Fr, 15.01.2016 - 08:55 — Ewald Grosse-Wilde & Bill S.Hansson
Der Geruchssinn ist für die meisten Insekten von zentraler Bedeutung. Wie dieser das Verhalten von Insekten steuert und auf welchen neurobiologischen Grundlagen dies beruht, wird am Max-Planck Institut für Chemische Ökologie (Jena) sowohl aus einer funktionellen als auch aus einer evolutionstheoretischen Perspektive untersucht. Bisher hatte man angenommen, dass die wichtigste, dem Geruchsinn zugrunde liegende Rezeptorfamilie, die sogenannten olfaktorischen Rezeptoren, in der Evolution im Zuge des Landganges entstanden ist. Neueste Untersuchungen der Autoren an flügellosen Insekten zeigen nun aber, dass dies nicht der Fall ist. Wahrscheinlich war der entscheidende Faktor nicht der Landgang, sondern der Flug: Fliegende Insekten müssen Duftfahnen in weit höherer Geschwindigkeit auflösen können, wofür die älteren Rezeptorfamilien wahrscheinlich nicht ausreichten *
Der Geruchssinn ist für die meisten Insekten von zentraler Bedeutung. Bisher hat man angenommen, dass die wichtigste, ihm zugrunde liegende Rezeptorfamilie, die sogenannten olfaktorischen Rezeptoren, in der Evolution im Zuge des Landganges entstanden ist. Neueste Untersuchungen an flügellosen Insekten haben nun aber gezeigt, dass dies nicht der Fall ist. Wahrscheinlich war der entscheidende Faktor nicht der Landgang, sondern der Flug: Fliegende Insekten müssen Duftfahnen in weit höherer Geschwindigkeit auflösen können, wofür die älteren Rezeptorfamilien wahrscheinlich nicht ausreichten.
Der Geruchssinn – ein Wunder der Evolution
Der Geruchssinn ermöglicht es Tieren, die chemischen Eigenschaften ihrer Umgebung aus der Distanz wahrzunehmen. Dadurch ist es unter anderem möglich, Beutetiere oder Blütenpflanzen aufzuspüren, faulende Futterquellen zu vermeiden oder auch – über sogenannte Pheromone – mit Artgenossen zu kommunizieren, zum Beispiel bei der Partnerwahl.
Aufgrund der Vielseitigkeit des Geruchssinnes ist dieser häufig an einer Vielzahl wichtiger Verhaltensweisen beteiligt. Dabei ist interessant, dass die Bedeutung bestimmter Duftquellen je nach Tierart stark wechselt. So ist z. B. verwesendes Fleisch sehr wichtig für einen Aasfresser, aber ohne besondere Bedeutung für eine Honigbiene und gar abstoßend für den Menschen. Dementsprechend gibt es sehr starke Unterschiede zwischen den Arten, sowohl bezüglich der Detektion von Duftmolekülen als auch bei deren Interpretation.
Zur Detektion werden je nach Art einige Dutzend bis über tausend Rezeptoren eingesetzt, wobei die große Zahl auch im Vergleich zu anderen Sinnen – das Sehen beim Menschen benötigt nur drei – schon die Sonderstellung des Geruchsinnes verdeutlicht.
Olfaktorische Rezeptoren – eine Anpassung an das Leben an Land?
Besonders wichtig ist der Geruchssinn für viele Insektenarten, wo er häufig sogar wichtiger ist als die visuelle Wahrnehmung. In der Insektenantenne befinden sich Neuronen, in deren Membran Rezeptorproteine sitzen. Dabei werden zwei wichtige Rezeptortypen unterschieden (Abbildung 1).
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Geruchsrezeptorproteine von Insekten. Oben: Der Komplex von olfaktorischen Rezeptoren mit deren Korezeptor: in braun der eigentliche Duftstoff detektierende (olfaktorische) Rezeptor. Dieser bildet mit dem Korezeptor (gelb) einen funktionellen Komplex in der Nervenzellmembran. Unten: Ionotrope Rezeptoren. Diese liegen ebenfalls in Komplexen aus ionotropen Rezeptoren (blau) und Korezeptoren (grün) vor, allerdings sind diese Proteine deutlich anders strukturiert als die olfaktorischen Rezeptoren; sie sind zum Beispiel anders in die Membran eingebettet, nämlich mit drei Transmembran-Domänen statt sieben. Ebenfalls dargestellt sind die für ionotrope Rezeptoren typischen Domänen außerhalb der Zelle, die den olfaktorischen Rezeptoren ganz fehlen. Abgeändert aus [7]. © Max-Planck-Institut für chemische Ökologie/Wicher
Zum einen gibt es antennale ionotrope Rezeptoren (IR):
Sie sind evolutionär viel älter als Insekten und dort in einer geringen Anzahl vorhanden. Neben Insekten kommen sie unter anderem auch in Schnecken vor [1].
Von besonderer Bedeutung ist der zweite Typ von Rezeptoren, die sogenannten olfaktorischen Rezeptoren (OR).
Zuerst wurden diese in der Taufliege Drosophila melanogaster entdeckt, wo es etwa 60 dieser Rezeptoren gibt. Dabei weisen diese Rezeptoren mehrere einzigartige Merkmale auf:
- Sie sind von außerordentlicher Variabilität, die ihrer Aufgabe entspricht, eine große Anzahl chemisch sehr unterschiedlicher Duftstoffe zu binden.
- Sie weisen einen eigenen Korezeptor auf, ein Protein das mit dem eigentlichen Rezeptor im Komplex vorliegt. Dieser Korezeptor dient der Signalweiterleitung und Signalverstärkung; er agiert im Komplex mit dem eigentlichen Rezeptor. Die Bindung eines Duftstoffes an den olfaktorischen Rezeptor aktiviert eine intrazelluläre Signalkaskade und kann bei hinreichender Konzentration den durch den Rezeptor gebildeten Kanal öffnen, durch den ein Ionenstrom fließt [2]. Die intrazellulären Signalprozesse können die Empfindlichkeit erhöhen, indem der Korezeptor aktiviert wird [3]. Der Korezeptor ist im Gegensatz zu den eigentlichen Rezeptoren stark konserviert; es gibt einen Korezeptor in jeder Insektenart und zwischen den Arten sind die Korezeptor-Proteine sehr ähnlich [4].
In den Jahren nach der ursprünglichen Entdeckung der olfaktorischen Rezeptoren wurden die zugehörigen Gene in einer Vielzahl von Insekten gefunden. Schnell stellte man fest, dass diese Rezeptoren nur in Insekten zu finden waren und nicht in anderen Kerbtieren, wie z. B. dem Wasserfloh Daphnia pulex. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass die olfaktorischen Rezeptoren im Verlauf der Evolution entstanden sind, als die Vorfahren der heutigen Insekten an Land gegangen sind [5]. Da Luft, im Vergleich zu Wasser, ganz andere Stoffe aufnehmen und deutlich schneller transportieren kann, wurde angenommen, dass die olfaktorischen Rezeptoren vor allem notwendig wurden, um der Herausforderung durch diese stark veränderte Verfügbarkeit an Duftmolekülen zu begegnen.
Flügellose Insekten…
Die Abteilung Evolutionäre Neuroethologie hat in Zusammenarbeit mit der Abteilung Entomologie sowie der Universität Gießen jetzt diese Hypothese überprüfen können. Es wurden moderne physiologische und molekularbiologische Methoden eingesetzt, um basale flügellose Insekten zu untersuchen. Dabei handelte es sich zum einen um Felsenspringer der Art Lepismachilis y-signata, zum anderen um das Ofenfischchen Thermobia domestica, einen Verwandten des Silberfischchens (Abbildung 2). Diese beiden Gruppen, Felsenspringer und Fischchen, haben sich vor mehr als 350 Millionen Jahren von den anderen Insekten getrennt, die Felsenspringer dabei etwas früher. Im Gegensatz zu anderen Insekten haben beide keine Flügel, können also nicht fliegen.
Abbildung 2: Das Ofenfischchen Thermobia domestica. Diese flügellosen Insekten weisen keine olfaktorischen Rezeptoren auf, was die Vermutung unterstützt, dass diese Rezeptoren erst zusammen mit der Entstehung fliegender Insektenarten entstanden sind. © Max-Planck-Institut für chemische Ökologie/Schroll
…und ihr Geruchssinn
Die Forscher haben zeigen können, dass beide Arten etwa ein Dutzend funktionell unterschiedliche olfaktorische Neuronentypen auf der Antenne besitzen. Dies ist viel weniger als bei bisher untersuchten geflügelten Insektenarten, welche meist 50 bis 60, in bestimmten Fällen mehrere hundert funktionell unterschiedliche Neuronentypen aufweisen. Weiterhin konnten bei beiden Arten nur antennale ionotrope Rezeptoren (IR) gefunden werden, welche im Felsenspringer in wahrscheinlich allen olfaktorischen Neuronen aktiv sind. Olfaktorische Rezeptoren wurden nicht gefunden. Anscheinend ist der Geruchssinn dieser Arten allein über antennale ionotrope Rezeptoren realisiert.
Dies legt nahe, dass die gemeinsamen Vorfahren beider Gruppen ebenfalls keine olfaktorischen Rezeptoren besaßen. Wahrscheinlich sind die olfaktorischen Rezeptoren erst sehr lange nach dem Landgang erschienen, vermutlich zu der Zeit, als Insekten nicht das Land sondern die Luft eroberten, also anfingen zu fliegen [6]. In der Luft liegen Duftstoffe in Filamenten vor, ähnlich wie Zigarettenrauch. Die Erkennung der Richtung, aus der der Duft kommt, erfolgt also durch Integration eines Signales, das in einem bestimmten Takt auf der Antenne ankommt. Bei fliegenden Tieren ist der Takt schneller und aufgrund der hohen Geschwindigkeit sind niedriger konzentrierte Düfte von weiter entfernten Quellen interessanter als für nicht-fliegende Tiere.
Die Forscher haben allerdings auch eine Überraschung erlebt: Das Ofenfischchen besitzt, in großem Kontrast zu anderen Insekten, zwar keine olfaktorischen Rezeptoren, aber gleich mehrere Proteine, die stark dem Korezeptor ähneln. Diese Ähnlichkeit ist sogar sehr hoch, dennoch fehlen den meisten dieser Proteine einzelne funktionelle Bereiche eines klassischen olfaktorischen Korezeptors. Dies betrifft vor allem Bereiche, die in den geflügelten Insekten im Zusammenspiel mit dem eigentlichen olfaktorischen Rezeptor notwendig sind. Die Forscher spekulieren daher, dass der Korezeptor nicht zusammen mit den olfaktorischen Rezeptoren entstanden ist, sondern ursprünglich einem anderen Zweck diente und erst in den geflügelten Insekten zu den olfaktorischen Rezeptoren fand und mit ihnen einen Komplex einging. In den Fischchen gingen die Korezeptoren einen anderen Weg, den es noch aufzuklären gilt [6].
Fazit
Für die meisten Insekten ist der Geruchssinn überaus wichtig. Die ihm zugrunde liegende wichtigste Rezeptorfamilie, die olfaktorischen Rezeptoren, sind aber anscheinend nicht in den ersten, flügellosen Insekten entstanden. Sie stellen also keineswegs eine Anpassung an den Landgang dar. Vielmehr sind sie wahrscheinlich notwendig geworden, als fliegende Insekten Düfte auch bei hoher Geschwindigkeit wahrnehmen mussten.
* Der gleichnamige, im Jahrbuch der Max-Planck Gesellschaft 2015 erschienene, Artikel http://www.mpg.de/8878225/MPICOE_JB_20151?c=9262520 wurde mit freundlicher Zustimmung der Autoren und der MPG-Pressestelle ScienceBlog.at zur Verfügung gestellt. Der Artikel erscheint hier in voller Länge, geringfügig für den Blog adaptiert. Die größtenteils nicht frei zugänglichen Literaturstellen können auf Anfrage zugesandt werden.
Literaturhinweise
- Croset, V. et al., Ancient Protostome Origin of Chemosensory Ionotropic Glutamate Receptors and the Evolution of Insect Taste and Olfaction. PLoS Genetics 6, e1001064 (2010)
- Touhara, K.; Vosshall, L. B. Sensing odorants and pheromones with chemosensory receptors Annual Review Physiology 71, 307–32 (2009)
- Wicher, D. Sensory receptors-design principles revisited. Frontiers in Cellular Neuroscience 7, 1 (2013)
- Krieger, J. et al. A candidate olfactory receptor subtype highly conserved across different insect orders. Journal of Comparative Physiology A 189, 519–526 (2003)
- Robertson, H. M. et al., Molecular evolution of the insect chemoreceptor gene superfamily in Drosophila melanogaster. Proceedings of the National Academy of Sciences USA 100 Suppl. 2, 14537–14342 (2003)
- Missbach, C. et al. Evolution of insect olfactory receptors. eLife 3:e02115 (2014)
- Croset, V. et al. Ancient Protostome Origin of Chemosensory Ionotropic Glutamate Receptors and the Evolution of Insect Taste and Olfaction. PLoS Genetics 6, e1001064 (2010)
Weiterführende Links
Im Scienceblog sind bereits zahlreiche Artikel über Sinneswahrnehmungen erschienen, die unter: Themenschwerpunkt: Sinneswahrnehmung — Unser Bild der Aussenwelt gelistet sind.
Passend zum Thema des gegenwärtigen Artikels:
- Wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen — Membran-Rezeptoren als biologische Sensoren
- Ein dreiteiliger Artikel von Wolfgang Knoll: Die biomimetische künstliche Nase – wie weit sind wir? Teil 2. Aufbau und Funktion physiologischer Geruchssensoren
- Bill S. Hansson: Täuschende Schönheiten
- Gottfried Schatz: Meine Welt – Warum sich über Geschmack nicht streiten lässt
Videos:
- Bill Hansson: caesarium: Sex, bugs & push'n'pull - Exkurs in den Geruchssinn der Insekten (2015) 1:20:26
- Geruchssinn - Biosensor Nase, Max Planck Gesellschaft, 3:15 min
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