Fr, 07.08.2014 - 12:22 — Franz Kerschbaum
Eine multinationale europäische Zusammenarbeit ermöglicht die Errichtung und den Betrieb von Großforschungsanlagen zur Erkundung von Sonnensystem und Universum. Österreichs Mitgliedschaft bei Organisationen wie der Europäischen Südsternwarte (ESO) oder der Europäischen Weltraumagentur (ESA) bietet eine große Chance für die zuliefernde Österreichische Wirtschaft und weite Bereiche der angewandten Forschung. Nach dem schwindelerregenden Erfolg der Rosetta-Mission durch das Erreichen des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko vor 2 Tagen wirft Franz Kerschbaum, Astrophysiker der Universität Wien, einen Blick auf die Strukturen, die solche Erfolge heutzutage ermöglichen..
Moderne Großforschungseinrichtungen wie CERN werden heutzutage meist von großen internationalen Konsortien errichtet und betrieben. Auch die daraus hervorgehenden wissenschaftlichen Publikationen zählen oft mehrere hundert bis über tausend Autoren. Diese Forschungspraxis unterscheidet sich grundlegend von den Gegebenheiten in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und der Zeit davor.
So wurde bis dahin astronomische Forschung typischerweise von der Genialität Einzelner vorangetrieben, maximal unterstützt durch wenige zuarbeitende Beobachter oder Rechenhilfskräfte. Erst die zunehmende Technisierung der Forschung mit der Errichtung der ersten Großsternwarten auf Bergen fern der Städte – zuerst in den Vereinigten Staaten von Amerika um 1900 – führte zu einer schrittweisen Verlagerung der Forschungsarbeit auf größere Gruppen. Europa verlor dabei schnell den Anschluss – das Drama des ersten Weltkrieges und die Zwischenkriegszeit verlangte ganz andere Prioritätensetzungen und so mussten etwa hochfliegende Pläne der Astronomen der Donaumonarchie zum Bau moderner Bergsternwarten im Restösterreich ad acta gelegt werden. Selbst im Europäischen Kontext wurde österreichische, astronomische Forschung geradezu marginalisiert.
Gründung der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile und…
Eine weitere Einschränkung der Europäischen Astronomie im Vergleich mit der USA wurde bald evident: die meteorologisch ausgezeichneten Bedingungen Kaliforniens fanden sich nirgendwo am Europäischen Kontinent und hätten auch nicht durch große Investitionen kompensiert werden können. Konsequenter Weise gründeten im Jahr 1962 Belgien, Deutschland, Frankreich, Niederlande und Schweden die Europäische Südsternwarte (ESO) mit dem gemeinsamen Ziel, auf der Südhalbkugel ein den nordamerikanischen Sternwarten zumindest ebenbürtiges Observatorium zu errichten. Als 1969 die ersten Teleskope auf La Silla, Chile in Betrieb gingen, begann der bis heute so erfolgreiche gemeinsame Europäische Weg der astronomischen Forschung. Mit Meilensteinen wie dem New Technology Telescope, dem SEST Submillimeter Teleskop, dem Very Large Telescope wurde in vielen technologischen Aspekten eine weltweite Vorreiterrolle übernommen und der Europäischen Forschung einzigartige Arbeitsmittel in die Hand gegeben. Abbildung 1. Das Very Large Telescope (VLT) am Paranal-Observatorium. Oben links: Das Observatorium in der Atacama Wüste, der vermutlich trockensten Wüste der Welt im Norden Chiles, besteht aus 4 „Unit telescopes“ (Einzelteleskopen) mit Hauptspiegeldurchmessern von 8,2 m, deren Spiegel zusammengeschaltet werden können und 4 weiteren Hilfsteleskopen. Unten links: Innenansicht eines der VLT-Units, bereit für die nächtliche Beobachtung. Oben rechts: Nebel Messier 17 (Omega-Nebel) im Sternbild Schütze in einer Entfernung von 6000 Lichtjahren. Man sieht ungeheure Gas- und Staubwolken, bescienen vom Licht junger Sterne. Unten rechts: Beobachtung des Zentrums der Milchstraße; das mit adaptiver Optik ausgestattete Teleskop erzeugt einen künstlichen Leitstern („Laser Guide Star“) zur Korrektur der Turbulenzen der Atmosphäre. (Quelle: alle Bilder http://www.eso.org/public/images/; cc-license)
Österreich schloss sich erst sehr spät dieser Entwicklung an. In den 1960er Jahren stand zuerst der Aufbau moderner lokaler Beobachtungseinrichtungen im Mittelpunkt, in den darauf folgenden drei Jahrzehnten wurden alle Vorstöße der sich internationalisierenden österreichischen Forschungsgemeinde zu einem ESO-Beitritt von Seiten der Politik abschlägig behandelt. Als die Bemühungen letztlich 2009 Erfolg zeitigten, durfte sich eine international bereits sehr gut aufgestellte, moderne österreichische Astronomie als 14. Mitgliedsland bei der ESO einreihen.
Abbildung 2. So wird das European Extremely Large Telescope (E-ELT) aussehen. Es wird das größte im sichtbaren und nahen Infrarot- Bereich arbeitende Teleskop der Welt sein und am Beginn der nächsten Dekade in Betrieb gehen. Für die adaptierbare Optik des riesigen Spiegels mit 39 m Durchmesser (unten) hat das Linzer Johann Radon Institute for Computational and Applied Mathematics (RICAM, ÖAW) "extrem schnelle mathematische Methoden zur adaptiven Optik" geliefert, die eine effiziente Korrektur der atmosphärischen Turbulenzen erlauben. (Quelle: alle Bilder http://www.eso.org/public/images/; cc-license)
Das weltweit leistungsfähigste Radiointerferometer ALMA oder das zukünftig größte Teleskop E-ELT mit seinen knapp 40 Metern Durchmesser stehen uns so gleichberechtigt mit unseren Europäischen Partnern zur Verfügung. Der jährliche österreichische Beitrag von etwa 3,4 Mil. Euro (2013, 2,5% des ESO-Budgets) bietet zusätzlich vielen österreichischen Firmen die Möglichkeit, an den nötigen technologischen Entwicklungen mitzuarbeiten. Das oben erwähnte Radiointerferometer ALMA ist als Kooperation von ESO mit amerikanischen und japanischen Einrichtungen ein Beispiel für die sich etablierende noch weitere globale Bündelung der Kräfte bei den größten wissenschaftlichen Unternehmungen.
…Entwicklungen am Sektor Weltraumforschung
Die Entwicklungen am Sektor Weltraumforschung ist in vielen Bereichen mit der Kooperation zur Errichtung erdgebundener Sternwarten wie der ESO vergleichbar, weist aber auch einige charakteristische Unterschiede auf. Die beginnend im frühen zwanzigsten Jahrhundert, maßgebend in Europa entwickelte Raketentechnik bildete nach dem zweiten Weltkrieg die Basis für den Wettlauf ins All zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. In Europa konzentrierten sich Staaten wie Frankreich, Großbritannien, Niederlande oder Deutschland einerseits auf den Aufbau eigener weltraumwissenschaftlicher bzw. weltraumtechnologischer Programme und versuchten parallel, in bilateralen Kooperationen mit den USA oder der UdSSR an deren Missionen teilzunehmen. Zusätzlich wurde Europäische Zusammenarbeit unter den Organisationen ELDO (European Launcher Development Organisation) bzw. European Space Research Organisation (ESRO) ab den 1960er Jahren gebündelt. Als 1975 die Nachfolgeorganisation European Space Agency (ESA) gegründet wurde, war Österreich schon an ersten Programmen beteiligt, ab 1981 assoziiert und ab 1987 Vollmitglied. Davor und auch später noch gab es eine Vielzahl von bilateralen Beteiligungen österreichischer Forschergruppen an europäischen, asiatischen und amerikanischen Projekten.
Noch viel mehr als im Bereich der astronomischen Grundlagenforschung bedeutet die österreichische Mitgliedschaft bei ESA mit einem jährlichen österreichischen Beitrag von etwa 52 Mil. Euro (2012, 1,8% des ESA-Budgets) eine große Chance für die zuliefernde Österreichische Wirtschaft und weite Bereiche der angewandten Forschung. Das Prinzip des mittelfristig ausgeglichenen finanziellen Returns an die Beitragsländer garantiert so eine substantielle Wertschöpfung in Österreich.
Die European Space Agency mit ihrem Fokus auf friedlicher Erforschung und Nutzung des Weltraums verfügt heute über das breiteste Spektrum an Satelliten und Sonden zur Erderkundung, der Erforschung des Sonnensystems und des Universums, hat Zugriff auf modernste Launcher europäischer Entwicklung und ist in vielen internationalen Kooperationen Partner der USA, von Russland oder Japan.
Fazit
Organisationen wie die Europäische Südsternwarte ESO oder die Europäische Weltraumagentur ESA haben sehr viel zur so erfolgreichen Entwicklung der einschlägigen Wissenschaften in Europa und insbesondere auch in Österreich beigetragen. Großforschungseinrichtungen sind heute nicht mehr von einzelnen Nationen zu errichten bzw. sinnvoll nutzbar. Nur die Bündelung der nationalen Expertisen, Mittel und Möglichkeiten unter einem Europäischen oder gar globalen Dach ermöglicht die Verwirklichung der ambitioniertesten Forschungsvorhaben der modernen Wissenschaften.
Literatur
Besser, B., Austria’s history in space, HSR-34, ESA Publications Division, 2004 Kerschbaum, F., ESO und Österreich, in: Mensch & Kosmos, OÖ Landesausstellung 1990, Band I, Linz Maitzen, H.M., Hron, J., Die Universitätssternwarte Wien – Pflanzstätte des Österreichischen ESO-Beitritts, in: Comm. in Asteroseismology 149, 2008
Weiterführende Links
Institut für Weltraumforschung (IWF) der ÖAW
European Southern Observatory (Hauptseite)
Österreichische Seite Video über das VLT (4:06 min)
Superschneller Algorithmus für Adaptive Optik des E-ELT kommt aus Österreich: h http://www.eso.org/public/austria/announcements/ann14012/
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