Fr, 12.08.2016 - 09:22 — Redaktion
Der aus Wien stammende Karl von Frisch (1886 - 1982) war einer der bedeutendsten deutschsprachigen Verhaltensforscher. Seine Untersuchungen betrafen die Sinnesphysiologie und das Verhalten insbesondere von Fischen und Bienen. Er wies deren Fähigkeit nach Farben zu sehen, den Geruchs- und Geschmacksinn der Bienen, das Hörvermögens der Fische und entdeckte die Tanzsprache der Bienen. Diese nehmen die Schwingungsrichtung des polarisierten Himmelslichtes wahr, nützen diese zu ihrer Orientierung und geben durch bestimmte Tanzformen die Information an andere Bienen weiter. 1973 wurde von Frisch - zusammen mit dem Österreicher Konrad Lorenz und dem Holländer Nikolaas Tinbergen - mit dem Nobelpreis für "Entdeckungen zur Organisation und Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern" ausgezeichnet.
Abbildung 1. Karl von Frisch, als Professor an der Universität Breslau (Bild um 1923 -1925: http://www.7cudow.eu/en/eksponaty/noblisci) "Es war mir stets daran gelegen, die Ereignisse wissenschaftlicher Forschung in allgemein verständlicher Form auch dem Laien nahezubringen" — Karl von Frisch, 1980 [1]
Karl von Frisch war nicht nur ein außergewöhnlicher, kreativer Forscher, er verstand es auch seine "Wissenschaft" in einfacher, jedem Laien verständlicher Sprache zu vermitteln. Auch als ein noch recht junger Forscher. Davon zeugt der Vortrag „Über den Farbensinn der Fische und der Bienen“ , den er am 27. November 1918 im "Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien" gehalten hat und der im Jahrbuch 1919 des Vereins veröffentlicht wurde [2]. Auf Grund der Länge dieses Textes, beschränken wir uns im Folgenden nur auf den Teil "Farbensehen der Bienen", den wir ungekürzt und geringfügig für den Blog adaptiert wiedergeben (ergänzt mit einigen Untertiteln und Abbildungen aus dem 1914 erschienenen Buch "Der Farbensinn und Formensinn der Biene" von Karl von Frisch [3]).
Wer mehr über Karl von Frisch erfahren möchte: ein 1980 von ihm selbst verfasster Lebenslauf findet sich unter [1].
Karl von Frisch: Über den Farbensinn der Bienen
Es wird das Folgende besser verständlich machen, wenn ich einige Worte über den Farbensinn des Menschen vorausschicke.
Das normale, farbentüchtige Menschenauge vermag zahlreiche Farbennuancen zu unterscheiden. Es gibt aber auch gar nicht wenige Menschen, deren Farbensinn einen gewissen Defekt hat, deren Unterscheidungsvermögen für Farbtöne stark beschränkt ist. Es gibt ferner als seltene Ausnahmen auch Menschen, die überhaupt keine Farben wahrnehmen können. Sie sehen die Welt so, wie sie uns Farbentüchtigen in farblosen Photographien erscheint; sie sehen alle Gegenstände grau, nur je nach ihrer Farbe und Beleuchtung in verschiedener Helligkeit. Sie haben also keinen Farbensinn, sie sind „total farbenblind".
Können niederer organisierte Tiere Farben sehen?
Es wäre möglich, dass totale Farbenblindheit, die uns beim Menschen als seltene pathologische Erscheinung begegnet, bei so viel niederer organisierten Tieren, wie es etwa die Fische sind, der normale, allen Individuen gemeinsame Zustand ist. Doch war man bis vor wenigen Jahren allgemein der Ansicht, dass die meisten Tiere mit gut entwickelten Augen Farbensinn besitzen. Gewisse Experimente schienen den Beweis dafür zu liefern. So hat man Fischen in einem Bassin durch längere Zeit hindurch das Futter stets an einem roten Stäbchen dargeboten. Zeigte man ihnen dann ein rotes und ein grünes Stäbchen, so schossen sie nur auf das rote los und ließen das grüne unbeachtet. Oder: einer Hummel wurde auf blauem Papier Honig dargeboten. Bei ihrer Wiederkehr wurde ihr ein blaues und ein rotes Papier vorgelegt. Sie ließ das rote unbeachtet und flog direkt zum Blau.
Erst der Münchner Ophthalmologe Carl v. Hess hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass solche und ähnliche Versuche keineswegs als Beweise für einen Farbensinn gelten können. Auch ein total farbenblinder Mensch ist leicht imstande, z. B. einen roten von einem blauen Gegenstand zu unterscheiden, und zwar dadurch, dass ihm die Farben in ganz verschiedener Helligkeit erscheinen. Er sieht Rot sehr dunkel, nahezu schwarz, Blau dagegen sieht er wie ein helles Grau. So könnte auch die Hummel das Blau vom Rot an der Helligkeit und nicht an der Farbe unterschieden haben.
Von Hess hat im letzten Jahrzehnt den Farbensinn zahlreicher Tierarten untersucht und ist zu dem Resultat gekommen, dass die Wirbeltiere mit Ausnahme der Fische, also die Lurche und Kriechtiere, die Vögel und Säugetiere einen Farbensinn haben, der dem des Menschen gleich oder ähnlich ist, dass dagegen die Fische, ferner die Insekten, Krebse und anderen wirbellosen Tiere total farbenblind seien.
Sind Blumenfarben für Insekten also bedeutungslos?
Es würde unsere altgewohnte Auffassung von der Bedeutung der Blumenfarben von Grund aus umgestürzt, wenn es sich bewahrheiten würde, dass die Insekten total farbenblinde Tiere seien. Es dürfte Ihnen ja bekannt sein, wie wichtig die Tätigkeit der Insekten, vor allem der Honigbienen, für die Befruchtung der Blüten ist. Nicht aller Blüten. Es gibt solche in nicht geringer Zahl, bei welchen die Übertragung des Blütenstaubes von den Pollenblättern auf die Narben durch den Wind geschieht (Gräser, Nadelhölzer u. a.). Die Blüten dieser Pflanzen pflegen wir nicht als „Blumen" zu bezeichnen; sie sind unscheinbar und duftlos; sie produzieren auch keinen Nektar, denn eine Anlockung von Insekten liegt nicht in ihrem Interesse. Anders sind die Blüten eingerichtet, welche auf Insektenbesuch angewiesen sind. Sie sondern im Blütengrunde einen süßen Saft ab, eben den Nektar, der von Insekten als Nahrung gesammelt wird. Beim Besuch solcher Blüten bepudern sich die nektarsaugenden Insekten mit Blütenstaub, und indem sie dann zu einer andern Blüte der gleichen Pflanze oder der gleichen Pflanzenart fliegen, übertragen sie den Blütenstaub auf deren Narbe und befruchten sie.
Solche Blüten sind in der Kegel durch große, auffallend gefärbte Blumenblätter, oft auch durch einen weithin wahrnehmbaren Duft ausgezeichnet, um, wie man annimmt, die Blüten den Insekten schon von weitem kenntlich zu machen und ihr Auffinden zu erleichtern, zu beiderseitigem Nutzen. Die Blumenpracht wäre ein völliges Rätsel, wenn sie nicht mehr als Anpassung an den Insektenbesuch gedeutet werden könnte.
Ein einfaches Experiment zum Nachweis des Farbensinns
Darum ist es von besonderem Interesse, zu wissen ob unsere eifrigste Blütenbestäuberin, die Biene, Farbensinn hat oder nicht. Darüber lässt sich durch ein einfaches Experiment Aufschluss gewinnen.
Ein Tisch im Freien soll unser Versuchsplatz sein. Nun müssen wir zunächst für die Versuchstiere sorgen und eine Anzahl Bienen herbeilocken. Zu diesem Zwecke stellen wir auf den Tisch eine große, flache Schale mit Honig. Eine Biene, die zufällig vorbeifliegt, findet den duftenden Süßstoff, nimmt von dem Honig auf, soviel sie kann, fliegt heim und kehrt nach wenigen Minuten wieder, von einigen anderen Bienen ihres Stockes begleitet. Bieten wir reichlich Honig, so nimmt die Zahl der Tiere rasch zu und nach 1 — 2 Stunden verfügen wir über mehrere Dutzend Bienen, die den Honig einsammeln und in regelmäßigem Fluge zwischen der neu entdeckten Futterquelle und ihrem Heimatstocke verkehren.
Wir nehmen nun eine Serie grauer Papiere, die, von Weiß angefangen, in feinen Abstufungen bis zu Schwarz führt, und legen diese Papiere auf den Tisch, in mehreren Reihen nebeneinander, nicht nach ihrer Helligkeit geordnet, sondern in beliebigem Wechsel. An irgendeiner Stelle fügen wir in diese Reihen ein farbiges, z. B. ein gelbes Papier ein, welches den grauen Papieren in Form und Größe genau gleicht und nur durch die Farbe von ihnen verschieden ist. Da das Gelb einem total farbenblinden Wesen wie ein Grau von bestimmter Helligkeit erscheint, und da bei unseren grauen Papieren jede Helligkeit von Grau vertreten ist, müssen die Bienen, wenn sie total farbenblind sind, das Gelb mit wenigstens einem der grauen Papiere verwechseln. Wenn sie es von allen Grauabstufungen mit Sicherheit unterscheiden; sagen sie uns hiermit, dass sie Farbensinn haben. Aber wie können sie es sagen?
Sagen können sie es freilich nicht. Wir müssen sie dazu veranlassen, es auf andere Weise zu verraten. Den Honig entfernen wir jetzt, da sein Duft den Versuch stören könnte, und geben statt dessen Zuckerwasser, welches auch gierig genommen wird. Wir bieten aber das Futter von jetzt ab ausschließlich auf dem gelben Papier, indem wir ein mit Zuckerwasser gefülltes Uhrschälchen daraufstellen. Damit nicht das Uhrschälchen an sich schon den Bienen verrät, wo das Futter zu finden ist, setzen wir auf alle grauen Papiere ebensolche Uhrschälchen, aber diese lassen wir leer. So ist die gelbe Farbe wohl das Einzige, was die Bienen als auffälliges Merkzeichen des Futterplatzes verwerten können. Und in der Tat scheinen sie dies rasch erfasst zu haben, denn schon nach kurzer Zeit sehen wir die vom Stock zurückkehrenden Tiere aus einer Entfernung von mehreren Metern direkt auf das Gelb losfliegen.
Aber haben sie sich nicht etwa, bei ihrem ausgezeichneten Ortsgedächtnis, einfach den Platz in unseren Papierreihen gemerkt, wo das Futter zu finden ist? Das lässt sich leicht prüfen. Wir geben das Futterschälchen samt dem gelben Papier an eine andere Stelle und legen ein graues Papier auf den früheren Platz des gelben. Abbildung 2, links oben.
Abbildung 2. Nachweis des Farbensinns (von der Redaktion aus [3] eingefügt). Links oben: Das Futterschälchen samt dem farbigen Papier (hier in blau*) wird an eine andere Stelle gegeben. Die Bienen versammeln sich nahezu ausschließlich dort. Links unten: den auf Farbe dressiertenBienen wurde ein leeres farbiges Blatt in einer Serie von grauen Blättern vorgelegt. Rechts: Die detaillierte, 222 Seiten starke Publikation [3] verfasste von Frisch im Alter von 28 Jahren. (* "Es lag mir daran, das Versuchsergebnis auch photographisch festzuhalten. Da sich die dunklen Bienenkörper auf den Photographien vom gelben Untergrund schlecht abhoben, dressierte ich sie nun in gleicher Weise auf Blau."[3].)
Die Bienen lassen sich nicht beirren und fliegen wieder direkt zum Gelb. Ihr feiner Ortssinn war also nicht der maßgebende Faktor. Aber vielleicht riecht das gelbe Papier schon nach Bienen? Vielleicht haben sie einen sehr viel schärferen Geruchsinn als wir, vielleicht riechen sie sogar aus einiger Entfernung das Zuckerwasser im Schälchen, obwohl es für uns geruchlos ist?
Wir müssen also den Versuch noch anders gestalten. Wir entfernen das gelbe und alle- grauen Papiere und ebenso alle Schälchen vom Versuchstisch. Statt dessen legen wir eine andere, ebensolche Serie grauer Papiere und ein neues gelbes Papier (an einem vom letzten Futterplatz abweichenden Ort) auf den Tisch und setzen auf jedes Papier ein neues Uhrschälchen. Keiner der Gegenstände war mit Bienen je in Berührung, in keines der Uhrschälchen, auch nicht in das auf dem gelben Papier, geben wir Zuckerwasser. Was tun die Bienen jetzt? Abbildung 2, links unten.
Sie fliegen in Scharen nach dem gelben Papier und suchen dort nach dem gewohnten Zuckerwasser, die grauen Papiere beachten sie gar nicht.
Immer noch wäre ein Einwand gegen die Beweiskraft des Versuches denkbar, wenn er auch schon recht weit hergeholt werden muss. Die Bienen könnten einen so feinen, einen von dem unsrigen so abweichenden Geruchsinn haben, dass das gelbe Papier, welches für uns so geruchlos ist wie die grauen Papiere, für sie einen deutlichen, spezifischen Geruch hat. Vielleicht sehen sie also das Gelb doch farblos grau und erkennen es nur mit Hilfe ihres Geruchsinnes!
Wir müssen den Versuch noch einmal modifizieren. Wieder legen wir ein gelbes und alle grauen Papiere auf den Tisch, dann decken wir über die ganze Anordnung eine große Glasplatte. Ein etwaiger Geruch kann durch das Glas nicht wahrnehmbar sein. Trotzdem benehmen sich die Bienen genau so wie beim früheren Versuch. Sie sammeln sich auf der Glasplatte über dem Gelb in Scharen an und lassen die grauen Papiere ganz unbeachtet. So können wir nicht mehr daran zweifeln, dass sie das Gelb anders sehen als jedes beliebige Grau, dass sie Farbensinn haben.
Bienen lassen sich auch auf andere Farben dressieren
Wie wir bei diesem Versuch die Bienen durch Verabreichung von Futter auf Gelb „dressiert" haben, damit sie zum Aufsuchen des Gelb veranlasst werden und uns zeigen, ob sie das Gelb von jedem Grau zu unterscheiden vermögen, so können wir sie auch auf jede andere Farbe zu dressieren versuchen. Abbildung 3.
Abbildung 3. Die untersuchte Farbpalette (von der Redaktion aus [3] eingefügt)
Ausgedehnte Versuchsreihen in dieser Richtung führten zu einem interessanten Ergebnis. Die Dressur gelingt einwandfrei bei Verwendung von Orangerot, von Gelb, von einem gelblichen Grün, Blau, Violett oder Purpurrot. Alle diese Farben werden von grauen Papieren jeder beliebigen Helligkeit mit Sicherheit unterschieden. Füttern wir aber die Bienen auf einem rein roten Papier, welches kein Blau und möglichst wenig Gelb enthält, und legen ihnen dann ein solches Rot und die Grauserie vor, so werden sie, wenn nur das Rot unbeschmutzt und das Schälchen darauf ohne Zuckerwasser ist, von schwarzen und sehr dunkelgrauen Papieren ebenso stark angelockt wie von dem Rot: Ein reines Rot verwechseln die Bienen mit Schwarz. In analoger Art lässt sich zeigen, dass sie ein gewisses Blaugrün von einem Grau mittlerer Helligkeit nicht unterscheiden können. Der Farbensinn einer Biene ist also gegenüber dem eines farbentüchtigen Menschen beschränkt.
Dies offenbart sich auch noch auf andere Weise. Stellen wir den auf eine bestimmte Farbe dressierten Bienen die Aufgabe, die Dressurfarbe aus einem bunten Gemisch der verschiedensten Farben herauszufinden, so machen sie regelmäßig Verwechslungen zwischen gewissen Farben, die für ein farbentüchtiges Menschenauge voneinander sehr verschieden sind. Ein Grün, das auch nur schwach gelblich ist, aber auch Orangerot wird mit reinem Gelb, Blau wird mit Violett und Purpurrot verwechselt. Dagegen werden die „warmen" Farben einerseits, die „kalten" Farben anderseits ebenso sicher voneinander unterschieden wie von farblos grauen Papieren.
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Sehr ähnliche Verhältnisse finden wir. bei einer bestimmten Art von Farbensinnstörung- des Menschen, nämlich bei einer Form der sogenannten „Rot-Grün-Blindheit". Solche Menschen sind für reines Rot unempfindlich, sie verwechseln ein gewisses Blaugrün mit einem Grau von mittlerer Helligkeit und haben innerhalb der „warmen" Farben einerseits, der „kalten" Farben anderseits kein Unterscheidungsvermögen für die Farbennuancen. Die Bienen sind also, wie manche Menschen, rotgrünblind.
Durch diese Erkenntnis wird eine blütenbiologische Erscheinung verständlich,
die, seit langem bekannt, bisher der Erklärung harrte: die auffallende Seltenheit rein roter Blütenfarben bei unseren heimischen Blumen. Was wir gewöhnlich „rote" Blumen nennen, hat fast durchwegs purpurrote Farben, die reichlich Blau enthalten. So die Eriken, Zyklamen, die roten Klee- und Orchideenarten usw. Solche Blüten sehen die Bienen „blau". Scharlachrote Blüten sind bei uns seltene Ausnahmen. Ich sage bei uns, denn in den Tropen sind sie weit verbreitet, aber auch dort — und das ist eben das Auffällige — nicht bei Blüten, die auf Insektenbestäubung eingerichtet sind, sondern nur bei solchen Blüten, welche durch Kolibri und Honigvögel bestäubt werden. Jetzt, da wir wissen, dass die Bienen (und wahrscheinlich auch alle anderen Insekten) ein reines Rot nicht farbig sehen, verstehen wir, warum sich diese Farbe nicht als Anpassung an Insektenbesuch entwickeln konnte. Mit um so größerer Gewißheit dürfen wir die tatsächlichen Blütenfarben der insektenblütigen Pflanzen als Anpassung an die Blumengäste auffassen.
„Blumenstetigkeit" der Bienen
Doch dürfen wir bei der biologischen Deutung der Blumenfarben nicht die Beschränkung des Farbensinnes der Biene vergessen, von der eben die Rede war. Die Fülle von Farbennuancen, die uns auf einer blumenreichen Wiese entgegenleuchtet, besteht nicht für das Bienenauge. Und gerade diese Fülle von Nuancen schien eine notwendige Voraussetzung, für die bekannte „Blumenstetigkeit" der Bienen zu sein. Beobachtet man Bienen beim Blütenbesuch, so sieht man fast immer ein und dasselbe Individuum nur Blüten ein und, derselben Pflanzenart befliegen. Diese „Blumenstetigkeit" ist für beide Seiten von Nutzen: Die Blüte erhält so den ihr zugehörigen Blütenstaub, die Biene aber trifft überall auf die gleiche Blüteneinrichtung, mit der sie schon vertraut ist, und spart Zeit. Sie kann natürlich nur blumenstet sein, wenn sie die Blüten, die sie sucht, von den vielen andersartigen Blüten der Umgebung zu unterscheiden vermag. Dass sie dies rasch und sicher trifft, sehen wir, und was lag näher, als die vielen Farbtöne, durch welche die Blüten verschiedener Pflanzen für unser Auge schon aus der Ferne voneinander abstechen, damit in Beziehung zu bringen! Nun haben wir aber gesehen, dass den Bienen ein feineres Unterscheidungsvermögen für Farbennuancen abgeht Daher müssen sie neben der Farbe auch andere Merkmale der Blüten beachten, um die Sorten so sicher voneinander zu unterscheiden.
Tatsächlich lässt sich experimentell nachweisen, dass auch die Form der Blüten und ihr so verschiedenartiger Duft von den Bienen als Merkzeichen verwertet wird. Sie lassen sich auf blumenartige Formen und auf blumige Düfte ebenso gut dressieren wie auf Farben.
Der Mechanismus der Farbanpassung hat biologische Bedeutung
Auch bei anderen wirbellosen Tieren, z. B. bei niederen Krebsen, hat man sich in jüngster Zeit durch Versuche, die in ihrer technischen Durchführung an die Lebensgewohnheiten der betreffenden Tiere angepasst waren, davon überzeugt, dass sie Farbensinn besitzen. Doch hat dieser Befund wohl in keinem anderen Falle so weittragende Konsequenzen für unsere Auffassung biologischer Vorgänge wie gerade bei Insekten und bei Fischen.
Der Mechanismus der Farbenanpassung, die wir bei einer Reihe von Fischarten kennen, wäre unverständlich, ihr buntes Hochzeitskleid eine Laune der Natur — wenn sich die These von ihrer totalen Farbenblindheit bestätigt hätte.
Und wieviel mühevolle Untersuchungen, wieviel sorgfältige Beobachtungen waren es, auf Grund deren uns Christian Konrad Sprengel, Charles Darwin, Hermann Müller und andere hochgeschätzte Forscher lehrten, die Blumenfarben als Anpassung an den Blütenbesuch der Insekten zu betrachten! Beobachtungen in freier Natur, Statistik und Experiment haben vereint diese Überzeugung bei den älteren Untersuchern begründet und gefestigt. Kämen wir jetzt zu der Erkenntnis, dass das Insektenauge die Farben gar nicht sieht, so müssten wir resigniert zugeben, dass allgemein übliche Methoden naturwissenschaftlicher Forschung in den besten Händen hier völlig versagt hätten.
Dass wir zu diesem traurigen Eingeständnis nicht veranlasst sind, glaube ich Ihnen gezeigt zu haben.
[1] Lebenslauf von Karl von Frisch, den er im Alter von 94 Jahren selbst verfasst hat: http://www.vbio.de/der_vbio/landesverbaende/baden_wuerttemberg/karl_von_... (abgerufen 11.8.2016)
[2] Karl von Frisch (1918): Über den Farbensinn der Fische und der Bienen, Schriften des Vereines zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien 59: 1-22. http://www.zobodat.at/pdf/SVVNWK_59_0001-0022.pdf (abgerufen 11.8.2016)
[3] Karl von Frisch (1914): Der Farbensinn und Formensinn der Biene (Verlag Gustav Fischer, Jena) https://ia800203.us.archive.org/19/items/derfarbensinnund00fris/derfarbe... (abgerufen 11.8.2016)
Weiterführende Links
Nobel Vortrag von Karl von Frisch (in Deutsch) 12 Dezember 1973, Video 43 min, Copyright © Karolinska Institutet 2011, http://www.nobelprize.org/mediaplayer/index.php?id=1586
Der Forscher, der auf Bienen flog (Max Planck Forschung 1/10) https://www.mpg.de/786131/W006_Kultur-Gesellschaft_076-082.pdf
Geruchssinn der Bienen” by Karl von Frisch (1927) Video 5:37 min. https://vimeo.com/98312381
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