Zur unzureichenden Zufuhr von Mikronährstoffen

So, 22.09.2024 — Redaktion

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Die unzureichende Zufuhr von Mikronährstoffen und der daraus resultierende Mangel stellen eine große Herausforderung für die globale öffentliche Gesundheit dar. Auf der Grundlage von möglichst aktuellen, weltweit erhobenen Daten zum Nahrungskonsum liefert eine Studie nun erstmals Schätzungen der globalen und regionalen Zufuhr von 15 essentiellen Vitaminen und Mineralstoffen, wobei Unterschiede zwischen Männern und Frauen und nach Altersgruppen zwischen 0 und 80+ Jahren aufgezeigt werden. Die Ergebnisse sind alarmierend: Der weitaus überwiegende Teil der Weltbevölkerung konsumiert mindestens einen Mikronährstoff in unzureichender Menge. Diese Ergebnisse sind öffentlich frei zugänglich und können genutzt werden, um gezielt auf Bevölkerungsgruppen zuzugehen, die ein Eingreifen benötigen.

Eure Nahrung sei Medizin, eure Medizin Nahrung (Hippokrates)

Unser Organismus ist auf die regelmäßige Zufuhr von Mikronährstoffen angewiesen, die er selbst nicht produzieren kann. Es sind dies niedermolekulare Substanzen - Vitamine und Mineralstoffe -, die als essentielle Komponenten von physiologischen Prozessen im Organismus fungieren. Bei den meisten dieser Stoffe reichen dafür Mikrogramm- bis Milligramm-Mengen pro Tag aus und diese sollten in verfügbarer Form aus der Nahrung aufgenommen werden können.

Eine unzureichende Aufnahme von Mikronährstoffen gehört weltweit zu den häufigsten Formen der Mangelernährung, wobei bei jedem dieser essentiellen Stoffe ein "zu wenig" zu jeweils spezifischen gesundheitlichen Folgen führt. Diese reichen von Anämie, Erblindung, negativ verlaufenden Schwangerschaften, schlechter physischer Entwicklung, kognitiven Beeinträchtigungen, Haut-und Haarproblemen bis hin zu erhöhter Anfälligkeit für Infektionskrankheiten.

Mikronährstoffmangel trägt also massiv zu erhöhter Morbidität und Mortalität bei, das globale aber in vielen Fällen auch regionale Ausmaß des Problems hat sich aufgrund unzureichender und/oder veralteter Daten bisher kaum abschätzen lassen.

Globale Schätzung des nahrungsbedingten Mangels an Mikronährstoffen

So übertitelt ein Forscherteam der Harvard T.H. Chan School of Public Health, der UC Santa Barbara (UCSB) und der Global Alliance for Improved Nutrition seine eben im Fachjournal Lancet Global Health erschienene neue Studie [1]. Darin haben die Forscher erstmals den Bedarf an den Mikronährstoffen mit deren Aufnahme aus der jeweiligen Nahrung in 185 Ländern (dies entspricht 99,3 Prozent der Weltbevölkerung) verglichen. Die dazu verwendeten, möglichst aktuellen Daten stammten aus i) der Global Dietary Database, einer Datenbank, welche auf Basis repräsentativer nationaler Umfragen den globalen Ernährungsstatus schätzt [2], ii) der Weltbank und iii) aus Erhebungen zur Ernährung in 31 Ländern. Untersucht wurden 15 Mikronährstoffe: die Mineralstoffe Kalzium, Magnesium, Jod, Eisen, Zink und Selen und die Vitamine A, B1 (Thiamin), B2 (Riboflavin), B3 (Niacin), B6 (Pyridoxine), B9 (Folsäure), B12 (Cobalamin), C (Ascorbinsäure) und E (Tokopherole). Unterschiedlicher Bedarf an diesen Substanzen und deren Aufnahme aus der konsumierten Nahrung wurde bei beiden Geschlechtern und in 17 Altersgruppen von 0 bis 80+ Jahren erhoben.

Es muss betont werden, dass für die Zufuhr von Mikronährstoffen nur die Aufnahme aus der jeweiligen Nahrung, nicht aber in Form von Supplementen oder in angereicherten Formen in Lebensmitteln (z.B. jodiertes Kochsalz) berücksichtigt werden konnten. Der globale Markt für Supplemente ist in den letzten Jahren zwar sehr stark gewachsen, verlässliche Daten zur weltweiten Anwendung fehlen aber noch [3]. Programme für mit Vitaminen (zB. mit Folsäure) und/oder Mineralstoffen angereicherten Nahrungsmitteln laufen in zahlreichen Ländern, erfassen die Bevölkerung nur teilweise [4].

Alarmierende Ergebnisse

Abbildung 1. Unzureichende Aufnahme von 4 Mikronährstoffen aus der Nahrung. Zahl und Anteile der betroffenen globalen Bevölkerung und geschätzte Prävalenz in 185 Ländern im Jahr 2018. Zur besseren Sichtbarkeit sind Länder mit einer Landfläche von weniger als 25 000 km² als Punkte dargestellt (Bild: Unveränderter Ausschnitt aus Figure 2 in Pasarelli et al., 2024; Lizenz: cc-by-nc-nd).

Die Analyse ergab, dass Milliarden Menschen zu wenig von mindestens einem essentiellen Mikronährstoff konsumieren. Die Zahlen sind unerwartet hoch und betreffen Menschen in allen Ländern, arme ebenso wie reiche.

Am Unzureichendsten ist die Aufnahme von 4 Mikronährstoffen: Jod, Vitamin E, Calcium und Eisen - rund zwei Drittel der Menschheit weisen hier schwere Defizite auf. Abbildung 1.

Jodmangel führt mit 5,1 Milliarden Menschen die Liste an. Es ist ein essentieller Bestandteil der Schilddrüsenhormone Trijodthyronin und Thyroxin, die eine zentrale Rolle im Energiestoffwechsel spielen und Auswirkungen auf Zellwachstum, Immunzellen, Herzfunktion, Muskulatur, Fettgewebe und endokrine Organe zeigen. Die Analyse dürfte allerdings den Jodmangel stark überschätzen, da er sich auf die Aufnahme aus Nahrungsquellen - vor allem aus Meeresprodukten - bezieht, in vielen Ländern aber bereits jodiertes Speisesalz verwendet wird (und z.T. gesetzlich vorgeschrieben ist), das - wie erwähnt - in der Analyse nicht berücksichtigt wurde. Eine Anreicherung von Lebensmitteln mit vielen der Mikronährstoffe ist dagegen weltweit nicht üblich.

Tabelle. Mikronährstoffe, geschätzter Mangel der Weltbevölkerung (in Milliarden) und wichtigste physiologische Rollen. (Mangeldaten zusammengestellt aus [1) )

Die einzelnen Nährstoffdefizite zeigen starke regionale Unterschiede, oft auch zwischen Nachbarländern wie im Fall des Eisenmangels. Länder in Nordamerika, Europa und Teile Zentralasiens zeigen niedrige Prävalenzen von Calciummangel. Vitamin E-Mangel ist mit nur wenigen Ausnahmen nahezu über die ganze Erde verbreitet. Abbildung 1.

Die untersuchten 15 Mikronährstoffe, die globale Prävalenz ihrer Defizite und wesentlichste physiologische Rollen sind in der nebenstehenden Tabelle aufgelistet.

Die Forscher analysierten auch die Zufuhr von Mikronährstoffen über die gesamte Lebensdauer (in 5-Jahresintervallen) bei beiden Geschlechtern. So stellten sie fest, dass in allen Regionen die Aufnahme von Calcium sowohl bei Frauen als auch bei Männern im Alter zwischen 10 und 30 Jahren am geringsten war. Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestanden bezüglich der Zufuhr verschiedener Stoffe: So wiesen innerhalb desselben Landes und derselben Altersgruppe Frauen höhere Defizite an Jod, Vitamin B12, Eisen und Selen auf als Männer, umgekehrt nahmen mehr Männer zu geringe Mengen an Niacin, Thiamin, Zink, Magnesium und den Vitaminen A, C und B6 zu sich.

Abbildung 2. 2, Abschätzung der unzureichenden Zufuhr von Eisen über die Lebensdauer von Frauen und Männern. Oben: Eisendefizite in den Weltregionen, Unten: Eisendefizite in Kasachstan. (Bild: Unveränderte Ausschnitte aus Figure 3 und 1, in Pasarelli et a., 2024; Lizenz: cc-by-nc-nd).

Abbildung 2 zeigt als Beispiel die unzureichende Zufuhr von Eisen, die bis Ende ihres reproduktionsfähigen Alters bei Frauen stärker ausgeprägt war als bei Männern .

Für die geschätzte unzureichende Versorgung mit bestimmten Nährstoffen ergaben sich so je nach Geschlecht eindeutige Muster. Die Autoren der Studie hoffen, dass diese Muster helfen können, besser zu erkennen, wo Ernährungsmaßnahmen erforderlich sind, wie z. B. diätetische Maßnahmen, Anreicherung und Supplementierung von Mikronährstoffen.

Methoden und Ergebnisse der Studie sind öffentlich frei zugänglich und können genutzt werden, um gezielt auf Bevölkerungsgruppen zuzugehen, die ein Eingreifen benötigen.


[1] Simone Passarelli et al., Global estimation of dietary micronutrient inadequacies: a modelling analysis. The Lancet Global Health, Vol: 12, Issue: 10, Page: e1590-e1599. https://doi.org/10.1016/S2214-109X(24)00276-6

[2] Global Dietary Databank. Improving global health through diet. https://doi.org/10.3390/nu15153320

[3] Ouarda Djaoudene et al., A Global Overview of Dietary Supplements: Regulation, Market Trends, Usage during the COVID-19 Pandemic, and Health Effects. Nutrients 2023, 15, 3320. https://www.gainhealth.org/sites/default/files/publications/documents/Mighty-Nutrients-Coalition-Policy-Brief-Preventing-Micronutrient-Deficiencies-Worldwide.pdf

[4] Global Alliance for Improved Nutrition (GAIN): Preventing Micronutrient Deficiencies Worldwide. https://www.gainhealth.org/sites/default/files/publications/documents/Mighty-Nutrients-Coalition-Policy-Brief-Preventing-Micronutrient-Deficiencies-Worldwide.pdf


WHO: Vitamin and Mineral Nutrition Information System (VMNIS). https://www.who.int/teams/nutrition-and-food-safety/databases/vitamin-and-mineral-nutrition-information-system