Kunst oder Chemie – zur Farbästhetik alter Malereien

Fr, 07.03.2014 - 05:18 — Elisabeth Pühringer

Icon ChemieElisabeth PühringerFarbempfinden? Farbästhetik? Bedeutung von Farben? Die Autorin – Archäologin und Journalistin – zeigt auf, daß die Farbgestaltung auf alten Bildern manchmal gar nichts mit Kunst zu tun hat, sondern mit chemischen Reaktionen. Gewisse Farbpigmente können sich nämlich im Laufe der Zeit verändern...

Schwarze Madonnen sind ein Schulbeispiel für Farbveränderungen. Die mit Bleiweiß gemischten Hauttöne haben sich durch Umwelteinflüsse verändert (Abbildung 1). Chemische Reaktionen sind auch dafür verantwortlich, wenn ein leuchtend blauer Umhang einer Schutzmantelmadonna im Lauf der Zeit grün wurde. Ist bei den Farben von urzeitlichen Höhlenmalereien ebenfalls Chemie im Spiel? Schwarze Madonna von Candelaria

Abbildung 1. Die schwarze Madonna von Candelaria (um 1400; Teneriffa) auf dieser Postkarte gilt als Fürsprecherin in besonders schwierigen Fällen.

Die Farben der Urzeit sind rot, braun und schwarz. Die chemischen Analysen der Farben der paläolithischen Höhlenbilder ergaben folgende Ergebnisse: Die Materialien für Rot- und Brauntöne waren Limonit (Brauneisenstein, Goethit (Rubinglimmer), Roteisenstein und Hämatit. Für die Farbe schwarz wurden neben Kohle mindestens zwei verschiedene Manganoxide verwendet.

Die exakten Analysen zeigten, dass die Farbpigmente nicht nur mit den Fingern aufgetragen, sondern vor allem mit dem Mund gespritzt wurden. Das heißt, die Urzeitkünstler nahmen giftige Farbpigmente, wie etwa Manganoxid in den Mund, speichelten sie ein und spuckten sie dann auf die Höhlenwand. Experimente haben bewiesen, dass für zahlreiche Bilder kein anderes Malverfahren in Frage kommt als diese "Spucktechnik".

Sind die Künstler durch das Gift im Mund in Trance gefallen? Waren die prähistorischen Maler Schamanen, die das Farbpigment Manganoxid als Droge benützten? Sind die berühmten Höhlenbilder also in einer Art von Drogenrausch entstanden? War die urzeitliche Malorgie ein Happening in Ekstase?

Man wird doch noch fragen dürfen, auch wenn es für solche Fragen keine Antworten gibt, sondern bestenfalls ethnografische Parallelen. In Afrika sind Schamanismus und Krankheit eng miteinander verbunden. Könnten die rätselhaften Höhlenbilder eine Art von Therapie gewesen sein? Da ist alles offen.

Farbästhetik oder Chemie?

Es gibt aber auch noch andere Fragen. Etwa: Warum sind aus der Zeit des Paläolithikums kaum blaue und grüne Farbtöne erhalten? Die Steinzeitmaler haben zur Gewinnung ihrer Farben bunte Mineralien zerrieben. Gelbtöne etwa gibt es aus pulverisierten Bernstein. Es hätte doch auch blaue und grüne Steine zum Zerreiben geben. Etwa die Kupferverbindungen Azurit und Malachit (Abbildung 2), die in späterer Zeit sehr häufig zu Farbpigmenten verarbeitet wurden.

Azurit (blau) und Malachit (grün)Abbildung 2. Azurit (blau) und Malachit (grün) können sich durch Umwelteinflüsse verändern.

Bevor man jetzt das mögliche ästhetische Empfinden der Künstler ins Treffen führt, was zu einer Vorliebe von rot, gelb, braun und schwarz führte, sollte man aber noch eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen. Es wäre ja gut möglich, dass blaue und grüne Farbtöne bei den steinzeitlichen Höhlenmalereien ursprünglich sehr wohl vorhanden waren, doch den Umwelteinflüssen zum Opfer fielen.

Die Kupferkarbonate Azurit und Malachit sind säureempfindlich. Sind die blauen und grünen Malereien von einer Art von saurem Regen weggewaschen worden? 40.000 Jahre sind eine lange Zeit. Da kann viel passiert sein. Wer sagt, das Umweltprobleme ein Phänomen der Jetztzeit sind?

Ein Blick in die Hexenküche der Chemie lässt die "Farbästhetik" vergangener Tage in neuem Licht erscheinen.

Achtung: Zeitsprung! Die beiden folgenden Vergleiche stammten aus dem alten Ägypten (ab ca. 3000 v. Chr.) und aus dem anatolischen Hochland (ca. 6000 v.Chr.).

Die Ägypter wussten das

In der altägyptischen Malerei nimmt blau und grün eine wichtige Stellung ein. Lange Zeit ging man von der Annahme aus, dass diese Farben aus natürlichen blauen und grünen Farbpigmenten aufbereitet worden seien. An Hand von neuen Analysen der verwendeten Farben in der altägyptischen Malerei konnte nachgewiesen werden, dass bereits ab ca. 2.480 v.Chr. in Ägypten keine natürlichen, sondern synthetische blaue und grüne Farbpigmente zum Einsatz kamen.

Für die Pigmentherstellung dieser synthetischen Farben wurde Bronze verwendet. Es wurde also Altmetall für die Aufbereitung von dauerhaft leuchtenden Farben verwendet! Der Nachweis dafür gelang durch die Spuren von Arsen, Zinn und Blei in den Farben. Das waren die Legierungszusätze der Bronze, die im Laufe der Zeit verändert wurden.

Die früheste Bronze war die Arsenbronze, gefolgt von Zinnbronze. In römischer Zeit kam dann noch der Bleigehalt dazu. Parallel zu der metallurgischen Entwicklung bei der Bronzeherstellung lief es bei den Farben. Bei den altägyptischen Malereien aus der Zeit des alten Reiches (ca. 2.489 v.Chr.) konnte in den Farbpigmenten ein Arsengehalt festgestellt werden. Proben aus späterer Zeit hatten einen signifikanten Zinngehalt, und in den Farben der römischen Zeit wurde neben Zinn auch noch Blei in beträchtlichen Mengen nachgewiesen.

Die innere Chronologie der Farben läuft also parallel mit der Entwicklung der Bronze. Alle untersuchten Farbproben stammten von exakt datierten Kunstwerken. Das lässt den Schluss zu, dass die alten Ägypter zur Herstellung der künstlichen Blau- und Grünpigmente vom Alten Reich bis zur Römerzeit konsequent Altmetall verwendet hatten.

Blickpunkt Anatolien

Der nächste Zeitsprung führt zurück ins sechste vorchristliche Jahrtausend, und zwar in die Steinzeitmetropole Catal Hüyük in Anatolien. Wo heute im kargen Hochland der Wind durch das spärliche Gras pfeift, stand damals eine blühende Großstadt, die sang- und klanglos untergegangen ist. Eine Klimaveränderung dürfte daran schuld gewesen sein.

Die Bewohner der Steinzeit-Stadt von Catal Hüyük liebten eine bunte, farbenfreudige Umwelt. Sie bemalten alles: Wände, Reliefs, Plastiken, Gefäße, Textilien und sogar ihre Toten, die sie unter den Fußböden ihrer Häuser bestatteten.

Die anatolischen Maler der Steinzeit hatten eine komplette Palette von Farbstoffen, die alle aus Mineralien gewonnen worden sind. Neben Mangan- und Eisenerzen für rot, braun, schwarz und purpur verwendeten sie auch Quecksilberoxid für zinnoberrot, Bleiglanz für grau und Kupferkarbonate - also Azurit und Malachit - für blau und grün.

Doch bei den erhaltenen Wandmalereien kommt die Farbe blau nur ein einziges Mal vor: Es gibt eine blaue Kuh. Rot hingegen fehlt in keinem Haus. Die Maler von Catal Hüyük trugen die Mineralfarben direkt auf den weißen Putz auf. Die Wände wurden häufig übertüncht und neu bemalt. vielleicht waren blau und grün früher bei diesen überirdischen Malereien ebenfalls häufiger. Für die Nachwelt erhalten geblieben ist nur diese blaue Kuh.

Bemalte Skelette

Anders sieht es bei den unterirdischen Malereien aus, den blau und grün bemalten Skeletten der Ahnen der Bewohner. Anatolien war in der Steinzeit der "Nabel der Welt". Für diesen Raum sind durch die aktuelle archäologische Forschung bereits für die Zeit von 12.000 v. Chr. hochentwickelte Kulturen nachgewiesen worden. Es geht um das sogenannte "präkeramischen Neolithikum" - gemeint ist damit die frühe Jungsteinzeit, jener Zeitraum, aus dem es noch keine Keramikfunde gibt.

Die alten Anatolier stellten damals bereits Farben aus zerriebenen Steinen her. Diese Technik der Farbherstellung hat sich in unserem Raum bis ins frühe Mittelalter erhalten. Für die Farbe grün wurde nach wie vor zerriebenes Malachitpulver verwendet.

Blau und grün war also verfügbar und wurde auch verwendet. Doch nur bei den unter dem Boden verwahrten Skeletten haben sich diese Farben erhalten. Waren daran die Umwelteinflüsse schuld? Bei den Ausgrabungen in Catal Hüyük ist ein kleines Stück Kupferschlacke gefunden worden. Das bedeutet, dass die Technik des Kupferschmelzens hier bereits bekannt war. Also lange bevor sie im Nahen Osten offiziell erfunden worden ist.

Uralte Umweltbelastung

Kupferkarbonate sind säureempfindlich. Durch die Erzverhüttung ist es in der Urzeit bestimmt zu einer gewaltigen Umweltbelastung gekommen. Für die Gewinnung der für den Schmelzvorgang nötigen Holzkohle wurden nicht nur ganze Wälder abgeholzt, die antiken Schachtöfen hatten auch keinerlei Schadstoff-Filteranlagen, wie uns das heute geläufig ist.

Der aggressive "saure Regen" ist demnach keine Erfindung unseres modernen Industriezeitalters. Er könnte bereits in der Urzeit die säureempfindlichen blauen und grünen Malereien aufgelöst und weggewaschen haben.

Ist der Untergang von Catal Hüyük also auf eine Umwelt-Katastrophe zurückzuführen? War das heute karge Hochland einmal dicht bewaldet? Haben die alten Anatolier ihre Wälder gerodet, weil sie das Holz zum Kupferschmelzen brauchten? Haben sie so den Klimawandel selbst verschuldet, der ihrer Gesellschaft den Untergang beschert hat?

Die blauen und grünen Skelette von Catal Hüyük hätten dieser Überlegung zufolge eine Chance gehabt, erhalten zu bleiben. Sie ruhten wohl verborgen unter den Fußböden der Häuser und waren nicht der Umweltbelastung ausgesetzt. Die aus Eisen- und Manganverbindungen gewonnenen roten, braunen und schwarzen Farbpigmente haben die Zeit überdauert. Sie waren säureresistent.

Für diese Theorie gibt es zwei Indizien: erstens der zitierte Schlackenfund und zweitens die Tatsache, dass in der Folge zweitausend Jahre lang Pause war mit dem Kupferschmelzen.

Hatten die Menschen erkannt, dass sie den "Geist aus der Flasche" entweichen ließen, der ihnen die Lebensgrundlage entzog uns sie alle umbrachte? Die Technik des Kupferschmelzens wurde erst 2000 Jahre später wieder neu entdeckt. Für einen Klimawandel im anatolischen Hochland gibt es ein Indiz: Pollenfunde von wärmeliebenden Pflanzen.

Industriezeitalter

Nächster Zeitsprung: Diesmal geht es um die Malereien des Mittelalters. Auch zu dieser Zeit verwendete man noch zerriebenes Malachit- und Azuritpulver zur Herstellung der grünen und blauen Farbtöne. Grün kann sich zu blau verändern und umgkehrt blau zu grün. Die berühmten blauen Schutzmantelmadonnen trugen plötzlich einen grünen Umhang. Durch Wassereinwirkung hatte sich Azurit in Malachit verwandelt. Aus blau wurde grün.

Es funktioniert auch in der umgekehrten Richtung: Wenn aus grün blau wird, ist Kohlendioxid daran schuld, dass sich Malachit in Azurit verwandelt. Chlorid-Ionen, wie sie etwa in Kochsalz vorhanden sind, hatten bei den untersuchten Mineralfarben zu unerwünschten chemischen Reaktionen geführt. Das zeigt, dass Kupferkarbonate gegen Umwelteinflüsse keineswegs stabil sind.

Das klassische Beispiel für Farbverfälschungen sind die "Schwarzen Madonnen". Die Umweltverschmutzung des frühen Industriezeitalters führte zu einer chemischen Reaktion von Bleiweiß. Das machte die bleiche Madonnenhaut schwarz