Die Muskel-Hirn Verbindung: Training-induziertes Protein stärkt das Gedächtnis

Fr, 15.07.2016 - 11:01 — Francis S. Collins

Francis S. CollinsIcon Gehirn

Bewegung ist für einen starken und gesunden Körper wichtig aber offensichtlich ebenso für einen starken gesunden Geist. Francis Collins, Direktor der US National Institutes of Health, fasst hier eine neue Studie zusammen, die überzeugend demonstriert, dass eine Muskel - Hirn Verbindung existiert: während des körperlichen Trainings geben Muskelzellen das Enzym Cathepsin B in die Blutbahn ab, das über die Blut-Hirnschranke ins Gehirn gelangt und regenerierend wirkt.*

Wir alle wissen es: Bewegung ist wichtig für einen starken und gesunden Körper wichtig. Weniger beachtet wird aber, dass körperliche Aktivität anscheinend auch für einen starken gesunden Geist wichtig ist, dass sie Gedächtnis und Lernen stärkt und dabei vielleicht auch ein altersbedingtes Nachlassen der kognitiven Fähigkeiten hinauszögert. Wie kann man sich das vorstellen?

Forscher finden immer mehr Bestätigung dafür, dass Muskelzellen während des Trainings Proteine und andere Faktoren (sogenannte Myokine; Anm Red,) in die Blutbahn sezernieren, die regenerierend auf das Gehirn wirken.

Eine aktuelle NIH-unterstützte Untersuchung hat nach derartigen Proteinen gesucht, die von Muskelzellen sezerniert und ins Hirn transportiert werden können. Dabei wurde das Enzym Cathepsin B identifiziert, als ein neuer Kandidat, der helfen kann die Verbindung Muskel-Hirn zu erforschen. Die Ergebnisse der von Hyo Youl Moon und Henriette van Praag (NIH’s National Institute on Aging) geleiteten Untersuchung sind eben im Journal Cell Metabolism erschienen [1].

Die Suche nach einem Training-induzierten Muskelfaktor

Das Forscherteam begann mit Muskelzellen in der Laborschale, die man mit einer AICAR genannten chemischen Verbindung behandelte. AICAR (ein Analogon des Adenosinmonophosphat mit Doping-Eigenschaften; Anm. Red.) imitiert die Wirkung, die ein Training auf Muskeln hat und kann bei untrainierten Mäusen die Ausdauer beim Laufen erhöhen. AICAR verbessert auch die Gehirnfunktion bei Mäusen in ähnlicher Weise wie ein Training.

Die Suche führte zu einer kurzen Liste, die potentiell wichtige Proteine enthielt. Diese Liste wurde mit bereits existierenden Daten zu sezernierten Proteinen und veränderten Genexpressionen verglichen, wie sie nach Training oder AICAR-Behandlung erhalten wurden. Dabei stach ein Protein hervor: Cathepsin B. Dies ist kleines Enzym (eine sogenannte Protease, Anm. Red.), das primär in der Zelle eine Rolle im Abbau und Umsatz von Proteinen und Peptiden spielt. Cathepsin B wird aber auch von einigen Zellen sezerniert - welche Wirkung es im extrazellulären Raum zeigt, ist nur wenig bekannt.

Cathepsin B steigt in trainierten Mäusen…

Um mehr über Cathepsin B Im Zusammenhang mit körperlichem Training zu erfahren, gingen die Forscher zu Tierversuchen an Mäusen über. Sie sahen, dass die Konzentrationen von Cathepsin B im Blut anstiegen, wenn die Tiere regelmäßig 2 Wochen oder länger im Laufrad rannten. Sie zeigten auch, dass dieses Protein im Muskel zunahm, nicht aber in anderen Organen und Geweben. In Summe ließen die Ergebnisse darauf schließen, dass das Lauftraining spezifisch zur Produktion von Cathepsin B im Muskel führte und zu dessen Abgabe in den Blutstrom.

Die Forscher setzten die Mausversuche fort. In einem nächsten Schritt untersuchten sie genmanipulierte (knockout) Mäuse, die unfähig waren Cathepsin B zu produzieren. Während normale erwachsene Mäuse nach dem Training im Laufrad neue Neuronen im Gyrus dentatus, einem Teil des Hippocampus, der mit dem Erinnerungsvermögen verknüpft ist, bildeten (Abbildung), gab es bei den genmanipulierten Tieren nach dem Training keine Neurogenese. Das Training erbrachte auch keine Verbesserung der räumlichen Orientierung und der Fähigkeit in einer für Mäuse typischen Weise aus einem Labyrinth herauszufinden.

Abbildung. Erwachsene Mäuse bilden nach dem Training im Laufrad neue Neuronen (grün) im Gyrus dentatus (Credit: Henriette van Praag and Linda Kitabayashi)

Wurden die Hirnzellen direkt mit Cathepsin B behandelt, so reagierten sie mit molekularen Änderungen, verbunden mit der Bildung neuer Neuronen.

…und gelangt aus dem Blut ins Gehirn

Damit Cathepsin B Vorgänge im Gehirn beeinflussen kann, muss es aus dem Blut ins Hirn gelangen. Es muss die Blut-Hirnschranke überwinden, eine Barriere, die den Eintritt von Proteinen blockiert, die zu groß sind oder eine falsche Biochemie haben. Die Forscher injizierten Cathepsin B in Mäuse, die selbst kein Cathepsin B produzieren konnten. Innerhalb von 15 Minuten sahen sie, dass das Protein über die Blut-Hirnschranke in das Gehirn gelangt war. Die Wirkung von Cathepsin B auf Hirnzellen war aus Genexpressionsdaten ersichtlich, die die Bildung neuer Neuronen anzeigte.

Cathepsin B steigt in trainierten Personen

Um herauszufinden ob die Ergebnisse auch jenseits von in vitro- und Mausversuchen Gültigkeit haben, folgten Untersuchungen an Menschen. Es wurden nun Cathepsin B-Spiegel von Personen nach 4 Monaten regelmäßigem Training mit solchen von untrainierten Personen verglichen. Diese Studie lief in Deutschland und 40 junge (19 - 34 Jahre) gesunde Erwachsene nahmen daran teil; etwa gleich viele Frauen und Männer. . Tatsächlich demonstrierte diese Studie einen signifikanten Anstieg des Cathepsin B im Blut bei regelmäßigem Training. Man fand auch eine Korrelation zwischen dem Anstieg des Cathepsin B und der Fähigkeit der Studienteilnehmer sich an eine komplexe Zusammenstellung von Linien und geometrischen Formen zu erinnern und diese genau nachzuzeichnen - ein Test der häufig für das visuelle Erinnerungsvermögen verwendet wird.

Ausblick

Die beschriebenen Entdeckungen zu Cathepsin B sind durchaus überraschend. Bis jetzt wurden erhöhte Cathepsin B-Werte mit einer weiten Palette von Krankheiten - von Krebs bis hin zur Epilepsie - in Verbindung gebracht. Es gibt auch widersprüchliche Befunde zur Rolle von Cathepsin B in der Entwicklung der Alzheimer-Krankheit. Arzneimittel, die Cathepsin B blockieren, wurden neben vielen anderen Defekten zur Behandlung von Schädel-Hirn Traumata vorgeschlagen.

Dennoch: Substanzen, die in Mausmodellen der Alzheimerkrankheit Cathepsin B erhöhen, haben sich als neuroprotektiv erwiesen . Dies erscheint auch in Einklang mit Tierversuchsdaten, die zeigen, dass körperliche Aktivität Alzheimer verhindern oder den Ausbruch verzögern kann.

Zweifellos sind viele Fragen zur Rolle von Cathepsin B im Gehirn und im restlichen Körper offen. Wenige, frühere Studien haben sich mit der Funktion dieses Proteins in Personen befasst, die im allgemeinen gesund waren. Die Forscher der aktuellen Studie hoffen kontinuierlich fortzusetzen, zu verstehen, wie Cathepsin B seinen Weg ins Gehirn findet und, dort angelangt, die Entwicklung neuer Nervenzellen beeinflusst. Was immer dann herauskommen mag, eines ist sicher:

Es zahlt sich aus körperlich aktiv zu sein!


[1] Running-induced systemic cathepsin B secretion is associated with memory function. Moon HY, Becke A, Berron D, Becker B, Sah N, Benoni G, Janke E, Lubejko ST, Greig NH, Mattison JA, Duzel E, van Praag H. Cell Metabolism. 2016 June 23. [Epub ahead of print]


* Dieser Artikel von NIH Director Francis Collins, M.D., Ph.D. erschien unter dem Titel:" Exercise Releases Brain-Healthy Protein" zuerst (am. 28. Juni 2016) im NIH Director’s Blog:. https://directorsblog.nih.gov/2016/06/28/exercise-releases-brain-healthy... Reprinted (and translated by ScienceBlog) with permission from the National Institutes of Health (NIH).

Mit Ausnahme der Veröffentlichung von HY Moon et al., ([1], s..)sind keine weiteren, im Original vorhandenen, Literaturzitate angegeben. Diese können dort nachgesehen und auf Verlangen zugesandt werden.


Weiterführende Links

National Institutes of Health (NIH). https://www.nih.gov/

Francis Collins: Creative Minds: The Muscle-Brain Connection https://directorsblog.nih.gov/2014/09/23/creative-minds-the-muscle-brain...