Was uns Facebook über Ernährungsgewohnheiten erzählen kann

Do, 24.06.2021 IIASA

IIASAIcon Politik & Gesellschaft Änderungen des Lebensstils , die zur Eindämmung des Klimawandels beitragen können, gewinnen mehr und mehr an Bedeutung und Aufmerksamkeit. Eine neue , von IIASA-Forschern geleitete Studie hat sich zum Ziel gesetzt, das volle Potential von Verhaltensänderungen zu erfassen und was Menschen weltweit zu solchen Änderungen veranlasst. Die Studie basiert auf Daten von fast zwei Milliarden Facebook-Profilen.*

Moderne Konsumgewohnheiten und - insbesondere in der Landwirtschaft - die Tierproduktion zur Deckung des weltweit wachsenden Appetits auf tierische Produkte tragen dazu bei, dass miteinander verknüpfte Probleme wie Klimawandel, Luftverschmutzung und Verlust der biologischen Vielfalt weiter fortschreiten und sich beschleunigen. Unsere derzeitige Lebensweise ist einfach nicht nachhaltig. Es ist klar, dass Verhalten und Konsumgewohnheiten sich deutlich ändern müssen, wenn wir sicherstellen wollen, dass unsere Nachkommen noch einen gesunden Planeten vorfinden, der das Leben erhält und den sie ihr Zuhause nennen können. Es ist allerdings kein einfaches Unterfangen, eine große Zahl von Menschen mit sehr unterschiedlichen Überzeugungen und Wertebegriffen dazu zu bringen, ihre Konsumgewohnheiten und ihre Verhaltensweisen zu ändern.

Wenn viele frühere Studien untersucht haben, was die treibenden Kräfte zu einer CO2-reduzierten Lebensweise im Allgemeinen und zu einer nachhaltigen Ernährung im Besonderen sind, so beruhten die darin verwendeten Daten häufig auf einer limitierten Anzahl von Ländern oder einer begrenzten Anzahl von Umfrageteilnehmern, deren Angaben zuweilen von ihrem tatsächlichen Verhalten abwich. Nun haben die IIASA-Forscherin Sibel Eker und ihre Kollegen Online-Daten der Social Media, speziell anonyme Besucherdaten in Facebook, als eine globale Datenquelle genutzt, um das Online-Verhalten von Milliarden von Menschen aufzuzeigen und die eher traditionellen empirischen Untersuchungen zu ergänzen. Studien. Die Studie wurde im Journal Environmental Research Letters veröffentlicht [1].

„Wir wollten wissen, ob wir imstande wären anhand der auf der Social-Media-Plattform Facebook verfügbaren Daten das Interesse an nachhaltigen Ernährungsweisen, wie der vegetarischen Ernährung, in verschiedenen Ländern der Welt zu quantifizieren und feststellen könnten, ob die Online-Aktivitäten tatsächlich eine echtes Interesse an Vegetarismus und Konsumverhalten anzeigen“, erklärt Eker. „Darüber hinaus wollten wir sehen, welche anderen Faktoren wie Bildungsstand, Alter, Geschlecht oder das Pro-Kopf-BIP das Interesse der Menschen an einer nachhaltigen Ernährung in verschiedenen Ländern mitbestimmen.“

In diesem Zusammenhang erstellte das Team um Eker einen Datensatz von täglich und monatlich aktiven Nutzern, die ein Interesse an nachhaltigen Lebensstilen, insbesondere des Vegetarismus, bekundeten. Der Begriff Vegetarismus wurde auf Grund seiner Breite - verglichen mit anderen Begriffen wie „pflanzliche Ernährung“ oder „nachhaltige Ernährung“- gewählt und auch weil er als vordefinierte Interessenauswahl auf der Facebook-Werbeplattform vorhanden war.

„Unsere Wahl von Vegetarismus und nachhaltigem Lebensstil als Selektionsmöglichkeiten, die für einen CO2-armen Lebensstil von Relevanz sind, basiert auf einer Keyword-Suche in der Facebook Marketing API (API = application programming interface, Programmierschnittstelle; Anm.Redn.); dabei gingen diese Keywords unter den vorhandenen Selektionsmöglichkeiten als diejenigen mit der weltweit höchsten Größe an Zielgruppen hervor. Das Interesse einer Person am Vegetarismus kann von einer Reihe von Dingen herrühren, die vom Tierschutz über Gesundheit bis hin zu Religion reichen. Im Rahmen dieser Studie sahen wir den Vegetarismus insbesondere als Indikator für die Verbreitung von fleischloser Ernährung; dies hat für die Abschätzung des Nahrungsbedarfs mehr Relevanz, als für das Interesse der Menschen an einer an einer vegetarischen Lebensweise allein aus Gründen des Umweltschutzes“, bemerkt Eker.

Abbildung 1. Anteil der Facebook Zielgruppen in 115 Ländern, die sich für "nachhaltiges Leben" (oben) und für "Vegetarismus" (unten) interessieren. Die Farben geben den Prozentsatz (siehe Block rechts) der Interessierten in den jeweiligen Zielgruppen an. Länder, aus denen Daten fehlen, sind grau gefärbt. (Abbildung und Legende wurden von der Redaktion aus Ekers et al., 2021, [1] eingefügt; Die Abbildung steht unter einer cc-by- Lizenz)

Die öffentlich zugänglichen und anonymen Daten vom Facebook Marketing Application Programming Interface (API) wurden zwischen September 2019 und Juni 2020 zu mehreren Zeitpunkten für Keywords, Alter, Geschlecht, Bildungsniveau und Land jedes Benutzers abgerufen. Der verwendete Datensatz umfasst insgesamt 131 Länder und rund 1,9 Milliarden Menschen, von denen 210 Millionen ein Interesse an Vegetarismus und 33 Millionen ein Interesse an einer nachhaltigen Lebensweise bekundeten. Abbildung 1 gibt einen Überblick über den Anteil des an "nachhaltigem Leben" und an "Vegetarismus" Interessierten Facebook Publikums in den einzelnen Ländern. Eine interaktive Version dieser Karte ermöglicht den Vergleich der Facebook Daten mit der Häufigkeit der Suchanfragen zu den Keywords in Google Trends (https://trends.google.com/trends/?geo=AT) und vorhandenen Umfrageergebnissen zur tatsächlich vegetarisch lebenden Population. Abbildung 2 zeigt dazu einige Beispiele.

Abbildung 2.Vergleich der für "nachhaltiges Leben" (oben) und für "Vegetarismus" (unten) interessierten Facebook-Nutzer mit der Häufigkeit der Aufrufe dieser Keywords in Google Trends und der aus Umfrageergebnissen festgestellten vegetarischen Population in USA, China, Indien und Deutschland. (Interaktive Karte aus Ekers et al., 2021, [1] https://sibeleker.github.io/map.html und Legende von der Redaktion eingefügt. Lizenz cc-by)

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass der Anteil des an Vegetarismus interessierten Facebook-Publikums positiv mit der Rate des Rückgangs des Fleischkonsums auf Länderebene (in den Ländern mit hohem Vegetarismus-Interesse) korreliert – mit anderen Worten, je mehr Menschen an vegetarischer Ernährung interessiert sind, desto mehr nimmt der Trend zum Fleischkonsums in dem Land ab. Insgesamt war der Fleischkonsum in Ländern mit hohen Einkommen größer als in Ländern mit niedrigen Einkommen; allerdings scheint in diesen Ländern das Interesse an einer nachhaltigen Ernährung - soweit dies online geäußert wird - auch stärker zu sein. Nach Meinung der Forscher gibt dies Hoffnung auf Trends zu einem nachhaltigeren und faireren Fleischkonsum.

Bildung hat sich zuvor als Katalysator zur Erreichung der SDGs (Ziele der nachhaltigen Entwicklung) erwiesen und könnte auch hier ein Katalysator sein (sofern sie nicht durch ein hohes Einkommensniveau überlagert wird), da sie sich als der wichtigste Faktor herausgestellt hat, der das Interesse am Vegetarismus beeinflusst. Dieser Effekt war in Ländern mit niedrigem Einkommen stärker ausgeprägt. Auch das Geschlecht hat sich als sehr starkes Unterscheidungsmerkmal herausgestellt, wobei Frauen zu einem höheres Interesse am Vegetarismus tendieren als Männer. Das Pro-Kopf-BIP und das Alter folgten diesen beiden Indikatoren in Bezug auf ihre Wirkung auf das Interesse der Menschen an einem vegetarischen Lebensstil.

„Unsere Studie zeigt, dass Daten von Online-Social-Media tatsächlich nützlich sein können, um Trends beim Lebensmittelkonsum zu analysieren und abzuschätzen. Während aufgrund lokaler Studien die Bedeutung von Bildung, Einkommen und Geschlecht dafür bisher bekannt war, haben wir nun erstmals auf globaler Ebene eine Einstufung gemacht“, sagt Eker. „Maßnahmen, die darauf abzielen, eine nachhaltige Ernährung zu fördern, insbesondere auf Kommunikationsebene, sollten die soziale Heterogenität und bestehende Trends (diese könnten durchaus " niedrig hängende Früchte" sein) berücksichtigen. Auch die länderübergreifende Heterogenität spielt eine wichtige Rolle, und Studien wie unsere helfen, internationale Unterschiede zu verstehen und lokale maßgeschneiderte Maßnahmen zu entwerfen.“


[1] Eker, S., Garcia, D., Valin, H., van Ruijven, B. (2021). Using social media audience data to analyze the drivers of low-carbon diets. Environmental Research Letters 10.1088/1748-9326/abf770


*Die am 22.Juni 2021 erschienene Pressemiiteilung "What Facebook can tell us about dietary choices"  https://iiasa.ac.at/web/home/about/210622-facebook-and-sustainable-diets.html wurde von der Redaktion übersetzt und mit zwei Abbildungen aus der zugrundeliegenden Veröffentlichung [1] ergänzt. IIASA ist freundlicherweise mit Übersetzung und Veröffentlichung seiner Nachrichten in unserem Blog einverstanden.


Kommentar der Redaktion

Die Anzahl der vegetarisch und vegan lebenden Menschen ist langsam im Steigen begriffen und wird - auf Umfragen basierend - auf etwa 8 - 10 %  der Weltbevölkerung geschätzt (mehr als die Hälfte dieser Menschen lebt in Indien). https://en.wikipedia.org/wiki/Vegetarianism_by_country#Demographics.

Wenn in der Facebook-Studie aus 131 Ländern mit rund 1,9 Milliarden Menschen rund 210 Millionen ein Interesse an Vegetarismus bekundet haben, so entspricht das grob den obigen Schätzungen der tatsächlich so Lebenden. Bemerkenswert ist das geringe Interesse in den bevölkerungsreichsten Ländern - der Chinesen, aber vor allem der indischen Facebook-Nutzer, von denen nur 5 % interessiert sind, obwohl der Subkontinent den höchsten Anteil (29 %) an Vegetariern aufweist.

Es ist anzuzweifeln, ob intensivere/maßgeschneiderte Maßnahmen in den meisten Ländern kurzfristig eine wesentliche Änderung in den Ernährungsgewohnheiten bewirken können. Dass damit - zumindest im nächsten Jahrzehnt - nur marginal auf die Klimapolitik eingewirkt werden kann, erscheint offenkundig.