Fr, 22.12.2023 — Redaktion
Extreme Hitze und Dürre, wie sie für das Klima am Ende des 21. Jahrhunderts typisch sein werden, könnten in Europa schon früher als angenommen auftreten und dies wiederholt in mehreren aufeinander folgenden Jahren. Das ist die kürzlich publizierte Schlussfolgerung eines Forscherteams vom Max-Planck-Institut für Meteorologie (Hamburg), das eines der weltweit besten hochkomplexen Erdsystemmodelle "MPI Grand Ensemble" für seine Berechnungen einsetzte. Demnach liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Hitze und Dürre ein Niveau erreichen, wie man es für das Ende des Jahrhunderts angenommen hatte - selbst bei einer moderaten Erwärmung -, bereits in den 2030er Jahren bei 10 %. Um 2040 könnten ganze Dekaden mit Hitzestress ihren Anfang nehmen, wobei ein warmer Nordatlantik den Wandel beschleunigen wird.*
Wenn die Erderwärmung weiter zunimmt, wird abnorme Hitze häufiger auftreten und extremer werden. Dass Hitze, die unsere bisherige Anpassungsfähigkeit deutlich übersteigt, zu erhöhter Morbidität und Sterblichkeit führt, ist erwiesen - bei den Hitzewellen 2015 in Indien und Pakistan und 2003 in Europa sind Tausende Menschen gestorben. Die Lage wird verschärft, wenn zu extremer Hitze noch hohe Luftfeuchtigkeit, mangelnde nächtliche Abkühlung oder anhaltende Trockenheit hinzukommen. Höchsttemperaturen und zunehmende Schwankungen zwischen extremer Trockenheit und immensen Niederschlägen werden zudem massive Auswirkungen auf Sozioökonomie und Ökologie haben und ganze Landstriche unbewohnbar machen. Die Bedrohung für Mensch und Umwelt wird noch ärger, wenn solche extremen Ereignisse in aufeinanderfolgenden Jahren wiederholt auftreten. Wie sich bei zunehmender Erwärmung die Wahrscheinlichkeit einer solchen mehrjährigen Abfolge von extremer Hitze und Trockenheit verändert, ist allerdings unklar, auch wie bald solche Ereignisse bereits auftreten können und wie diese Wahrscheinlichkeiten außerdem von der internen Variabilität des Klimasystems - spontan erzeugt durch Prozesse und Rückkopplungen im Klimasystem selbst — beeinflusst werden.
Das MPI-GE-Ensemble
Diese interne Variabilität des Klimasystems stellt heute eine der größten Unsicherheiten bei der Beurteilung aktueller Klimaschwankungen und bei den modellbasierten Projektionen der zukünftigen Klimaentwicklung dar. Das Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) in Hamburg entwickelt und analysiert hochkomplexe Erdsystemmodelle, welche die Prozesse in der Atmosphäre, auf dem Land und im Ozean simulieren. Das MPI Grand Ensemble (MPI-GE) ist eines der größten derzeit verfügbaren Ensembles für die Anfangsbedingungen eines umfassenden, vollständig gekoppelten Erdsystemmodells, mit dem u.a. die Unsicherheiten der internen Variabilität des Klimasystems untersucht werden können [1].
An Hand von hundert Simulationen mit diesem Erdsystem-Modell hat nun ein Forscherteam vom MPI für Meteorologie die Wahrscheinlichkeit für das (wiederholte) Auftreten von extremen Hitze- und Dürrestress berechnet. Die Ergebnisse wurden eben im Fachjournal Nature Communications Earth & Environment publiziert [2].
Die wichtigsten Aussagen
Selbst bei einer moderaten Erwärmung wird ein noch nie dagewesenes Ausmaß an Hitze- und Dürrestress, wie dies für das Klima am Ende des Jahrhunderts typisch sein wird, in naher Zukunft europaweit möglich sein.
Den Projektionen zufolge werden alle untersuchten Formen von Hitzestress bereits im Jahrzehnt 2030-2039 mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10 ein Niveau erreichen oder übertreffen, das vor 20 Jahren praktisch unmöglich war. Darüber hinaus wird der für das Ende des Jahrhunderts typische, wiederholt in aufeinanderfolgenden Jahren auftretende extreme Hitze- und Dürrestress bereits ab 2050 mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 1:10 möglich sein (dergleichen war seit Beginn der Aufzeichnungen noch nie beobachtet worden). Bis dahin werden in 20 % der Fälle zwei aufeinanderfolgende Jahre mit für das Ende des Jahrhunderts typischen Niederschlagsdefiziten prognostiziert, und es besteht ein nicht zu vernachlässigendes Risiko für 5 Jahre anhaltende extreme Dürre. Abbildung.
Wahrscheinlichkeit, dass es in Europa zu extremen, für das Ende des Jahrhunderts typischen Hitze- Dürreperioden kommt. a) Wahrscheinlichkeit für das Auftreten extremer Hitze (rot),verbunden mit hoher Luftfeuchtigkeit, mangelnder nächtlicher Abkühlung oder anhaltender Trockenheit in einem Jahr und in den folgenden 2 oder 5 Jahren, für die Zeiträume 2000-2024 (helle Farben), 2025-2049 (mittel-helle Farben) und 2050-2074 (dunkle Farben). Wahrscheinlichkeit von extremem Hitzestress in Europa in 2 aufeinanderfolgenden Jahren (b) und von extremer Hitze und Trockenheit in 5 aufeinanderfolgenden Jahren (c) im Zeitraum 2025-2049. (Quelle: L. Suarez-Gutierrez et al., https://doi.org/10.1038/s43247-023-01075-y [2]; Lizenz cc-by.) |
Bei gleichbleibender globaler Erwärmung wird nicht nur die Häufigkeit von Hitze- und Dürreextremen zunehmen, auch deren Bandbreite wird von Jahrzehnt zu Jahrzehnt größer werden.
Diese Spanne wird so groß werden, dass Hitze- und Dürreperioden, wie sie für das Klima am Ende des Jahrhunderts typisch sein werden, in Europa bereits im Jahr 2040 Realität werden könnten. Im günstigsten Fall werden dann die Höchtstemperaturen bei Tag und Nacht im Bereich der Werte des wärmsten bislang in Europa aufgezeichneten Jahrzehnts von 2010 - 2019 liegen; im schlimmsten Fall wird die Häufigkeit und Heftigkeit der extremen Hitze- und Dürreperioden die für das Ende des Jahrhunderts typischen Ereignisse bei weitem übersteigen.
Der Einfluss des Nordatlantiks
Jedes dieser verheerenden Ereignisse könnte durch die interne Variabilität des Klimasystems früher als erwartet nach Europa gebracht werden können. Die über Dekaden zunehmende Variabilität des europäischen Hitze- und Dürrestresses wird stark von der multidekadischen Variabilität des Nordatlantiks beeinflusst. Diese zyklisch auftretende Zirkulationsschwankung der Ozeanströmungen im Nordatlantik (atlantic multidecadal variability - AMV) hat eine Periodendauer von 50 bis 70 Jahren und besitzt „warme“ und „kalte“ Phasen mit veränderten Meeresoberflächentemperaturen des gesamten nordatlantischen Beckens, die sich auf die Temperatur der Atmosphäre auswirken. Die Simulationen am MPI-GE zeigen, dass bei gleichzeitig wärmerem Nordatlantik bereits im Jahr 2030 ein Überschreiten der für das Ende des Jahrhunderts typischen Werte für einfache und komplexe Hitze- und Dürreperioden doppelt so wahrscheinlich ist, als bei einem kalten Nordatlantik.
*Diese Forschung wurde im Rahmen des vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts ClimXtreme durchgeführt und durch das Rahmenprogramm Horizon Europe der Europäischen Union unter den Marie Skłodowska-Curie Maßnahmen kofinanziert.
„ClimXtreme – Klimawandel und Extremereignisse“ hat unter Beteiligung von 39 Forscherteams in einer ersten Phase von 2019 - 2023 erforscht, wie sich der Klimawandel auf die Häufigkeit und Intensität von Extremwetterereignissen auswirkt. Nun startet die zweite Phase, die auch Zukunftsprognosen für Anwender, wie etwa für den Katastrophenschutz, Versicherungen, Landwirtschaftsverbände, Hochwasservorsorge, etc. entwickeln wird., um das Angebot ihrer Leistungen auf kommende Schäden durch Extremwetter besser abschätzen zu können. https://www.fona.de/de/aktuelles/nachrichten/2023/231207_ClimXtreme_Phase_2_b.php
[1] Das Max-Planck-Institut Grand Ensemble – ein Instrument zur Untersuchung der internen Variabilität des Klimasystems: https://mpimet.mpg.de/kommunikation/detailansicht-news/das-max-planck-institut-grand-ensemble-ein-instrument-zur-untersuchung-der-internen-variabilitaet-des-klimasystems. (abgerufen am 20.12.2023)
[2] Suarez-Gutierrez, L., Müller, W.A. & Marotzke, J. Extreme heat and drought typical of an end-of-century climate could occur over Europe soon and repeatedly. Commun Earth Environ 4, 415 (2023). https://doi.org/10.1038/s43247-023-01075-y
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