Evidenz gibt es dafür, dass Probiotika die Darmflora "verbessern" können und damit den einen oder anderen gesundheitlichen Nutzen erbringen?

Was wissen wir über das menschliche Mikrobiom.....

Fakt ist: Wir leben in einer Symbiose mit komplexen Gemeinschaften von Mikroorganismen, die uns in der Regel nicht nur keinen Schaden zufügen, sondern für Wohlbefinden und Aufrechterhaltung der Gesundheit sogar unerlässlich sind. Lange Zeit schien es allerdings ziemlich aussichtslos die auf und in uns lebenden mikrobiellen Gemeinschaften in ihrer Gesamtheit - das, was man nun als das Mikrobiom versteht - charakterisieren zu wollen. Mit den etablierten mikrobiologischen Methoden hätte man ja die unterschiedlichen Stämme der Mikroorganismen isolieren und in Kultur bringen müssen, um sie dann sequenzieren zu können - in Anbetracht der im Dickdarm (Colon) hauptsächlich anaerob (ohne Sauerstoff) existierenden Keime allerdings ein heilloses Unterfangen.

Neue Techniken, vor allem in der Sequenzierung der DNA, wie sie im Human Genome Project erfolgreich angewandt wurden, haben seit der Mitte der 2000-Jahre eine umfassende Untersuchung von mikrobiellen Gemeinschaften ermöglicht ohne, dass man deren einzelne Vertreter vorher isolieren und kultivieren musste.

Initiiert von den US-National Institutes of Health (NIH) und mit 170 Mio $ unterstützt, startete 2007 das Human Microbiome Project (HMP -  https://hmpdacc.org/), eine 10 Jahre laufende, bahnbrechende Initiative, an der sich mehr als 40 Forschungseinrichtungen vorwiegend aus den US aber auch aus Kanada und Belgien beteiligten.

In der ersten Phase hat sich das HMP auf die Identifizierung und Charakterisierung der mit dem Menschen assoziierten Mikroorganismen konzentriert und darauf, ob es so etwas, wie ein zentrales gesundes Mikrobiom - also gemeinsame Elemente im Mikrobiom gesunder Menschen - gibt. Dazu wurden von 242 gesunden Versuchspersonen Proben der mikrobiellen Gemeinschaften an verschiedenen Stellen des Körpers - vom Nasen-Mundraum über die Haut, den Magen-Darm-Trakt bis zum Urogenitaltrakt - mittels metagenomischer Whole Genome Shotgun Sequenzierung charakterisiert. In der zweiten, bis 2016 laufenden Phase sollte das Zusammenspiel von Wirtsorganismus und Mikrobiom, einschließlich Immunität, Stoffwechsel und dynamischer molekularer Aktivität, erforscht werden, um Einblicke in die Rolle der Mikroben für Gesundheit und Krankheit zu gewinnen. Dazu wurden Datensätze biologischer Eigenschaften sowohl des Mikrobioms als auch des Wirts aus drei verschiedenen Kohortenstudien zu Mikrobiom-assoziierten Erkrankungen erstellt: aus Studien i) zu Schwangerschaft und Frühgeburten, ii) dazu, wie entzündliche Darmerkrankungen ihren Ausgang nehmen und iii) wie Diabetes Typ2 anfängt und fortschreitet.

Während seiner Laufzeit sind aus dem Projekt bereits Hunderte wissenschaftliche Publikationen hervorgegangen. Das gesamte Datenmaterial ist auf dem HMP-Portal (https://portal.hmpdacc.org/) als Basis für viele weitere Untersuchungen, Analysen und Hypothesen öffentlich zugänglich.

...... und speziell über das Mikrobiom im Darm?

Die bisherigen Ergebnisse aus dem Human Microbiome Project aber auch aus vielen anderen, größeren Studien haben unsere Kenntnisse über die komplexen Gemeinschaften von Mikroorganismen im Darm erheblich erweitert und auch erste fundierte Informationen zur Rolle der Bakterien in Gesundheit und Krankheit beigetragen. Wir beginnen ein besseres Bild über die Diversität und ungeheure Variabilität der Gemeinschaften von Mikroorganismen zu bekommen, über den Einfluss, den Alter, Geschlecht, Ethnizität, Diät, Lebensstil, Krankheit und Arzneimittelkonsum auf diese Gemeinschaften haben und auch über deren enorme Fähigkeit der Adaptation auf geänderte Bedingungen.

Abweichend von früheren Schätzungen geht man nun davon aus , dass uns etwa gleich viele Bakterien (rund 38 Billionen Zellen) besiedeln, wie wir Körperzellen (rund 30 Billionen) besitzen. Bis zu 1000 unterschiedliche Bakterienspezies (plus deren Subspezies) wurden festgestellt, wobei der Darm - und hier speziell das Colon - um 2 Größenordnungen mehr Keime enthält als alle anderen Körperstellen zusammen. Im Colon machen diverse Stämme von Bacteroideten und Firmicuten bis zu 90 % der Besiedlung aus. Bis zu 100 Milliarden Keime/ml finden sich in der eindickenden Masse im Colon, bis zu 60 % der eingedickten und mit dem Kot ausgeschiedenen (Trocken)Masse bestehen aus Bakterien.

Wenn Bakterien auf Grund ihrer wesentlich geringeren Größe auch nur etwa 0,3 % (ca. 200 g) unseres Körpergewichts ausmachen, so tragen sie auf Grund ihres extensiven Metabolismus und ihrer enormen Vermehrungsrate (Verdoppelung innerhalb weniger Minuten) essentiell zur Homöostase unseres Verdauungssystems bei. Wie weit dies für die lange Strecke im über 5 m langen Jejunum (dem oberen Dünndarm) gilt, in dem zwar nur sehr niedrige und passager auftretende Mengen an Bakterien (1 000 - 10 000/ml) vorkommen, aber über 90 % der verwertbaren Stoffe des Nahrunsgsbreis aber auch Arzneistoffe absorbiert werden, ist nicht bekannt.

Was allerdings aus dem Ileum (dem unteren Dünndarm) an noch unverdauten und unverdaulichen Bestandteilen des Nahrungsbreis ins Colon gelangt, wird von den dort ansässigen Bakterien in absorbierbare, für uns verwertbare Produkte umgewandelt, u.a. in kurzkettige Fettsäuren (Essigsäure, Propionsäure. Buttersäure) und in zahlreiche andere essentielle Produkte (u.a. in die Vitamine Biotin, Vitamin K). Welche möglicherweise bioaktiven Stoffwechselprodukte hier von Bakterien freigesetzt werden (das sogenannte Metabolom), wie sie diese zu Kommunikation und Abwehr untereinander und mit dem Wirtsorganismus nutzen, ist Gegenstand intensiver Untersuchungen, insbesondere, ob und welche Auswirkungen derartige Substanzen auf Stoffwechsel, Immunsystem und Körperorgane bis hin zum CNS haben.

Die Darmflora ist einmalig, wie ein Fingerabdruck und zudem dynamisch - sie adaptiert sich laufend auf die Situation des jeweiligen Wirts und setzt einer Kolonisierung mit fremden pathogenen Organismen Resistenz entgegen.

Nach wie vor ist das Mikrobiom des Darms aber größtenteils eine "terra incognita".

Erst jetzt gibt es erste Ergebnisse zu Lokalisierung und Konzentration der verschiedenen Bakterien-Spezies in den einzelnen Darmabschnitten, erst jetzt Informationen darüber, wo sich die Bakterien dort befinden: assoziiert an das Darmepithel, an die darüber liegende Mucus-Schichte oder im Darmlumen diffundierend.

Über Ausmaß, Lokalisierung und mögliche Auswirkungen unserer Symbiose mit anderen Darmbewohnern wie Archaeen, Pilzen, Parasiten und Viren (vorzugsweise Bakteriophagen) ist noch viel zu wenig bekannt.

Der Probiotika Boom

Wahrscheinlich haben Menschen bereits vor Jahrtausenden begonnen vergorene Lebensmittel - wie Sauerkraut, Joghurt und Kefir -, die große Mengen an Lactobacillen (Milchsäure produzierende Bakterien) enthalten, zu konsumieren. Die Entdeckung der Lactobazillen in diesen Lebensmitteln und die überdurchschnittliche Langlebigkeit bulgarischer Bauern, deren Ernährung sehr viel Joghurt enthielt, ließen den russischen Physiologen und Nobelpreisträger Ilya Metschnikow 1907 erstmals die Hypothese von einer gesundheitssteigernden, lebensverlängernden Wirkung der Lactobazillen herleiten, für die er den Begriff "Probiotika" formulierte. Joghurt wurde in Folge in vielen Ländern populär und 1935 kam in Japan ein mit einem Lactobacillus casei-Stamm angereichertes Joghurt - Yakult - auf den Markt, das auch heute noch zu den globalen Blockbustern zählt. Dann geschah jahrzehntelang nichts.

Der Probiotika-Boom setzte erst viel später ein. An Hand der Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachjournalen kann er etwa mit dem Ende der 1990er Jahre datiert werden. So findet man in der US-Datenbank PubMed unter dem Suchbegriff "probiotics" insgesamt rund 41 000 Publikationen. Vom Jahr 2000 (212 Publikationen) an gibt es eine nahezu exponentiell wachsende Zahl jährlicher Publikationen. Abbildung 1. Eine ähnliche Zeitkurve erhält man auch auf dem Portal Google Scholar, das allerdings wesentlich mehr Zeitschriften erfasst und auf insgesamt 684 000 Publikationen kommt. Sucht man auf  auf Google selbst, das ja Webseiten von Firmen und Werbung erfasst, nach "probiotics" kommt man auf 138 Millionen Einträge.

Abbildung 1. Ab 2000 findet ein rasanter Anstieg der Publikationen über Probiotika statt (Quelle: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/ abgerufen am 2.1.2023) .

Wie Probiotika wirken können

Zu den in Probiotika verwendeten "guten" Bakterien zählen diverse Stämme von Michsäurebakterien (Lactobazilli) , Bifidobakterien und E. coli. (Daneben werden auch Hefepilze eingesetzt.)

Davon ausgehend, dass Probiotika eine "gestörte" Darmflora verbessern, gibt es verschiedene Mechanismen, wie dies bewirkt wird und diese können von Bakterienstamm zu Bakterienstamm unterschiedlicher Natur sein.

"Gute" Bakterien können das Wachstum pathogener Bakterien hemmen, indem sie u.a. mit den Pathogenen um die Besiedlung der Darmschleimhaut konkurrieren, den pH-Wert im Darmlumen absenken, Toxine abbauen, bioaktive Stoffwechselprodukte ausscheiden, die gegen die Pathogene gerichtet sind und/oder auch als Signalmoleküle auf das Immunsystem, das endokrine System und das Nervensystem wirken.

Die Voraussetzung dafür: Eine ausreichende Menge an "guten" Bakterien muss die Passage durch Magen und Dünndarm überleben und vermehrungsfähig ins Colon gelangen, um dort, in dem dicken Brei aus Nahrungsresten und bis zu 100 Milliarden Mikroorganismen im Milliliter eine Chance zu haben gegen pathogene Keime vorzugehen. Wie weit dies bei Probiotika in üblichen Dosierungen von 5 bis zu 50 Milliarden Keimen der Fall ist, bleibe dahingestellt.

Ein wachsender Markt..........

Gleichzeitig mit dem Interesse an Probiotika ist auch der Markt für probiotische Joghurts, Nahrungsergänzungsmittel, Hygieneprodukte etc. schnell gewachsen. Zahlreiche Firmen teilen sich den Markt; zu den wichtigsten Akteuren zählen Yakult Honsha, Danone, Morinaga, Nestle, PepsiCo Inc., Bio-K Plus International Inc. und Daflorn Ltd. Die Größe des globalen Markts wurde 2021 mit 61,1 Milliarden US $ beziffert, bei einem jährlichen Wachstum von 8,3 % soll er 2029 115,71 Milliarden US $ erreichen ((https://www.maximizemarketresearch.com/market-report/probiotics-market-size/542/). (Zum Vergleich: der globale Pharmamarkt lag 2022 bei 1 136 Milliarden US $.)

Vertrieben über Supermärkte, Apotheken und online verleiten gesundheitsbezogene Angaben (d.i. Angaben, mit denen ein Zusammenhang zwischen einem Produkt und Gesundheit suggeriert wird) zur Selbstmedikation und dies auch bei schweren Erkrankungen. Für Probiotika in Lebensmittel sind derartige gesundheitsbezogene Angaben nicht erlaubt. Medizinprodukte mit probiotischen Inhaltstoffen fallen mit dem Inkrafttreten der Europäischen Verordnung über Medizinprodukte (Mai 2021) in den Geltungsbereich der Richtlinie über Human-Arzneimittel. Wie für diese sind also sehr aufwändige, teure klinische Studien zum Nachweis von Wirksamkeit und Sicherheit erforderlich, um eine Zulassung zu erreichen.

...erforderliche klinische Studien......

Forschungsinstitutionen und Industrie haben bereits eine sehr große Zahl an klinischen Studien zur Wirksamkeit von Probiotika durchgeführt, viele laufen noch oder sind in Planung.

Auf der Webseite der von den NIH betriebenen größten Datenbank für klinische Studien https://clinicaltrials.gov/ finden sich unter dem Schlagwort "probiotic" insgesamt 2051 Studien (abgerufen am 2.1.2023). Davon wurden 1140 schon abgeschlossen, darunter 464 von der Industrie durchgeführte Studien. Die meisten der abgeschlossenen Studien untersuchten die Wirksamkeit gegen Infektionskrankheiten (238), Durchfall (94), Reizdarm (66), Entzündung (64), Adipositas (62), vaginale Erkrankungen (42) und Stress (42). Weitere Studien behandelten Depression, kognitive Fähigkeiten, Diabetes, atopische Dermatitis, Krebserkrankungen, ulcerative Colitis, Enteroclitis, Akne, Karies, Schlafstörungen und Epilepsie.

Der Großteil der Studien hat bis jetzt bestenfalls Hinweise aber keine Evidenz auf Wirksamkeit in der untersuchten Indikation erbracht.

....und wie wirksam haben sich Probiotika erwiesen?

Probiotika liegen im Zeitgeist, die rezeptfreien Produkte entsprechen dem Trend zur Selbstmedikation. Das Internet ist hier eine wesentliche Informationsquelle.

Wie steht es aber um die Qualität dieser Informationen?

Ein Team um Michel Goldman (Université Libre de Bruxelles) hat 2020 dazu eine erhellende Studie "Online-Informationen über Probiotika: Stimmen sie mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen überein?" veröffentlicht (M. Neunez et al., Front. Med. 6:296. doi: 10.3389/fmed.2019.00296). Gestützt auf Cochrane Reviews hat das Team 150 der von Google zu "probiotics" retournierten Top-Webseiten auf Genauigkeit, Vollständigkeit und Qualität der Informationen ausgewertet.

Abbildung 2 . Nur rund ein Viertel der geundheitsbezogenen Behauptungen für Probiotika sind durch stichhaltige Beweise gesichert. (Bild: modifiziert nach Neunez M., et al., 2020. Online Information on Probiotics: Does It Match Scientific Evidence? Front. Med. 6:296. doi: 10.3389/fmed.2019.00296. Lizenz: cc-by)

Das Ergebnis: Am häufigsten kamen kommerzielle Webseiten und News vor. Die kommerziellen Webseiten haben im Durchschnitt die am wenigsten verlässlichen Informationen geliefert und viele der behaupteten Leistungen von Probiotika wurden nicht durch wissenschaftliche Evidenz gestützt. Insgesamt wurden nur 24 % der Behauptungen durch stichhaltige Belege untermauert; für 20 % gab es keine Belege. In den anderen Fällen reichten die gelieferten Belege nicht aus , um die Behauptungen zu rechtfertigen. Abbildung 2.

Nur insgesamt 25 % der Seiten (nur 8 % der kommerziellen Seiten) beinhalten auch Sicherheitsaspekte. Auch, wenn Probiotika ein gutes Sicherheitsprofil haben, kann es bei immunschwachen Personen zu einem Überfluten des Dünndarms mit den "guten" aber dort unverdaulichen Keimen kommen, insbesondere wenn die Magensäure durch Protonenpumpen-Inhibitoren neutralisiert wurde. Es kommen auch vereinzelte Fälle von bakterieller oder fungaler Sepsis vor.

Von besonderem Interesse ist es natürlich bei welchen Krankheiten stichhaltige Evidenz für die behauptete Wirksamkeit von Probiotika gefunden wurde. Abbildung 3. Dies war nur bei einigen Magen-Darmerkrankungen der Fall. Für den Großteil anderer Erkrankungen sind die Heilsversprechen als Wunschdenken anzusehen.

Abbildung 2. Wissenschaftliche Evidenz für die behauptete Wirksamkeit von Probiotika auf online Webseiten bei diversen Erkrankungen; hergeleitet von Cochrane Reviews. Grün: stichhaltige Eviden, gelb: mäßige Evidenz, orange: geringe Evidenz, rot: keinerlei Evidenz. (Bild: unverändert von Neunez M., et al., 2020, Lizenz: cc-by)

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch das Office of Dietary Supplements der NIH in Probiotics. Fact Seet for Health Professionals (https://ods.od.nih.gov/factsheets/Probiotics-HealthProfessional/). Metaanalysen verschiedener Krankheiten, in denen Probiotika angeblich wirkten, zeigten nur im Fall von Infektions- und Antibioka-verursachtem Durchfall bei Kindern Evidenz.

Fazit

Die Industrie hat in wenigen Jahren einen riesigen Markt für Probiotika aufgebaut. Diese sind zu lifestyle-Produkten geworden, auch wenn die gesundheitsbezogenen Behauptungen größtenteils noch leere Heilsversprechen ohne wissenschaftliche und klinische Evidenz sind.

Das Gebiet ist überaus komplex und steckt noch in den Kinderschuhen. Es fehlt an essentiellen wissenschaftlichen Grundlagen sowohl dazu, was ein "gesundes" balanciertes Mikrobiom ist, als auch wie dieses mit den Zellen der Darmwand interagiert und wie die enorme Fülle seiner Stoffwechselprodukte (Metabolom) unsere Organsysteme beeinflussen könnte. Sicherlich wird es noch Jahre dauern bis - aufbauend auf besseren Grundlagen - verstanden wird, wie "Gesundheit im Darm beginnt" und mit welchen Interventionen dies erreicht werden kann.

Soll man Probiotika nach dem Motto "hilft's nicht, schadets auch nicht" anwenden? In Anbetracht recht weniger, jedoch schwerer Nebenwirkungen ist Vorsicht angebracht.


Das Mikrobiom im ScienceBlog

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