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  4. 2024

Wie wirkt eine ketogene Diät gegen Autoimmunerkrankungen?

Mo, 11.11.2024 — Redaktion

Redaktion

Icon Nahrung

Ernährung und dadurch bedingte Veränderungen des Darm- Mikrobioms haben Auswirkungen auf diverse Autoimmunerkrankungen. Eine neue Untersuchung an einem Mausmodell der Multiplen Sklerose (MS) analysiert nun die komplexen Interaktionen zwischen Wirt und Mikrobiom und erklärt, wie eine ketogene Diät vor der Erkrankung schützt: Der Diät-bedingt im Wirtsorganismus entstehende Ketonkörper b-Hydroxybuttersäure (b-HB) ist notwendig und selbst ausreichend, um Inzidenz und Schwere der Erkrankung zu reduzieren. Zudem regt b-HB ein Darmbakterium zur Produktion des Stoffwechselprodukts Indol-Milchsäure (ILA) an, welches die für MS charakteristischen Entzündungsrektionen blockiert. Falls sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, könnte anstelle einer restriktiven Keto-Diät Supplementierung von b-HB direkt zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten eingesetzt werden.

Ketogene Diäten werden zwar bereits seit mehr als hundert Jahren klinisch angewandt, um epileptische Anfälle vor allem bei therapieresistenten (jugendlichen) Patienten zu kontrollieren, ihre Popularität hat aber erst in den letzten Jahrzehnten sprunghaft zugenommen. Keto-Diäten verhelfen zur Gewichtsabnahme, zeigen vielversprechende Auswirkungen u.a. auf das metabolische Syndrom, auf Entzündungen, Krebserkrankungen und können das Mikrobiom vorteilhaft verändern. Wie Langzeitstudien an Kindern und jungen Erwachsenen gezeigt haben, ist eine kohlenhydratreduzierte ketogene Diät offensichtlich gesundheitlich unbedenklich.

Seit mehr als 10 Jahren mehren sich die Berichte, wonach ketogene Diäten die Symptome von Autoimmunkrankheiten - darunter Multiple Sklerose (MS), entzündliche Darmerkrankungen, rheumatoide Arthritis und auch Diabetes -verbessern. Ob die Wirkung dieser Ernährungsform über den Wirt und/oder das Mikrobiom zustande kommt, war bislang unklar. Ein vorwiegend von der Universität San Francisco (UCSF) stammendes Forscherteam konnte nun diese Frage an Hand eines allgemein akzeptierten Modells für Autoimmunerkrankungen aufklären und damit möglicherweise den Weg zu einer erfolgversprechenden Therapie dieser Krankheiten bereiten [Alexander et al., 2024].

Abbildung 1: Ketogene Diät: viel Fett, aureichend Protein, sehr wenig Kohlenhydrate (Bild: Mohamed_hassan, gemeinfrei)

Eine Schlüsselrolle spielt der Metabolit b-Hydroxybuttersäure, der diätbedingt in höherer Menge im Wirtsorganismus produziert wird und über eine Veränderung des Darm-Mikrobioms zu einer verringerten Aktivierung des Immunsystems führt.

Der folgende Abschnitt gibt eine kurze Information zu diesem Metaboliten.

Was macht eine ketogene Diät aus?

In der Normaldiät liefern kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Brot, Nudeln, Reis, Süßwaren und Obst den primären Energielieferanten im Zellstoffwechsel, die Glukose. Bei einer täglichen Zufuhr von 2000 kcal werden im Mittel 275 g Kohlenhydrate aufgenommen. (Abbildung 1, rechts oben).

Die Keto-Diät schränkt solche Lebensmittel sehr stark ein, erlaubt aber ausreichende Proteinzufuhr und nahezu unbegrenzten Verzehr von Fett. (Abbildung 1, rechts unten.) Werden einem Erwachsenen täglich weniger als 50 g Kohlenhydrate zugeführt, so reicht dies nicht mehr aus, um den Organismus mit Glukose zu versorgen und dieser schaltet den Stoffwechsel um und gewinnt Energie aus der Fettsäure-Oxidation (Lipidoxidation).

Der als Ketogenese bezeichnete Prozess

findet in den Mitochondrien vor allem der Leber- und Darmepithelzellen statt; er ist in Abbildung 2 vereinfacht dargestellt: Aus den Fettsäuren entstehen aktivierte Essigsäure (Acetyl-CoA) und in einer Reihe von Folgereaktionen drei sogenannte Ketonkörper: Acetoacetat, Aceton und b-Hydroxybuttersäure. Geschwindigkeitsbestimmend für die Umsetzung ist das Enzym HMG-CoA Synthase. Die wasserlöslichen Ketonkörper Acetoacetat und b-Hydroxybuttersäure treten in den Blutkreislauf ein und dienen praktisch allen Zellen als Energielieferanten. Darüber hinaus zeigen sie weitreichende Auswirkungen auf das Immunsystem; u.a. unterdrücken sie Entzündungsreaktionen und modifizieren die Funktion von T-Zellen (Th17-Zellen).

Abbildung 2: Von der Fettsäureoxidation zu den Ketonkörpern (lila) Acetoacetat, Aceton und  b-Hydroxybuttersäure . Stark vereinfachte Darstellung. Rote.Pfeile: Enzymreaktionen. HMG-CoA-Synthase katalysiert den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt. Schwarzer Pfeil: spontane , nichtenzymatische Reaktion.

Von der Keto-Diät zur Entdeckung von zwei Schlüsselsubstanzen zur Therapie von Autoimmunerkrankungen

Die hier berichtete Studie des Forscherteams um Peter J. Turnbaugh (University San Francisco) wurde an einem Mausmodell der experimentellen Autoimmun-Enzephalomyelitis (EAE) durchgeführt [Alexander et al., 2024]. Dabei wird die Krankheit durch Immunisierung mit einem Peptid hervorgerufen, das zu autoimmuner Demyelinisierung der Nervenfasern führt. Unter allen Modellen der Multiplen Sklerose spiegelt dieses Modell deren Autoimmunpathogenese am besten wider und wird weltweit in der Forschung aber auch in der Entwicklung von Therapien am häufigsten verwendet.

Schlüsselrolle von b-Hydroxybuttersäure

Wie erwartet reduzierte die Keto-Diät (KD: 90,5 % Fett, 0 % Kohlenhydrate, 10 % Protein) die Schwere und die Inzidenzrate der Erkrankung im Vergleich zur Kontrollgruppe (HFD: mit zu KD abgestimmten Zutaten 75 % Fett, 15 % Kohlenhydrate, 9,5 % Protein), die zwar einen hohen Fettanteil aufwies aber auch ausreichend Kohlenhydrate, um nicht auf Ketogenese umzuschalten. Abbildung 3 A, B. In der KD-Gruppe war dagegen die b-Hydroxybuttersäure im Blut auf das rund Fünffache erhöht und die für EAE charakteristischen Immunzellen und Entzündungsfaktoren stark reduziert.

Ein völlig überraschendes Ergebnis der Studie war, dass Supplementierung der Kontrollgruppe (HFD-Mäuse) allein mit b-Hydroxybuttersäure(-ester: KE))  ausreicht, um eine mit der Keto-Diät vergleichbar starke Reduktion der EAE zu erzielen (Abbildung 3 C,D).

Bei transgenen Mäusen, deren HMG-CoA-Synthase (siehe Abbildung 2) ausgeschaltet ist und, die daher nicht in der Lage sind b-Hydroxybuttersäure im Darm zu produzieren, erweist sich die Keto-Diät als wirkungslos - die Tiere entwickeln eine der Kontrollgruppe gleichende schwere Krankheit (Abbildung 3 E,F).

Abbildung 3: In einem Mausmodell für Multiple Sklerose reduziert ketogene Diät Schwere und Inzidenzrate der Erkrankung. A, B: Vergleich Ketogene Diät (KD) versus nicht-ketogene Diät (HFD). C, D Supplementierung der nicht-ketogenen Diät (HFD) mit b-Hydroxybuttersäure (ester) führt zu vergleichbar hohem Schutz wie die ketogene Diät. E, F: Ketogene Diät zeigt bei transgenen Tieren (Hmgcs2IEC, die auf Grund der ausgeschalteten HMG-CoA-Synthase keine b-Hydroxybuttersäure produzieren können, keine Schutzwirkung wie der Wildtyp (Hmgcs2WT). G,H: Bei keimfreien (d.i. ohne Mikrobiom gezüchteten) Mäusen kannt die Keto-Diät trotz gesteigerter b-Hydroxybuttersäure Produktion den Krankheitsverlauf nicht positiv beeinflussen. (Daten sind Mittelwerte ± SEM; jeder Punkt stammt von einer einzelnen Maus. Bilder stammen aus Figures 1, 2, 3 in Alexander et al., 2024, Lizenz cc-by.)

b-Hydroxybuttersäure wirkt über das Mikrobiom

Im Gegensatz zu "nomalen" Tieren zeigte die Keto-Diät bei keimfrei - d.i. ohne Mikrobiom - gezüchteten (GF) Mäusen keinerlei Auswirkungen auf Schwere und Inzidenz der EAE (Abbildung 3 G, H), obwohl diese Tiere mehr als fünffach erhöhte b-Hydroxybuttersäure-Spiegel aufwiesen. Offensichtlich war also das Darm-Mikrobiom notwendig, um b-Hydroxybuttersäure wirksam werden zu lassen.

Um herauszufinden, wie dieser Metabolit das Darmmikrobiom beeinflusst, isolierte das Forscherteam Bakterien aus den Därmen von Mäusen, die mit der Keto-Diät, der fettreichen HF-Diät oder der mit der b-Hydroxybuttersäure supplementierten HF-Diät gefüttert wurden und untersuchten jede dieser Gruppen auf Stoffwechselprodukte. Es stellte sich heraus, dass die positiven Auswirkungen der Keto-Diät auf einen Typ der Lactobacíllus Species - Lactobacillus murinus - zurückzuführen waren. L. murinus produziert Indol-Milchsäure (ein Abbauprodukt der Aminosäure Tryptophan). Dieser Metabolit unterdrückt die Funktion bestimmter T-Zellen (Th17), die u.a. den für die Pathogenese von MS charakteristischen Entzündungsfaktor IL-17 produzieren.

Schlussendlich behandelten die Forscher die Mäuse anstelle der Keto-Diät direkt mit dem Keim L.murinus oder mit dessen Metabolit Indol-Milchsäure und konnten feststellen, dass dies die Tiere in gleicher Weise vor EAE schützte, wie die Keto-Diät oder der Wirtsmetabolit b-Hydroxybuttersäure.

Abbildung 4 fasst die erfolgversprechenden Auswirkungen der Keto-Diät auf das Modell der multiplen Sklerose zusammen.

Abbildung 4: Zwei Verbindungen bestimmen die neuroprotektive Wirkung der ketogenen Diät: Die durch die Diät im Wirtsorganismus erzeugte Hydroxybuttersäure (HB), die wiederum das Darmmikrobiom zugunsten von Produzenten der Indol-Milchsäure (ILA) verändert, welche Entzündungsreaktionen des Immunsystems unterdrückt. (Bild stammt aus Alexander et al., 2024, Lizenz cc-by.)

Fazit

Ketogene Diät schützt vor einer Autoimmunerkrankung in einer Mikrobiom-abhängigen Weise.

Der durch die Diät vom Wirtsorganismus erzeugte Metabolit b-Hydroxybuttersäure ist für die Schutzwirkung notwendig und alleine ausreichend.

b-Hydroxybuttersäure verändert die Diversität des Mikrobioms zugunsten von Bakterien, die Indol-Milchsäure produzieren; dieser bakterielle Metabolit unterdrückt entzündungsfördernde Immunzellen (Th17) und trägt so zur neuroprotektiven Wirkung bei.

Falls sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, könnte anstelle einer restriktiven Keto-Diät Supplementierung von b-Hydroxybuttersäure direkt zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten eingesetzt werden. Die Wirkung könnte möglicherweise durch zusätzliche Gabe von Indol-Milchsäure verstärkt werden.

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Anmerkung der Redaktion: b-Hydroxybuttersäure wird tatsächlich durch ketogene Diät im Menschen massiv hochreguliert!

Vor 9 Monaten wurde im ScienceBlog über eine randomisierte klinische Untersuchung berichtet, in der die Auswirkungen von ketogener Diät und veganer Diät auf Stoffwechsel, Immunsystem und Mikrobiom mit Hilfe eines Multiomic Anatzes verglichen wurden (Redaktion, 16.02.2024). Von den insgesamt im Plasma erfassten 860 Stoffwechselprodukten (Metaboliten) waren 131 bei ketogener Ernährung hochreguliert. Von allen strukturell identifizierten Metaboliten war b-Hydroxybuttersäure am stärksten hochreguliert (mittlere relative Plasmaspiegel bei Normaldiät 1,29, bei Keto-Diät 5,36 und bei veganer Diät bei 0,30. (Link V.M et al, 22024, Supplementary Information: Table 5)).


Alexander et al., 2024, A diet-dependent host metabolite shapes the gut microbiota to protect from autoimmunity. Cell Reports, 114891. https://doi.org/10.1016/j.celrep.2024.114891

Redaktion, 16.02.2024: Wie sich die Umstellung auf vegane oder ketogene Ernährung auf unser Immunsystem auswirkt.

Link, V.M., Subramanian, P., Cheung, F. et al. Differential peripheral immune signatures elicited by vegan versus ketogenic diets in humans. Nat Med (2024). https://doi.org/10.1038/s41591-023-02761-2


 

 

 

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