Fundamentales Kohlenstoffmolekül vom JW-Weltraumteleskop im Orion-Nebel entdeckt

Do, 29.06.2023 — Redaktion

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Die Kohlenstoffchemie ist für die Astronomen von zentralem Interesse, da alles bekannte Leben auf Kohlenstoff basiert. Ein internationales Forscherteam hat nun mit Hilfe des James Webb Weltraumteleskops zum ersten Mal ein als Methylkation (CH3+) bekanntes Molekül in der protoplanetaren Scheibe um einen jungen Stern nachgewiesen. Dieses einfache Molekül hat eine einzigartige Eigenschaft: Es reagiert relativ ineffizient mit Wasserstoff, dem am häufigsten vorkommenden Element in unserem Universum, aber leicht mit anderen Molekülen und initiiert so das Wachstum komplexerer Moleküle auf Kohlenstoffbasis. Die entscheidende Rolle von CH3+ in der interstellaren Kohlenstoffchemie wurde bereits in den 1970er Jahren vorhergesagt, aber die einzigartigen Fähigkeiten von Webb haben es endlich möglich gemacht, es zu beobachten - in einer Region des Weltraums, in der sich möglicherweise Planeten bilden könnten, die Leben beherbergen.* 

Das Methylkation

Kohlenstoffverbindungen bilden die Grundlage allen bekannten Lebens und sind daher von besonderem Interesse für Wissenschaftler, die verstehen wollen, wie sich das Leben auf der Erde entwickelt hat und wie es sich möglicherweise anderswo in unserem Universum entwickeln könnte. Die interstellare organische (d.i. Kohlenstoff-basierte) Chemie ist daher ein Gebiet, das für Astronomen, die Orte untersuchen, an denen sich neue Sterne und Planeten bilden, besonders faszinierend ist. Kohlenstoffhaltige Molekülionen (d.i. Moleküle mit positiver oder negativer elektrischer Ladung) sind von besonderer Bedeutung, da sie mit anderen kleinen Molekülen reagieren und selbst bei niedrigen interstellaren Temperaturen komplexere organische Verbindungen bilden. Ein solches kohlenstoffhaltiges Ion ist das Methylkation (CH3+). Abbildung 1.

Abbildung 1. Das Methylkation. Das positiv geladene Ion reagiert kaum mit Wasserstoff, dem am häufigsten vorkommenden Molekül im Universum, dagegen effizient mit einer Vielzahl anderer Moleküle. CH3+ wird als seit langem als wichtiger Baustein der interstellaren organischen Chemie betrachtet. (Bild von Redn. eingefügt.).

Bereits seit den 1970er Jahren postulieren Wissenschaftler die außerordentliche Wichtigkeit von CH3+, da dieses Ion mit einer Vielzahl anderer Moleküle reagiert. Dieses kleine Kation ist so bedeutsam, dass es als Eckpfeiler der interstellaren organischen Chemie gilt; bislang konnte es allerdings noch nie nachgewiesen werden.

Das James-Webb-Weltraumteleskop mit seinen einzigartigen Eigenschaften bot sich als ideales Instrument an, um nach diesem wesentlichen Kation zu suchen - und tatsächlich konnte es eine Gruppe internationaler Wissenschaftler mit Webb zum ersten Mal beobachten. Marie-Aline Martin von der Universität Paris-Saclay, Frankreich, eine Spektroskopikerin und Mitglied des Wissenschaftsteams, erklärt: "Dieser Nachweis von CH3+ bestätigt nicht nur die unglaubliche Empfindlichkeit von James Webb, sondern auch die postulierte zentrale Bedeutung von CH3+ in der interstellaren Chemie."

CH3+-Signal in protoplanetarer Scheibe entdeckt

Das CH3+-Signal wurde in dem als d203-506 bekannten System aus Stern und protoplanetarer Scheibe (d.i. eine rotierende Scheibe aus Gas und Staub, die sich um junge Sterne bildet und aus der sich schließlich Planeten bilden können) entdeckt, das sich in etwa 1350 Lichtjahren Entfernung im Orionnebel befindet. Abbildung 2. Der Stern in d203-506 ist zwar ein kleiner roter Zwerg mit einer Masse von nur etwa einem Zehntel der Sonnenmasse, doch das System wird von starker ultravioletter Strahlung benachbarter heißer, junger und massereicher Sterne bombardiert. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die meisten protoplanetaren Scheiben, aus denen sich Planeten bilden, eine Periode solch intensiver ultravioletter Strahlung durchlaufen, da Sterne dazu neigen, sich in Gruppen zu bilden, die oft massereiche, ultraviolett-produzierende Sterne umfassen. Faszinierenderweise deuten Hinweise aus Meteoriten darauf hin, dass die protoplanetare Scheibe, aus der sich unser Sonnensystem bildete, ebenfalls einer enormen Menge an ultravioletter Strahlung ausgesetzt war - ausgesandt von einem stellaren Begleiter unserer Sonne, der schon lange gestorben ist (massereiche Sterne brennen hell und sterben viel schneller als weniger massereiche Sterne). Der verwirrende Faktor bei all dem ist, dass ultraviolette Strahlung lange Zeit als rein zerstörerisch für die Bildung komplexer organischer Moleküle angesehen wurde - und doch gibt es eindeutige Beweise dafür, dass der einzige uns bekannte lebensfreundliche Planet aus einer Scheibe entstanden ist, die dieser Strahlung stark ausgesetzt war.

Abbildung 2 Die Webb-Bilder zeigen einen Teil des Orionnebels, der als Orion-Balken bekannt ist. Links: Aufnahme mit dem Webb-NIRCam-Instrument (Nahinfrarotkamera). Rechts oben: Teleskop mit dem Webb-MIRI (Mid-Infrared Instrument) ist auf den angezeigten kleineren Bereich fokussiert. Im Zentrum des MIRI-Bereichs befindet sich ein junges Sternsystem mit einer protoplanetaren Scheibe namens d203-506. Rechts unten: Der Ausschnitt zeigt ein kombiniertes NIRCam- und MIRI-Bild dieses jungen Systems. (Credits: ESA/Webb, NASA, CSA, M. Zamani (ESA/Webb), und das PDRs4All ERS-Team.)

Das Team, das diese Forschung durchgeführt hat, könnte die Lösung für dieses Rätsel gefunden haben. Ihre Arbeit sagt voraus, dass das Vorhandensein von CH3+ tatsächlich mit ultravioletter Strahlung zusammenhängt, welche die notwendige Energiequelle für die Bildung von CH3+ darstellt. Außerdem scheint die Dauer der ultravioletten Strahlung, der bestimmte Scheiben ausgesetzt sind, einen tiefgreifenden Einfluss auf deren Chemie zu haben. So zeigen Webb-Beobachtungen von protoplanetaren Scheiben, die keiner intensiven ultravioletten Strahlung aus einer nahe gelegenen Quelle ausgesetzt sind, eine große Menge an Wasser - im Gegensatz zu d203-506, wo das Team überhaupt kein Wasser nachweisen konnte. Der Hauptautor Olivier Berné von der Universität Toulouse, Frankreich, erklärt: "Dies zeigt deutlich, dass ultraviolette Strahlung die Chemie einer proto-planetaren Scheibe völlig verändern kann. Sie könnte tatsächlich eine entscheidende Rolle in den frühen chemischen Stadien der Entstehung von Leben spielen, indem sie dazu beiträgt, CH3+ zu produzieren - etwas, das bisher vielleicht unterschätzt wurde." 

Obwohl bereits in den 1970er Jahren veröffentlichte Forschungsergebnisse die Bedeutung von CH3+ vorhersagten, war es bisher praktisch unmöglich, das Molekül nachzuweisen. Viele Moleküle in protoplanetaren Scheiben werden mit Radioteleskopen beobachtet. Damit dies möglich ist, müssen die betreffenden Moleküle jedoch ein so genanntes "permanentes Dipolmoment" besitzen, d. h. die Geometrie des Moleküls muss so beschaffen sein, dass seine elektrische Ladung nicht ausgeglichen ist, das Molekül also ein positives und ein negatives "Ende" hat. Da CH3+ symmetrisch ist, ist seine Ladung ausgeglichen und hat somit kein permanentes Dipolmoment, das für Beobachtungen mit Radioteleskopen erforderlich ist. Theoretisch ist es möglich, die von CH3+ emittierten spektroskopischen Linien im Infrarotbereichzu beobachten, aber die Erdatmosphäre macht es praktisch unmöglich, diese von der Erde aus zu beobachten. Daher musste ein ausreichend empfindliches Weltraumteleskop eingesetzt werden, das Signale im Infraroten beobachten kann. Die Instrumente MIRI und NIRSpec von Webb waren für diese Aufgabe wie geschaffen. Tatsächlich war der Nachweis von CH3+ zuvor sehr schwierig und als das Team das Signal zum ersten Mal in seinen Daten entdeckte, war es nicht sicher, wie es zu identifizieren sei. Gestützt auf die Hilfe eines internationalen Teams mit einem breiten Spektrum an Fachwissen waren die Forscher aber in der Lage ihre Ergebnisse innerhalb von vier kurzen Wochen zu interpretieren.

Die Entdeckung von CH3+ war nur durch die Zusammenarbeit von beobachtenden Astronomen, astrochemischen Modellierern, Theoretikern und experimentellen Spektroskopikern möglich, welche die einzigartigen Möglichkeiten von JWST im Weltraum mit denen von Labors auf der Erde kombinierten, um die Zusammensetzung und Evolution unseres lokalen Universums erfolgreich zu untersuchen und zu interpretieren. Marie-Aline Martin fügt hinzu: "Unsere Entdeckung war nur möglich, weil sich Astronomen, Modellierer und Laborspektroskopiker zusammengetan haben, um die von James Webb beobachteten einzigartigen Merkmale zu verstehen."


 *Der vorliegende Artikel ist unter dem Titel " Webb makes first detection of crucial carbon molecule in a planet-forming disc" am 26.Juni 2023 auf der Webseite der ESA erschienen:https://esawebb.org/news/weic2315/. Der Artikel wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu übersetzt und durch die Strukturformel des Methylkations ergänzt.

ESA Webb Bilder, Texte und Videos stehen unter einer cc-by 4.0 Lizenz.

Webb ist eine internationale Partnerschaft zwischen der NASA, der ESA und der kanadischen Weltraumbehörde (CSA).

Webb ist das größte und leistungsstärkste Teleskop, das jemals ins All gebracht wurde. Im Rahmen eines internationalen Kooperationsabkommens stellte die ESA den Startdienst für das Teleskop mit der Trägerrakete Ariane 5 bereit. In Zusammenarbeit mit ihren Partnern war die ESA für die Entwicklung und Qualifizierung der Ariane-5-Anpassungen für die Webb-Mission sowie für die Beschaffung des Startservices durch Arianespace verantwortlich. Die ESA stellte auch den Arbeitsspektrographen NIRSpec und 50 % des Instruments für das mittlere Infrarot (MIRI) zur Verfügung, das von einem Konsortium aus national finanzierten europäischen Instituten (dem MIRI European Consortium) in Zusammenarbeit mit dem JPL und der Universität von Arizona entwickelt und gebaut wurde.


Weiterführende Links

 ESA: Pan of the Orion Bar region. Video 0:30 min. https://esawebb.org/videos/weic2315a/

NASA: Webb Makes First Detection of Crucial Carbon Molecule. https://www.nasa.gov/feature/goddard/2023/webb-makes-first-detection-of-crucial-carbon-molecule

ESA: BR-348/DE: Webb – Weiter sehen https://esamultimedia.esa.int/multimedia/publications/BR-348/BR-348_DE.pdf ESA: Webb - Seeing farther.https://www.esa.int/Science_Exploration/Space_Science/Webb

ScienceBlog: Redaktion, 14.07.2022: James-Webb-Teleskop: erste atemberaubende Bilder in die Tiefe des Weltraums