Fortschritte auf dem Weg zu einem sicheren und wirksamen Coronaimpfstoff - Gepräch mit dem Leiter der NIH-COVID-19 Vakzine Entwicklung

Do, 16.07.2020 — Francis S. Collins

Francis S. CollinsIcon MedizinBereits am Beginn der COVID-19 Pandemie, im März d.J., hat Francis S. Collins, Direktor der US-National Institutes of Health (NIH) und ehem. Leiter des "Human Genome Project", über die Aktivitäten der NIH zur Entwicklung von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 berichtet [1]. Basierend auf der Strukturanalyse des Spike-Proteins, mit dem das Virus an die Wirtszellen andockt, haben die NIH in Zusammenarbeit mit der Biotech-Firma Moderna (Cambridge, MA) in Rekordzeit einen spezifischen Impfstoff entwickelt, dessen klinische Testung in Phase 1 bereits im März begonnen hat [2]. Die Ergebnisse geben Anlass zu (vorsichtigem) Optimismus: der Impfstoff ist verträglich und hat in allen Probanden die gewünschte Immunantwort erzeugt. Nun soll in wenigen Tagen die klinische Testung dieses Impfstoffes - in Phase 3 - an etwa 30 000 Probanden beginnen. Zahlreiche Fragen zu diesem und auch zu anderen Impfstoffen werden im Gespräch mit John Mascola, Direktor am NIH-Vaccine Research Center (VRC) und Leiter der COVID-19 Vakzine Entwicklung beantwortet.*

Ein sicherer und wirksamer Impfstoff ist unabdingbar, um die durch COVID-19 verursachte Pandemie zu beenden. Auf dem Weg zu einem solchen Impfstoff macht die biomedizinische Forschung täglich Fortschritte, ob es sich um die in der Entwicklung innovativer Technologien handelt oder um die Suche nach schnelleren Testungen im Menschen. Erst in dieser Woche hat das NIH-National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) ein neues Netzwerk für klinische Studien eingerichtet, das Zehntausende von Freiwilligen rekrutieren wird, um an diesen in groß angelegten klinischen Studien verschiedene COVID-19-Impfstoff-Kandidaten zu testen.

Unter den Impfstoffen, die den Entwicklungsprozess schnell durchlaufen, gibt es einen, der vom Dale and Betty Bumpers Vaccine Research Center (VRC) des NIAID in Zusammenarbeit mit Moderna, Inc., Cambridge, MA, entwickelt wurde. Um einen schnellen Überblick über die COVID-19-Impfstoffforschung zu geben, kann ich mir Niemanden besseren vorstellen als Dr. John Mascola vom NIH, der Direktor des VRC ist. Unser aktuelles Gespräch hat per Videokonferenz stattgefunden - John war dabei in seinem Haus in Rockville, MD und ich an meinem Platz im nahe gelegenen Chevy Chase. Abbildung 1.

Im Folgenden ist ein komprimiertes Transkript unseres Gesprächs (Anm. Redn.: zur Gliederung des sehr langen Gesprächs wurden von der Redn. einige Untertitel eingefügt.).

Abbildung 1.Gespräch per Videokonferenz. Links: Francis S. Collins, Direktor der NIH. Rechts: John Mascola, Direktor des Vaccine Research Center (VRC) des NIAID (NIH).

Von der Funktion von Impfstoffen…

Collins: Impfstoffe gibt es seit Edward Jenner und den Pocken im späten 18. Jahrhundert. Wie aber funktioniert ein Impfstoff, um jemanden vor Infektionen zu schützen?

Mascola: Das Immunsystem funktioniert, indem etwas als fremd erkennt und darauf reagiert. Impfstoffe sind von dem Faktum abhängig, dass das Immunsystem, wenn es einmal ein fremdes Protein, einen fremden Stoff gesehen hat, bei einer zweiten Begegnung viel rascher reagiert. Diesen Prinzipien entsprechend impfen wir mit einem Teil eines viralen Proteins, das vom Immunsystem als fremd erkannt wird. Die Reaktion auf dieses virale Protein oder Antigen ruft spezialisierte T- und B-Zellen - sogenannte Gedächtniszellen - auf den Plan, die sich an die Begegnung erinnern. Ist man dem Virus dann tatsächlich ausgesetzt, ist das Immunsystem bereits vorbereitet. Es reagiert so schnell, dass das Virus beseitigt ist, bevor man erkrankt.

…zu ihrer Entwicklung

Collins: Welche Schritte gibt es in der Entwicklung eines Impfstoffs?

Mascola: Ganz allgemein: man kann keinen Impfstoff herstellen, ohne etwas über das Virus zu wissen. Wir müssen seine Oberflächenproteine kennen. Wir müssen verstehen, wie das Immunsystem das Virus sieht. Sobald dieses Wissen vorhanden ist, können wir ziemlich schnell einen Impfstoffkandidaten im Labor herstellen.

Anschließend transferieren wir den Impfstoff in eine Produktionsanlage, eine sogenannte Pilotanlage, die Material in klinischer Reinheit für Testungen herstellt. Sobald ausreichend Testmaterial verfügbar ist, führen wir eine Erststudie am Menschen durch, häufig in unserer Impfklinik im NIH Clinical Center.

Wenn diese Tests erfolgversprechend aussehen, besteht der nächste große Schritt darin, einen Partner aus der Pharmaindustrie zu finden, um den Impfstoff in großem Maßstab herzustellen, die Zulassung durch die Behörde einzuholen und ihn kommerziell zu vertreiben. Normalerweise benötigt dies einige Zeit - vom Anfang bis Ende des Prozesses sind es oft fünf oder mehr Jahre.

Collins: Bei der jetzigen globalen Krise können wir offensichtlich keine fünf Jahre zuwarten. Erzählen Sie uns, bitte, welche Aktivitäten das VRC gestartet hat, sobald man von dem Ausbruch in Wuhan, China, Kenntnis erhielt.

Ein neuartiger Impfstoff auf Nukleinsäurebasis…

Mascola: Das ist eine faszinierende Geschichte. Wir hatten mit NIAID-Direktor Dr. Anthony Fauci und unseren Kollegen darüber gesprochen, wie wir uns auf die nächste Pandemie vorbereiten können. Weit oben auf unserer Liste standen Coronaviren, über die wir bereits bei früheren Ausbrüchen von SARS und MERS [anderen durch Coronaviren verursachten Atemwegserkrankungen] gearbeitet hatten. Also untersuchten wir Coronaviren und konzentrierten uns auf das einzigartige Spike-Protein, das ihre Oberflächen krönt. Wir haben einen Impfstoff entwickelt, der das Spike-Protein dem Immunsystem präsentiert. Abbildung 2.

Abbildung 2. Mit dem Spike-Protein , das seine Oberfläche "krönt", dockt das SARS-CoV-2 Virus an die Wirtszellen im menschlichen Organismus an und infiziert diese. Im Hintergrund ein Virusmodell mit dem Spikeprotein (rot), im Vordergrund die 3D- Struktur des Spikeproteins. (Bild: NIH-Image Gallery)

Collins: Mit dem Wissen, dass das Spike-Protein wahrscheinlich Ihr Antigen sein kann, wie sind Sie bei der Entwicklung des Impfstoff vorgegangen?

Mascola: Unser Ansatz war ein Impfstoff auf Nukleinsäurebasis. Eine solcher, auf genetischem Material - entweder DNA oder RNA - basierender Typ eines Impfstoffs kann besonders schnell für erste Testungen in die Klinik gebracht werden.

…der für das Spike-Protein kodiert

Als wir von dem Ausbruch in Wuhan erfuhren, haben wir einfach auf die Nukleinsäuresequenz von SARS-CoV-2, dem neuartigen COVID-19 verursachenden Virus, zugegriffen. Der Großteil der Sequenz befand sich auf einem Server chinesischer Forscher. Wir haben uns die für das Spike-Protein kodierende Sequenz angesehen und diese in einen RNA-Impfstoff eingebaut (ein sogenanntes in silico Impfstoffdesign). Aufgrund unserer Erfahrung mit dem ursprünglichen SARS-Virus in den 2000er Jahren wussten wir, dass ein solcher Ansatz funktionierte. Wir haben das Impfstoffdesign einfach nur der Sequenz des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 entsprechend verändert. Buchstäblich innerhalb weniger Tage haben wir begonnen den Impfstoff im Labor herzustellen.

Gleichzeitig haben wir mit dem Biotechnologieunternehmen Moderna zusammengearbeitet, das personalisierte Krebsimpfstoffe herstellt. Von der Verfügbarkeit der Sequenz Anfang Januar bis zum Beginn der ersten Studie am Menschen hat es dann etwa 65 Tage gedauert. 

Collins: Wow! Wurde jemals ein Impfstoff in 65 Tagen entwickelt?

Mascola: Ich glaube nicht. Es gibt Vieles, was erstmalig bei COVID ist - die Entwicklung von Impfstoffen gehört dazu.

Collins: Was war eigentlich in der Spritze, welche in der Phase-1-Studie die Freiwilligen erhielten?

Mascola: Die Spritze enthielt die Messenger-RNA (mRNA) des Spike-Proteins - d.i. die kodierte Anweisungen zu seiner Biosynthese - verpackt in eine Lipid-Nanopartikel-Hülle. Diese Verpackung schützt die mRNA, die weniger stabil als DNA ist und im Proberöhrchen von Enzymen abgebaut werden kann. Darüber hinaus ermöglicht dieses Schutzpartikel die Injektion in den Muskel und erleichtert die Aufnahme der mRNA in die Muskelzellen. Die Zellen übersetzen die mRNA dann in Spike-Proteine, das Immunsystem erkennt diese und löst eine Immunantwort aus. Abbildung 3.

Abbildung 3. Der Impfstoffkandidat des NIH-Vaccine Research Centers in Zusammenarbeit mit dem Biotechunternehmen Moderna. Ein nicht-infektiöses Stück mRNA, das für das virale Spike Protein kodiert, wird in den Muskel injiziert, löst die Produktion des Spike-Proteins aus, welches die Produktion von neutralisierenden Antikörpern triggert. (Bild: https://twitter.com/nih/status/1278697208548782081 )

Collins: Wissen Muskelzellen, wie sie dieses Protein auf ihre Zelloberflächen bringen können, wo das Immunsystem es sehen kann? Mascola: Mit einer richtig konstruierten mRNA machen sie das. Wir haben mit der DNA diesbezüglich lange Erfahrung. Verglichen mit der DNA hat die mRNA den Vorteil, dass sie nur in die Zelle gelangen muss und nicht in den Zellkern. Es hat uns jedoch etwa ein Jahrzehnt gekostet, um herauszufinden, wie die Zelle die mRNA sehen kann, ohne sie zu zerstören und tatsächlich wie ein Stück normaler mRNA zur Umwandlung in ein Protein benutzt. Da dies geklärt ist, ist es nun ziemlich einfach, jeden spezifischen Impfstoff herzustellen.

Collins: Das ist wirklich ein bemerkenswerter Zug der Wissenschaft. Während es so aussieht, als ob dies alles in einem Augenblick, in 65 Tage, geschehen ist, ist das Verstehen wie Zellen mit mRNA umgehen, aus jahrelanger Grundlagenforschung hervorgegangen.

Wie ist der aktuelle Status des Impfstoffs?

Mascola: Vorläufige Ergebnisse aus der Phase-1-Studie sind sehr ermutigend. Eine in Vorbereitung befindliche Veröffentlichung wird in Kürze aufzeigen, dass der Impfstoff sicher war und eine sehr robuste Immunantwort auf das Spike-Protein ausgelöst hat. Wir haben speiziell nach neutralisierenden Antikörpern gesucht, die sich an den Spike anlagern und verhindern, dass das Virus an eine Zelle bindet. In der Impfstoffentwicklung gibt es ein allgemeines Prinzip: Wenn das Immunsystem neutralisierende Antikörper erzeugt, ist dies ein sehr gutes Zeichen.

Collins: Auch wenn dies gute Anzeichen sind, beweist dies noch nicht, dass dieser Impfstoff auch funktionieren wird. Was muss man noch wissen?

Mascola: Die einzige reale Möglichkeit herauszufinden, ob ein Impfstoff funktioniert oder nicht funktioniert, besteht darin, ihn an Menschen zu testen. Die klinischen Studien sind in die Phasen 1, 2 und 3 unterteilt.

Phase 1 zur Beurteilung der Sicherheit wurde bereits durchgeführt.

Phase 2 ist eine umfassendere Evaluierung von Sicherheit und Immunantwort. Diese Studie läuft noch und hat 500 oder 600 Personen rekrutiert.

Der Beginn der Phase-3-Studie ist im Juli geplant. Auch das ist unglaublich schnell, wenn man bedenkt, dass wir bis Januar überhaupt nicht wussten, dass dieses Virus existiert. Collins: Wie viele Personen brauchen Sie für die Phase-3-Studie? Mascola: Wir denken an 20.000 oder 30.000.

Collins: Und eine Hälfte erhält den Impfstoff und die andere Hälfte ein Placebo?

Mascola: Manchmal kann es anders gemacht werden, aber der klassische Ansatz ist halb Placebo, halb Impfstoff.

Andere Impfstoffe

Collins: Wir haben nun über den Nukleinsäure-Impfstoff von VRC-Moderna gesprochen. Aber es gibt auch andere, die ziemlich schnell unterwegs sind. Welche anderen Strategien werden angewendet und wie sind ihre Zeitpläne?

Mascola: Viele Dutzende Impfstoffe befinden sich in der Entwicklungs-Pipeline. Es hat ein außergewöhnliches Echo bei akademischen Gruppen, Biotech-Unternehmen, Pharmaunternehmen und der NIH-ACTIV Partnerschaft (Accelerating COVID-19 Therapeutic Interventions and Vaccines) gegeben. Ich glaube nicht, dass ich jemals so viel Aktivität und ein solches Tempo in einem Impfbereich erlebt habe.

Um in fortgeschrittene klinische Studien eintreten zu können, gibt es nur eine Handvoll Impfstoff-Kandidaten und es handelt sich dabei um verschiedene Typen. Mindestens drei Nukleinsäure-Impfstoffe befinden sich in klinischen Studien. Es gibt auch zwei Impfstoffe, die Proteine verwenden, was ein üblicherer Ansatz ist.

Darüber hinaus gibt es mehrere Impfstoffe, die auf einem viralen Vektor basieren. Dafür baut man die Gene für das Spike-Protein in ein Adenovirus (ein harmloses Erkältungsvirus) ein und injiziert dieses in die Muskeln.

Was Phase-3-Studien betrifft, wird es im Herbst möglicherweise drei oder vier Impfstoffe in solchen Testungen geben.

Zur beschleunigten Entwicklung

Collins: Wie ist es möglich, dies so viel schneller als in der Vergangenheit zu tun, ohne dabei Risiken einzugehen?

Mascola: Das ist eine wirklich wichtige Frage. Anders als normalerweise üblich, wird nun eine Reihe von Aktivitäten parallel ausgeführt. Dank zeitsparender Technologien können wir einen Impfstoff viel schneller in eine Studie am Menschen einbringen.

Tatsächlich entscheidend ist aber, dass es für die Phase-3-Studie keine Zeitersparnis gibt. Man muss 30.000 Menschen rekrutieren und sie über Monate in einem sehr strengen, placebokontrollierten Ambiente beobachten. Das NIH hat für alle Versuche ein sogenanntes Data Safety Monitoring Board eingerichtet. Dies ist eine unabhängige Gruppe von Forschern, die regelmäßig alle Daten aus Impfstoffversuchen überprüfen. Sie können auf die Daten reagieren: Sollte die Studie vorzeitig abgebrochen werden, weil der Impfstoff wirkt? Gibt es ein Besorgnis erregendes Signal hinsichtlich Sicherheit?

Während die Phase-3-Studie läuft, wird die US-Regierung auch die Herstellung des Impfstoffs in großem Maßstab finanzieren. Üblicherweise würde man die Impfstoffstudie durchführen, warten, bis alles abgeschlossen ist, und dann die Ergebnisse analysieren. Bei positivem Ausgang würde man dann eine Impfstoffanlage bauen, um ausreichend Material herzustellen, was zwei oder drei Jahre dauert, und dann für die behördliche Zulassung durch die Food and Drug Administration (FDA) einreichen.

Hier wird nun alles parallel gemacht. Wenn der Impfstoff funktioniert, ist er bereits lieferbar. Und die FDA gibt uns Feedback in Echtzeit. Das spart viel Zeit.

Collins: Ist es möglich, dass wir eine ganze Menge von Impfdosen herstellen, die weggeworfen werden müssen, wenn der Impfstoff nicht funktioniert?

Mascola: Das ist sicherlich möglich. Man tendiert zur Annahme, dass Impfstoffe bei Coronaviren wahrscheinlich wirken, weil diese durch die natürliche Immunantwort beseitigt werden. Menschen erkranken schwer an COVID-19, schlussendlich beseitigt aber das Immunsystem das Virus. Wenn wir das Immunsystem also mit einem Impfstoff primen können, gibt es Grund zu der Annahme, dass Impfstoffe funktionieren sollten.

Zur Dauer der Immunität

Collins: Wenn der Impfstoff wirkt, wird dies lebenslange Prävention von COVID-19 bedeuten? Oder wird es wie die Grippe sein, bei der sich das Virus ständig ändert und jedes Jahr neue Versionen des Impfstoffs benötigt werden?

Mascola: Nach allem, was wir über Coronaviren wissen, denken wir, dass COVID-19 wahrscheinlich nicht wie die Grippe ist. Coronaviren mutieren zwar, die Daten legen aber nahe, dass sie nicht so schnell mutieren wie Influenza. Wenn wir Glück haben, braucht der Impfstoff nicht geändert zu werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Immunität ein Jahr, fünf Jahre oder zehn Jahre anhält. Dazu brauchen wir weitere Daten.

Collins: Können wir sicher sein, dass jemand, der COVID-19 hatte, es einige Monate später nicht wieder bekommen kann?

Mascola: Das wissen wir noch nicht. Um dies zu beantworten, müssen wir den natürlichen Zeitverlauf untersuchen, ehemals infizierte Personen beobachten und prüfen, ob ihr nunmehriges Infektionsrisiko viel geringer ist. Klassisch in der Virologie ist: wenn das Immunsystem neutralisierende Antikörper gegen ein Virus zeigt, ist es sehr wahrscheinlich, dass man ein gewisses Maß an Immunität hat.

Etwas schwierig ist, dass es Menschen gibt, die sehr milde Symptome von COVID-19 bekommen. Bedeutet das, dass ihr Immunsystem nur wenig vom viralen Antigen gesehen hat und nicht sehr robust reagiert hat? Wir sind uns nicht sicher, ob jeder, der eine Infektion bekommt, gleichermaßen geschützt ist. Dies erfordert eine Verlaufsstudie, die etwa ein Jahr dauern wird, bis die Antworten vorliegen.

Teilnehmer an der Phase 3 Studie

Collins: Kehren wir zu den Versuchen zurück, die diesen Sommer stattfinden müssen. Sie haben von 20.000 bis 30.000 Menschen gesprochen, die sich für den einen Impfstoff freiwillig melden müssen. Welche Freiwilligen möchten Sie haben?

Mascola: Eine Phase-3-Studie sieht ein breites Spektrum an Teilnehmern vor. Die Durchführung eines Versuchs mit 30.000 Personen ist eine enorme logistische Herausforderung, die jedoch für die Rotavirus- und HPV-Impfstoffe stattgefunden hat. Wenn man in Phase 3 eintritt, möchte man nicht nur gesunde Erwachsene rekrutieren. Man möchte Personen dabei haben, die für die Vielfalt der Bevölkerung repräsentativ sind, die man schützen möchte.

Collins: Möchten Sie einen höheren Anteil an Hochrisikopopulationen? Dazu gehören diejenigen, von denen wir den den größten Nutzen eines Impfstoffs erwarten: ältere Menschen mit chronischen Krankheiten, Afroamerikaner und Hispanics.

Mascola: Auf jeden Fall. Wir möchten sicherstellen, dass wir mit ruhigem Gewissen den Impfstoff gefährdeten Bevölkerungsgruppen empfehlen können.

Sind Human Challenge Studien derzeit angebracht?

Collins: Einige Leute haben eine andere Möglichkeit aufgebracht. Sie fragen, warum wir teure klinische Langzeitstudien mit Zehntausenden von Menschen brauchen. Könnten wir nicht eine sogenannte Human-Challenge-Studie durchführen, in der wir den Impfstoff einigen gesunden, jungen Freiwilligen geben, ein paar Wochen warten und sie dann absichtlich dem SARS-CoV-2 aussetzen. Wenn sie nicht krank werden, haben wir es geschafft. Sind Challenge-Studien eine gute Idee für COVID-19?

Mascola: Im Moment noch nicht. Zunächst muss ein Challenge-Vorrat von SARS-CoV-2 angelegt werden, der nicht zu pathogen ist. Wir wollen im Labor ja nichts machen, was zu einer schweren Lungenentzündung führt. Für Challenge-Studien wäre es auch vorzuziehen, eine sehr wirksame Behandlung mit synthetischen Arzneimitteln oder Antikörpern zur Hand zu haben. Wenn jemand krank wird, kann man sehr schnell mit den Behandlungen gegen die Infektion beginnen. Wir haben keine kurativen Behandlungen, daher sind wir derzeit noch nicht für COVID-19-Challenge-Studien gerüstet [3]. Wenn Sie sich unseren beschleunigten Zeitplan ansehen, sind formelle Impfstoffversuche möglicherweise immer noch der schnellste und sicherste Weg, um Antworten zu erhalten.

Collins: Ich bin froh, dass Sie es anders machen, John. Es wird sehr mühsam sein. Man muss irgendwo hin gehen, wo das Virus sich noch verbreitet, sonst weiß man ja nicht, ob der Impfstoff wirkt. Das wird schwierig.

Mascola: Ja. Wie wissen wir, wo wir den Impfstoff testen müssen? Wir verwenden Predictive Analytics - wir versuchen, vorherzusagen, wo im Land  fortlaufende Übertragungen stattfinden werden. Wenn wir das wirklich gut können, bekommen wir Echtzeitdaten zur Übertragung in einer bestimmten Region. Wir können dort impfen und zugleich die am stärksten gefährdeten Menschen schützen.

Wann wird ein Coronaimpfstoff verfügbar sein?

Collins: John, dieses Gespräch war sehr informativ. Was ist Ihre optimistischste Meinung darüber, wann wir möglicherweise einen COVID-19-Impfstoff haben werden, der sicher und ausreichend wirksam ist, um an die Bevölkerung verteilt zu werden?

Mascola: Ein optimistisches Szenario wäre, dass wir gegen Ende dieses Jahres aus der Phase-3-Studie eine Antwort erhalten. Parallel zur Studie haben wir die Produktion hochgefahren, daher sollte der Impfstoff in großer Menge verfügbar sein. Wir benötigen aber noch den Review der Daten durch die FDA und das Einverständnis mit der Lizenzierung des Impfstoffs. Dann müssen wir ein wenig Zeit für die Verteilung und Werbung der Impfung einplanen.

Collins: Nun, es ist wunderbar, dass jemand mit Ihren Fähigkeiten, Erfahrungen und Visionen zusammen mit Ihren vielen Kollegen im Impfstoffforschungszentrum eine so führende Rolle spielt. Leute wie Kizzmekia Corbett, Barney Graham und all die anderen, die Teil dieses großartigen Teams sind, das Sie zusammengestellt haben und das von Dr. Fauci gemanagt wird.

Wenn auch noch ein langer Weg vor uns liegt, können wir stolz darauf sein, wie weit wir seit dem Erscheinen dieses Virus vor etwa sechs Monaten gekommen sind. In meinen 27 Jahren am NIH habe ich so etwas noch nie erlebt. Es gab eine Bereitschaft der Menschen  alle anderen Sorgen zur Seite zu schieben. Sie sind an einem Tisch zusammengekommen, haben an Design und Implementierung von Impfstoffen gearbeitet und sind schließlich in die reale Welt getreten, um klinische Studien zu starten.

John, vielen Dank für das, was Sie rund um die Uhr tun, um diese Art von Fortschritt zu ermöglichen. Wir alle beobachten, hoffen und beten, dass dies die Antwort sein wird, die die Menschen nach einer so schrecklich schwierigen Zeit im Jahr 2020 dringend brauchen. Ich glaube, dass 2021 eine ganz andere Art von Erfahrung sein wird, vor allem aufgrund der Impfwissenschaft, über die wir heute gesprochen haben.

Mascola: Vielen Dank, Francis. Und danke für die Anerkennung aller Menschen hinter dem Vorhang, die dies möglich gemacht haben. Sie arbeiten wirklich hart!


[1] Francis S. Collins, 05.03.2020: Strukturbiologie weist den Weg zu einem Coronavirus-Impfstoff

[2] Redaktion, 18.03.2020:Experimenteller Impfstoff gegen SARS-CoV-2 bereits in klinischer Phase 1-Testung

[3] Deming ME, Michael, NL, Robb M., Cohen MS, Neuzil KM. Accelerating Development of SARS-CoV-2 Vaccines—The Role for Controlled Human Infection Models . N Engl J Med. 2020 1. Juli. [Epub vor Druck].


* Dieser Artikel von NIH Director Francis S. Collins, M.D., Ph.D. erschien zuerst (am 9. Juli 2020) im NIH Director’s Blog unter dem Titel: " Meet the Researcher Leading NIH’s COVID-19 Vaccine Development Efforts";

https://directorsblog.nih.gov/2020/07/09/meet-the-researcher-leading-nihs-covid-19-vaccine-development-efforts/. Der Artikel wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu übersetzt und geringfügig (mit einigen Untertiteln, um den überlangen Text zu gliedern und mit zwei zusätzlichen Abbildungen) für den ScienceBlog adaptiert. Reprinted (and translated by ScienceBlog) with permission from the National Institutes of Health (NIH).


Artikel zu COVID-19 im ScienceBlog: