Fr, 08.11.2013 - 07:50 — Gottfried Schatz
Mitochondrien - essentielle Bestandteile der Zellen aller höheren Lebewesen - erzeugen durch die Verbrennung von Nahrung die zum Leben notwendige Energie. Diese ursprünglich freilebenden Bakterien wurden von anderen Bakterien vor rund zwei Milliarden Jahren eingefangen. Gottfried Schatz`s Arbeiten über Mitochondrien erzielten Durchbrüche in diesem Forschungsgebiet (u.a. Entdeckung der mitochondrialen DNA, Aufklärung des Mechanismus des Proteintransports in Mitochondrien ).
Noch nie hatte ich so gefroren. Auf der Flucht vor den Kriegswirren waren wir im Februar 1945 in unserem ungeheizten Zug nachts stecken geblieben, und die schneidende Kälte verhinderte jeden Schlaf. Bei Morgengrauen schlüpfte ich jedoch heimlich unter den Mantel meines schlummernden Sitznachbarn, dessen Körperwärme mir endlich den ersehnten Schlaf schenkte. Nie werde ich diese wohlige Wärme vergessen. Aber woher kam sie? Ich konnte nicht ahnen, dass sie einmal mein Forscherleben prägen und mir aus der Frühzeit des Lebens erzählen würde.
Meine Zellen gewinnen Energie durch Verbrennung von Nahrung. Bei dieser «Zellatmung» verbrauchen sie Sauerstoffgas, speichern einen Teil der Verbrennungsenergie als chemische Energie und verwenden diese zum Leben. Je mehr Arbeit eine Zelle leistet, desto intensiver atmet sie. Meine Gehirnzellen atmen intensiver als alle anderen Zellen meines Körpers und erzeugen pro Gramm und pro Sekunde zehntausendmal mehr Energie als ein Gramm unserer Sonne.
Ein Blick in die Geschichte des Lebens
All dies verdanken meine Zellen winzigen Verbrennungsmaschinen - den Mitochondrien. Im Mikroskop erscheinen sie meist als einzelne Würmchen, können aber auch als kontinuierliches Netzwerk die ganze Zelle durchziehen (Abbildung 1, links). Sie besitzen sogar eigene Erbanlagen, die den Bauplan für dreizehn Proteine tragen (Abbildung 1, rechts).
Abbildung 1. Mitochondrien sind kleine Zellorganellen, die in Zellen mit hohem Energieverbrauch sehr zahlreich vorliegen (1000 – 2000 z.B.in Hirn, Muskel). Links: Osteosarkom Zellen. Färbungen: Mitochondrien: grün, Zellkerne blau, Tubulin rot (Konfokalmikroskop, Quelle: Cell Image Library CIL:40472). Rechts: elektronmikroskopisches Bild eines Mitochondriums, darunter schematische Abbildung. EP (gelb): die innere Membran ist dicht mit den Proteinen der Verbrennungsmaschine (Elementarpartikel) besetzt (Quelle: http://microbewiki.kenyon.edu)
Jedes dieser Proteine ist ein Teil der Verbrennungsmaschine; und wenn eines ausfällt, kann dies für den betroffenen Menschen Blindheit, Taubheit, Muskelschwund, Demenz oder frühen Tod bedeuten. Warum tragen meine Mitochondrien Erbanlagen, obwohl die meisten von ihnen in den Chromosomen des Zellkerns gespeichert sind? Es gibt dafür keine logische Erklärung. Die Antwort liegt in der Geschichte des Lebens - und diese ist so grossartig und spannend wie keine zweite.
Lebende Zellen gibt es auf unserer Erde seit mindestens 3,8 Milliarden Jahren. Die ersten Lebewesen gewannen ihre Energie wahrscheinlich ähnlich wie die heutigen Hefezellen, die organische Stoffe wie Zucker zu Alkohol und Kohlendioxid abbauen. Solche Gärungsprozesse liefern zwar wenig Energie, benötigen jedoch kein Sauerstoffgas; dies war für die frühen Lebewesen entscheidend, da dieses Gas in der jungen Erdatmosphäre noch fehlte. Als sich das Leben immer mehr ausbreitete, verbrauchte es die vorhandenen organischen Stoffe und schlitterte in eine gigantische Energiekrise. Der Retter war ein neuartiges Lebewesen, das Licht als Energiequelle verwendete und so dem Leben auf unserer Erde eine praktisch unbegrenzte Energiequelle erschloss - die Kernfusionen in unserer Sonne. Die lichtverwertenden Lebewesen überwucherten den Erdball, so dass noch heute gewaltige versteinerte Hügel in den Meeren von ihnen zeugen. Die Verwertung von Sonnenlicht setzte jedoch aus Wasser Sauerstoffgas frei, das Zellen durch Oxidation schädigt. Diese Vergiftung mit Sauerstoffgas verursachte wahrscheinlich das grösste Massensterben in der Geschichte des Lebens, bis Zellen schliesslich Schutzmechanismen entwickelten und sich auch in der oxidierenden Atmosphäre vermehren konnten. Unsere heutige Atmosphäre besteht zu einem Fünftel aus Sauerstoffgas, das zur Gänze ein Abfallprodukt lebender Zellen ist. Bald entwickelten sich Zellen, die mit diesem Gas die organischen Überreste anderer Zellen verbrannten und die Verbrennungsenergie zum Leben verwendeten. Die Zellatmung war erfunden. Vor etwa zweitausend Millionen Jahren gab es auf unserer Erde somit drei Hauptarten von Lebewesen, die alle den heutigen Bakterien ähnlich waren. Sie besassen nur wenig Erbsubstanz und deswegen nicht genügend biologische Information, um komplexe vielzellige Organismen zu bilden. Die erste Art verwendete die Energie des Sonnenlichts. Die zweite verbrannte die Überreste dieser Lebewesen. Und die dritte Art konnte weder das eine noch das andere, sondern lebte wie die allerersten Zellen mehr schlecht als recht von der Vergärung zuckerartiger Stoffe.
Eingefangene Bakterien
Doch gerade dieser rückschrittlichen dritten Art gelang vor etwa anderthalb Milliarden Jahren ein Meisterstück: Sie fing atmende Bakterien ein, benützte sie als Energielieferanten und bot ihnen im Gegenzug wahrscheinlich eine schützende Umgebung und eine bessere Verwahrung der Erbsubstanz (Abbildung 2). Abbildung 2. Einfangen von Bakterien – die Endosymbiontentheorie. „Atmende“ Bakterien (C) und photosynthetische Bakterien (E) sind von anderen Bakterien (B, Archäa?) eingefangen worden und haben sich zu Zellorganellen – Mitochondrien und Plastiden – eukaryotischen Zellen entwickelt. (Bild: Wikipedia)
Die eingefangenen Bakterien gewöhnten sich an ihren Wirt, übergaben ihm nach und nach den grössten Teil ihrer Erbsubstanz und konnten deshalb bald nicht mehr ohne ihn leben. Sie wurden zu seinen Atmungsorganen - den Mitochondrien. Umgekehrt nahmen sie mit der Zeit ihrem Wirt so viele wichtige Stoffwechselprozesse ab, dass auch dieser schliesslich nicht mehr allein leben konnte. Diese Lebensgemeinschaft schuf einen neuen Zelltyp, der über das Erbgut zweier Lebewesen verfügte und deshalb komplexe Pflanzen und Tiere bilden konnte. Das Erbgut in meinen Mitochondrien ist der kümmerliche Rest des Erbguts der einst freilebenden Bakterien.
Mitochondrien steuern ihre Feuer sehr genau und drosseln sie, wenn die Zelle über genügend Energie verfügt. Wenn diese Steuerung versagt, sind die Auswirkungen verheerend. Ein tragisches Beispiel dafür war eine 27-jährige Schwedin, die 1959 in einer Klinik Hilfe suchte, weil sie selbst bei grösster Kälte stark schwitzte und trotz ihrer abnormalen Esssucht spindeldürr blieb. Die Ärzte erkannten zwar, dass die Feuer ihrer Mitochondrien ausser Kontrolle brannten, konnten ihr aber nicht helfen, so dass sie sich zehn Jahre später verzweifelt das Leben nahm.
Selbst in gesunden Mitochondrien arbeitet die Verbrennung nicht perfekt, sondern wirft Nebenprodukte ab, welche die Zelle - und vor allem die Mitochondrien selbst - durch Oxidation schädigen. Diese Schäden tragen dazu bei, dass meine Mitochondrien und mein ganzer Körper altern. Geschädigte Mitochondrien liefern mehr oxidierende Abfälle, welche dann die Schäden weiter verstärken. Aus diesem Teufelskreis führt für eine Zelle oft nur der Selbstmord. Wenn Mitochondrien so stark geschädigt sind, dass ihre Energielieferung zusammenbricht, senden sie chemische Botenstoffe aus, die der Zelle befehlen, sich selbst zu töten. Die Zelle verdaut sich dann selbst, verpackt die Überbleibsel in kleine Membransäcke und überlässt diese streunenden Fresszellen als Beute. Sie orchestriert dieses Harakiri ebenso sorgfältig wie Wachstum und Teilung und bestätigt damit, dass Leben und Tod zwei Erscheinungsformen eines grösseren Ganzen sind. So wie Persephone als Tochter der Fruchtbarkeitsgöttin mit Hades über die Toten herrschte, können meine lebenspendenden Mitochondrien meinen Zellen auch den Tod verkünden. Sie und ihr Wirt suchen immer noch neue Wege, um miteinander auszukommen. Meine Mitochondrien sind ein Teil von mir, aber immer noch Fremde.
Weiterführende Links: Scobel - Die Zelle 58:16 min Gottfried Schatz: spricht auf der Frankfurter Buchmesse 2010 über sein Buch "Feuersucher", die Entdeckung der Mitochondrien und die Leidenschaft eines Naturwissenschaftlers. 3:08 min Neue Videos von Gottfried Schatz: Podiumsgespräch Das Wunder "Schöpfung" (21.10.2013) Prof. Dr. Gustav Tammann und Prof. Dr. Gottfried Schatz. entführen uns mit verständlichen Worten in die faszinierende Welt des Makro- und Mikrokosmos- 49:15 min Interview Aeschbacher vom (17.01.2013 – 12:06 min) Vortrag : What Science is, what it gives us – and what it takes to succced in it. (9.6.2013). EMPA TV 52:03 min
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