Do, 19.04.2020 — Redaktion
Eine Lockerung des Lockdowns bringt zwar vorübergehende Erleichterung, kann jedoch zu einer rückkehrenden Welle der COVID-19-Epidemie führen. Eine zweite Infektionswelle wird dann ein erneutes vollständiges Lockdown zur Folge haben mit schwerwiegenden wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen Konsequenzen. Basierend auf dem bereits verstandenen Ablauf der Infektion schlägt ein transdisziplinäres Team von Wissenschaftern intermittierendes Arbeiten als Übergangsstrategie vor: diese ermöglicht eine sofortige Rückkehr zu Wirtschaftstätigkeit und Ausbildung und verhindert gleichzeitig eine zweite Welle der Epidemie.
Weltweit habe viele Länder Lockdowns eingeführt, die zwar helfen die Ausbreitung von COVID-19 zu unterdrücken, jedoch verheerende, nicht nur die Wirtschaft betreffende Folgen haben. Ein transdisziplinäres Team israelischer Wissenschafter schlägt nun Ausstiegsstrategien aus der Sperrung vor, die eine nachhaltige, wenn auch reduzierte Wirtschaftstätigkeit ermöglichen.[1]
Die Wissenschafter - es sind dies die Systembiologen Prof. Uri Alon und Prof.Ron Milo mit ihren Mitarbeitern (Computational Biology, Weizmann Institut), der Technologieleiter von Applied Materials (Rehovot) Boaz Dudovich, Prof. Nadav Davidovich (Health Systems Management, Ben-Gurion University), Prof. Amos Zahavi (Political Science, Tel Aviv University), Prof. Eran Yashiv (The Eitan Berglas School of Economics, Tel Aviv University) und Dr. Hagit Olanowski (Health and Environmental Risk Management, SP Interface) - wenden mathematische Modelle an, um zu zeigen, dass intermittierendes Arbeiten - ein zyklischer Zeitplan von 4-tägigem Arbeiten und 10-tägiger Sperre oder ähnlichen Varianten - unter bestimmten Bedingungen sowohl die Epidemie unterdrücken als auch gleichzeitig eine Teilzeitbeschäftigung ermöglichen kann.
Dieser Zyklus orientiert sich an dem für das Virus charakteristischen zeitlichen Ablauf der Infektion und ist damit gegen das Virus selbst ausgerichtet. Durch eine Kombination aus reduzierter Expositionszeit und einem Anti-Phasen-Effekt wird die Reproduktionszahl R (diese gibt an, wie viele Infektionen auf direktem Weg übertragen werden) verringert: Diejenigen, die an Arbeitstagen infiziert werden, erreichen an Sperrtagen - also zuhause - eine maximale Infektiosität und können je nach Verlauf in Quarantäne bleiben oder wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren.
Die Zahl der Arbeitstage lässt sich dabei an die Beobachtungen anpassen. Währenddessen müssen epidemiologische Maßnahmen in vollem Umfang fortgesetzt werden; diese schließen Hygiene, physische Distanzierung, räumliche Trennung, sowie umfassende Testung und Kontaktverfolgung ein.
Das Wissenschafter-Team hat nun eine kurze Zusammenfassung der Vier-Tage-Arbeit/Zehn-Tage-Sperrstrategie verfasst und dem ScienceBlog zur Verbreitung zur Verfügung gestellt [2]. Wir haben diesen Text möglichst wortgetreu übersetzt und durch einige Abbildungen aus [1 - 3] ergänzt:
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Intermittierendes Arbeiten: Eine sofortige und praktikable Strategie für die Rückkehr zur Wirtschaftstätigkeit, die eine zweite Welle von COVID-19 verhindert [2]
Autoren: Uri Alon, Ron Milo, Nadav Davidovich, Amos Zahavi und Hagit Ulanovsky
Das Problem: Eine Lockerung des Lockdowns bringt zwar vorübergehende Erleichterung, kann jedoch zu einer rückkehrenden Welle der COVID-19-Epidemie führen. Eine zweite Infektionswelle wird ein erneutes vollständiges Lockdown zur Folge haben mit schwerwiegenden wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen Konsequenzen. Abbildung 1.
Die Lösung: Intermittierendes Arbeiten.Diese Strategie sollte zu bestehenden epidemiologischen Maßnahmen hinzugefügt werden, einschließlich physischer Distanzierung, Hygiene, weit verbreiteter Verwendung von Testungen und Kontaktverfolgung, Beachtung von Hochrisikoregionen und Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen.
Abbildung 1. Eine Lockerung des Lockdowns kann zu einer erneuten Infektionswelle führen. A: schematisch dargestellt (Bild aus [1]), B: Die zweite Infektionswelle in der Influenza-Pandemie 1918/19 hat zu einem massiven Anstieg der Todesfälle geführt (Bild : US National Museum of Health and Medicine; Wikimedia) |
Intermittierendes Arbeiten in Wirtschaft und Schulsystem
Im Zentrum der Strategie steht die Rückkehr des Schulsystems zum Unterricht in zwei Gruppen, die ein intermittierendes Arbeiten in der Wirtschaft ermöglichen. Zu diesem Zweck wird die Bevölkerung in zwei Gruppen von Haushalten aufgeteilt:
Jede Gruppe arbeitet an vier Tagen von Montag bis Donnerstag und beginnt dann mit einer 10 tägigen Sperrzeit. Dieser Zyklus wiederholt sich. Während des Lockdowns einer Gruppe arbeitet die andere Gruppe. Der spezifische Zeitplan von vier Arbeitstagen und dann zehn Sperrtagen wird ausgewählt, da er die Epidemie unterdrückt und die Anzahl der Fälle verringert, wie nachstehend erläutert wird. Abbildung 2.
Abbildung 2. Die Exitstrategie 4 Tage Arbeiten/10 Tage Sperrzeit (A) orientiert sich an der Zeitskala des Infektionsverlaufs (B) (Bild A aus [2], Bild B stammt aus "SARS-CoV-2 – Zahlen, Daten, Fakten zusammengefasst" [3]) |
Dem Schulsystem wird aufgrund seiner Bedeutung für Bildung und Arbeit zentrale Bedeutung zugemessen: Solange Kinder zu Hause sind, können viele Eltern nicht zur Arbeit gehen. Das Schulsystem beginnt mit einer Routine, in der die Hälfte der Schüler von Montag bis Donnerstag und die andere Hälfte am folgenden Montag bis Donnerstag lernt. Dies ermöglicht auch kleinere Klassen, welche eine physische Distanzierung erleichtern.
Während des gesamten Zeitraums arbeiten unabkömmliche Mitarbeiter wie gewohnt weiter. Ausgewählte Berufszweige mit niedrigem Infektionsrisiko können auch kontinuierlich arbeiten. Alle ersetzbaren Arbeitnehmer schließen sich ihrer Haushaltsgruppe an und arbeiten nur während der 4 Tage ihrer Gruppe.
Eindämmung der Epidemie
Es wird erwartet, dass mit dieser Strategie die Replikationszahl unter eins reduziert wird. Dies führt zu einem exponentiellen Rückgang der Anzahl neuer Fälle und verhindert ein Wiederauftreten der Epidemie.
Die Strategie greift das Virus auf drei Arten an:
(i) Sie reduziert die Zeit zur Infektion außerhalb des Hauses um etwa 70% im Vergleich zu einer vollständigen Aufhebung des Lockdowns.
(ii) Sie verringert das Infektionsrisiko, da aufgrund der Verwendung von zwei Gruppen die Anzahl der Personen an Arbeitstagen um die Hälfte verringert wird.
(iii) Sie wendet die Zeitskalen des Infektionsablaufs gegen das Virus selbst an. Eine mit Korona infizierte Person ist an den ersten drei Tagen - der Latenzzeit - nicht infektiös. Somit erreichen diejenigen, die während der 4 Arbeitstage infiziert wurden, während ihrer nachfolgenden Sperrtage eine maximale Infektiosität, wodurch neue Infektionen bei der Arbeit verhindert werden. Abbildung 2b. Somit werden nur die im gleichen Haushalt lebenden Personen dem Risiko ausgesetzt; treten Symptome bei einem Haushaltsmitglied auf, kann der gesamte Haushalt unter Quarantäne gestellt werden. Abbildung 3.
Abbildung 3.Gestaffelte zyklische Strategie von 4 Tage Arbeit: 10 Tage Sperre; die Bevölkerung ist in zwei Haushaltsgruppen geteil, die abwechselnd arbeiten. (Modell: deterministisches SEIR Erlang Modell mit einer mittleren Latenzzeit von 3 Tagen und einer darauf folgenden Dauer der Infektiosität von 4 Tagen; Bild aus [1]) |
Anmerkung: die Analyse basiert auf mathematischen Modellen und der wissenschaftlichen Literatur und sollte gemeinsam mit der lokalen epidemiologischen Analyse betrachtet werden.
Wann kann intermittierendes Arbeiten beginnen?
Mit intermittierendem Arbeiten kann begonnen werden, sobald durch den Lockdown die Zahl neuer Fälle konstant zurückgeht. Das Konzept ist allerdings bis jetzt (20. April 2020) noch nicht umgesetzt; es erscheint ratsam, das Programm erst in bestimmten Regionen durchzuführen, bevor man es im ganzen Land startet. Nach einem Monat intermittierender Arbeit kann man dann die Ergebnisse überprüfen und entscheiden, ob man die Zahl der Arbeitstage verändert und an sich verändernde Bedingungen anpasst. Das Programm kann mit der vollständigen Rückkehr zur Arbeit enden, sobald wirksame Maßnahmen (wie in Südkorea) entwickelt sind, einschließlich Schnelltests und Kontaktisolierung.
Wir betonen, dass wir diese Strategie nicht für sich allein umgesetzt wissen wollen, sondern in Kombination mit anderen Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie, um vielen Wirtschaftszweigen den Beginn einer vorhersehbaren Perspektive zu bieten.
Positive Auswirkungen auf die Wirtschaft
Der Plan bietet 40% Teilzeitbeschäftigung (4 von 10 Arbeitstagen im zwei Wochen Rhythmus) für Millionen von Arbeitslosen. Dies erhöht das Einkommen der Arbeitnehmer und verringert das Risiko einer Minderung von Qualifikationen aufgrund längerer Arbeitslosenzeiten, wie sie für schwere Wirtschaftskrisen charakteristisch sind. Der Plan bietet vorhersehbare und nahezu kontinuierliche, wenn auch reduzierte wirtschaftliche Aktivitäten. Vorhersehbarkeit reduziert Stress und stärkt das Vertrauen in die Wirtschaft, das für die Erholung unerlässlich ist. Zur Steigerung der Prodktivität können Arbeitstage auch längere Arbeitszeiten und Schichtarbeit enthalten. Während der Arbeitstage kann die Bevölkerung medizinische Untersuchungen und Behandlungen durchführen lassen, die derzeit unterbunden werden, um den kumulativen „nicht COVID-bedingten“ Gesundheitsschaden des Lockdowns zu verringern.
Fazit
Intermittierende Arbeit ist eine sofortige und praktikable Strategie für die Rückkehr zur Wirtschaftstätigkeit, die eine zweite Infektionswelle von COVID-19 verhindert.
[1]Omer Karin et al., (07.04.2020): Adaptive cyclic exit strategies from lockdown to suppress COVID-19 and allow economic activity. https://medium.com/@urialonw/adaptive-cyclic-exit-strategies-from-lockdown-to-suppress-covid-19-and-allow-economic-activity-4900a86b37c7
[2] Uri Alon et al.,(19.04.2020): Intermittent work: An immediate and feasible strategy for a return to economic activity that prevents a second wave of COVID-19. https://docs.google.com/document/d/1uWimqAgOf0624IWkwCzi4e1VFU7OOpKXeZ4UncfaEOU/edit
[3] Redaktion, (08.04.2020): SARS-CoV-2 – Zahlen, Daten, Fakten zusammengefasst. http://scienceblog.at/sars-cov2-zahlen-daten-fakten
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Uri Alon: homepage https://www.weizmann.ac.il/mcb/UriAlon/homepage
Ron Milo: homepage https://www.weizmann.ac.il/plants/Milo/home
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