Fr, 15.08.2014 - 10:13 — Tobias Deschner
Die Erforschung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Verhalten und in der Physiologie von Menschen und Menschenaffen verhilft zu einem immer besseren Verständnis der menschlichen Evolution. Der Primatenforscher Tobias Deschner (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig) beschreibt anhand von Verhaltensbeobachtungen und Messungen physiologischer Parameter frei lebender Menschenaffen, wie sich Konkurrenz und Kooperation auf die Exkretion verschiedener Hormone auswirken*.
Gängige Theorien zur Evolution des Menschen basieren überwiegend auf der Annahme, dass sich der Mensch aus einem schimpansenähnlichen Vorfahren entwickelt hat. Dass Bonobos, die Schwesternart der Schimpansen, genauso eng mit uns verwandt sind wie diese, wird dabei oft außer Acht gelassen. Bonobos unterscheiden sich jedoch in einer Reihe grundlegender Faktoren in ihrer Sozialstruktur und ihrem Verhalten von Schimpansen. Um eine genauere Vorstellung davon zu entwickeln, wie die menschliche Evolution verlaufen sein könnte, ist es daher notwendig, ein detailliertes Bild von dem Verhalten wild lebender Bonobos zu erhalten, um dieses mit den bekannten Verhaltensmustern von Schimpansen und derzeit lebenden Menschengruppen zu vergleichen.
Konkurrenz der Männchen um Weibchen bei Schimpansen…
Bei Schimpansen sind Männchen dominant über Weibchen und konkurrieren mit aggressivem Verhalten um empfängnisbereite Weibchen. Diese Aggression richtet sich nicht nur gegen andere Männchen, sondern wird auch häufig dazu benutzt, um Weibchen gefügig zu machen. In einem solchen Paarungssystem zahlt es sich für Männchen aus, in Verhaltensweisen und Physiologie zu investieren, die ihre körperliche Konkurrenzfähigkeit maximieren. Dies kann zum Beispiel über den Testosteronspiegel geschehen. Testosteron hat eine anabole Wirkung, was bedeutet, dass es zu einem Zuwachs an Muskelmasse führt. Diese bietet dem Tier einen Vorteil in einer aggressiven Konkurrenzsituation. Außerdem steigert Testosteron allgemein die Bereitschaft, sich auf aggressive Auseinandersetzungen einzulassen. In einem Paarungssystem wie dem der Schimpansen, in dem sich das Durchsetzungsvermögen in aggressiven Interaktionen mit anderen Männchen direkt in einen gesteigerten Paarungs- und Reproduktionserfolg überträgt, wäre es also nur folgerichtig, wenn der Testosteronspiegel der Männchen im Beisein empfängnisbereiter Weibchen ansteigen würde. Tatsächlich hat man das bei wilden Schimpansen gefunden. Zum anderen haben höherrangige Männchen, welche die höchsten Paarungs- und Fortpflanzungserfolge erzielen, einen höheren Testosteronspiegel als niederrangige. Es stellt sich natürlich die Frage, warum nicht alle Männchen in hohe Testosteronspiegel investieren. Die Antwort ist, dass Testosteron auch negative Effekte haben kann. Ein hoher Testosteronspiegel wirkt sich nachteilig auf das Immunsystem aus, und gesteigerte Aggressivität führt auch zu einem erhöhten Verletzungsrisiko.
…Bonobos machen es anders
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie untersuchten das Verhalten von Bonobos an einer Gruppe, die in LuiKotale in der Nähe des Salonga Nationalparks in der Demokratischen Republik Kongo beheimatet ist (Abbildung 1), und haben sich dabei für einige Zeit auf die Fortpflanzungsstrategien der Männchen konzentriert.
Abbildung 1. Männlicher Bonobo in LuiKotale, Demokratische Republik Kongo. © Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie/ Deimel
Welches Bild ergibt sich in diesem Zusammenhang nun für Bonobos? Bei den Bonobos sind die Männchen nicht dominant über die Weibchen, und in den meisten Gruppen werden sogar die höchsten Rangplätze von Weibchen belegt. Die bei Schimpansen verbreitete Strategie, aggressiv um Weibchen zu konkurrieren, könnte sich daher für Bonobo-Männchen als weniger erfolgreich erweisen, da das Weibchen immer in einer Position sein könnte, in der es sich dem Männchen verweigern kann. Wie gestalten sich nun männliche Fortpflanzungsstrategien und die korrespondierenden Testosteronspiegel bei Bonobos? Die Ergebnisse unterschieden sich erheblich von den bei Schimpansen gewonnenen Erkenntnissen. Obwohl ranghohe Männchen ebenfalls aggressiver waren als rangniedere und die Anwesenheit empfängnisbereiter Weibchen zu einem Anstieg von Aggression führte, richtete sich diese nie gegen das attraktive Weibchen. Außerdem gab es bei den Männchen keinen positiven Zusammenhang zwischen Rang und Testosteronspiegel (Abbildung 2).
Abbildung 2. Testosteronspiegel im Urin und Dominanzstatus männlicher Bonobos in Anwesenheit. empfängnisbereiter Weibchen. © Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie / Surbeck
Im Gegenteil, in Anwesenheit empfängnisbereiter Weibchen passierte etwas Verblüffendes: Während der Testosteronspiegel bei rangniederen Männchen leicht anstieg, fiel er bei ranghohen Männchen sogar ab, was zu einem negativen Zusammenhang zwischen Rang und Testosteron führte. Trotzdem erzielten ranghohe Männchen einen höheren Paarungserfolg. Anstatt sich aggressiv gegen andere Männer durchzusetzen und Weibchen einzuschüchtern, suchen erfolgreiche Bonobo-Männer die Nähe der Weibchen und bemühen sich, mit diesen eine enge Beziehung aufzubauen. Männchen, die noch eine Mutter in der Gruppe haben, werden zudem von dieser in ihren Bemühungen tatkräftig unterstützt. Diese Nähe zu empfängnisbereiten Weibchen ist allerdings nicht ohne Kosten zu haben. Hochrangige Männchen, die sich häufiger in der Nähe empfängnisbereiter Weichen aufhalten, haben höhere Cortisolspiegel als andere Männchen, was auf ein erhöhtes Stressniveau hindeutet.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass beim Bonobo, einem der nächsten Verwandten des Menschen, nicht aggressives Verhalten bei der Maximierung des Fortpflanzungserfolgs im Vordergrund steht, sondern dass Bonobo-Männchen erfolgreicher sind, wenn sie in enge Beziehungen zu Weibchen investieren. Diese neu gewonnenen Einsichten eröffnen eine neue Perspektive auf die Evolution der menschlichen Paarbeziehung. Wie die Weibchen nun auf diese Situation reagieren und nach welchen Kriterien sie ihre Fortpflanzungspartner auswählen, ist Thema einer Folgestudie, die zurzeit an den Bonobos in LuiKotale durchgeführt wird.
Sozialbeziehungen: Lausen ist nicht gleich Lausen und warum ein gemeinsames Essen so wichtig sein kann
Was sind die physiologischen Grundlagen für den Aufbau von Beziehungen? Es ist bekannt, dass bei einer der grundlegendsten Beziehungen bei Säugetieren, der Mutter-Kind-Beziehung, das Hormon Oxytocin, ein Neuropeptid, eine wichtige Funktion für den Aufbau dieser Beziehung hat. Kann Oxytocin aber auch das Verhalten gegenüber nicht verwandten Individuen beeinflussen? Hier zeigen zum Beispiel experimentelle Studien beim Menschen, dass die Anwendung eines oxytocinhaltigen Nasensprays dazu führt, dass Teilnehmer in einem Spiel erhöhtes Vertrauen, aber auch Großzügigkeit zeigen.
Abbildung 3: Zwei erwachsene männliche Schimpansen bei der gegenseitigen Fellpflege. © Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie / Gomes
Wissenschaftler am MPI für evolutionäre Anthropologie untersuchten, wie sich die Qualität von Beziehungen bei Interaktionen zwischen wild lebenden Schimpansen auf die Oxytocinausschüttung auswirkt, und machten sich dabei zunutze, dass Oxytocin nun auch im Urin von Menschen und Menschenaffen gemessen werden kann. Sie beobachteten das Fellpflegeverhalten (Abbildung 3) und seine Auswirkungen auf die Oxytocinausschüttung bei wild lebenden Schimpansen im Budongo-Forest Reserve, Uganda. Einige Minuten an Fellpflege führten tatsächlich zu einer erhöhten Oxytocinkonzentration im Urin. Allerdings war der Effekt stark von der Identität des Fellpflegepartners abhängig. War der Fellpflegepartner ein Tier, mit dem eine enge Beziehung unterhalten wurde, dann kam es zu einem stärkeren Oxytocinanstieg (Abbildung 4). Dieser Effekt war unabhängig davon, ob das Tier mit dem Partner verwandt war oder nicht. Das bedeutet, dass bei Schimpansen die Qualität der Partnerbeziehung auch zwischen nicht verwandten Tieren einen Einfluss auf die Oxytocinausschüttung hat.
Abbildung 4: Oxytocinspiegel im Urin von Schimpansen in Abhängigkeit von der Qualität der Beziehung zu ihrem Fellpflegepartner. Fehlerbalken kennzeichnen die Standardabweichung © Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie / Crockford
Wie kann es aber überhaupt zu der Bildung von engen, kooperativen Beziehungen zwischen nicht verwandten Tieren kommen? Eine weitere Studie könnte darauf erste Hinweise geben: Hier zeigte sich, dass Oxytocin im Vergleich zu Kontrollsituationen bei Tieren ansteigt, die das Futter miteinander teilen, und zwar unabhängig davon, ob das Tier der Geber oder Nehmer ist. Es könnte also sein, dass Bindungsmechanismen, die sich ursprünglich zwischen Mutter und Kind entwickelt haben, bei einigen Tierarten, darunter Mensch und Schimpanse, so generalisieren ließen, dass sie nun auch zwischen nicht miteinander verwandten Tieren funktionieren.
Physiologische Messmethoden angewandt bei wild lebenden Tieren
Die Erforschung physiologischer Vorgänge bei frei lebenden Menschenaffen stellt eine große Herausforderung dar. Ein Großteil der etablierten Messmethoden wurde für die Verwendung an menschlichem Blut entwickelt. Die Aufgabe besteht nun darin, die Methoden zum einen für die Verwendung bei einer anderen Art und dann noch für Urin oder Kot anzupassen. Für diese Art von Methodenvalidierung werden oft Proben benötigt, die unter standardisierten Bedingungen von Zootieren gesammelt wurden. Neben vielen anderen haben vor allem die Zoos in Frankfurt und Leipzig die Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in den letzten Jahren hervorragend unterstützt.
Die Schwerpunkte bei der Methodenentwicklung liegen in den Bereichen Ernährung und Energiebilanz, Modulierung von Sozialbeziehungen, Stress und Ontogenese. In Zusammenarbeit mit der Abteilung „Human Evolution“ am Institut wurden Methoden entwickelt, die es gestatten, Nahrungsknappheit durch Messung von stabilen Isotopen von Kohlenstoff und Stickstoff (13C und 15N) im Urin und von Fleischverzehr in Haaren von Menschenaffen nachzuweisen.
*[1] Der im Jahrbuch 2013 der Max-Planck Gesellschaft erschienene, gleichnamige Artikel http://www.mpg.de/6778152/MPI_EVAN_JB_2013?c=7291695 wurde mit freundlicher Zustimmung der MPG-Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation ScienceBlog.at zur Verfügung gestellt. Der Artikel erscheint hier in voller Länge, geringfügig für den Blog adaptiert und ohne die im Original vorhandenen Literaturzitate.
Weiterführende Links
Organisationen, die sich für den Schutz von freilebenden Menschenaffen einsetzen:
- Bonobo Alive wurde von Bonoboforschern ins Leben gerufen, um die Bonobos und ihren Lebensraum im südwestlichen Teil des Salonga Nationalparkes, DR Kongo, zu schützen
- Wild Chimpanzee Foundation: Ziel ist es, die verbliebenen 20.000 bis 25.000 freilebenden Schimpansen zu retten sowie deren Lebensraum, den tropischen Regenwald überall im tropischen Afrika
KuBus: Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie - de Video 13:44 min.
„Du bist, was Du isst“ Sozialer Status beeinflusst den Zugang zu hochwertiger Nahrung bei Bonobos (2011)
Erfolgreiche Muttersöhnchen. Hoher sozialer Rang und Unterstützung der Mütter sind entscheidend für den Paarungserfolg von Bonobo-Männchen (2010)
Bonobos - die sanften Vettern der Schimpansen: Gottfried Hohmann (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie) Video 8:03 min
Schimpansen
Der Film „Schimpansen“ (Disney, Regie Alastair Fothergill und Mark Linfield, 2013):
Disney zeigt im Kino, wie Schimpansen frei leben – dass alles, was gezeigt wird auch wissenschaftlich authentisch ist, hat das Leipziger Affenforscherteam ermöglicht. Tobias Deschner berichtet über die Arbeit mit Kamerateam und tierischen Hauptdarstellern: http://www.schimpansen.mpg.de/18056/hintergrund_zum_film
Dossier: Schimpansen - der Film und die Realität - Ein Blick auf Forschung und Forscher hinter dem Disney-Naturfilm http://www.scinexx.de/dossier-631-1.html
Der Film „Schimpansen“ (2013) Trailer http://www.disney.de/disneynature/filme/schimpansen/
TV total - Dr. Tobias Deschner – Schimpansen: http://video.de.msn.com/watch/video/tv-total-dr-tobias-deschner-schimpan... Video 11:55 min
Zum Film Schimpansen - Tim im Turm vom 23.05.2013, Interview mit Tobias Deschner http://www.leipzig-fernsehen.de/?ID=12899 Video 25 min
Film Clips: Tobias Deschner filmte während seiner Forschungsarbeit im Taï-Nationalpark. Dabei entstanden kurze Film-Clips, die Schimpansen u.a. beim Nüsseknacken, Spielen und bei der Fellpflege zeigen: http://www.schimpansen.mpg.de/12014/Videos
Wenn bei Primaten die Chemie stimmt: Durch das so genannte Kuschelhormon lässt sich Freundschaft bei Primaten physiologisch darstellen. Tobias Deschner: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2003424/Wenn-bei-Primaten-d... Video 2:07 min
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