Do, 13.10.2016 – 13:53 — Francis S. Collins
Der enormen internationalen Anstrengung, die vor 13 Jahren zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms führte, hat sich ein nicht minder gewaltiges Projekt angeschlossen: ein internationales Forschungs-Konsortium strebt an die Funktion jedes einzelnen der rund 20 000 Gene im Organismus aufzuklären und deren mögliche Rolle in der Entstehung von Krankheiten festzustellen. Da praktisch alle humanen Gene ihre Entsprechung im Mäusegenom haben (das kurz nach dem humanen Genom entschlüsselt wurde), erfolgt nun eine systematische Untersuchung der Merkmale (des Phänotyps) von Mäusen, bei denen jeweils eines der 20 000 Gene ausgeschaltet wurde ("Gen-Knockout"). Der Chemiker und Mediziner Francis Collins, Direktor der US National Institutes of Health (NIH) und ehem. Leiter des "Human Genome Project" weist hier auf den eben erschienenen, richtungsweisenden Bericht des Konsortiums über die erste Phase des Projekts hin.*
Wahrscheinlich betrachten viele Menschen Mäuse nur als unerwünschte Schädlinge in ihrem Haushalt. Tatsächlich erweisen sich Mäuse für die medizinische Forschung bereits seit mehr als einem Jahrhundert als unglaublich wertvoll. Um eines unter den vielen Beispielen zu nennen: Untersuchungen an Mäusen helfen gegenwärtig den Forschern zu verstehen wie die Genome von Säugetieren - das menschliche Genom miteingeschlossen - funktionieren. Wissenschafter haben Jahrzehnte damit zugebracht einzelne Gene in Labormäusen zu inaktivieren oder "Knockouts" zu generieren, um daraus abzuleiten, welche Gewebe oder Organe betroffen sind, wenn ein spezielles Gen defekt ist und damit dann wichtige Informationen über dessen Funktion zu erhalten. Abbildung 1.
Abbildung 1. Symbolbild zum Knockout Maus Projekt (KOMP) (Bild: "Courtesy: National Human Genome Research Institute", https://www.genome.gov/)
Vom Knockout Maus Projekt (KOMP)…
Vor mehr als zehn Jahren hat das NIH ein Projekt mit dem Namen Knockout Mouse Project (KOMP) gestartet [1]. Das Ziel war es in embryonalen Stammzellen eines Standard Mäusestamms mittels homologer Rekombination ( d.i. Austausch von ähnlichen oder identischen Sequenzen der DNA) alle für Proteine kodierende Gene auszuschalten. Die aus dieser Arbeit hervorgehenden Zelllinien wurden weithin Forschern, die an speziellen Genen interessiert waren, zur Verfügung gestellt und damit Zeit und Geld gespart.
…zum Internationalen Knockout Maus Konsortium
Eine Zelllinie mit einem Knockout-Gen herzustellen, ist eine Sache; wesentlich interessanter (und herausfordernder) ist es den Phänotyp, die beobachtbaren Charakteristika, jedes Knockouts zu bestimmen. Um diesen Prozess nach streng wissenschaftlichen Kriterien und in systematischer Weise zu beschleunigen, sind das NIH und andere Forschungsförderungs-Institutionen zusammengetreten, und haben ein internationales Forschungskonsortium ins Leben gerufen. Abbildung 2. Das Ziel dieses Konsortium ist es von den manipulierten embryonalen Stammzellen Mäuse zu generieren und schlussendlich die Funktion der rund 20 000 Gene, die Menschen und Mäuse gemeinsam haben, zu katalogisieren.
Abbildung 2. Knockout Mouse Project (KOMP) and Knockout Mouse Production and Phenotyping (KOMP2) (Bild aus: Colin Fletcher (2013), https://commonfund.nih.gov/sites/default/files/CF-KOMP1-2_for_web.pdf)
Bericht über die erste Phase des Projekts
Über die Phänotypen der ersten 1 751 neuen Linien von Knockout Mäusen ist eben eine Analyse des Konsortiums (des International Mouse Phenotyping Consortium) im Fachjournal Nature erschienen [2], Daten zu wesentlich mehr Knockout-Stämmen sollen in den nächsten Monaten folgen. An den Untersuchungen waren Wissenschafter (insgesamt 84 Autoren, Anm. Red) von drei Kontinenten beteiligt, unter der Leitung von Stephen Murray (Jackson Laboratory, Bar Harbor, ME) und anderen hervorragenden Forschern.
Die Forscher haben die zur Verfügung stehenden Ressourcen an manipulierten embryonalen Stammzelllinien (s.o.) genutzt, um 1 751 Stämme von Knockout Mäusen zu generieren, die bisher noch nicht untersucht worden waren. Jeder Stamm trug zwei inaktivierte Kopien eines Gens auf einem ansonsten genetisch identen Genom. Die Studie zeigt, dass es sich bei 410 der insgesamt 1751 Gene um essentielle Gene handelt, deren Ausfall mit einer Lebendgeburt nicht vereinbar ist.
Knockouts essentieller Gene
Um über diese essentiellen Gene mehr herauszufinden, haben die Forscher ein ausführliches Procedere entwickelt, das ein präzises Timing für das Absterben von Embryos erlaubte. Sie verwendeten auch das aktuellste, hochauflösende 3D-bildgebende Verfahren, um Probleme in der (embryonalen) Entwicklung zu entdecken, die ansonsten unter den Tisch gefallen wären.
Zu den am häufigsten beobachteten Anomalien zählte eine Verlangsamung von Wachstum und embryonaler Entwicklung. Es gab auch zahlreiche Anomalien in der Entwicklung des kardiovaskulären Systems, Missbildungen des Schädels und des Gesichts und Defekte in der Entwicklung der Gliedmaßen.
Dass die Mausdaten Relevanz für das Verstehen humaner Krankheiten haben dürften, wiesen die Forscher nach, indem sie zeigten, dass mit Funktionsverlust einhergehende Mutationen in essentiellen Mausgenen, in den entsprechenden Genen gesunder Menschen kaum auftreten. Dies deutet darauf hin, dass diese Gene auch für Leben und Gesundheit des Menschen essentiell sind und geeignete Ansatzpunkte darstellen um nach Antworten zu Fehlgeburten, Totgeburten oder auch ungeklärten genetischen Gegebenheiten des Menschen zu suchen.
Es gab auch Überraschungen. Obwohl alle Forscher in dem Konsortium ihre Untersuchungen nach standardisierten Protokollen ausführten und die embryonalen Mäuse das exakt gleiche Set an Genen aufwiesen, zeigten diese nicht immer die gleichen physischen Merkmale, das gleiche Endergebnis - Leben oder Tod. Diese Befunde weisen darauf hin, dass neben den Genen und Umweltfaktoren noch weitere, anscheinend zufällige, Ereignisse während des Entwicklungsprozesses eine wichtige Rolle spielen können.
Outlook
Die Untersuchungen laufen weiter. Tatsächlich hat das Konsortium bereits Daten zu mehreren Hundert weiteren Knockout-Mäusen vorliegen, die darauf warten analysiert zu werden. Alles, was an Ergebnissen anfällt, wird in Echtzeit Wissenschaftern aus aller Welt frei zur Verfügung gestellt, die diese nach Bedarf nutzen und darauf aufbauen können. Das Konsortium macht auch die Knockout-Mäuse selbst verfügbar, um anderen Forschern noch detailliertere Untersuchungen zu ermöglichen.
Es zeigt sich hier, welch ein außergewöhnlicher Fortschritt in der Biomedizin erzielt werden kann, wenn Wissenschafter aus aller Welt sich als Team um ein gemeinsames Vorhaben zusammenscharen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Das ist eine großartige Quintessenz!
*Dieser Artikel von NIH Director Francis Collins, M.D., Ph.D. erschien unter dem Titel:" Of Mice and Men: Study Pinpoints Genes Essential for Life" zuerst (am 20. Septemberi 2016) im NIH Director’s Blog:. https://directorsblog.nih.gov/2016/09/20/of-mice-and-men-study-pinpoints.... . Reprinted (and translated by ScienceBlog) with permission from the National Institutes of Health (NIH).
[1] Knockout Mouse Project (KOMP) Repository (University of California, Davis and Children’s Hospital Oakland Research Institute). ] Knockout Mouse Project (KOMP) Repository [2] Dickinson ME, et al.,(insgesamt 84 Autoren), Nature. 2016 Sep 14. High-throughput discovery of novel developmental phenotypes.
Links zu den Konsortien:
- International Mouse Phenotyping Consortium
- International Knockout Mouse Consortium
- Knockout Mice Fact Sheet (National Human Genome Research Institute/NIH)
- The Centre for Phenogenomics (Toronto, Canada)
- Medical Research Council Harwell (Oxfordshire, U.K.)
Weiterführende Links
International Mouse Phenotyping Consortium (IMPC) Overview. Video 2:00 min (englisch)
The Human Genome: Collaboration is the New Competition. Dr. David Haussler | TEDxSantaCruz (Juli 2015); Video: 15:55 min (englisch, leicht verständlich).
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