Die Böden der Erde: Diversität und Wandel seit dem Neolithikum

Fr, 14.11.2014 - 12:29 — Hans-Rudolf BorkIcon GeowissenschaftenHans-Rudolf BorkSeit frühester Zeit beeinflusst der Mensch die Böden der Erde. Um Ackerbau und Tierhaltung betreiben zu können, werden weite Gebiete entwaldet und übernutzt – Erosion und Zerstörung der Böden sind die Folge. Auf einer Reise in verschiedene Regionen der Erde zeigt uns der Ökosystemforscher Hans-Rudolf Bork (Universität Kiel), wie sich die Böden dort entwickelt haben und welche Konsequenzen daraus entstanden sind[1].

Seit Jahren diskutieren wir in der Scientific Community und in der Öffentlichkeit über den Klimawandel, den demographischen Wandel, die ökonomische Globalisierung und die Biodiversität. In diesem Diskurs vergessen wir allerdings den Boden, der Grundlage des terrestrischen Lebens ist, und eine fundamentale Rolle als Speicher für Wasser und Nährstoffe aber auch für Schadstoffe spielt.

Über Böden sollte also viel mehr gesprochen werden. Mein Artikel stellt dieses Thema in den Mittelpunkt. In einer Reise zu verschiedenen Regionen unserer Erde möchte ich die Entwicklung der Böden an Hand von repräsentativen Beispielen aufzeigen.

Was ist überhaupt ein Boden, wo und wie entwickelt er sich?

Böden sind das Resultat komplexer Wechselwirkungen von physikalischen, chemischen und biotischen Prozessen. Böden hängen ab von der Bodenwasserbewegung, den Stofftransporten und Stoffumsetzungen im Boden, vom Bodenleben und heute in ganz starkem Maße von Eingriffen und Einflüssen der Menschen.

In der Regel entwickeln sich Böden parallel zur Geländeoberfläche und zwar überwiegend in den oberen 1 – 2 m des Fest- und Lockergesteins. In den immerfeuchten Tropen können Böden aber auch bis einige 10 m mächtig werden. Geringmächtige Böden, mit einer Tiefe bis zu einigen cm, entwickeln sich über wenige Jahre, tropische Böden benötigen z.T. mehrere zehntausende Jahre.

Über die Zeit wandelt sich die Diversität im Boden, einerseits durch natürliche Prozesse der Boden- und Reliefentwicklung, andererseits durch Eingriffe des Menschen, beispielsweise infolge von Ackerbau und Forstwirtschaft, Be- und Entwässerung. Viele dieser Prozesse verlaufen langsam über Jahrhunderte bis Jahrtausende, nach Extremereignissen können auch Stunden oder Tage zur Veränderung ausreichen. In diesem beständigen Wandel spielt der Mensch eine ganz entscheidende Rolle – ein Faktum, das man in vielen aktuellen Lehrbüchern der Bodenkunde noch nicht finden kann.

Reise in verschiedene Regionen der Erde: 1. Station China

Ackerbau begann auf dem nordchinesischen Lössplateau im Neolithikum. In den ersten Jahrtausenden war es den Menschen aber offensichtlich nicht möglich, die Böden in ihrer Qualität, ihrer Fruchtbarkeit zu erhalten. Es gab auf steilen Hängen starke Erosion während intensiver Niederschläge, ein etwa 2 m mächtiger rotbrauner Boden (eine sogenannte Parabraunerde) wurde flächenhaft fast vollständig abgetragen und dazwischen rissen während extremer Starkniederschläge riesige Schluchten ein (Abbildung 1, Mitte oben).

Nachhaltige Bodennutzung

Etwa 4 500 Jahre v. Chr. gelang es den Ackerbauern eine Jahrtausende währende Phase nachhaltiger Bodennutzung einzuleiten, die Bodenqualität zu erhalten und zu verhindern, dass selbst tausendjährliche Regenereignisse den Boden stark erodierten (Abbildung 1, Mitte unten). Das wesentliche Geheimnis hinter dem enorm erfolgreichen Bodenschutz lag in einer Verkleinerung der Äcker: wurde Material abgespült, verblieb es auf dem eigenen winzigen Acker und wuchs mit der Zeit zunächst zu kleineren und schließlich zu hohen Terrassen auf.

Abbildung 1. Bodennutzung auf dem Chinesischen Lössplateau. Nicht-nachhaltige Bodennutzung vormehr als 4500 v. Chr. (rot; Yanjuangou bei Yan), nachhaltige Bodennutzung (grün; das Beispiel zeigt eine 10 m hohe und über 80 m breiteTerasse, die sich in den vergangenen 5 -6000 Jahren dort gebildet hat). (Quelle: Bork & Dahlke 2006, 2012, Winiwarter & Bork 2014)

Der „Große Sprung nach Vorne“

Der Beginn dieser Massenkampagne beendete im August 1958 die Phase nachhaltiger Landnutzung. Unter dem Basismotto „wir wagen die Worte des Konfuzius mit Füßen zu treten“ wurden Volkskommunen – riesige Landwirtschaftsbetriebe – eingerichtet und damit die Landschaftsstrukturen verändert. Man hat neue Züchtungen versucht, neue Feldfrüchte, veränderte Fruchtfolgen. Riesige Gebiete – von der Größe der Niederlande, Belgiens, Deutschlands und Frankreichs zusammengenommen – wurden innerhalb von etwa drei Monaten entwaldet, vor allem, um neue Industrien aufzubauen und zu betreiben. Als Folge entstanden sehr starke Bodenveränderungen, extrem starke Bodenerosion und die Nutzfläche schrumpfte. Die Menschen waren im Wesentlichen mit den neuen Sozialstrukturen beschäftigt und verloren fast gänzlich ihr Interesse an Boden- und Gewässerschutz für die ehemals eigenen Äcker.

Es gab politische Fehleinschätzungen und -entscheidungen. Beispielsweise hat man die Lebensmittelrationierungen beendet, weil man davon ausging, dass die Massenkampagne von Erfolg gekrönt sein würde. Dies war nicht der Fall – ohne dass natürliche Extremereignisse eingetreten wären, gab es eine dramatische Hungersnot, die wohl weit mehr als 30 Millionen Menschen das Leben kostete.

Nach dem Ende der Kampagne hat man die Volkskommunen wieder aufgelöst und versucht, einige der alten Landschaftsstrukturen wieder herzustellen. Dies gelang aber nur in sehr eingeschränktem Maße. In den späten 1990er und beginnenden 2000er Jahren wurden mit großen Maschinen riesige Terrassen angelegt. Diese erweisen sich nun aber als instabil, haben sehr große Rutschungs- oder Erosionsanfälligkeit.

Die Situation hat sich also seit den 1950er Jahren immer mehr verschlechtert.

Die Reise geht weiter: Mitteleuropa

Zum Unterschied zu China können wir hier keine Phasen langer nachhaltiger Bodennutzung nachweisen.

Ein Beispiel aus dem Westen Schleswig-Holsteins zeigt ein komplexes Bodenprofil – sehr stark degradierte Böden, sogenannte Podsole. Die ersten von Menschen beeinflussten Böden haben sich schon im Neolithikum entwickelt, die jüngsten unter einem Nadelwaldbestand (Abbildung 2). Es hat immer wieder einen Wechsel gegeben von Waldentwicklung, Waldnutzung, Rodung, Ackerbau, Erschöpfung der Böden, Heidevegetation und einer Podsolbildung, also sehr starker Bodenverarmung.

Abbildung 2. Ein Bodenprofil aus Schleswig Holstein zeigt stark degradierte Böden. Dauer der nicht-nachhaltigen Landnutzung (rot) auf der Zeitskala links.

Wölbäckerbildung

Ein weiteres Beispiel stammt aus einem Gebiet im südlichen Niedersachsen. Vor über 15 000 Jahren entstanden dort Lössablagerungen, die vor etwa 15000 bis 13 000 Jahren durch Bodenfließen langsam den Hang hinunter wanderten. In den folgenden Jahrtausenden fand unter dem dann bewaldeten Gebiet Bodenbildung statt. Diese wurde im Mittelalter durch den Ackerbau mit seiner spezifischen Pflugtechnik unterbrochen – die Pflüge wendeten die Ackerkrume nur in eine Richtung. Es entstanden Wölbäcker – Äcker, die sehr lang und sehr schmal waren und bei denen das Bodenmaterial vom Rand zur Mitte aufgepflügt wurde. Dadurch wurden die Äcker in der Mitte immer höher, an den Rändern immer tiefer (Abbildung 3).

Abbildung 3. Wölbackerbau - Erhöhung der Bodendiversität und Bodenerosion. Links: Vom Boden der sich über Jahrtausende oberflächenparallel entwickelt hat zur Wölbackerflur und deren Verfüllung. Rechts: In den Aufschlüssen in Rüdershausen/Niedersachsen kann die Geschichte des Bodens wie in einem Buch gelesen werden. (Quelle: H-R. Bork)

Extremniederschläge vom 19. bis 23. Juli 1342 führten zur Katastrophe (damals floss bis zu 100-mal mehr Wasser die Flüsse hinunter als bei den Überschwemmungen 2002 und 2013 an Donau und Elbe). Große Wassermengen bewegten sich auch in den Furchen zwischen den Wölbäckern abwärts. Dabei rissen, ausgehend von den Furchen, bis zu 10 m tiefe, hunderte Meter lange Schluchten ein, die später zusammenbrachen. (Wäre das Gebiet bewaldet geblieben, hätte der jährliche Niederschlag kaum Veränderungen der Böden hervorgerufen.)

Im Verlauf von nur einer Woche verloren manche Orte in hügeligen Lößgebieten und in den tieferen Lagen der Mittelgebirge mehr als 50% ihres Garten- und Ackerlandes; etwa ein Drittel der gesamten, innerhalb der letzten 1500 Jahre entstandenen Bodenverluste in Mitteleuropa ging in diesen wenigen Tagen durch Erosion verloren.

Während im beginnenden Frühmittelalter noch der weit überwiegende Teil Mitteleuropas bewaldet war, erreichte nach umfangreichen Rodungen die Waldausdehnung um 1300 ihr Minimum. Weniger als 20% der Fläche Mitteleuropas waren noch waldbedeckt, riesige Gebiete in Acker- und Dauergrünland überführt worden. Dort vermochten extreme Niederschläge zu wirken. Sie erodierten furchtbare Böden und zerstörten Ackerland. Zehntausende Dörfer wurden im Spätmittelalter aufgegeben. Die ehemaligen Äcker bewaldeten sich wieder und neue Böden entstanden. Die Bodendiversität hat sich durch die Kombination anthropogener Eingriffe und natürlicher extremer Ereignisse sehr erhöht.

Station 3: der pazifische Nordwesten der USA

Die Landschaft des Palouse im Südosten des Staates Washington war über Jahrhunderte von indigenen Jägern und Sammlern nachhaltig genutzt worden. In den 1870/80er Jahren begannen europäisch-stämmige Farmer den Boden zu bearbeiten (Motto „breaking the virgin prairie the hard way“) und es trat erstmals leichte Erosion in den Tälern auf. Um 1935 war die Mechanisierung so weit fortgeschritten, dass die gesamte Lösslandschaft ackerbaulich genutzt werden konnte. Im einer 2jährigen Fruchtfolge wurde im 1. Jahr Weizen angebaut, im 2. Jahr ließ man die Felder brach liegen. Auf den Brachflächen spülten Starkniederschläge die Böden fort. Um das Einreißen von Schluchten zu verhindern, wurden kleine Erosionsrinnen glatt gepflügt, viele Male jedes Brachjahr. So wurden nur durch die Pflugtätigkeit die Kuppen seit 1935 um mehr als 1,5 m tiefer gelegt. Die früher hier dominierenden Schwarzerden sind überwiegend abgetragen oder begraben, die Bodendiversität hat sich stark zum Nachteil des Ackerbaus verändert – heute ist die Landwirtschaft mit viel größerem Aufwand verbunden.

Station 4: die Osterinsel

Nach der Besiedlung im ersten nachchristlichen Jahrtausend lebten die Menschen in einem Palmenwald, wo sie Gartenbau betrieben, fruchtbare Böden (Anthrosole) schufen und über Jahrhunderte erhielten. Um 1200 begannen dann Rodungen, denen mehr als 16 Millionen Palmen zum Opfer fielen, auf den nun freien Flächen setzte Wind- und Wassererosion ein. Starkregen verlagerten und zerstörten die fruchtbaren Böden – die Lebensgrundlage der kleinen Population von wenigen tausend Menschen (Abbildung 4).

Die Menschen haben dann eingegriffen, über eine Milliarde Steine auf ihre Gärten gelegt und damit Bodenerosion verhindert. Über Jahrhunderte war dies ein perfekter Bodenschutz – natürlich war es mühselig für Pflanz- und Erntevorgänge immer Steine zur Seite zu räumen.

Im vorigen Jahrhundert kam die Phase der europäischen Landnutzung. Schaf-, Rinder- und Pferdehaltung und intensive jährliche Feuer zerstörten die Pflanzendecke und ermöglichten Erosion dort, wo keine Steine hingelegt worden waren; große Schluchten rissen ein.

Abbildung 4. Perioden der Bodennutzung auf der Osterinsel. Nachhaltige (grün) und nicht-nachhaltige Landnutzung (rot) auf der Zeitskala im schwarzen Insert.

Das Ende der Reise: Südäthiopien

Im Hochland von Chencha in Südäthiopien wurde seit über 800 Jahren erfolgreich Terrassengartenbau betrieben, der die Bodenfruchtbarkeit erhielt.

Seit den 1960er Jahren hat sich die Situation gewandelt. Verbesserte Gesundheitsversorgung, damit eine reduzierte Sterberate und der Glauben von Eltern, dass viele Kinder eine bessere Altersversorgung ermöglichen, haben zu starkem Bevölkerungswachstum geführt. Praktisch alle nutzbaren Flächen wurden in Nutzung genommen, sowohl im Hochland, als auch im Großen ostafrikanischen Grabenbruch und dessen sensiblen Randstufen. Viele neue Pfade mit trittverdichteten Böden entstanden. Viele Terrassen, die über Jahrhunderte gut funktioniert hatten, wurden geschliffen, um einfacher bewirtschaften zu können.

Das Ausmaß der Bodenzerstörung nahm zu, wodurch die Ernährungsgrundlage nun immer mehr verloren geht. Ochsen, welche die Pflüge gezogen haben, können oft nicht mehr ernährt werden, Menschen übernehmen deren Tätigkeit und pflügen – mit Harken hacken sie den harten Boden auf.

Es verwundert nicht, wenn ein Plakat im Eingangsbereich der Universität von Adis Abeba propagiert: Wohlstand für eine Familie mit 2 Kindern, Armut für Familien mit vielen Kindern.

Fazit

  • Man kann feststellen, dass die Dynamik von Bodenentwicklung, Bodendiversität und Bodenzerstörung mit dem Garten- und Ackerbau zugenommen hat - zunächst in Vorderasien beginnend vor 10 000 – 12000 Jahren, vor einigen Jahrtausenden in Ost- und Südostasien, in weiten Teilen Europas, im äthiopischen Hochland und in einigen Regionen Süd-und Mittelamerikas.
  • Einigen Gesellschaften ist es gelungen eine hohe Bodenfruchtbarkeit zu erhalten, nur ganz wenige Gesellschaften haben selbst fruchtbare Böden geschaffen, wie auf der Osterinsel oder im Amazonasraum (mit der „Terra preta do indio“). Insgesamt hat aber die Anzahl der Gesellschaften, welche fähig sind, Böden nachhaltig zu nutzen und die Bodenzerstörung zu minimieren, seit dem 14. Jh. stark abgenommen, also seit Europäer die Erde kolonisiert haben.
  • Sehr viele der heute weltweit praktizierten Bodenschutzmaßnahmen sind Fehlschläge, weil sie oft von einseitig ausgebildeten Technikern ausgeführt werden und das Gesamtverständnis für den Boden als Teil des Ökosystems vollkommen fehlt.
  • Wir müssen feststellen, dass – im Gegensatz zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – die Öffentlichkeit das Verschwinden der Böden heute kaum wahrnimmt.

Der Verlust der Böden ist also ein Kernproblem der Menschheit, das es genau so anzupacken gilt, wie den Klimawandel und die abnehmende Biodiversität. Die einzige langfristig erfolgreiche Lösung ist eine bessere Bildung und die Schulung von Menschen in allen Altersstufen. Wir müssen verstehen, welche Maßnahmen in der Nutzung des Bodens und ganz allgemein der Ökosysteme der Erde welche Wirkungen haben, damit wir endlich gemeinschaftlich und partizipativ zukunftsweisende, nachhaltige Wege der Nutzung unserer so begrenzten Ressourcen beschreiten können. Es ist höchste Zeit.


[1] Der Artikel basiert auf einem gleichnamigen Vortrag, den Hans-Rudolf Bork anlässlich der Tagung „Diversität und Wandel Leben auf dem Planeten Erde“ gehalten hat, die am 13. Juni 2014 im Festsaal der ÖAW in Wien stattfand.

Homepages des Autors: http://www.ecosystems.uni-kiel.de/home_hrbork.shtml und http://www.hans-rudolf-bork.com/index.php

Institut für Ökosystemforschung (Kiel): http://www.ecology.uni-kiel.de/


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