Kann Vitamin D vor COVID-19 schützen?

Fr, 22.05.2020 Inge Schuster Inge SchusterIcon Medizin

In den letzten Wochen sind mehrere Untersuchungen erschienen, die zeigen, dass Schwere der COVID-19 Erkrankung und Mortalitätsrate offensichtlich mit niedrigen Spiegeln von Vitamin D korreliert sind, Personen mit adäquaten Spiegeln dagegen nur leichte Symptome aufweisen. Kann also Supplementierung mit Vitamin D  den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen?

Vitamin D ein Prohormon

Das vor rund 100 Jahren als antirachitisch wirksam entdeckte Vitamin D ist kein Vitamin - der Körper kann es ja selbst herstellen - sondern ein Prohormon. Vitamin D entsteht in der Haut aus der unmittelbaren Vorstufe des Cholesterin durch eine photochemische Reaktion, wenn Sonnenlicht mit genügend hohem UVB-Anteil (Wellenlänge 280 - 315 nm) darauf trifft. In zwei darauffolgenden enzymatischen Aktivierungsschritten wird das Prohormon erst in das hydroxylierte Produkt 25-Hydroxyvitamin D3 (25(OH)D3) und dann in das biologisch wirksame Hormon Calcitriol (1,25 (OH)2D3) umgewandelt.

Calcitriol funktioniert in derselben Weise wie die strukturell nahe verwandten Steroidhormone: es bildet mit seinem sogenannten nukleären Rezeptor einen Komplex, der im Zellkern in spezifischer Weise an DNA-Regionen ("response elements") von sensitiven Genen bindet und deren Expression steuert. Es sind dies vor allem Gene, die im Calciumhaushalt - Aufnahme von Calcium aus dem Darm und Mineralisierung der Knochen - eine essentielle Rolle spielen. Die Folgen eines Vitamin D Mangels (siehe unten) sind altbekannt und unübersehbar: Rachitis bei Kindern, Osteomalazie bei Erwachsenen.

Abbildung 1. Stark vereinfachte Darstellung der hormonellen Funktionen von Calcitriol. Neben der Expression einer Vielzahl von Genen, die für Schlüsselfunktionen in wichtigen physiologischen und pathologischen Vorgängen kodieren, reguliert das Hormon seine Wirkdauer, indem es seinen Abbau zu inaktiven Produkten induziert (rot).

Darüber hinaus kann Calcitriol die Expression einer Fülle anderer Gene (von 900 oder auch mehr Genen) regulieren, die Schlüsselfunktionen in wichtigen physiologischen und pathologischen Vorgängen innehaben. Es sind u.a. Gene, die Wachstum und Differenzierung von Zellen steuern, Gene, die in der angeborenen und erworbenen Immunantwort essentiell sind und in der Abwehr von Infektionen eine wesentliche Rolle spielen, erforderliche Gene in neurophysiologischen Prozessen und in vielen weiteren Vorgängen im Organismus (Details dazu in [1]). Abbildung 1.

Potential für therapeutische Anwendungen

Eine Vielzahl unterschiedlicher ("pleiotroper") Funktionen wurde in zahllosen in-vitro Experimenten und Tierversuchen nachgewiesen und ließ die Erwartung aufkommen mit dem Hormon und auch mit dem im Körper zum Hormon umgewandelten Vitamin D eine Panacaea gegen die unterschiedlichsten Erkrankungen - Krebserkrankungen, kardiovaskuläre Erkrankungen, verschiedenste Autoimmunerkrankungen, Infektionskrankheiten, neurophysiologische Defekte hin bis zu Autismus - zu besitzen. Diese Erfolgsaussichten wurden in zahlreichen epidemiologischen Studien und Metaanalysen untermauert, die einen Zusammenhang zwischen einem Mangel an Vitamin D und dem Auftreten verschiedenster Krankheiten herstellten. Allerdings, eine direkte Evidenz aus randomisierten, Placebo-kontrollierten klinischen Studien konnte bislang nicht erbracht werden:

      ein direkter Einsatz von Calcitriol in einer beispielsweise für die Krebstherapie ausreichenden hohen Dosierung war durch die spezifischen Nebenwirkungen auf die Freisetzung von Calcium und damit dem Risiko einer lebensbedrohenden Hypercalcämie stark limitiert.

     Eine langfristige Supplementierung mit hohen Dosen Vitamin D3 hatte wiederum den Nachteil, dass die hier notwendige Kontrollgruppe mit Vitamin D Mangel ethisch nicht vertretbar war.

So endete 2018 auch die erste großangelegte Placebo kontrollierte klinische Studie zur Prävention von Krebs- und von Herz-Kreislauferkrankungen an über 25 000 eingangs gesunden Menschen mit einem ernüchternden Ergebnis [2]. In dieser sogenannten VITAL-Studie hatten die Versuchspersonen - ältere Männer und Frauen (ab 50 resp. 55 Jahren), die einen repräsentativen Querschnitt der amerikanischen Bevölkerung darstellten - über rund 5 Jahre täglich eine relativ hohe Dosis an Vitamin D3 (2000IU = 50 Mikrogramm) oder Placebo erhalten. Weder in der Inzidenz von Tumorerkrankungen (vor allem der häufigsten Formen von Prostata-, Brust- und Colon Ca) noch in der von kardiovaskulären Erkrankungen konnte ein signifikanter Unterschied zwischen Vitamin D-Supplementierung und Placebo beobachtet werden. Allerdings wies die Placebo-Gruppe über die Versuchsdauer einen Vitamin D Status auf, der im Normalbereich (gemessen am Standard 25(OH)D3: 30,8 ng/ml) lag - ein Mehr an Vitamin D3 in der supplementierten Gruppe (die Blutspiegel stiegen im Mittel auf 42 ng/ml) mochte bereits keine Steigerung potentieller Vitamin D Effekte bewirken.

Vitamin D Mangel

Das im menschlichen Organismus vorhandene Vitamin D ist überwiegend auf seine Synthese in der Haut und nur zum kleinen Teil auf zugeführte Nahrung - außer man ernährt sich überwiegend von fettem Fisch - zurückzuführen; zusätzlich kann Supplementierung mit synthetischem Vitamin D erfolgen.

Der Vitamin D-Status einer Person wird an Hand des Blutspiegels seines Metaboliten 25(OH)D3 bestimmt. Konsens besteht darüber, was als schwerer Mangel anzusehen ist und etablierte Auswirkungen auf die Calcium-Homöostase und damit vor allem auf das Knochen-/Muskelsystem hat - d.i. Blutspiegel unter 10 - 12,5 ng/ml (25 - 30 nM). Hinsichtlich adäquater, für die Gesundheit erstrebenswerter Spiegel, ist man unterschiedlicher Ansicht; häufig wird ein Status von > 30 ng/ml (d.i. > 75 nM) genannt.

Voraussetzung für die natürliche Synthese in der Haut ist ein ausreichender Anteil von UVB-Strahlung im Sonnenlicht und dies ist in der nördlichen Hemisphäre etwa vom 40 Breitengrad an nur in den Frühling- und Sommermonaten der Fall. Sofern es die Lebensumstände in dieser Zeit erlauben genügend Sonne an die Haut zu lassen, reicht das während dieser Zeit gebildete Prohormon im Mittel bis zum Herbst; zu Winterbeginn können bereits Spiegel unter 30 ng/ml bis hin zu schwerem Mangel vorliegen. Mit zunehmendem Alter sinkt die Kapazität zur Vitamin D Synthese; zusammen mit einem reduzierten Aufenthalt im Freien können die Vitamin D Speicher im Organismus noch früher geleert sein.

COVID-19 - relevante Funktionen von Vitamin D…

Das im Organismus zirkulierende 25(OH)D3 kann in den Epithelzellen des Atmungstrakts und in den dort vorhandenen Immunzellen in das aktive Hormon Calcitriol umgewandelt werden. Dort findet sich überall auch sein Rezeptor, an den gebunden Calcitriol die Expression relevanter Gene der angeborenen und der adaptiven Immunabwehr induzieren kann.

Vitamin D sensitive Gene der angeborenen Immunabwehr sind vor allem solche, die für antimikrobiell wirksame Peptide - Canthelicidin und Defensine - kodieren. Es sind dies kleine, aus bis zu 47 Aminosäuren bestehende Peptide, die einen hohen Anteil basischer Aminosäuren (Arginin und Lysin) enthalten. Diese Peptide üben eine unspezifische Breitbandwirkung auf Bakterien, Pilze und auch auf behüllte Viren aus, indem sie mit den negativ geladenen Phospholipidgruppen in den Membranen der Mikroorganismen interagieren und so deren Struktur (zer)stören. Darüber hinaus wirken die Peptide chemotaktisch auf Immunzellen und auf die Produktion von Cytokinen.

Hinsichtlich der adaptiven Immunabwehr kann Calcitriol wesentliche Entzündungsmediatoren wie Interleukin-2 und Interferon gamma unterdrücken und insgesamt in den Entzündungsprozess ("Cytokin-Sturm") eingreifen, der die späte schwere Phase von COVID-19 dominiert.

…und Korrelationen von Vitamin D-Mangel und Schwere des COVID-19 Verlaufs

Die COVID-19 Pandemie hat die Länder der Nordhalbkugel in den Wintermonaten getroffen. Aus Bestimmungen des Vitamin D-Status in europäischen Ländern geht hervor, dass bis über 50 % der gesamten Bevölkerung in den Wintermonaten moderaten bis schweren Vitamin D-Mangel aufweisen. In einer rezenten Studie in den von COVID-19 besonders betroffenen Regionen China, Iran, Italien, Spanien, Frankreich und UK weisen bis zu 94 % der alten Personen Spiegel unter 20 ng/ml (< 50 nM) auf [3]. Eine Reihe weiterer Studien, vor allem eine statistische Analyse der klinischen Daten aus China, Frankreich, Italien, Deutschland, Spanien, UK, Iran und Türkei, zeigt, dass die Schwere der COVID-19 Erkrankung - insbesondere der durch eine überaktives Immunsystem hervorgerufene Cytokin-Sturm - und die Mortalitätsrate offensichtlich mit niedrigen Spiegeln von Vitamin D korreliert sind, während Personen mit adäquaten Spiegeln nur leichte Symptome aufweisen [4].

Ist also der Vitamin D-Status entscheidend für den Verlauf der Erkrankung?

Die bis jetzt vorliegenden Daten korrelieren Vitamin D Mangel, wie er insbesondere in der alten Bevölkerung auftritt, mit einem schwerem Verlauf von COVID-19. Dies ist zweifellos beeindruckend, sollte aber mit Vorsicht interpretiert werden. Mit zunehmendem Alter treten ja auch grundlegende Änderungen in unserem Stoffwechsel ein, wesentliche Prozesse der hormonellen Regulierung hören zu arbeiten auf, das Immunsystem wird schwächer und die Anfälligkeit für diverse Erkrankungen nimmt zu. All dies kann zu Inzidenz und Verlauf von COVID-19 beitragen.

Betrachtet man die globale Inzidenz von COVID-19 und die Mortalitätsrate (% der Todesfälle pro registrierte Infektionen), so ergibt sich ein komplexes Bild. Abbildung 2. Es sticht vor allem der COVID-19-Hotspot Europa mit der weltweit ältesten Bevölkerung (Durchschnittsalter 43 Jahre [5]) hervor, gefolgt von Nordamerika (Durchschnittsalter 39 Jahre [5]). Die Inzidenz auf dem gesamten afrikanischen Kontinent ist dagegen sehr niedrig (die Anzahl der Testungen ist jedoch ungleich niedriger als in den meisten anderen Staaten [5]). Afrika weist die weltweit jüngste Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von 20 Jahren [5]auf und der Vitamin D-Status ist zweifellos gut; allerdings ist die Mortalitätsrate unter den als infiziert Gemeldeten vergleichbar mit der vieler anderer Staaten mit wesentlich älterer Bevölkerung und vermutlich wesentlich schlechterem Vitamin D-Status. Gilt hier die inverse Korrelation von Vitamin D-Spiegel zu Schwere der COVID-Erkrankung?

Ebenso fraglich: Auf gleichen Breitegraden wie in Afrika lebende Menschen in Lateinamerika (Durchschnittsalter 31 Jahre [5]) dürften ebenfalls gute Vitamin D Werte haben, ihre Corona Inzidenz und damit auch die Zahl der Todesfälle sind aber höher.

Abbildung 2. Oben: Globale Inzidenz von COVID-19 (bestätigte Fälle/100 000 Einwohner). Unten: Mortalitätsrate (Prozent Todesfälle/bestätigte Fälle). (Quelle: COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University. Copyright 2020 John Hopkins University)

 

Es wäre zweifellos höchst wünschenswert, wenn Vitamin D die Corona-Infektion und den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen könnte. Die darauf hinweisenden Korrelationen haben zahlreiche Forscher auf den Plan gerufen, welche nun die Hypothese in klinischen Studien prüfen wollen. Seit April wurden bereits 14 solcher klinischer Studien in der Datenbank https://clinicaltrials.gov/  gemeldet, die in Spanien, Portugal, UK, US, Iran,  Türkei und Frankreich laufen sollen. (Als Beispiel eine Multicenter-Studie in Frankreich: COvid-19 and Vitamin D Supplementation: a Multicenter Randomized Controlled Trial of High Dose Versus Standard Dose Vitamin D3 in High-risk COVID-19 Patients (CoVitTrial)).

Wie auch immer diese Studien ausgehen werden, eine Behebung von Vitamin D Magel durch Supplementierung oder besser noch, indem man Sonnenlicht an die Haut lässt, ist auf jeden Fall empfehlenswert


[1] Inge Schuster, 10.05.2012: Vitamin D — Allheilmittel oder Hype? http://scienceblog.at/vitamin-d-%E2%80%94-allheilmittel-oder-hype# .

[2] Inge Schuster, 15.11.2018: Die Mega-Studie "VITAL" zur Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebs durch Vitamin D enttäuscht. http://scienceblog.at/die-mega-studie-vital-zur-pr%C3%A4vention-von-herz-kreislauferkrankungen-oder-krebs-durch-vitamin-d-entt%C3%A4#.

[3] M Ebadi und A.J. Montano-Loza Perspective: improving vitamin D status in the management of COVID-19. Eur J Clin Nutr (01.05.2020) https://doi.org/10.1038/s41430-020-0661-0

[4] A Daneshkah et al., The Possible Role of Vitamin D in Suppressing Cytokine Storm and Associated Mortality in COVID-19 Patients. medRxiv preprint (18.05.2020) https://doi.org/10.1101/2020.04.08.20058578

[5] https://www.worldometers.info/world-population


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