Der rasche Niedergang der Natur ist nicht naturbedingt - Der Living Planet-Report 2018 (WWF) zeigt alarmierende Folgen menschlichen Raubbaus

Do, 08.11.2018 - 06:25 — IIASA IIASAIcon Biologie

Vergangene Woche ist der, seit dem Jahr 2000 im zweijährigen Turnus erscheinende «Living Planet-Report» des WWF veröffentlicht worden. Der frei zugängliche, 146 Seiten starke Bericht [1] zeigt ein ernüchterndes Bild, welche globalen Auswirkungen menschliche Tätigkeiten auf Tier- und Pflanzenwelt, Wälder, Ozeane, Flüsse und Klima haben. Die Art und Weise, wie wir Menschen unsere Gesellschaften ernähren, mit Energie versorgen und finanzieren, lassen die Natur und ihre uns erhaltenden Dienstleistungen an eine Grenze stoßen. Das Zeitfenster für Gegenmaßnahmen ist schmal, die Weltgemeinschaft gefordert gemeinsam den Wert der Natur, ihren Schutz und ihre Erholung zu überdenken. Unter den 59 Autoren aus 26 verschiedenen internationalen Institutionen haben auch Forscher des in Laxenburg bei Wien ansässigen International Institute for Applied Systems Analysis - IIASA - wesentlich zu dem Report beigetragen.*

Zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Living Planet Reports bietet der aktuelle, 146 Seiten starke Bericht einen umfassenden Überblick über den Zustand unserer natürlichen Welt [1]. Unter Zuhilfenahme von Indikatoren (Abbildung 1) - wie dem Living Planet Index (LPI) der Zoologischen Gesellschaft von London, dem Species Habitat Index (SHI), dem IUCN-Index der Roten Liste (RLI) und dem Biodiversity Intactness Index (BII) - sowie den Belastbarkeitsgrenzen des Planeten und dem ökologischen Fußabdruck zeichnet der Bericht ein außerordentlich beunruhigendes Bild: die natürlichen Systeme des Planeten, die das Leben auf der Erde erhalten, werden durch menschliche Aktivitäten an eine Grenze gestoßen.

 

Abbildung 1. Indikatoren der Biodiversität: Der Living Planet Index ist Populations-basiert und hat im Zeitraum 1970 - 2014 insgesamt 16 704 Populationen von 4 005 Wirbeltierspezies global verfolgt.(dies wird als repräsentativ für die insgesamt bereits 63 000 beschriebenen Spezies von Wirbeltieren angesehen). Der LPI wird ergänzt durch den Spezies Habitat Index, einem Maß für den verfügbaren Lebensraum jeder Spezies; er erfasst Änderungen in der Verteilung der Spezies, Präferenzen, Verlust von Habitaten. Der Biodiversity Intactness Index verfolgt Änderungen in der Zusammensetzung der Spezies einer Gemeinschaft, d.i. der Biodiversität. Der Rote Liste Index erfasst Anstieg und Absinken auf der Spezies-Ebene, d.i. das Risiko des Aussterbens.(Bild: modifiziert nach WWF Living Planet Report 2018 page 101 [1]; cc-by-sa-3.0)

Rückgang der Arten

Der LPI erfasst Trends im globalen Vorkommen von Wildtieren: er zeigt, dass die Populationen von Fischen, Vögeln, Säugetieren, Amphibien und Reptilien zwischen 1970 und 2014 (dem Jahr der letzten bereits verfügbaren Datensätze) weltweit im Durchschnitt um 60% abnahmen. Abbildung 2 zeigt, wo weltweit die Populationen der Spezies erfasst wurden und wie insgesamt die Populationen im Durchschnitt abgenommen haben.

Abbildung 2. Der globale Life Planet Index (LPI). Oben: Orte, an denen die insgesamt 16 704 Populationen der 4005 Spezies erfasst wurden (seit dem vorherigen Report neu hinzugekommene Populationen/Spezies sind orange/rot dargestellt). Unten: Die über alle erfassten Spezies gemittelte Häufigkeit des Vorkommens zeigt von 1970 - 2014 ein Absinken um 60%. Die weiße Linie gibt die LPI-Werte wieder, die grün schattierte Fläche die statistische Sicherheit (Bereich -50% bis -67%) (Bilder: WWF Living Planet Report 2018 page 90 und 94, [1]; cc-by-sa-3.0)

Die Hauptbedrohungen für die Arten sind dabei mit den Aktivitäten des Menschen korreliert, sie schließen den Verlust und die Verschlechterung von Lebensräumen mit ein sowie die exzessive Ausbeutung von Tier-und Pflanzenwelt. Ken Norris, wissenschaftlicher Direktor der Zoological Society of London äußert dazu: „Ob es Flüsse oder Regenwälder, Mangroven oder Berghänge sind - unsere Arbeit zeigt, dass seit 1970 auf der ganzen Welt der Reichtum an Wildtieren dramatisch zurückgegangen ist. Die Statistiken sind beängstigend, alle Hoffnung aber noch nicht verloren. Wir haben die Möglichkeit, einen neuen Weg zu entwickeln, der es uns erlaubt, nachhaltig in Gemeinschaft mit der Tier- und Pflanzenwelt zu leben, von der wir ja abhängig sind. Unser Bericht legt eine ehrgeizige Agenda für den Wandel dar. Wir werden die Hilfe von Allen brauchen, um dies zu erreichen “.

Beiträge von IIASA Forschern

Der Planet Life Report enthält Beiträge von 59 Autoren aus 26 Institutionen, darunter von David Leclère und Piero Visconti vom IIASA Ecosystems Services and Management Program.

Visconti hat zu Kapitel 3: Biodiversität in einer sich verändernden Welt beigetragen und Daten aus seinen eigenen Analysen beigesteuert - in seiner aktuellen Forschung beschäftigt sich Visconti mit dem Species Habitat Index (SHI) und dem Index der Roten Liste (RLI). Er sagt, dass Biodiversität so facettenreich ist, dass der LPI allein nicht ausreicht, um ihren Zustand und ihre Entwicklung zu verfolgen. Wie es auch in der Ökonomie der Fall ist, sind hier eine Reihe von Kriterien erforderlich. (siehe Abbildung 1.)

„Der Reichtum des Tierbestands ist ein wichtiges Maß für die Gesundheit der natürlichen Umwelt, ein Rückgang für sich allein bereits alarmierend. Andere Indikatoren der Biodiversität geben uns allerdings noch besorgniserregendere Signale, insbesondere das zunehmende Risiko für eine Reihe von Tier- und Pflanzenarten auszusterben, sowie die Gesamtzahl bereits ausgestorbener Arten. Im Gegensatz zum Rückgang einer Population ist ein Aussterben nicht rückgängig zu machen “, sagt Visconti.

Zu Kapitel 4 des Reports: Mehr wollen: Welche Zukunft wollen wir? hat Leclère beigetragen, indem er darstellte, wie Szenarien der von IIASA entwickelten Shared Socioeconomic Pathways (SSPs) helfen können, sich ein Bild von der Zukunft des Planeten zu machen und an einer guten Politik mitzuwirken.

Menschliches Handeln untergräbt die Fähigkeit der Natur die Menschheit zu erhalten

In den letzten Jahrzehnten haben Tätigkeiten des Menschen starke Auswirkungen auf Lebensräume - wie Ozeane, Wälder, Korallenriffe, Feuchtgebiete und Mangroven - und natürliche Ressourcen gezeigt, von denen Pflanzen-, Tierwelt und die Menschheit abhängig sind. In nur 50 Jahren sind 20% des Amazonasgebiets verschwunden, in den letzten 30 Jahren hat die Erde ungefähr die Hälfte ihrer Flachwasserkorallen verloren.

Obwohl der Living Planet-Bericht 2018 das Ausmaß und die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Natur herausstreicht, konzentriert er sich auch darauf, welche Bedeutung und welchen Wert die Natur für Gesundheit und Wohlbefinden von Menschen sowie von Gesellschaften und Volkswirtschaften hat. Der Report nennt dazu Zahlen: Demnach erbringt die Natur weltweit Dienstleistungen im Wert von rund 125 Billionen US-Dollar pro Jahr und hilft gleichzeitig die Versorgung mit Frischluft, sauberem Wasser, Nahrungsmitteln, Energie, Medikamenten und anderen Produkten und Materialien sicher zu stellen.

Ein spezielles Thema in dem Bericht ist die Bedeutung der Bestäuber, welche für die Produktion von Kulturpflanzen im Wert von 235 bis 577 Milliarden US-Dollar pro Jahr verantwortlich sind. (In Abbildung ist eine Steinhummel zu sehen, ein in Europa weit verbreiteter, wichtiger Bestäuber). Der Bericht zeigt auf, wie ein sich veränderndes Klima, intensive landwirtschaftliche Praktiken, invasive Arten und aufkommende Krankheiten sich auf die Fülle, Vielfalt und Gesundheit der Bestäuber auswirken.

Abbildung 3. Die Steinhummel (Bombus lapidarius) ist ein Generalist, was die Nahrung betrifft und somit Bestäuber vieler Pflanzenfamilien (Bild: WWF Living Planet Report 2018 [1]; cc-by-sa-3.0)

„Es ist an der Zeit sich dessen bewusst zu sein, dass eine gesunde und nachhaltige Zukunft für alle nur auf einem Planeten möglich ist, auf dem die Natur gedeiht und Wälder, Ozeane und Flüsse vor Biodiversität und Leben nur so strotzen. Wir müssen dringend überdenken, wie wir die Natur nutzen und wertschätzen - kulturell, wirtschaftlich und in unseren politischen Agendas. Wir müssen die Natur als schön und inspirierend betrachten, aber auch als unverzichtbar “, sagte Marco Lambertini, Generaldirektor von WWF International.

Ein Aktionsplan für die Natur – für 2020 und darüber hinaus

Es ist evident, dass die beiden Agenda - für Umwelt und für menschliche Entwicklung - zusammenlaufen müssen, wenn wir eine nachhaltige Zukunft für alle aufbauen wollen. Der Living Planet Report 2018 unterstreicht die Chance, welche die Weltgemeinschaft hat die Natur zu schützen und zu erneuern. 2020 wird ein kritisches Jahr: es sollen dann die Fortschritte bei den Zielen für nachhaltige Entwicklung, dem Pariser Abkommen und dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity -CBD) überprüft werden.

Der WWF ruft Menschen, Unternehmen und Regierungen dazu auf, unter dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt ein umfassendes Rahmenabkommen für Natur und Menschen aufzubringen; ein Übereinkommen, das öffentliche und private Maßnahmen vereinigt , um die globale Artenvielfalt und die Natur zu schützen und ihr Erholung zu bieten und die Kurve der verheerenden Trends - wie sie , der Living Planet Report 2018 aufzeigt - abzuflachen.

Kapitel 4 des Berichts ist durch eine Arbeit mit dem Titel "Aiming higher to bend the curve of biodiversity loss" inspiriert. Unter diesem "Mehr wollen" wird ein Fahrplan für Ziele, Indikatoren und Kennzahlen angeregt, welcher die 196 Mitgliedstaaten der CBD veranlassen könnte ein dringliches, ambitioniertes und effektives Weltabkommen für die Natur auf den Weg zu bringen, wenn sie sich im November 2018 auf der 14. Vertragsstaatenkonferenz der CBD (COP14) in Ägypten treffen - ganz so, wie es die Welt in Paris für das Klima getan hat. Die COP14 markiert einen Meilenstein, um die Voraussetzungen für ein dringend benötigtes globales Abkommen für Natur und Leute zu schaffen.

Wie in Kapitel 4 hervorgehoben, bietet die Nach-2020- Strategie eine einzigartige Gelegenheit, um rückläufige Trends der Biodiversität umzukehren. Es ist allerdings auch klar, dass eine solche Absicht mit der menschlichen Entwicklung in Konflikt geraten kann. Abbau und Verlust von Lebensraum , die zu den größten Treibern sinkender terrestrischer Biodiversität gehören, sind das direkte Ergebnis menschlicher Aktivitäten, die eben auch die Bedürfnisse einer wachsenden menschlichen Bevölkerung unterstützen. Was wir für eine solide Strategie nach 2020 brauchen, ist eine genauere Bewertung der Art von Landnutzungspfaden und Strategien, die helfen können das globale Nahrungsmittelsystem zu steuern“, sagt Leclère.

Er fügt hinzu, dass vom IIASA entwickelte Modelle und Szenarien - einschließlich des Global Biosphere Management Model (GLOBIOM) und den Shared Socioeconomic Pathways (SSPs) - bei der Entwicklung solcher Strategien, hilfreich sein könnten. 

[1] WWF. 2018. Living Planet Report - 2018: Aiming Higher. Grooten M and Almond REA (Eds). WWF, Gland, Switzerland.


*Der von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzte Artikel ist am 30. Oktober 2018 auf der Webseite des IIASA unter dem Titel: "Nothing natural about nature’s steep decline: WWF report reveals staggering extent of human impact on planet" erschienen. http://www.iiasa.ac.at/web/home/about/news/181030-wwf-report.html. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung von Inhalten seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt. Der Text wurde von der Redaktion durch passende Abbildungen aus dem Living Planet Report 2018 ergänzt.


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