Die trügerische Illusion der Energiewende - woher soll genug grüner Strom kommen?

Georg BrasseurIcon Politik und GesellschaftDo, 10.12.2020 — Georg Brasseur

Europa ist in gewaltigem Ausmaß von Energieimporten abhängig und diese bestehen noch zum weitaus überwiegenden Teil aus fossilen Energieträgern. Der Umbau des Energiesystems auf erneuerbare Energien wird den Bedarf an grünem Strom enorm steigen lassen und weit überschreiten, was in Europa an Wind- und Solarenergiekapazitäten erzielbar ist. Auf Grund ihrer geographischen Lage haben u.a. die Staaten des mittleren Ostens und Nordafrikas (MENA-Staaten) ein sehr hohes Potenzial für erneuerbare Energien. Europäische Investitionen in diesen Ländern, Transfer von Know-How, Technologien bis hin zur Installation von betriebsfertigen Anlagen zur Kraftstoffsynthese aus grünem Strom können einerseits Energieimporte nach Europa sichern, andererseits nachhaltige berufliche Perspektiven und wirtschaftliches Wachstum für die Bevölkerung der MENA-Staaten und anderer Regionen schaffen und damit dort auch Fluchtursachen reduzieren.

Wie in dem vorangegangenen Artikel "Energiebedarf und Energieträger - auf dem Weg zur Elektromobilität" dargestellt, gehen Maßnahmen zur generellen Senkung des heutigen Weltenergiebedarfs und damit der Treibhausgasemissionen mit einer starken Steigerung des Bedarfs an elektrischer Energie einher [1]. Derzeit deckt die elektrische Energie rund 16 % des globalen Energiebedarfs und sie wird noch zum überwiegenden Teil aus fossilen Energieträgern hergestellt. Zur Erzeugung von grünem Strom stehen außer Atomkraft, Biomasse, Wasserkraft und Geothermie nur volatile Quellen zur Verfügung.

Wenn in allen Sektoren - Wohnen, Industrie, Transport - von fossiler Energie auf elektrische Energie umgestellt werden soll, wobei noch ein exponentiell wachsender Informations- und Kommunikationsbereich (IKT-Bereich) hinzukommt, woher soll/kann dann Strom kommen, der nicht aus fossilen Quellen stammt?

Dass ein Ausfall der Stromversorgung - ein Blackout - in allen hochindustrialisierten Ländern katastrophale Folgen haben würde, ist evident, dass die Elektrizitätsversorgung gesichert sein muss, ist daher oberstes Gebot.

Europas Bedarf an grünem Strom

Europa ist in enormem Ausmaß von Energieimporten abhängig und dabei handelt es sich derzeit zum allergrößten Teil um fossile Energieträger. Es stellt sich die Frage: Sind bei einem Umbau des Energiesystems die in Europa erzielbaren erneuerbaren Energien ausreichend, um den künftigen Bedarf an elektrischer Energie zu decken?

Das Beispiel Deutschland

Dies lässt sich am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland abschätzen. Abbildung 1.

Im Jahr 2018 betrug der Bedarf an Primärenergie in Deutschland insgesamt 3650 TWh, davon wurden 35 % (1293 TWh) für die Stromerzeugung eingesetzt und damit Brutto 644 TWh Strom erzeugt (inklusive 34 TWh Eigenverbrauch der Kraftwerke). Nur 18 % der Primärenergie Deutschlands ist Strom und dieser wird zu 29 % aus Braunkohle erzeugt. 90 % der in 2018 in Deutschland geförderten Braunkohle dienen der Stromerzeugung. 30 % der Primärenergie wurden aus dem Inland bereitgestellt (gelb), und 70 % importiert (orange) [4].

Abbildung 1. Primärenergieverbrauch 2018 im Inland nach Energieträgern: Aus dem Inland bereitgestellte Energie (gelb) und importierte Energie (orange) in Petajoule und TWh (1 TWh = 3,6 PJ). Erneuerbare Energie: Biomasse/Bioabfälle/Biokraftstoffe (60 %), Windkraft (22 %), Photovoltaik/Solarthermie (11 %), Wasserkraft (4 %),. Datenstand 6. Dezember 2020; Quelle: https://www.ag-energiebilanzen.de/10-0-Auswertungstabellen.html

Deutschland deckt bereits 13,7% (500,6 TWh) des Primärenergiebedarfs durch erneuerbare Energien ab. 2018 lag die installierte Leistung von Windkraftwerken (29 000 Onshore und 1 350 Offshore) bei 59 GW, von Solarkraftwerken bei 45 GW (ca. 600 km2). Trotz der hohen installierten Leistungen lieferten die Kraftwerke „nur“ ein Drittel der erneuerbaren Energie, da die Einsatzzeiten und erzielbaren Leistungen volatil sind.

Inwieweit lassen sich aber die importierten fossilen Energieträger durch inländische Erneuerbare ersetzen?

Wollte man nur den Energieträger Steinkohle (396,7 TWh) durch erneuerbare Windenenergie ersetzen, so wären bei Betrieb mit der installierten Windkraftleistung von 59 GW im Jahr (d.i. in 8760 Stunden) theoretisch 517 TWh elektrischer Energie zu erzielen. Tatsächlich werden von Onshore Windrädern nur 15 % und von Offshore Windrädern nur 24 % der installierten Nennleistung erreicht. Um also allein Steinkohle zu ersetzen, müsste man die Zahl der Windräder um das 3,2 bis 5,1-fache erhöhen (für das Jahr 2018 war der Faktor 3,6). Ein Ersatz durch Photovoltaik ist noch problematischer, da zufolge der ungünstigen geographischen Lage nur 10 -13 % der Nennleistung erzielt werden. Um allein Steinkohle zu ersetzen, bräuchte man eine 7,7 bis 10-fache Erhöhung der Photovoltaikflächen (für das Jahr 2018 war der Faktor 8,7).

Wollte man nun auch Braunkohle durch Erneuerbare Energien ersetzen, so müsste man die bereits erhöhte Zahl an Windrädern/Photovoltaikflächen verdoppeln, bei Ersatz von Erdgas zusätzlich um das 2,2-fache erhöhen und für den Ersatz von Erdöl zusätzlich um das 3,1-fache erhöhen (insgesamt um das 6,3-fache erhöhen). Man müsste also insgesamt rund 20 bis 32 mal mehr Windräder oder 49 bis 63 mal größere Photovoltaikflächen errichten. Dass dies in Deutschland und Europa wohl nicht durchsetzbar sein wird, ist evident.

Generell lässt sich das angestrebte Null CO2 Szenario mit Strom als alleinige Ersatzenergiequelle nicht lösen, da viele Prozesse gasförmige und flüssige Energieträger benötigen. Damit sind die vorstehenden Angaben zur Anzahl an benötigten Windrädern und Photovoltaikflächen immer noch viel zu gering, da der Wirkungsgrad der Syntheseanlagen für gasförmige und flüssige Energieträger gering ist. Dadurch fallen zusätzliche hohe Investitionen für die Herstellung und Errichtung dieser Anlagen an. Allerdings böte dieser Weg auch große Vorteile, da man auf bestehende Transport-, Verteil- und Nutzungsinfrastruktur zurückgreifen könnte, wenn die Chemie der synthetischen Energieträger kompatibel zu den bestehenden fossilen Energieträgern – sogenannte „Drop-in Fuels“ gewählt würde.

Fakt ist, dass Deutschland, ja ganz Europa, nicht energieautonom sein kann und daher mindestens einen speicherfähigen und leicht transportierbaren Energievektor benötigt, um den grünen Primärenergiebedarf zu decken und damit das null CO2 Ziel in 2050 zu erreichen.

Das Beispiel Österreich

Zahlen des Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen & Tourismus für das Jahr 2018 gehen von einem Bruttoenergiebrauch von rund 508 TWh aus, rund 69 % basierten auf fossilen Energieträgern [2]. Abbildung 2.

Abbildung 2. Bruttoinlandsverbrauch in Österreich nach Energieträgern: Im Inland erzeugte Energie (gelb) und importierte Energie (orange) in Petajoule und TWh (1 TWh = 3,6 PJ). Erneuerbare Energie: Wasser-, Windkraft, Photovoltaik, Biomasse, erneuerbare Abfälle. Quelle: Zahlen entnommen aus [2].

27,3 % der Energie wurden im Inland generiert und bestanden zu rund 82 % aus erneuerbaren Formen, der Großteil (88,8 %) davon stammte aus festen biogenen Brenn- und Treibstoffen (63,06  TWh) und Wasserkraft (37,5 TWh). Windkraft (6,1 TWh) trug etwa 5,4 % zu den Erneuerbaren bei, Photovoltaik (1,4 TWh) rund 1,2 %.

Das österreichische Regierungsprogramm sieht bis 2030 einen Ausbau der Erneuerbaren um 27 TWh vor; insbesondere soll Photovoltaik um 11 TWh (auf rund das 6,5-fache) erhöht werden, Windkraft von 7,4 auf 17,4 TWh, die bereits weit ausgebauten Formen Wasserkraft und Biomasse um 5 TWh und 1 TWh [3]. Österreichs Strombedarf (2018 63,1 TWh [3]) soll dann damit zu 100 % mit erneuerbaren Energien bestritten werden. In Ermangelung ausreichend großer elektrischer Energiespeicher wird Österreich bei wenig Wind und Sonne („kalte Dunkelflautentage“) elektrische Energie aus dem Ausland importieren (aus Atomkraftwerken oder fossil betriebenen Kraftwerken) und, wenn volatile Energie in Österreich im Überfluss vorhanden ist, diese an die umliegenden Länder exportieren müssen. Damit erreicht Österreich nur „am Papier“ einen zu 100 % grünen Strom. Die notwendigen Stromimporte werden weiterhin – wenn auch in abgeschwächter Form – die CO2 Emissionen des österreichischen Stroms bestimmen. Was bedeutet das aber in Hinblick auf einen generellen Ausstieg aus fossilen Energieträgern?

Um Steinkohle (31,7 TWh) nur durch die bis 2030 angepeilte Photovoltaik zu ersetzen, müssten die Photovoltaikflächen (bei 11,8 % Ausnützung (Mittelwert 2016 - 2018) der installierten Nennleistung) nochmals auf das 22-fache gesteigert werden. Der Ersatz nur durch Windenenergie würde die Zahl der Windräder in 2030 (bei 23,3 % Ausnützung der installierten Nennleistung) noch um das 5,2-fache erhöhen. Soll auch Erdgas ersetzt werden, würde dies die Photovoltaikflächen oder Zahl der Windräder dann nochmals um etwa das 97-fache, der Ausstieg aus Erdöl nochmals auf das 130-fache respektive 30-fache erhöhen.

Ein derartiger Umbau des Energiesystems würde zweifellos die Möglichkeiten im Land weit übersteigen.

Woher soll nun grüner Strom kommen?

Die Ressource Wind

In seiner neuesten Ausgabe gibt der Global Wind Atlas 3.0 (https://globalwindatlas.info/) einen Überblick über Größe und Verteilung der weltweiten Wind-Ressourcen und bietet damit die Möglichkeit, Orte mit günstigen Bedingungen für Windkraft schnell zu identifizieren. Ein Farbcode von blau bis rot-violett steht für die umzusetzende Windleistung, die in den einzelnen Regionen per m2 Fläche eines Rotorblattkreises gesammelt werden kann: hellblau mit weniger als 25 W/m2 und grün mit 300 W/m2 bis zu rotviolett mit 1300 W/m2 und mehr. Abbildung 3.

Abbildung 3. Günstige Bedingungen für Windkraft in Europa gibt es in Küstenregionen und auf Bergspitzen, in weiten Teilen ist die umzusetzende Windleistung dagegen niedrig - im Gegensatz zu Ländern des Mittleren Ostens und Nordafrika (MENA-Region). (Bild: Global Wind Atlas, DTU Wind Energy; https://globalwindatlas.info/. Lizenz: open access)

In Europa überwiegen leider blaue und grüne Regionen. Nur auf Bergspitzen und in Küstenregionen kann man Energien bis zu 1300 W/m2 gewinnen. (Offshore Kraftwerke kommen aber in Bau, Betrieb und Wartung wesentlich teurer als solche am Festland.)

Wesentlich günstigere Bedingungen für Windkraft bestehen dagegen in den MENA-Regionen (Staaten des Mittleren Ostens und Nordafrikas) und generell an zahlreichen Küstenstreifen weltweit.

Im Osten Österreichs gibt es Regionen, die im gelben Bereich der Windkraft liegen, wie beispielsweise das Marchfeld. Abbildung 4. Allerdings: mit der gleichen Investition in ein Windkraftwerk im Marchfeld oder an eines an der norwegischen Küste könnte man dort bedeutend mehr elektrische Energie erzielen.

Abbildung 4. Höhere Windleistung gibt es auf den Bergkämmen und im Osten des Landes. (Bild: Global Wind Atlas, https://globalwindatlas.info/. Lizenz: open access)

Die Ressource Sonnenenergie

Gleiches wie für die Windkraft gilt auch für die Photovoltaik. Dies wird aus den interaktiven Landkarten des Global Solar Atlas (GSA 2.2., https://globalsolaratlas.info/download)  ersichtlich, welche die Sonneneinstrahlung und das Potenzial für Photovoltaik visualisieren. Abbildung 5 zeigt die auf Europa, Nordafrika und mittleren Osten eingestrahlte Sonnenenergie in einem Farbcode, der von blau (pro Jahr 700 kWh/m2) bist rot-violett (>2800 kWh/m2) reicht.

Dem Sonnenstand entsprechend nimmt die Sonnenenergie vom Norden nach Süden hin zu; in Österreich, (Süd-)Deutschland und der Schweiz liegen wir im gelben Bereich, d.i. bei 1200 kWh/m2. In der MENA-Region gibt es dagegen mehr als das Doppelte an Sonnenenergie. Es sind Länder, aus denen mangels Arbeitsmöglichkeiten viele Menschen zu uns einwandern (wollen). Kluge Investitionen in diesen Gegenden könnten dort Beschäftigung und damit Lebensgrundlage für die Bevölkerung schaffen.

Abbildung 5. Entsprechend dem Sonnenstand liegt die eingestrahlte Energie in weiten Teilen Europas im gelben Bereich. d.i. um 1 200 kWh/m2 pro Jahr- Länder des Mittleren Ostens und Nordafrikas (MENA-Region) sowie Wüstengebiete innerhalb eines breiten Bands um den Äquator haben mehr als die doppelte Sonneneinstrahlung. (Bild: Global Solar Atlas, https://globalsolaratlas.info/download) Lizenz: open access)

Erkenntnisse aus den Wind- und Solarenergiekarten

Europa ist gezwungen Energie zu importieren und wird bei einem Umbau des Energiesystems auf erneuerbare Energien keine völlige Unabhängigkeit von Importen erreichen können.

Produktion grüner Energieträger an wirkungsvollen Standorten…

Verglichen mit Europa gibt es in der MENA-Region - weltweit aber auch in vielen anderen Gebieten - wesentlich wirkungsvollere Standorte für Solar- und Windkraftwerke. Warum also sollte man nicht daran denken dort Solar- und Windkraftwerke zu errichten, um die in Europa notwendigen Energieträger (Methan und auch synthetische Kraftstoffe) herzustellen? Methan und auch synthetische Kraftstoffe sind ja unabdingbar um eine „kalte Dunkelflaute“ (wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint) und Jahreszeitschwankungen zu überbrücken; dazu muss ein mit volatiler Energie versorgtes Netz ca. 15 -20 % der jährlichen Primärenergie speichern können, damit die Energieversorger, immer dann wenn die grüne Energie ausfällt, mit Hilfe von synthetischem grünen Methan und vorhandenen kalorischen Gaskraftwerken, den benötigten Strom bereitstellen.

…bringt Vorteile für Europa…

  • In Europa würde eine Vervielfachung von Photovoltaikflächen und Windparks, für deren Errichtung ja enorme Hürden - Platzmangel, langwierige Genehmigungsverfahren, Bürgerproteste - überwunden werden müssen, vermieden. Und die Zeit läuft ja davon.
  • An den außereuropäischen Standorten kann bei gleicher installierter Leistung ein doppelter Ertrag erzielt werden und ebendort die Primärenergie in die für uns wichtigen Energieträger (Methan und auch synthetische Kraftstoffe) umgewandelt und in vorhandenen Lagern (zwischen)gespeichert werden.
  • Dies bedeutet Absatzmärkte für Solar- und Windkraftwerke und für Syntheseanlagen.
  • Der Transport von flüssigem grünen Methan und grünen Kraftstoffen kann auf der Straße, der Schiene und auf dem Wasser erfolgen (hier unter Nutzung der vorhandenen Tanker); Transportverluste von Kohlenwasserstoffen sind bezogen auf den Energieinhalt nahezu vernachlässigbar.

…und Chancen für außereuropäische Standorte

  • Die Produktion grüner Kraftstoffe würde Arbeitsplätze und damit eine Lebensgrundlage für viele Menschen schaffen. Grünes Methan und grüne Kraftstoffe könnten dann am freien Markt zu erschwinglichen Preisen offeriert werden.
  • In Wachstumsregionen würde dies die Zunahme eines bescheidenen Wohlstands unterstützen ohne, dass es parallel dazu zu einem Anstieg von CO2 kommt (siehe "Energiebedarf - Wohlstand - CO2-Emissionen" in [1]).
  • Die verbesserte wirtschaftliche Grundlage könnte einen Beitrag zur Friedenssicherung leisten und auch zur Eindämmung von Fluchtursachen aus vielen dieser Länder.

Zu den Nachteilen eines solchen Vorgehens

zählt vor allem der niedrige Wirkungsgrad der Synthese von Methan und flüssigen Kraftstoffen; das bedeutet einen sehr hohen Bedarf an Primärenergie und hohe Prozesskosten.

Dazu ein Beispiel:

Nehmen wir an, wir haben einen 2 GW Windpark installiert. Dieser wäre damit etwa 4 mal so groß wie die derzeit größten offshore Windparks in Deutschland; in Windrädern ausgedrückt wären es 286 Stück zu je 7 MW und einer Ausdehnung von rund 160 km2. Bei 24 % Auslastung (siehe oben "Das Beispiel Deutschland") liefert ein solcher Park mit Nennleistung betrieben 4,2 TWh im Jahr (zum Vergleich: Österreich verbraucht im Jahr 60 - 65 TWh elektrische Energie). Wenn wir nun den Strom verwenden, um Flüssigmethan oder Diesel herzustellen ("power to X") und damit Tanker beladen, so liegt der Wirkungsgrad der Umwandlung je nach Verfahren bei 43 - 71 %. Von den 4,2  TWh bleiben somit 1,8 - 3,1 TWh übrig. Um einen LNG-Tanker (LNG: Liquid Natural Gas; verflüssigtes Methan) mit einer Kapazität von 250 Millionen Liter zu füllen, muss der 2GW-Windpark 6 - 9 Monate in Betrieb sein; für die Füllung eines Dieseltankers mit 350 Millionen Liter Kapazität wären 1,35 - 2,1 Jahre Laufzeit notwendig. Gelöscht wird diese Ladung innerhalb von weniger als 24 Stunden.

Dies zeigt, wie mühsam es ist grüne Energie einzuführen und wie unwahrscheinlich hoch die Energiedichte fossiler Energie, die wir chemisch perfekt nachbilden können, ist. Und das muss auch das Ziel sein!

Eine so importierte grüne Energie wird man dringend brauchen, um unsere Netze zu stützen, da man ja in verstärktem Maß auf fossiles Erdgas verzichten wird müssen. Zweifellos werden die Importe nicht primär dazu dienen, dass man Autos damit betreibt.

Das Ziel: Elektrizität frei von fossiler Energie

Fossile Brennstoffe sind nach wie vor die dominante Energiequelle weltweit, eine Tatsache, die sich nur langsam (vielleicht zu langsam?) ändern wird.

  • Fast alle derzeit diskutierten Wege für eine signifikante CO2-Reduktion erfordern Strom aus CO2-neutralen Quellen: Geothermie, Wind, Photovoltaik & sichere Kernenergie. Auf globaler Ebene wird es Jahrzehnte dauern, bis CO2-freier Strom Realität wird.
  • Die CO2-Reduktion ist ein globales Thema, kein lokales. Wo die Bevölkerung wächst und wohlhabend wird, wachsen die CO2-Emissionen. Die Entkopplung der Energie von den CO2-Emissionen ist entscheidend (siehe [1]).
  • Auch die armen, wachsenden Nationen bestimmen zufolge der großen Anzahl, die Erreichung der Paris-Ziele und nicht nur die reichen und technologisch führenden Länder (Ausnahme China).

Es besteht also dringender Handlungsbedarf …

Der Schlüssel für eine sofort wirksame globale CO2-Reduktionsstrategie ist Energieeinsparung: d.i. ohne Einbußen mit weniger Primärenergie auskommen. Dies ist möglich durch Thermische Isolation, Wärmepumpen für Kühlung & Heizung und industrielle Verbesserungen [1].

Gleichzeitig ist der Ausbau von grünen Kraftwerken, Netzen und Energiespeichern zu forcieren. Dadurch können BIP & fossiler Energieverbrauch entkoppelt werden, der Wohlstand steigen bei sinkendem fossilem Energieverbrauch und damit auch sinkendenTreibhausgas-Emissionen.

Anlagen zum Synthetisieren von Methan/Kraftstoffen aus volatiler Energie sollten außerhalb Europas zur Stromerzeugung in Europa errichtet werden. Es ist eine Verpflichtung der technologisch führenden Länder, global einsetzbare CO2-Reduktionstechnologien unter Berücksichtigung der lokalen Infrastruktur zu entwickeln und anzubieten. Wir könnten vielen Ländern Miniraffinerien schlüsselfertig zur Verfügung stellen - viele Tausende Anlagen über die ganze Welt verteilt. Damit würden wir dort neue Arbeitsmöglichkeiten und Wege zum Wohlstand bieten und gleichzeitig die Abhängigkeit von den Erdöl fördernden Nationen verlieren.

…wo aber bleibt die Elektromobilität?

Der Umbau des Energiesystems wird viel mehr elektrische Energie benötigen als derzeit verbraucht wird. Dazu kommt ein weltweit geradezu explodierender Bedarf des IKT-Bereichs, der nur mit Strom funktioniert [1].

Für die nächsten 10-20 Jahre ist daher kaum Elektrizität für den Verkehr verfügbar. Die Menge an elektrischer Energie ist hierbei nicht der Flaschenhals, sondern die hohen Ladeleistungen – weil es schnell sein muss – der Elektroflotten. Diese Netzleistungen können nicht ohne signifikanten Netzausbau erbracht werden. Es bleibt also nur Energie zu sparen, um Zeit für den Infrastrukturaufbau zu gewinnen. Das ist einerseits schlecht für die Elektromobilität, aber der Verkehr hat auch andere Optionen.

Wasserstoff kann vielleicht die Mobilitätslösung der Zukunft werden: derzeit ist aber kein grüner Strom für die H2-Produktion verfügbar. Steamreforming (Umsetzung von kohlenstoffhaltigen Energieträgern, vor allem von Erdgas, und Wasser unter Zuführung der Reaktionswärme) schadet der Umwelt. Für eine globale grüne H2-Zukunft werden große Mengen an grünem Strom benötigt, es sind noch hohe Investitionen zu tätigen und viel Zeit wird erforderlich sein.

Elektro-Hybridkonzept als Brückentechnologie

Um CO2 zu reduzieren, wird es in den kommenden Jahrzehnten für den Verkehrssektor der einzige global realistische Weg sein, Energie zu sparen; also Verbrennungskraftmaschinen (Vkm) nur in einem Punkt bei optimalem Wirkungsgrad als Fuel-Converter (Kraftstoffwandler) zu betreiben. Abbildung 6.

Abbildung 6. Ein neues Hybridkonzept ermöglicht signifikante Kraftstoff- und CO2-Reduktion

Man benötigt dazu ein Elektro-Hybridkonzept, das den rein elektrischen Antriebsstrang aus einem Powertank (elektrischem Hochleistungsspeicher) versorgt, und die Vkm stellt mittels eines mit der Vkm verbundenen Generators sicher, dass der elektrische Energiespeicher nicht leer wird [5].

Ein Hybridkonzept mit einem Fuel-Converter und Powertank basiert auf bewährten Technologien ist weltweit nutzbar und schnell im globalen Markt einzuführen. Arme, aber wachsende Nationen könnten ohne Investitionen die bestehende Versorgung mit flüssigen Kraftstoffen weiterhin verwenden und durch Beimischung synthetischer Kraftstoffe CO2 weiter senken.

Europa könnte mit dem Hybridkonzept zum Weltmarktführer in der Elektromobilität werden - allerdings nur als Brückentechnologie bis global grüner Strom und daraus produzierte synthetische Kraftstoffe in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen.

In 20 – 30 Jahren wird dann vielleicht ausreichend Überschussstrom für die Elektromobilität oder die Wasserstoffmobilität zur Verfügung stehen und auch, um synthetische Kraftstoffe für Land-, See-und Flugverkehr bereit zu stellen. 


[1] Georg Brasseur, 24.9.2020: Energiebedarf und Energieträger - auf dem Weg zur Elektromobilität.

[2] Bundesministerium für Landwirtschaft Regionen & Tourismus, bmlrt, Energie in Österreich 2019, access 21.3.2020, https://www.bmlrt.gv.at/dam/jcr:3c2b8824-461c-402e-8e1d-da938d6ece8b/BMNT_Energie_in_OE2019_Barrierefrei_final.pdf

[3] Land am Strom, Jahresbericht Österreichs Energie 2020. https://oesterreichsenergie.at/jahresmagazin-land-am-strom.html

[4] BDEW, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.: Gesamtstromverbrauch in Deutschland, https://www.bdew.de/media/documents/20190107_Zahl-der-Woche_Gesamtstromverbrauch.pdf, access 29.11.2020

[5] G. Brasseur, Hochwirkungsgrad Hybridantrieb für nachhaltige Elektromobilität, ÖAW-Verlag, 11.2.2020, https://epub.oeaw.ac.at/0xc1aa5576_0x003b46cd.pdf


Artikel zur Energiewende im ScienceBlog

Robert Schlögl, Serie: Energie - Wende - Jetzt

Redaktion, 19.09.2019: Umstieg auf erneuerbare Energie mit Wasserstoff als Speicherform - die fast hundert Jahre alte Vision des J.B.S. Haldane

Erich Rummich, 02.08.2012; Elektromobilität – Elektrostraßenfahrzeuge

Niyazi Serdar Sariciftci, 22.05.2015: Erzeugung und Speicherung von Energie. Was kann die Chemie dazu beitragen?


 

Comments

Sehr aufschlussreich ist auch ein Vortrag von Prof. Hans-Werner Sinn zum Thema. (Den ich schätze, weil er sich darin jeglicher Polemik – Stichwort ›Zappelstrom‹ – enthält!)