Biodiversität - Den Reichtum der Natur verteidigen

Do, 29.07.2021 — IIASA

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Mit den Fortschritten der Menschheit ist es zum Niedergang von Millionen anderer Spezies im Tier- und Pflanzenreich gekommen. An einem für die bedrängte Natur entscheidenden Zeitpunkt zeigen Forschungsergebnisse des IIASA, dass wir den Verlust der biologischen Vielfalt noch umkehren können. Dies wird allerdings einen groß angelegten Einsatz erfordern - darauf konzentriert, wo man den größten Nutzen erzielen kann. Zu dem enorm wichtigen Thema haben wir bereits im vergangenen September einen Bericht des IIASA gebracht [1]; hier folgt nun der aktualisierte Status zur Wiederherstellung der Biodiversität.*

Der Reichtum der Natur im Niedergang

Pflanzen und Tiere sind unsere Nahrung, sie stabilisieren das Klima, filtern Luft und Wasser, versorgen uns mit Treibstoff und Arzneimitteln. Abbildung 1.

Abbildung 1. Artenvielfalt und genetische Vielfalt in den Arten erhalten/wiederherstellen - fast alle Länder sind dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt beigetreten, die Erfolge lassen auf sich warten.

 

Der Fortschritt der Menschheit hat den Rückzug von Millionen anderer Spezies mit sich gebracht. Lebensräume werden durchfurcht und zubetoniert; Umweltverschmutzung erstickt Ökosysteme; Überfischung durchkämmt die Meere; der Klimawandel bringt Dürren und durcheinander gebrachte Jahreszeiten. Selbst aus zynischer, menschenzentrierter Sicht zeichnet sich eine Katastrophe ab.

Jahrzehntelanger Einsatz für den Naturschutz hat nur begrenzten Erfolg erbracht. Fast jedes Land ist dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity ; CBD) beigetreten, einem Vertrag, der 2010 zwanzig Biodiversitätsziele festlegte. Bis zum Stichtag 2020 wurden jedoch nur sechs dieser Ziele teilweise erreicht. Im 2019 IPBES Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services heißt es: „Die Biodiversität ... nimmt schneller ab als je zuvor in der Geschichte der Menschheit.“

Die Kurve - den Trend - umdrehen

Die IIASA-Forschungsergebnisse lassen uns hoffen, dass wir die Dinge ändern können – allerdings wird dies nicht einfach sein. Eine richtungweisende Studie unter der Leitung des IIASA-Forschers David Leclère hat Modelle erstellt, wie verschiedene Strategien die Landnutzung verändern könnten und wie sich dies auf verschiedene Aspekte der biologischen Vielfalt, beispielsweise das Artensterben auswirken würde. Abbildung 2.

Ein Szenario nimmt an, dass die Schutzgebiete auf 40 % der Landfläche des Planeten (von aktuell 15 %) ausgeweitet und 5 Millionen km2 degradiertes Land wiederhergestellt sind. Laut Studie sollten sich die Trends der Biodiversität um die Mitte des Jahrhunderts verbessern – aber viele Regionen würden dann immer noch schwere Verluste und steigende Lebensmittelpreise verzeichnen und damit das Ziel der UN, den Hunger zu beenden, untergraben.

Ein optimistischeres Bild ergibt sich, wenn wir auch Angebot und Nachfrage nach Nahrungsmitteln einbeziehen, eine nachhaltige Steigerung der Ernteerträge und des Agrarhandels, sowie eine stärker pflanzenbasierte Ernährung und weniger Lebensmittelverschwendung einkalkulieren. Die Studie prognostiziert, dass dies die Biodiversitätstrends vor 2050 positiv verändern sollte, es würde mehr Land wieder hergestellt werden können, steigende Lebensmittelpreise verhindert, einschneidende Vorteile für das Klima erbracht und der Verbrauch von Wasser und Düngemitteln reduziert werden können.

Abbildung 2. Um den raschen Niedergang der terrestrischen Biodiversität umzukehren, bedarf es einer integrierten Strategie. Eine Abschätzung von gegenwärtigen und zukünftigen Trends der Biodiversität, die aus der Landnutzung resultieren; mit und ohne koordiniertem Einsatz von Strategien, um die Trends umzukehren. (Diese Abbildung wurde bereits in [1] gezeigt; Quelle: Leclère, et al. © Adam Islaam | IIASA.) >

Diese Informationen sind in erweiterter Form in einem Artikel aus dem Jahr 2020 zu finden [3]; Dutzende führende Forscher unter der Leitung von Sandra Diaz (Universität Cordoba, Argentinien) haben dazu beigetragen, darunter Piero Visconti, der die IIASA-Forschungsgruppe Biodiversität, Ökologie und Naturschutz leitet. Die Autoren schlagen unter anderem ergebnisorientierte Ziele für die Artenvielfalt und genetische Vielfalt innerhalb der Arten vor, zusammen mit Zielen, den Nettoverlust natürlicher Ökosystemflächen zu stoppen, deren Intaktheit sicherzustellen und, dass der Verlust eines seltenen Ökosystems nicht durch eine Zunahme in einem anderen Ökosystem ausgeglichen werden kann.

Plan B

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) ist nun daran eine Strategie für das kommende Jahrzehnt zu entwickeln. Der Entwurf Global Biodiversity Framework (GBF) umfasst einige der Ideen, darunter ergebnisorientierte Biodiversitäts-Ziele, wie die Anzahl bedrohter Arten um einen bestimmten Prozentsatz zu reduzieren und die genetische Vielfalt zu erhalten. Fünf GBF-Aktionsziele für 2030 stimmen weitgehend mit den Maßnahmen im integrierten Szenario von Leclère überein [2]. Der GBF-Entwurf zitiert auch oft die Studie von Diaz et al.[3] – auch, wenn sich die Zielsetzungen noch nicht den Vorschlägen der Untersuchung entsprechend geändert haben, sagt Visconti. Laut Leclère muss der endgültige Rahmen, der im Oktober 2021 ratifiziert werden soll, sicherstellen, dass die nationalen Pläne mit den angestrebten globalen Zielen in Einklang stehen und Anstrengungen und Nutzen gerecht verteilt werden.

Der Entwurf könnte sich möglicherweise auch zu sehr auf gebietsbezogene Ziele stützen, wie etwa die Ausdehnung von Schutzgebieten auf 30 % der Land- und Meeresfläche. Geschützte Bereiche werden oft dort platziert, wo sie am wenigsten störend sind, anstatt dort, wo sie am effektivsten wären.

„Schauen Sie sich die durchschnittliche Höhenlage und Abgeschiedenheit der Nationalparks an. Diese tendieren dazu, hoch zu liegen und ausgedehnt zu sein; Fels und Eis“, bemerkt Visconti und fügt hinzu, dass für die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt Qualität wichtiger als Quantität sei.

Konzentrierte Lösungen

Diese Einschätzung wird durch zwei aktuelle Studien unter Beteiligung von IIASA-Forschern bestätigt. Eine davon hat die Wiederherstellung von Ackerland und Weideland zurück in einen natürlichen Lebensraum untersucht [4]. Die Autoren haben umgewandeltes Land kartiert und die lokalen Auswirkungen der Renaturierung auf CO2 und das Risiko von Artensterben untersucht, wobei sie Felddaten von ähnlichen Standorten zugrunde legten. Anschließend haben sie die globalen Ergebnisse modelliert, wenn 15 % des gesamten umgewandelten Landes im Ausmaß von 4,3 Millionen km2 wiederhergestellt werden. Ein linearer Programmieralgorithmus hat die optimale Wahl von Standorten der Konversion bei verschiedenen Gewichtungen von Aussterberisiko, CO2 und Kosten getroffen. Das Szenario einer Renaturierung, das darauf abzielt, CO2 und Biodiversität zu optimieren, verhindert 60 % des ansonsten zu erwartenden Aussterbens und bindet fast 300 Gigatonnen CO2 - entsprechend etwa den globalen Emissionen von 7 Jahren bei der heutigen Rate.

Die zweite Studie unter der Leitung des IIASA-Forschers Martin Jung hat sich mit dem Naturschutz befasst und seine Auswirkungen auf die Artenvielfalt, den Kohlenstoff und die Bereitstellung von sauberem Wasser berechnet [5]. Im Gegensatz zu früheren Studien wurden hier nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen erfasst. Man kommt zu dem Schluss, dass die Bewirtschaftung von nur 10 % der weltweiten Landfläche den Erhaltungszustand von 46 % der Arten verbessern und 27 % des gespeicherten Kohlenstoffs und 24 % des sauberen Wassers bewahren kann. Eine detaillierte Karte der lokalen Vorteile zeigt, wo die Menschen den größten Nutzen aus ihrem Einsatz für den Naturschutz erzielen können. Abbildung 3.

Abbildung 3. Gebiete mit globaler Bedeutung für Biodiversität, CO2-Bindung und sauberes Wasser. Die drei Güter sind gleich gewichtet und nach höchster Priorität (1 - 10 %) bis niedrigster Priorität (90 -100 %) für die globale Erhaltung gereiht (Bild: Jung et al.,[5]; cc-by-nc-nd) >

Der Zustand der Natur

Daten zur Biodiversität sind für die Kampagne von wesentlicher Bedeutung, solche sind aber oft nur spärlich vorhanden. „Insbesondere für Afrika und Südamerika fehlt eine riesige Menge an Daten“, sagt Ian McCallum, Leiter der IIASA-Forschungsgruppe Novel Data Ecosystems for Sustainability. Diese Gruppe will die Situation verbessern, unter anderem durch Einbeziehen neuer Datenquellen wie Citizen Science, Aufzeichnungen durch Drohnen und LIDAR-Daten von Satelliten und Flugzeugen.

„Wir verwenden statistische Techniken, um Daten zu harmonisieren, um alles zusammenzuführen“, sagt McCallum.

McCallum leitet auch das Vorhaben Interessensgruppen in das EU-Projekt EuropaBON (Europa Biodiversity Observation Network: integrating data streams to support policy) einzubinden; dieses europäische Rahmenwerk zur Überwachung der biologischen Vielfalt hat das Ziel, kritische Lücken in den Daten zu identifizieren [6]. Auch wenn Europa diesbezüglich besser erfasst ist als der Großteil der Welt, gibt es immer noch viele weiße Flecken – insbesondere in aquatischen Lebensräumen – und dieses Projekt will dazu beitragen, Methoden zur Eingliederung von Daten voranzutreiben.

„In datenreichen Gebieten kann man Techniken entwickeln, die dann ausgebaut und global genutzt werden können“, bemerkt er.

Wurzeln der Biodiversität

Ein solides theoretisches Verständnis könnte Datenlücken schließen und politikorientierte Modelle realistischer machen. Ein Ziel ist es zu verstehen, warum manche Ökosysteme so artenreich sind.

„Alle Fragen nach dem "Warum" in der Biologie finden eine Antwort in der Evolution“, erklärt Ulf Dieckmann, Senior Researcher im IIASA Advancing Systems Analysis Program; Diekmann hat 25 Jahre am IIASA damit verbracht die adaptive dynamische Theorie zu entwickeln, eine Form der Systemanalyse, die Ökologie und Evolution verbindet.

Ein bemerkenswerter Erfolg dieses Ansatzes besteht darin, zu zeigen, wieso die Pflanzen des Regenwalds so vielfältig sein können. Nach der Nischentheorie adaptiert sich jede Art, um in eine spezifische Rolle/Position eines Ökosystem zu passen. Tiere konkurrieren um verschiedene Nahrungsmittel, was viele Nischen schafft; alle Pflanzen haben aber nur eine Nahrungsquelle, das Sonnenlicht. Nischenmodelle hatten deshalb voraussagt, dass Regenwälder nur wenige Baumarten und nur eine schattentolerante Spezies haben sollten. Echte Wälder haben jedoch viele Schattenbewohner, was die Nischentheorie in Frage stellt.

Dieckmann hat an einem realistischeren Modell gearbeitet, das Pflanzenphysiologie, Ökologie und Evolution kombiniert [7]. Für Arten ist es möglich, zwei variable Merkmale zu haben (Höhe bei Reife und Blattdicke). Wenn Baumfällungen oder Feuer ein neues Waldstück erschließen, wandern schnell wachsende Besiedler ein, gefolgt von langsam wachsenden. Im Modell führt die Evolution zu einer Vielzahl von schattentoleranten Baumarten mit leicht unterschiedlichen Eigenschaften. Es zeigt auch eine realistische Pflanzenvielfalt in Wäldern der gemäßigten Zone, in Buschland und bewaldeten Flussufern. Diese Art von Einblicken könnte die Naturschutzarbeit beeinflussen.

„Man könnte fragen, welche ökologischen Prozesse intakt bleiben müssen, um die Biodiversität zu erhalten?“ sagt Dieckmann. Pflanzen konkurrieren auch um Wasser, und der IIASA-Forscher Jaideep Joshi untersucht, wie sich dies auf die Artenvielfalt auswirkt. „Noch ambitioniertere öko-evolutionäre Modelle werden Topografie, Bodenmikrobiome und andere Faktoren berücksichtigen“, fügt Dieckmann hinzu.

Integrierte Modelle der Zukunft

Biodiversität ist nicht nur ein wünschenswertes Ergebnis an sich, sondern beeinflusst auch andere Systeme wie beispielsweise die Widerstandsfähigkeit der Wälder, die erhalten bleibt und damit die Bindung von CO2 generiert. IIASA baut ein neues integriertes Biosphärenmodell, iBIOM, auf, das einige dieser Effekte erfassen könnte, beispielsweise die Rolle der Insektenbestäubung in Hinblick auf die Ernteerträge.

Als Teil eines umfassenden Modellierungsrahmens, der derzeit am IIASA in Entwicklung ist, wird iBIOM dazu verwendet werden, um das komplexe Zusammenspiel zwischen Klima und Biodiversität zu erforschen.

„Das ist eine gewaltige Herausforderung“, sagt Leclère.

Zum einen müssen die Modelle die Landnutzung sehr detailliert erfassen, beispielsweise welche Wirkung der Anbau verschiedener Pflanzenarten auf die Speicherung von CO2 hat. Aber der Nutzen könnte auch enorm sein und aufzeigen, welche Optionen zum Klimaschutz die besten in Hinblick auf Biodiversität sind – eine Hilfe für uns die Vision der CBD 2050 zu erfüllen, im Einklang mit der Natur zu leben.


[1] IIASA, 10.09.2020: Verlust an biologischer Vielfalt - den Negativtrend umkehren

[2] Leclere, D., et al. (2020). Bending the curve of terrestrial biodiversity needs an integrated strategy. Nature 585 551-556. 10.1038/s41586-020-2705-y. (accepted version, Lizenz: cc-by-nc)

[3] Díaz, S. et al. (2020). Set ambitious goals for biodiversity and sustainability. Science 370 (6515) 411-413. 10.1126/science.abe1530

[4] Strassburg, B.B.N., et al. (2020). Global priority areas for ecosystem restoration. 10.1038/s41586-020-2784-9

[5] Jung, M.,  et al. (2020). Areas of global importance for terrestrial biodiversity, carbon, and water (Submitted)

[6] EuropaBON: Europa Biodiversity Observation Network: integrating data streams to support policy.  https://cordis.europa.eu/project/id/101003553/de

[7] Falster, D., et al., (2017). Multitrait successional forest dynamics enable diverse competitive coexistence. Proceedings of the National Academy of Sciences 114 (13) 2719-2728. 10.1073/pnas.1610206114 (accepted version, Lizenz: cc-by-nc)


* Der von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzte Artikel von Stephen Battersby ist am 17. Juni 2021 im Option Magazin des IIASA unter dem Titel: "Defense of the natural realm" https://iiasa.ac.at/web/home/resources/publications/options/s21-defense-of-the-natural-realm.html erschienen. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung von Inhalten seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt.


Weiterführende Links

IIASA :  https://iiasa.ac.at/

Convention on Biological Diversity; homepage: https://www.cbd.int/