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Bärtierchen können extreme ionisierende Strahlung überleben

Do, 11.07.2024 — Redaktion

Redaktion

Icon Biologie

Bärtierchen sind mikroskopisch kleine Tiere, die im Meer, im Süßwasser und in feuchten terrestrischen Lebensräumen wie Moos, Flechten und Laubstreu vorkommen. Sie sind bekannt für ihre Widerstandsfähigkeit gegen extreme Umweltbedingungen, u.a. gegenüber der Exposition mit hoher ionisierender Strahlung. Um die Mechanismen dieser außergewöhnlichen Widerstandsfähigkeit zu enträtseln, hat ein französisch-italienisches Forscherteam untersucht, welche Gene unter hoher Strahlenbelastung der Tiere geschaltet werden. Offensichtlich nutzen die Tiere eine Kombination aus DNA-Reparaturmaschinen und einem bisher unbekannten Protein - TDR1 -, um ihr Genom nach intensiver ionisierender Strahlung zu reparieren. Das Verstehen dieses Procedere kann zu neuen Strategien zum Schutz menschlicher Zellen vor Strahlenschäden - von der Krebstherapie bis hin zur Weltraumforschung - führen.*

Wenn man an das robusteste Tier der Welt denkt, so hat man vielleicht einen Löwen oder einen Tiger vor Augen. Aber ein wesentlich weniger bekannter Anwärter auf diesen Titel ist das sogenannte Bärtierchen (Tardigrada), ein winziges Tier, das dafür bekannt ist, extreme Bedingungen zu überleben. Abbildung 1. Das Tier kann eingefroren werden, es hält Temperaturen über dem Siedepunkt von Wasser aus, es kann völlig austrocknen, dem Vakuum des Weltraums ausgesetzt werden und sogar ein Bombardement mit extrem hoher ionisierender Strahlung ertragen.

Abbildung 1: Das Bärtierchen Milnesium tardigradum in aktivem Zustand. Rasterelektronenmikrosopische Aufnahme. (Quelle: SEM image of Milnesium tardigradum in active state. doi:10.1371/journal.pone.0045682.g001, Lizenz cc-by.)

Wie Bärtierchen diese extremen Bedingungen überstehen, gehört zu den größten Rätseln der Physiologie. Jetzt hat ein französisch-italienisches Forscherteam unter Jean-Paul Concordet und Anne de Cian (vom Muséum National d'Histoire Naturelle) im online Journal eLife über neue Erkenntnisse berichtet, wie Bärtierchen die Exposition gegenüber ionisierender Strahlung überleben (Anoud etal., 2024 [1]).

Ionisierende Strahlung schädigt Zellen in charakteristischer Weise, indem sie deren DNA fragmentiert. In der Vergangenheit hat man gedacht, dass Organismen - wie Bärtierchen - in der Lage sind extreme Strahlungsdosen zu überleben, weil sie die Strahlung blockieren und so verhindern, dass ihre DNA geschädigt wird. Ein früherer Bericht legt nahe, dass Bärtierchen ein sogenanntes Dsup (Damage Suppressor) Protein nutzen, um DNA-Schäden während der Strahlenbelastung zu verhindern. Anoud et al. fanden jedoch heraus, dass Bärtierchen die gleiche Menge an DNA-Schäden anhäufen wie Organismen und Zellen, die gegenüber Strahlung intolerant sind, wie etwa menschliche Zellen, die in Kulturschalen gezüchtet werden.

Wenn also Bärtierchen ionisierende Strahlung nicht deshalb überleben, weil sie die DNA-Fragmentierung direkt blockieren, wie überstehen sie dann eine solche Schädigung?

Um dies heraus zu finden, hat das Forscherteam drei Bärtierchenarten mittels  RNA-Sequenzierung untersucht, um festzustellen, welche Gene eingeschaltet werden, wenn die Tiere ionisierender Strahlung ausgesetzt sind. Zusätzlich haben sie auch Bärtierchen getestet, die Bleomycin ausgesetzt waren - einem in der Tumortherapie angewandten Medikament, das die Auswirkungen von Strahlung nachahmt, indem es Doppelstrangbrüche in der DNA verursacht.

Anoud et al. fanden heraus, dass die Bärtierchen die Expression von Genen hochregulierten, die an der DNA-Reparaturmaschinerie beteiligt sind, welche in vielen Lebensformen - von Einzellern bis hin zum Menschen - anzutreffen ist. Die DNA-Schäden, die die Bärtierchen nach dem Bombardement mit ionisierender Strahlung oder nach Behandlung mit Bleomycin zunächst anhäuften, verschwanden sukzessive nach der Exposition. Insgesamt weisen diese Ergebnisse stark darauf hin, dass Bärtierchen zur Bewältigung der durch ionisierende Strahlung verursachten DNA-Schäden eine Reihe von robusten Reparaturmechanismen einsetzen, die ihnen helfen, ihr zerbrochenes Genom wieder zusammenzuflicken.

Abbildung 2: Die Expression des Bärtierchenproteins TDR1 in menschlichen Zellen steigertdie Reparatur von DNA-Schäden. A) Werden Bärtierchen ionisierender Strahlung oder dem Medikament Bleomycin ausgesetzt, so führt dies zu DNA-Schäden wie Doppelstrangbrüchen (Kreis im Bild). Dadurch werden verschiedene Gene (Dreiecke) aktiviert, die das Genom reparieren, darunter auch das Gen, das für ein Protein namens TDR1 kodiert (rotes Dreieck). (B) Eine Bleomycin-Behandlung (dargestellt als Blitze) verursacht in menschlichen Zellen ebenfalls Doppelstrangbrüche der DNA. Diese können jedoch nicht effizient repariert werden, was zum Zelltod führt. (C) Anoud et al. fanden heraus, dass die Einführung des Gens für TDR1 in das Genom menschlicher Zellen deren Fähigkeit zur Reparatur von DNA-Schäden steigert und ihre Überlebenschancen erhöht. (Bild: https://doi.org/10.7554/eLife.100219, Lizenz ccc-by.)

Anoud et al. stellten nicht nur fest, dass die DNA-Reparaturmaschinerie nach ionisierender Strahlung hochreguliert wird, sie identifizierten auch ein neues, nur bei Bärtierchen vorkommendes Gen, das für ein Protein namens TDR1 (Abkürzung für Tardigrade DNA Repair Protein 1) kodiert. Weitere Experimente zeigten, dass TDR1 in den Zellkern eindringen und an die DNA binden kann. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass konservierte, größtenteils positiv geladene Teile von TDR1 elektrostatisch mit negativ geladener DNA wechselwirken. Liegt TDR1 in hohen Konzentrationen vor, so bindet es nicht nur an die DNA, sondern bildet auch in zunehmendem Maße Aggregate. Schließlich fanden Anoud et al. heraus, dass durch das Einbringen des TDR1-Gens in gesunde menschliche Zellen die Menge der dort durch Bleomycin verursachten DNA-Schäden reduziert wurde - ein Hinweis, dass das TDR1-Protein bei der DNA-Reparatur hilft (Abbildung 2).

Es ist zwar noch unklar, wie Bärtierchen DNA-Schäden beheben, aber diese Studie legt nahe, dass ihre Fähigkeit, extreme Strahlung zu überleben, mit ihrer hohen Fähigkeit DNA zu reparieren zusammenhängt, bei der TDR1 anscheinend eine entscheidende Rolle spielt. Anoud et al. fanden heraus, dass sich TDR1 nicht wie einige andere Reparaturproteine an DNA-Schadstellen anreichert. Stattdessen schlagen sie vor, dass das Protein die DNA repariert, indem es an sie bindet und Aggregate formt, welche die fragmentierte DNA zusammenhalten und dazu beitragen, die Organisation des beschädigten Genoms zu bewahren.

Um den Mechanismus, der dafür verantwortlich ist, dass TDR1 und andere Proteine den Bärtierchen helfen ionisierende Strahlung zu überleben, vollständig zu verstehen, sind jedoch weitere Forschungsarbeiten erforderlich. Letztlich könnte das Wissen darüber, wie diese winzigen Organismen ihre DNA effizient reparieren, zu neuen Strategien für den Schutz menschlicher Zellen vor Strahlenschäden führen, was der Krebsbehandlung und der Weltraumforschung zugutekommen könnte.


 [1] M. Arnaud et al., Comparative transcriptomics reveal a novel tardigrade-specific DNA-binding protein induced in response to ionizing radiation. elife. Jul 9, 2024. https://doi.org/10.7554/eLife.92621.3


* Eine Zusammenfassung des Artikels von M. Arnaud, et al., 2024, [1] verfasst von Chaitra Shree Udugere Shivakumara Swamy und Thomas C Boothby ist am 04.07.2024 unter dem Titel "Tardigrades: Surviving extreme radiation" im eLife-Magazin erschienen:https://doi.org/10.7554/eLife.100219. Der Text wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu ins Deutsche übersetzt, durch den Abstract und Abbildung 1 ergänzt, aber ohne die im Originaltext zitierten Literaturstellen wiedergegeben. eLife ist ein open access Journal, alle Inhalte stehen unter einer cc-by Lizenz.


Video:

Bärtierchen: Die Kleinsten Und Härtesten Tiere Der Welt | Tierdokumentation | Dokumentarfilm, (2023). Video 6:37 min. https://www.youtube.com/watch?v=k2v6eIDb66Q.

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