Do, 15.07.2021 — Martin Kaltenpoth
Das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat hemmt die Biosynthese der Aminosäuren Tyrosin, Phenylalanin und Tryptophan (den sogenannten Shikimatweg), die in Pflanzen und vielen Mikroorganismen, nicht aber in Tieren vorkommt. Insekten, die mit Bakterien in Symbiose leben, können von diese mit solchen Nährstoffen versorgt werden. In einer aktuellen Studie zeigt nun ein Team um Prof. Martin Kaltenpoth (Max-Plack-Institut für chem. Ökologie, Jena, Universität Mainz und AIST, Japan) am Beispiel des Getreideplattkäfers, dass Glyphosat indirekt über die Hemmung des bakteriellen Partners auch die Entwicklung des Insekts schädigt, dem nun die Bausteine zur Bildung des Außenskeletts (Kutikula) fehlen [1]. Auf diese Weise dürfte Glyphosat zum dramatischen Rückgang auch vieler anderer Insekten beitragen, die au f die Symbiose mit Bakterien angewiesen sind.*
Zu Glyphosat: Fünf Fragen an Martin Kaltenpoth
Host Rösch: Herr Kaltenpoth, Sie haben in Ihrer Studie gezeigt, dass Glyphosat Getreideplattkäfern schadet. Einer anderen Studie zufolge wirkt sich die Substanz negativ auf Honigbienen aus. Welche Insekten konnten noch betroffen sein?
Martin Kaltenpoth: Im Detail wissen wir das noch nicht. Aber Glyphosat könnte vielen Insekten schaden, die auf Symbiosebakterien angewiesen sind. Dazu zählen Arten, die sich von Pflanzensäften ernähren, also zum Beispiel Blattläuse, Zikaden oder Wanzen. Aber auch viele Käfer-, Bienen- und Ameisenarten beherbergen Symbionten und könnten von Glyphosat betroffen sein.
H.R.: Glyphosat galt als ein reines Pflanzenvernichtungsmittel. Warum wirkt es auch auf Insekten?
M.K.: Es hemmt den sogenannten Shikimat-Stoffwechsel, mit dem Pflanzen unter anderem aromatische Aminosäuren herstellen. Abbildung 1.
Abbildung 1: Biosynthese der aromatischen Aminosäuren Tryptophan, Tyrosin und Phenylalanin ausgehend von Phosphoenolpyruvat (Metabolit der Glykolyse) und Erythrose-4-Phosphat (Metabolit des Pentosephosphatwegs) über den vielstufigen Shikimatweg. Links: Glyphosat blockiert den ersten Schritt dieses Wegs auf Grund seiner chemischen Ähnlichkeit mit Phosphoenolpyruvat. Rechts: der Wirtsorganismus liefert dem Symbionten Glukose-6-phosphat und versorgt diesen mit den aromatischen Aminosäuren (Bild von der Redn. eingefügt). |
Aber nicht nur Pflanzen, sondern auch manche Bakterien und Pilze nutzen diesen Stoffwechselweg. Insekten, die ihren Bedarf an aromatischen Aminosäuren wie dem Tyrosin nicht mit ihrer Nahrung decken können, beherbergen Bakterien in speziellen Organen für die Aminosäure-Produktion. Sie leben mit diesen in Symbiose. Glyphosat wirkt auf diese Mikroben wie ein Antibiotikum: Nachdem die Insekten das Gift über die Nahrung aufgenommen haben, verteilt es sich im Körper und tötet die innerhalb der Zellen der Symbioseorgane lebenden Bakterien. Abbildung 2. Ohne ihre Partner fehlt den Insekten das Tyrosin für die Bildung des Außenskeletts. Die Folge ist, dass sie schneller austrocknen und leichter von Feinden gefressen werden können. Bei den Bienen schädigt das Mittel nicht Bakterien in Symbioseorganen, sondern in der Darmflora. Die Bienen werden dadurch anfälliger für Krankheitserreger.
Abbildung 2: Der Getreideplattkäfer (Oryzaephilus surinamensis), der in enger Symbiose mit Bakterien vom Stamm Bacteroidetes lebt. Unten: Längsschnitt durch die 5 Tage alte Puppe des Käfers zeigt Organe, welche die Symbionten enthalten (mit Fluoreszenzfarbstoff markiert, purpurfarben). Weiße Punkte: Dapi-markierte Zellkerne. (Bild von Redn, eingefügt; oben aus Wikipedia Clemson University - USDA Cooperative Extension Slide Series, Bugwood.org - http://www.insectimages.org/browse/detail.cfm?imgnum=1435099. Unten: aus [1], Kiefer et al., https://doi.org/10.1038/s42003-021-02057-6. Beide Bilder stehen unter cc-Lizenz). |
H.R.: Glyphosat ist seit Jahrzehnten auf dem Markt. Worauf musste man in Zukunft bei der Zulassung von Pestiziden achten, um die Auswirkungen auf andere Organismen frühzeitig zu erkennen?
M.K.: Man sollte die Wirkung von Pestiziden in Zukunft an einer größeren Anzahl unterschiedlicher Arten testen. Insekten sind eben nicht alle gleich, und was die eine Art toleriert, kann der anderen massiv schaden. Außerdem wissen wir heute, dass die Fokussierung auf die mittlere letale Dosis – also die Konzentration, bei der die Hälfte der Testorganismen stirbt – nicht ausreicht. Die Hersteller von Pestiziden müssen Effekte stärker berücksichtigen, die nicht direkt zum Tod führen. Zum Glück findet diese Erkenntnis bei der Risikobewertung zunehmend Beachtung.
H.R.: Auch für uns Menschen sind die Mikroorganismen lebenswichtig. Welche Folgen könnten Rückstande des Pestizids für unsere Darmflora haben?
M.K.: Auch manche Bakterien im menschlichen Darm nutzen den Shikimat-Stoffwechsel. Sie könnten also durchaus von Glyphosat beeinträchtigt werden. Studien haben nachgewiesen, dass das Mittel die Darmflora von Mäusen und Ratten in für Menschen als akzeptabel angenommenen Konzentrationen beeinflussen kann. Ob eine Glyphosat-bedingte Veränderung der Darm-Mikrobiota möglicherweise auch für Menschen Folgen hat und, wenn ja, welche, ist noch unklar.
H.R.: Bislang ging man davon aus, dass sich Glyphosat allenfalls indirekt auf Insekten auswirkt, indem es zum Beispiel ihre Nahrungspflanzen vernichtet. Angesichts der neuen Erkenntnisse: Könnte das Mittel ein Grund für das grassierende Insektensterben sein?
M.K.; Das Insektensterben hat sicherlich verschiedene Ursachen. Klar ist aber, dass viele Insekten Symbiosebakterien zum Überleben brauchen. Ich befürchte daher, dass Glyphosat zum Rückgang der Insekten beitragen könnte. Deshalb halte ich den weiteren Einsatz auch für bedenklich. Wenn wir aber auf Pestizide verzichten wollen, dann müssen wir über Alternativen diskutieren, zum Beispiel über den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen. Leider findet diese Diskussion derzeit kaum statt.
Das Gespräch hat Dr. Harald Rösch (Redaktion MaxPlanckForschung) geführt.
[1] Julian Simon Thilo Kiefer et al., Inhibition of a nutritional endosymbiont by glyphosate abolishes mutualistic benefit on cuticle synthesis in Oryzaephilus surinamensis. Communications Biology, https://doi.org/10.1038/s42003-021-02057-6
*Das Interview mit Martin Kaltenpoth ist im Wissenschaftsmagzin-MaxPlanckForschung 02/2021 https://www.mpg.de/17175805/MPF_2021_2 unter: „Fünf Fragen zu Glyphosat an Martin Kaltenpoth“ erschienen und kann mit freundlicher Zustimmung der MPG-Pressestelle von ScienceBlog.at weiterverbreitet werden. Der Text wurde unverändert übernommen, zwei Abbildungen (plus Legenden) wurden von der Redaktion eingefügt.
Weiterführende Links
Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie (ice.mpg; Jena): https://www.ice.mpg.de/ext/index.php?id=home0&L=1
Ergänzung des Interviews (ice.mpg): "Die Achillesferse eines Käfers: Glyphosat hemmt symbiotische Bakterien von Getreideplattkäfern" (11.Mai 2021) https://www.ice.mpg.de/ext/index.php?id=1686&L=1
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