Grundlagenforschung bildet das feste Fundament für die Biomedizin

Do, 01.03.2018 - 11:33 — Francis Collins

Francis CollinsIcon MedizinDie Entwicklung erfolgversprechender neuer Medikamente basiert heute auf der Aufklärung der molekularen Krankheitsursachen und der therapeutischen Modulierung dieser Ziele (Targets). Derartige Kenntnisse werden durch Grundlagenforschung geschaffen, die - zum großen Teil durch die öffentliche Hand finanziert- in akademischen Institutionen oder staatlichen Labors stattfindet. Dagegen erfolgt die sehr kostenaufwändige präklinische und klinische Entwicklung im privaten Sektor, in Pharmafirmen. Der von der Öffentlichkeit geleistete Beitrag zur Grundlagenforschung wurde bis jetzt unterschätzt. Eine erste sorgfältige Analyse hat eben ein US-amerikanisches Forscherteam veröffentlicht [1]: demnach haben die National Institutes of Health (NIH) die Grundlagenforschung der zwischen 2010 und 2016 neu zugelassenen 210 Medikamente mit mehr als 100 Milliarden US Dollar gefördert. Francis Collins, NIH-Direktor und ehem. Leiter des "Human Genome Project", fasst diese Untersuchung zusammen.*

Zu den wesentlichen Aufgaben der NIH gehört die Förderung der Grundlagenforschung, die fundamentale Erkenntnisse über die Natur und das Verhalten lebender Systeme erbringt. Derartige Kenntnisse sind die Basis von biomedizinischen Fortschritten, die wir zum Schutz und zur Besserung unserer Gesundheit und der unserer Nachkommen benötigen.

Natürlich ist es oft schwer vorhersagbar, wie und ob diese Art von Grundlagenforschung der Bevölkerung überhaupt einen Nutzen bringen kann. Dazu kommt, dass der Zeitraum, der zwischen einer Entdeckung und ihrer medizinischen Anwendung (sofern es überhaupt dazu kommt) verstreicht, sehr lange sein kann. Es mag daher der Einwand kommen, dass Aufwendungen für Grundlagenforschung keine sinnvolle Nutzung von Fördermitteln darstellen und, dass man die gesamten Mittel der NIH besser für konkrete Krankheitsziele einsetzen sollte.

Um einer derartigen Meinung entgegen zu treten, möchte ich einige neue Ergebnisse aufzeigen, welche die Wichtigkeit einer öffentlich geförderten Grundlagenforschung unterstreichen.

NIH-geförderte Forschung der zwischen 2010 und 2016 neu zugelassenen Arzneimittel

Ein Forscherteam hat mehr als 28 Millionen Veröffentlichungen in der PubMed.gov database analysiert und zeigt nun, dass NIH-Förderungen in die publizierten Arbeiten jedes der 210 neuen, von der FDA zwischen 2010 und 2016 zugelassenen Arzneimittel geflossen sind [1]. Mehr als 90 % dieser Forschungen betrafen Grundlagen, das bedeutet sie wurden für die Entdeckung fundamentaler biologischer Mechanismen aufgewandt und kaum auf die Entwicklung von Arzneimitteln.

In der Vergangenheit hatte man versucht den Beitrag der öffentlichen Förderungen zur Entwicklung neuer Medikamente primär an der Zahl von Patenten zu definieren. Zumeist hatte man sich auf Patente bezogen, die Pharmafirmen von akademischen Einrichtungen einlizensierten, an denen ja der bei weitem überwiegende Teil der amerikanischen - größtenteils NIH-geförderten - biologischen Grundlagenforschung stattfindet. Derartige Untersuchungen hatten den Eindruck erweckt , das bloß 10 % oder sogar noch weniger der neu zugelassenen Arzneimittel sich auf Patente akademischer Einrichtungen zurückführen ließen. Dies ist zwar interessant, diese Studien übersehen dabei aber den weitreichenden Einfluss von Ergebnissen der Grundlagenforschung, die typischerweise publiziert aber nicht patentiert werden.

Um zu einer breiteren Sichtweise zu kommen, hat ein Forscherteam der Bentley University die PubMed .gov Datenbank (US National Library of Medicine; Anm. Redn.) herangezogen. Unter der Leitung von Ekaterina Galkina Cleary, Jennifer Beierlein und Fred Ledley machte sich das Team daran, den Gesamtumfang der NIH-Förderungen bei den aktuell zugelassenen Medikamenten zu untersuchen. Die Ergebnisse wurden eben im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) publiziert [1]. (Das Team selbst ist kein Empfänger von NIH-Grants.)

Die Forscher begannen damit,

dass sie alle neuen Verbindungen - new molecular entities (NMEs) -identifizierten, die zwischen 2010 und 2016 von der FDA zugelassen worden waren. (NMEs bedeutet dabei, dass es sich um Verbindungen handelt, die zuvor noch nie Bestandteil eines zugelassenen Medikament waren.)

Diese Suche ergab 210 neue Medikamente. 197 dieser Medikamenten waren auf 151 spezifische Targets (biologische Zielmoleküle) ausgerichtet; für die restlichen 13 Medikamente waren die Targets unbekannt. 84 der 210 neuen Medikamente hatten von der FDA die Bezeichnung "first in class" erhalten, das heißt, ihr Design zielte auf völlig neue biologische Targets ab.

Im nächsten Schritt

wurde eine sehr umfangreiche Liste themenverwandter Arbeiten zusammen getragen. Es war dies eine Liste aller Artikel in PubMed, die sich mit einer der 210 NMEs oder einem der 151 Zielmoleküle der NMEs befassten. Dies führte schließlich zu rund 130 000 Publikationen über jeweils eine der neuen NMEs und zu nahezu 2 Millionen Arbeiten über deren biologische Zielmoleküle. Abbildung 1 A.

Abbildung 1. A) Publikationen in PubMed, die sich mit einer der 210 NMEs befassen (Drug Search), die zwischen 2010 und 2016 zugelassen wurden (insgesamt 131 000 Arbeiten), oder einem der 151 molekularen Targets (Target Search) dieser NMEs (insgesamt 1,97 Millionen Arbeiten). B) Die NIH-geförderten Arbeiten in PubMed (NMEs: 22 700; Target: 588 000). Anm. Redn.: An einzelnen Targets wurde schon mehr als 30 Jahre lang gearbeitet, bevor dafür geeignete Wirkstoffe gefunden wurden. (Bild stammt aus [1] und steht unter cc-by-nc-nd Lizenz)

Im letzten Schritt

wurde diese lange, aus der PubMed Datenbank erhaltene Liste mit den Publikationen in der "NIH RePORTER database" verglichen, d.i. mit einer elektronischen Datenbank , die alle NIH-geförderten Forschungsprojekte der letzten 25 Jahren enthält. Das Ergebnis zeigte, dass Publikationen über 198 der 210 neuen Medikamente und über alle 151 neuen biologischen Targets NIH-Förderungen erhalten hatten. In anderen Worten: NIH-Förderung spielte bei praktisch jedem der neu zugelassenen Präparate direkt oder indirekt eine Rolle.

Von den zwei Millionen Publikationen, die das Forscherteam identifiziert hatte (Abbildung 1 A), hatten rund 30 % NIH-Förderung erhalten. Abbildung 1 B. Wenn man die Zahl der Projekte mit der geförderten Laufdauer multiplizierte, ergab dies mehr als 200 000 fiskalische Jahre der Unterstützung, die sich auf Kosten von insgesamt mehr als 100 Milliarden US Dollar beliefen. Abbildung 2. Das bedeutet etwa 20 % des NIH-Budgets. Bezogen auf die 84 zwischen 2010 und 2016 eingeführten first-in class Präparate, betrug die NIH-Förderung mehr als 64 Milliarden US Dollar.

Abbildung 2. Kosten der NIH-Förderungen. Von den insgesamt 115, 3 Milliarden US $, gingen mehr als 90 % in die Förderung der Targetforschung. (Bild stammt aus [1] und steht unter cc-by-nc-nd Lizenz; Information aus Tale 3 in [1]: Die NIH-Förderung jedes der first-in-class NMEs belief sich im Mittel auf 0,84 Milliarden US $.)

Alles in allem betrachtet,

zeigen die Ergebnisse, dass die öffentlich geförderte Grundlagenforschung einen größeren Beitrag zur Entwicklung der vielversprechendsten therapeutischen Fortschritte geleistet hat, als man bisher vermutet hatte. (Anm. Redn.: Pharmafirmen haben 2015 die Forschungs-und Entwicklungskosten eines NME mit bis zu 2 Milliarden US $ - und auch darüber - beziffert.) Wenn wir in die Zukunft blicken, so werden auch weiterhin Schutz und Erhaltung unserer und unserer Nachkommen Gesundheit von solidem, auf Grundlagenforschung aufbauendem Wissen abhängen.


* Dieser Artikel von NIH Director Francis Collins, M.D., Ph.D. erschien unter dem Titel: "Basic Research: Building a Firm Foundation for Biomedicine" zuerst (am 27. Feber 2018) im NIH Director’s Blog. https://directorsblog.nih.gov/2018/02/27/basic-research-building-a-firm-foundation-for-biomedicine/#more-9770.

Der Artikel wurde von der Redaktion aus dem Englischen übersetzt und geringfügig (mit Untertiteln und zwei Abbildungen au [1]) für den Blog adaptiert. Reprinted (and translated by ScienceBlog) with kind permission from the National Institutes of Health (NIH).


[1] Contribution of NIH funding to new drug approvals 2010-2016. Galkina Cleary E, Beierlein JM, Khanuja NS, McNamee LM, Ledley FD. Proc Natl Acad Sci U S A. 2018 Feb 12. pii: 201715368. Der Artikel ist open access.

Anmerkung zu "Target": Unter Target versteht man zelluläre oder extrazelluläre Strukturen, die i) mit einem Pharmakon wechselwirken, ii) deren Aktivität durch ein Pharmakon moduliert werden kann und iii) von denen man annimmt, dass sie die ursächlich mit einer Krankheit verbunden sind.


Links: National Institutes of Health (NIH) in Bethesda (Maryland)

PubMed.gov (National Library of Medicine/NIH)

NIH RePORTER (NIH) Research Portfolio Online Reporting Tools. Datenbank für NIH-geförderte Projekte