Do, 02.04.2020 — IIASA
Die weltweite Ausbreitung der COVID-19-Pandemie lässt uns schnell erkennen, dass niemand von ihren zerstörerischen Folgen verschont bleibt. Länder und Regionen konkurrieren um knappe Ressourcen medizinischer, technischer und finanzieller Art. Als Unterstützung für die im Gesundheitssektor Tätigen, für Politiker und Regierungen in ihrer strategischen Entscheidungen Ressourcen besser zu nutzen, arbeiten Forscher am International Institute of Applied Systems Analysis (IIASA, Laxenburg bei Wien) daran, wesentliche demografische und sozioökonomische Informationen zu visualisieren und bereitzustellen.*
Die COVID-19-Pandemie hat die Welt aus heiterem Himmel getroffen und zeigt eine beispiellose Übertragungsrate. Warum sich das Virus so rasch weltweit ausbreiten konnte, liegt zum Teil in der Natur des Virus selbst begründet, in seinem Erscheinungsbild (Symptome treten erst verspätet nach der Infektion auf) und auch in der hochkomplexen, vernetzten Welt, in der wir heute leben.
Ein ebenso wichtiger Beitrag resultiert aber auch aus unserer, sich jetzt offenbarenden Unfähigkeit: wir sind nicht imstande mit einer rasch auftretenden globalen Bedrohung zusammen als Gemeinschaft - über Ländergrenzen und Kontinente hinweg - umzugehen. Unsere bestehenden multilateralen Systeme sind einfach noch nicht darauf ausgerichtet, dass sie zeitnah und in angemessener Form auf eine solche aufkommende globale Herausforderung reagieren. Die Mehrzahl der von den Nationalstaaten getroffenen Maßnahmen haben sich als unzureichend erwiesen.
COVID-19 in Europa
Seit die ersten Fälle von COVID-19 gegen Ende 2019 in China registriert wurden, hat sich die Krankheit über die gesamte Welt ausgebreitet und Europa ist zu einer der am stärksten davon betroffenen Regionen geworden. Abbildung 1.
Abbildung 1. Die Infektion mit SARS-CoV-2 hat sich in ganz Europa ausgebreitet. Die Zahlen der getesteten infizierten Personen stammen vom 30. März 2020. Die Größe der Kreise entspricht der Zahl der Infizierten. (Source: John Hopkins University Coronavirus Resource Center (https://coronavirus.jhu.edu/map.html)
Die ersten Statistiken zur Pandemie deuten darauf hin, dass die Altersgruppe der über 65-Jährigen und insbesondere der über 80-Jährigen dem höchsten Erkrankungsrisiko ausgesetzt ist. Dies ist besonders besorgniserregend, da in der EU der Anteil der alternden Bevölkerung hoch ist; dazu kommen erhebliche Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung der Regionen. Eine Kombination dieser beiden Aspekte impliziert, dass verschiedene Regionen unterschiedlichen Herausforderungen gegenüberstehen was die Ausbreitung des Virus, die Belastung der landesweiten öffentlichen Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme und die wirtschaftlichen Einbrüche betrifft.
IIASA-Maps
IIASA-Forscher haben die Ausbreitung der Pandemie über die Regionen hinweg verfolgt und Landkarten zur Verfügung gestellt, in denen wichtige demografische und bevölkerungsbezogene Informationen visualisiert werden [1]. Diese IIASA-Maps sollen der schnellen Verbreitung dieser Informationen dienen und den in den Gesundheitsberufen Tätigen, Politikern und Regierungen Unterstützung in ihrer Entscheidungsfindung bieten.
Abbildung 2. Alter ist ein Indikator für ein erhöhtes Risiko an COVID-19 zu erkranken. Europa ist ein alternder Kontinent. In einigen Regionen kommen 2 Personen im Erwerbsalter auf eine Person im Alter von 65 + Jahren.
Asjad Naqvi, Projektleiter und Forscher im Advanced Systems Analysis Program der IIASA erklärt dazu: „Die rasche Verbreitung des Virus hat viele Länder gezwungen, drastische Maßnahmen zu ergreifen wie die Schließung öffentlicher Räume, Schulen und Unternehmen, um damit die Mobilität und menschliche Interaktionen einzuschränken. Diese Maßnahmen werden zusammenfassend als „soziale Distanzierung“ bezeichnet. Sie basieren auf der Annahme, dass je weniger Interaktionen zwischen Menschen bestehen, desto langsamer wird sich das Virus ausbreiten und desto besser ist das Gesundheitssystem dann in der Lage die Situation zu bewältigen. Um zu wissen, ob derartige Maßnahmen wirken und wie lange sie aufrecht erhalten werden müssen, benötigen Entscheidungsträger jedoch Informationen. In der beispiellosen Situation, in der wir uns nun befinden, sind solche Informationen nicht immer schnell zur Hand. Dieses Projekt soll dazu beitragen, solche Lücken zu füllen“.
Abbildung 3. Das mittlere jährliche Haushaltseinkommen [€ ] ist ein Indikator wie gut Situationen bewältigt werden können. Die Unterschiede zwischen dem Kern-Europa und der östlichen und südlichen Peripherie sind enorm.
Es sind nun eine Reihe benutzerfreundlicher Karten verfügbar, in denen verschiedene demografische, sozioökonomische und gesundheitsbezogene Indikatoren grafisch dargestellt sind. Im Folgenden sind einige Beispiele dargestellt (Abbildungen 2 - 4).
Indikatoren sind auch Migration und Veränderungen in der Bevölkerungstruktur, durchschnittliche Haushaltseinkommen [Abbildung 3] sowie die Anzahl der in jedem EU-Land verfügbaren Ärzte und Krankenhausbetten. [Abbildung 4.]
Abbildung 4. Indikator Ärzte und Krankenhausbetten. In Regionen mit dunkleren Farben kommen mehr Personen im Alter von 65+ Jahren auf einen Arzt/ ein Krankenhausbett (Daten stammen aus dem letzten weitgehend kompletten Datenset 2015)
Die Visualisierungen sind anhand ausgewählter Indikatoren aus der öffentlich zugänglichen Eurostat-Datenbank zusammengestellt und werden regelmäßig aktualisiert, um Änderungen Rechnung zu tragen. Bemüht um ein besseres Verständnis der sozioökonomischen und demografischen Kontexte, in denen sich die aktuelle COVID-19-Krise abspielt, plant das Team weitere Indikatoren in die aktuelle Liste aufzunehmen. Derzeit wird auch an einer interaktiven Website gearbeitet, die als Archiv für alle IIASA-Forschungsarbeiten zu COVID-19 und als Plattform dienen soll, um die neuesten Updates anzusehen und zu durchsuchen und ebenso ältere Versionen der Karten.
Das Ausmaß unserer Vernetzung hat uns erkennen lassen, dass wir in einem globalen Dorf leben, und diese Pandemie hat jeden noch vorhandenen Zweifel daran beseitigt. Allerdings kann die zugrunde liegende globale Ordnung von ausgedehntem Tourismus, Handel, Wirtschaft und Bildungswesen zu Schwachpunkten führen. Gleichzeitig bietet sie auch die Möglichkeit, kritische Sektor-spezifische Informationen zu generieren, die man systematisch nutzen kann, um schnelle und effektive globale und nationale Reaktionen auf Risiken zu ermöglichen.
[1] Naqvi A (2020). COVID-19: Visualizing regional socioeconomic indicators for Europe. International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA), Laxenburg, Austria [pure.iiasa.ac.at/16395] Der Artikel sreht unter einer cc-by-nc Lizenz
* Der von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzte Artikel ist am 30. April auf der IIASA Webseite unter dem Titel: "COVID-19: Visualizing regional indicators for better decision making" erschienen. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung von Inhalten seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt. Der Text wurde von der Redaktion durch einige Sätze und Abbildungen aus [1] und Legenden ergänzt.
Artikel zu COVID-19 im ScienceBlog
- Inge Schuster, 26.03.2020:Drug Repurposing - Hoffnung auf ein rasch verfügbares Arzneimittel zur Behandlung der Coronavirus-Infektion
- Redaktion, 18.03.2020:Experimenteller Impfstoff gegen SARS-CoV-2 bereits in klinischer Phase 1-Testung
- Francis S. Collins, 05.03.2020: Strukturbiologie weist den Weg zu einem Coronavirus-Impfstoff
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