Die Chemie des Lebensprocesses - Vortrag von Vinzenz Kletzinsky vor 150 Jahren

Do, 12.08.2021 - — Vinzenz Kletzinsky

Vinzenz KletzinskyIcon Wissenschaftsgeschichte Am 23. November 1871 hat der Mediziner und Chemiker Vinzenz Kletzinsky im "Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien" über die auch heute noch nicht eindeutig beantwortete Frage "Was ist Leben" gesprochen. Bereits in seinem 1858 erschienenen "Compendium der Biochemie"[1], das heute leider unter die forgotten books zählt, hatte er das Thema behandelt. Er hat damals als Erster den Begriff "Biochemie" geprägt und ist- bei dem mageren Wissensstand der damaligen Zeit - zu erstaunlichen Schlussfolgerungen gelangt. Wie im Compendium gliedert sich der Vortrag in zwei Teile: in die "Chemie der biochemischen Atome und in die Stofflehre der biochemischen Prozesse". Oder, wie es Kletzinsky auch ausdrückt: die Lehre vom Stoff des Lebens und die Lehre vom Leben des Stoffes. Der Artikel erscheint unter dem Namen des Autors, auf Grund der Länge aber in gekürzter Form*.

Vinzenz Kletzinsky, Compendium der Biochemie (1858), p.1

Die Chemie des Lebensprocesses

Ich habe die Ehre, den diesjährigen Zyklus der Vorträge mit der Chemie des Lebensprozesses zu eröffnen. Da tritt an uns die geheimnisvolle Frage heran:

               Was ist eigentlich Leben?

Das Leben im engeren Sinne des Wortes, nämlich das organische Leben, ist ein innerlicher Stoffwechsel unter äußerer Anregung im beharrenden Individuum. Jedes dieser Merkmale ist unerlässlich für den Begriff. Im weitesten Sinne des Wortes kann man Stoffwechsel überhaupt Leben nennen.

Abbildung 1. Vinzenz Kletzinsky (1826-1882), österreichischer Chemiker und Pathologe. Lithographie von Eduard Kaiser, 1861. (Bild:https://www.europeana.eu/en/item/92062/BibliographicResource_1000126190609). Rechts: Titelblatt des Vortrags im Jahrbuch in Schriften des Vereines zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien, 12, 1 - 18. https://www.zobodat.at/pdf/SVVNWK_12_0001-0018.pdf)

Dieses organische Leben hat schon durch Jahrtausende immer mit denselben Atomen gearbeitet; das, was der eigentliche Stoff ist, bleibt unzerstörbar und wandelt sich nur. Die Elemente, in welchen sich das organische Leben vollzieht sind ziemlich beschränkter Zahl (Abbildung 2); von den Elementen überhaupt, die heute bekannt sind, wird vielleicht die fortschreitende Wissenschaft einige streichen, andere Elemente wieder hinzufügen, jedoch so viel ist gewiss, dass die Zahl derselben heutzutage 60 übersteigt.

Abbildung 2. Mit der Analytik von 1858 ("und nach neuesten Bestimmungen corrigirten Äquivalentzahlen") war der Großteil, der im Organismus vorkommenden Elemente bereits nachgewiesen.(Bild von Redn. eingefügt ausCompendium der Biochemie (1858), p.20)

Kohlenstoff

Vor allen ist ein Element näher zu bezeichnen, welches den eigentlichen Impuls zur organischen Bildung gibt und dieses Element ist der Kohlenstoff. Derselbe ist vor allen übrigen Elementen mit der bewunderungswürdigen Eigenschaft begabt, äußerst lang gegliederte Ketten zu bilden, während dies bei übrigen Stoffen in weit minderem Maße der Fall ist, annähernd höchstens noch bei Stickstoff und Sauerstoff. Da sich nun diese Ketten der Kohlenstoffatome mit Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff verbinden, so entsteht dadurch eine ungeheure Fülle von Permutationen und ein zahlloses Heer von organischen Verbindungen.

Außer den genannten Körpern nehmen an organischen Verbindungen noch Teil „Schwefel und Phosphor", welche, obwohl in untergeordnetem Maße, doch in den wichtigsten Körpern und Verbindungen vorkommen: bei jenen Verbindungen, in welchen sich das Geheimnis des Lebensprozesses vollzieht, bei jenen, welche am allerzersetzlichsten sind. Je minder stabil eine Verbindung ist, desto energischer dient sie dem Leben und gerade die unverwüstbaren Stoffe der Mineralchemie sind dem Leben feind.

Oxydation - Reduktion - Gärung

Was geschieht nun mit diesen Elementen? In dieser Beziehung müssen wir das Leben in zwei große Prozesse auseinanderhalten.

  Das Leben ist entweder ein fortlaufender Oxydationsprozess oder ein  Reduktionsprozess. In beide Prozesse aber spielt die Gärung hinein.

Die Oxydation ist das Prototyp des tierischen Lebens, die Reduktion das Urbild des Pflanzenlebens; die Gärung ist in beiden zu Hause. Aus dieser eigenen Durchdringung von Oxydation und Gärung entsteht das tierische Leben, aus der Durchdringung von Reduktion und Gärung entsteht das Pflanzenleben. (Anm. Redn.: Unter Gärung ist eigentlich enzymatische Katalyse zu verstehen. Louis Pasteur hatte 1862 die für die Gärung verantwortliche "vitale Kraft = Fermente" in der Hefezelle nachgewiesen. 1877 hat Wilhelm Kühne für Ferment den aus dem Griechischen stammenden Begriff für "in der Hefe" = "Enzym" geprägt.)

Oxydation ist nun die Verbindung organischer Stoffe mit Sauerstoff, welche wir speziell Verwesung (d.i. Verbrennung; Anm. Redn.) nennen. Reduktion ist der entgegengesetzte Prozess; es ist die Loslösung des Sauerstoffes aus den Oxyden und die Rückgewinnung von sauerstoffärmeren Verbindungen.

Während also der eine Prozess webt, trennt der andere wieder auf und beide ergänzen sich.

Man könnte den Lebensprozess ganz leicht studieren,

wenn man ganz genau im Stande wäre, die richtigen Faktoren in Bezug auf Quantität und Qualität zu treffen.

Denkt man sich ein Aquarium, mit allem Nötigen versehen, mit Kalk, Bittererde, Eisenoxyd, damit alle zum Leben unentbehrlichen Stoffe vorhanden sind und mit einer Fülle von Wasser versehen, über welchem eine Schichte atmosphärischer Luft ist, welche wieder Kohlensäure, Ammoniak und außer Staub und Sporen noch Stickstoff und Sauerstoff enthält. Setzen wir nun in dieses Aquarium eine Wasserpflanze, die leicht, rasch und sicher gedeiht. Diese Pflanze trifft alles, was sie braucht; sie zieht aus der Atmosphäre Wasser, Kohlensäure, Ammoniak, welche Stoffe die organische Nahrung der Pflanze sind; die Pflanze nimmt dieselben auf und reduziert daraus Stoffe, die weniger Sauerstoff haben als Kohlensäure.

Bei diesem Leben der Pflanze wird unter dem Einfluss des Lichtes, welches zum Gedeihen der organischen Schöpfung unentbehrlich ist, aus der Kohlensäure Sauerstoff zurückgegeben und darum ist die Pflanze eine reduzierende Potenz. Die Pflanze ist also in unserem Aquarium für ihr erstes Gedeihen gesichert.

Setzen wir nun in dasselbe etwa eine Schnecke, welche bekanntlich diese Pflanzen abweidet, so wird dieselbe auch alle Bedingungen ihres Gedeihens vorfinden, sie hat Sauerstoff zum Atmen, sie hat die von der Pflanze bereiteten Eiweißstoffe, Zucker, Gummi, mit einem Wort Proteine und Kohlenhydrate zur Nahrung, dadurch entsteht ein neuer Leib des Tieres, eine Partie des alten Leibes geht zu Grunde, wird ausgeworfen und lässt sich unter dem Titel „kohlensaures Ammoniak" (Ammoniumcarbonat, Anm. Redn.) summieren.

Die pflanzenfressenden Tiere ersetzen uns also vollständig, was die Pflanze verbraucht und Pflanzen ersetzen uns, was das Tier veratmet. "Wir müssen aber die weitere Entwicklung des Tieres zur Pflanze im richtigen Verhältnis halten; da sich aber die Tiere zu schnell vermehren und mehr verbrauchen würden, als die Pflanze liefert, so setzen wir in das Aquarium einen Fleischfresser, der die übermäßige Entwicklung des Pflanzenfressers im Zaume hält; könnte man die richtigen Verhältnisse genau einhalten, so würde man im Kleinen das erzielen, was die Natur im Großen zeigt.

Wie gesagt: es muss von der Pflanzenwelt das von der gesamten Tierwelt erzeugte kohlensaure Ammoniak aufgenommen werden und umgekehrt verarbeiten in demselben Verhältnisse die Tiere den von den Pflanzen hergegebenen Sauerstoff. Dadurch ist es erklärlich, dass sich im Laufe von Jahrtausenden in der Atmosphäre nichts geändert hat. Wenn man bedenkt, wie viele tausend und abertausend Tier- und Menschengenerationen über die Erde gegangen, wie viele Atmungsprozesse stattgefunden, welch' ungeheure Quantitäten von Sauerstoff verzehrt wurden, wenn man ferner in Betracht zieht, dass trotz alledem doch kein Abgang bemerkbar ist, so ist dies nur dadurch erklärlich, dass die Pflanze es ist, welche das, was Feuer und Tiere verzehren, wieder ersetzt, welche die Atmosphäre rein erhält.

Vor einer ungeheuren Anzahl von Jahren muss die Luft sehr kohlensäurereich gewesen sein, was uns die damals entstandenen Riesentange beweisen, eben dadurch wurde aber auch die Luft ungeheuer sauerstoffreich und dieser eigentümliche Reiz des Freiwerdens des Sauerstoffes hat auf eine uns unbekannte Weise die Tierzelle geboren, erzeugt und gestaltet. So ist das Thier allmählich auf die Welt gekommen, als es bereits die Bedingungen zu seinem Lebensprozesse vorfand.

CO2-Assimilation, Photosynthese & Atmung

Wenn man reines kohlensaures Gas, gleichviel auf welche Weise bereitet, in einem dünnen, durchsichtigen Zylinder auffängt, über Quecksilber absperrt, durch dieses ein Büschel frisch gepflückter Blätter hineinsteckt und diese Vorrichtung 6—12 Stunden dem direkten Sonnenlichte aussetzt, kann man entschieden Sauerstoff nachweisen. Der Sauerstoff ist aus Kohlensäure durch Vermittlung des lebenden Pflanzengrün's unter dem Einflüsse des Sonnenlichtes entstanden. Nur das grüne, blaue, violette Licht besitzt diese Fähigkeit.

Dass sämtliche Tiere Sauerstoff atmen; ist heute evident bewiesen, gleichviel, ob die Tiere durch Lungen, Kiemen, Tracheen oder durch die Haut atmen, immer wird Sauerstoff aufgenommen und Kohlensäure abgegeben. Jede Stelle unserer lebenden Haut gibt fortwährend Kohlensäure ab und nimmt dafür Sauerstoff ein; selbst der losgelöste Muskel, der auf den Hacken des Fleischers hängt, dunstet Kohlensäure aus und nimmt Sauerstoff auf. Es ist dies die echte, tierische Erbsünde, die allen Tieren anklebt.

Diese Sättigung mit Sauerstoff ist das eigentliche Triebrad des tierischen Lebens.

Dieser Sauerstoff, der auf immer welchem Wege die innere Bahn des Körpers betritt, wird zunächst von eigentümlichen Zellen aufgenommen, die im Allgemeinen „Blutkörperchen" heißen, welche namentlich bei höheren Tierklassen in ihrer einzelnen Form studiert sind; diese Zellen verschlucken den Sauerstoff und sind dazu bestimmt, den Sauerstoff in die inneren Körperbahnen überall hinzuführen. Das Zucken einer Muskelfaser ist nicht denkbar ohne gleichzeitige Gegenwart von Sauerstoff; sobald ein Nerv nicht mit Sauerstoff in Berührung kommt, kann er nicht mehr der Leiter des Willens und der Rückleiter der Empfindungen sein. Nimmt man auch nur momentan den Sauerstoff weg, so ist der Nerv taub, das Glied ist tot.

Dadurch lernen Sie eine neue Klasse furchtbarer Gifte für das tierische Leben kennen, nämlich solche Körper, welche im Stande sind, allen Vorrat an Sauerstoff unserem Körper zu entziehen. Wir Alle haben jetzt in unserem Körper einen gewissen Vorrat an Sauerstoff, mit dem wir auch ohne zu atmen, eine gewisse Zeit hindurch leben könnten, 3 Minuten wird wohl jeder Mensch aushalten, besonders glücklich organisierte Naturen könnten auch 10 Minuten leben, ohne eine neue Zufuhr an Sauerstoff. Würde nun nicht nur der vorhandene Vorrat verbraucht, sondern auch zugleich die Möglichkeit, neuen Sauerstoff anzuschaffen, abgebrochen sein, dann ist es mit dem Leben aus und nun stehe ich vor der erschreckenden Wirkung der Blausäure.

Diese Säure ist sehr flüchtig, sie eilt sehr rasch auf der Wanderung durch die ganze Blutbahn mit dem Blute in alle Provinzen des Körpers, nimmt den Sauerstoff, wohin sie kommt, für sich in Beschlag und vernichtet zunächst mit heimtückischer Gewalt die Fähigkeit der Blutkörperchen, neuen Sauerstoff aufzunehmen. Ohne Sauerstoff-Aufnahme kann kein Nerv empfinden und den Willen leiten, kein Muskel kann zucken, keine Zelle arbeiten, keine Drüse Saft bereiten. Alles ist gelähmt.

Pflanzen betreiben Photosynthese und atmen

Es ist merkwürdig, dass mit dieser für alles tierische Leben maßgebenden Potenz, nämlich mit der Oxydation, auch die Pflanze ihr dunkles Leben im Mutterschoß der Erde beginnt; während die entwickelte Pflanze, die mit der Axe zum Licht strebt, unter dem Einfluss des Lichtes gerade das entgegengesetzte treibt, nämlich Sauerstoff rückgibt und Kohlensäure einhaucht, ist ihr Same in der feuchten, dunklen Erde dazu verurteilt Sauerstoff aufzunehmen, Kohlensäure rückzugeben. Dies geschieht jedoch wie gesagt nur im Dunkeln; das Keimen der Pflanzensamen ist ein analoger Akt, wie das tierische Leben: ein Oxydationsprozess. Die Oxydation bildet also im tierischen Leibe die Hauptbedingung des Lebens, die Reduktion im Pflanzenleibe. In beide Prozesse bohrt sich die Gärung ein.

Die Gärung ist eine Spaltung großer, vielgliedriger Atomketten in kleinere Bruchteile,

welche Spaltung unter dem Einfluss der sogenannten Hefe erfolgt, einer eigentümlichen Zelle, die den Trieb hat, weiter zu wachsen unter fortwährender Aufnahme von Kohlensäure (Gärung = enzymatische Katalyse, siehe Kommentar Redn. oben). Ein wunderschönes Beispiel einer solchen komplizierten Gärung liefert uns die Leber. Vor Allem macht es die Gärung klar, wie es möglich ist, dass aus einem und demselben Blute die verschiedenartigsten Organe ernährt werden - die Niere, das Gehirn, die Milz, die Leber. Ebenso kann man aus einer und derselben Zuckerlösung: Weingeist durch Zugabe von Presshefe, Buttersäure durch Zusatz von Quark, Milchsäure durch Zusatz von Pflanzeneiweiß erzeugen; je nach der Verschiedenheit der Hefe wird derselbe Zucker anders gespalten, dieselbe Atomkette wird anders zerrissen.

Die Ursache, warum aus demselben Blut ganz andere Stoffe entstehen, beruht auf der Verschiedenheit der Zelle. Die Gehirnzelle ist eine Hefe, die sich selbst wieder aus Blut erzeugt; befindet sich dasselbe Blut unter dem Einfluss der Milzhefe, erzeugt sich Milzzelle. Auch sind die Nebenprodukte dieser Prozesse andere. Die Leberzelle erhält eigentümliches, dunkles, dickes Blut zur Vergärung; das sogenannte Pfortaderblut. Diese Ader verästelt sich in der Schleimhaut des Darmes und saugt den gleichsam rohen Nahrungssaft auf; was von diesem Saft die Milchsaftgefässe nicht aufnehmen, nimmt die Pfortader auf und damit die Masse nicht roh in den allgemeinen Kreislauf gerät, wird sie in die Leber geworfen; der Zelleninhalt der Leberzelle kommuniziert mit dem Pfortaderblut; dasselbe vergärt unter dem Einfluss der Leberzelle.

In jedem Organ müssen fortwährend neue Zellen gebildet werden, weil die alten zu Dutzenden vergehen; die Leber ernährt sich; geschieht dies nicht, so erfolgt der Schwund der Leber, eine furchtbare Krankheit. Alles Organische muss ewig vergehen und neu entstehen; das Leben besteht im Wechsel.

Die Leber ist ein zuckerbildendes Organ, wenn auch Ihre Nahrung keine Spur von Zucker enthält; Zucker ist dennoch ein Gärungsprodukt der Leber; ferner entsteht die Galle, welche ebenfalls eine Absonderung der Leber ist, sie ist eine gefärbte Seife, die bei der Verdauung eine wesentliche Rolle spielt. Endlich wird das Leber-Venenblut durch die Lebervene abgeführt, während die von der Leber erzeugte Galle in die Gallenblase zusammensickert, welche einen Ausführungsgang besitzt, der sich in den Dünndarm ergießt, allwo die Galle die wichtige Rolle der Verdauung der Fettstoffe erfüllt.

Wenn man einem Hunde die Gallenblase entfernt, geht alles Fett seiner Nahrung unverändert ab; er ist nicht im Stande, Fett zu verdauen.

Der Kreislauf des organischen Lebens

Aus dieser wunderbaren Durchdringung des Oxydationsprozesses und der Gärung im Tierreich und der Reduktion und Gärung im Pflanzenreiche entwickelt sich der große Prozess des organischen Lebens, der in der Jugend der Entwicklung mit der Massenvermehrung einhergeht, dann sich eine Weile auf dem Normale konserviert, und endlich, dem Gesetze alles Organischen folgend, abnimmt, wobei endlich seine Masse zum Anorganismus zurückkehrt als Staub, sich verflüchtigt als kohlensaures Ammoniak und neuerdings dienstbar wird dem Pflanzenleben; die Pflanze tritt wieder auf, erzeugt neuerdings Stoffe für's Tierleben und in dieser Weise ergänzt sich von selbst der Kreislauf.

Man hat die Pflanze als einen im Anorganismus wurzelnden Apparat zu betrachten, welcher die Fähigkeit besitzt, Nahrungsstoffe für das Tierleben zu erzeugen. Es gilt für alle Tiere als Gesetz, dass sie fertige Eiweißstoffe aufnehmen müssen, da kein tierischer Körper solche erzeugen, sondern nur umbilden kann; die Pflanzen müssen diese Stoffe aus dem Anorganismus, aus Luft und Boden schaffen. Selbst die Gewebebildung im Tierleibe ist nur eine Oxydation; und so ist das ganze Tierleben eine fortlaufende Oxydation, die mit der Rückgabe von Kohlensäure und Ammoniak an die Luft endet, von wo die Pflanzen wieder beginnen und den ewigen Kreislauf der organischen Schöpfung vollenden.

 

[1] Vinzenz Kletzinsky, Compendium der Biochemie, 1858, in dem erstmals der Begriff "Biochemie" aufscheint. ((https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb10073084?page=4,5, open access, C0, keine kommerzielle Nutzung)


* Abbildungen in dem gekürzten Artikel und Untertitel wurden von der Redaktion eingefügt; die ursprüngliche Schreibform wurde in die jetzt übliche geändert. Der Originaltext kann nachgelesen werden unter: KLETZINSKY Vinzenz Prof. (1872): Die Chemie des Lebensprocesses. — Schriften des Vereines zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien 12: 1-18.https://www.zobodat.at/pdf/SVVNWK_12_0001-0018.pdf


 Zum Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien:

Der Paläologe und Geologe Eduard Suess war maßgeblich an der Gründung des auch heute noch existierenden Vereins im Jahre 1860 beteiligt und dessen erster Präsident. Im Rahmen dieses Vereins wurden frei zugängliche, populäre Vorträge gehalten; diese waren „lediglich naturwissenschaftlichen Fächern entnommen, der Kreis von Vortragenden hat fast ausschließlich aus jüngeren Fachmännern bestanden.“

Dazu im ScienceBlog:

Redaktion, 26.12.2014: Popularisierung der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert.