Fr, 12.06.2015 - 07:00 — Thomas Stanzer Wie macht man industrielle Verfahren umweltfreundlicher und gleichzeitig wirtschaftlicher? Rund 200 Beschäftigte mit bis zu 30 Jahren Erfahrung in industrieller Biotechnologie forschen dazu am Austrian Center of Industrial Biotechnology (acib)*an mehr als 50 Projekten. Der Biochemiker Thomas Stanzer – zuständig für die Unternehmenskommunikation am acib - zeigt an Hand repräsentativer Beispiele, wie Methoden der Natur als Vorbild genutzt und daraus Technologien entwickelt werden, die unser aller Leben lebenswerter machen können.
Biologischer Pflanzenschutz
Das Übel kommt heimlich und ist erst kurz vor der Ernte sichtbar: Bei der späten Rübenfäule befallen Pilze Rüben oder Mais im Wurzelbereich unter der Erde. Die Fäulnis arbeitet sich von unten und innen vor, bis sie im Herbst sichtbar wird. Die Ernte ist dahin. Jahr für Jahr berichten Medien über Ernteausfälle, weil Nutzpflanzen trotz des Einsatzes vom Spritzmitteln von Schädlingen befallen werden. Oder weil Nützlinge wegen der Spritzmittel sterben, wie beispielsweise Bienen durch Neonicotinoide.
Das müsste nicht sein.
acib-Forscherin Christin Zachow arbeitet am biologischen Pflanzenschutz – zusammen mit Gabriele Berg (TU Graz), einer Vorreiterin in diesem Forschungsfeld. Ziel des biologischen Pflanzenschutzes ist es Mikroorganismen (Bakterien) zu Leibwächtern für Nutzpflanzen wie Mais, Raps, Tomate, Hirse oder die Zuckerrübe zu machen. Dazu werden spezielle, an extremen Standorten vorkommende, Bakterien zusammen mit der Pflanzensaat am Acker ausgebracht. Während die Saat keimt, vermehren sich gleichzeitig die Mikroorganismen, versorgen die Pflanze mit Nährstoffen, fördern deren Wachstum, wehren Schädlinge ab, verringern den Stress für die Nutzpflanze und erhöhen deren Widerstandsfähigkeit. Spritzmittel braucht man quasi nicht mehr. Die Lebensmittel wachsen besser und sind auch noch gesünder. Ein sehr positive Nebeneffekt dieser Methode: Die Bakterienmischungen regenerieren belastete Böden.
Biotechnologische Produktionssysteme
Ein Forschungsschwerpunkt in Wien widmet sich dem Verbessern biotechnologischer Produktionssysteme. Die Industrie verwendet Bakterien wie Escherichia coli, Hefen wie Pichia pastoris oder die Eizellen des chinesischen Hamsters (CHO-Zellen) als Fabriken, um verschiedenartigste Produkte herzustellen. Das können Enzyme sein, die später in der chemischen Industrie zum Einsatz kommen, oder auch therapeutische Antikörper und andere Proteine, wie sie beispielsweise in der Behandlung von Krebserkrankungen angewandt werden. Beim acib werden Bakterien, Hefen oder auch Hamsterzellen an die jeweiligen Anforderungen angepasst, denn jedes Produkt braucht sozusagen seine eigene Zelle. In einem dieser Projekte geht es etwa um eine Produktionsplattform zur Herstellung von Enzymen, mit denen sich Pilzgifte – Mykotoxine - abbauen lassen. Das ist beispielweise für die Tierernährung besonders wichtig, weil Futter immer wieder mit derartigen Giften belastet ist. Das kann nicht nur für Nutztiere tödlich enden, die Gifte können über die Nahrungskette auch uns Menschen gefährden. Der Zusatz geeigneter (kostengünstiger) Enzyme zum Futter macht derartige Mykotoxine unschädlich.
Enzymatische Synthesen
Enzyme sind überhaupt ein Schwerpunkt beim acib. Diese Werkzeuge der Natur im Mikroformat zeichnen sich dadurch aus, dass sie chemische Umsetzungen präzise abwickeln und dies bei Raumtemperatur und in wässrigen Umgebungen. Ersetzt man also die klassische chemische Synthese durch enzymatische Biokatalyse, so spart das Energie und problematische Lösungsmittel und verbessert die Ausbeute der Reaktion. Erfolge werden in der Entwicklung neuer (mehrstufiger) biokatalytischer Reaktionswege erzielt: so ist es einem Team in Graz gelungen, Kohlendioxid (CO2) als Rohstoff zu verwenden und daraus biokatalytisch Salicylsäure herzustellen – die Vorstufe der Acetylsalicylsäure, dem Wirkstoff in Aspirin. Das Projekt schlägt quasi zwei Fliegen auf einen Streich, weil einmal das Klimagas CO2 zum Rohstoff wird – recycelt wird - und zum anderen ein wertvolles Produkt entsteht.
Optimieren eines Produktionsprozesses mit Bioreaktoren im Labormaßstab
Recyceln von Kunststoff
Enzyme sind es auch, die beim Abbau von Kunststoffen helfen. 250 Millionen Tonnen Plastik werden pro Jahr hergestellt. Das meiste ist nicht abbaubar, belastet die Umwelt über Jahrzehnte oder wird verbrannt. Eine Forschungsgruppe am acib hat mit Hilfe von Enzymen den weltweit am häufigsten verwendeten Kunststoff Polyethylentherephthalat (PET) in seine Ausgangsbausteine zerlegt, die als Rohstoffe für die Erzeugung neuer funktioneller Materialien dienen. Mit Hilfe des patentierten Verfahrens lassen sich zB Getränkeflaschen aus PET recyceln.
Ein acib-Team in Tulln arbeitet auch an neuen, biologischen Kunststoffen, die in einer Kläranlage innerhalb eines Tages abgebaut werden können.
Biosprit 2.0
Unter Biosprit im klassischen Sinn versteht man Bioethanol, das aus Getreide gewonnen wird. Das acib beteiligt sich am Entwickeln alternativer Methoden, d.h. Methoden, die ohne den Einsatz von Lebensmitteln auskommen. Basis für „Biosprit 2.0“ sind landwirtschaftliche Abfälle, etwa das fein gehäckselte Stroh, das nach der Getreideernte übrig bleibt. Geeignete Enzyme aber auch intakte Mikroorganismen können daraus Biosprit machen. Eine andere Rohstoffquelle sind Energiegräser wie Miscanthus: diese Pflanze nimmt keiner Kulturpflanze Platz weg, weil sie sehr anspruchslos ist und in Bereichen wachsen kann, in denen Lebensmittelpflanzen kaum noch gedeihen. Nichtsdestoweniger enthält Miscanthus viel wertvolle Cellulose, aus der Zucker und letztendlich Biosprit entstehen kann.
Vom Labor ins Technikum : Große Fermenter für große Produktmengen
Enzym-Google
Enzyme gewinnen immer mehr Bedeutung in industriellen Verfahren und es werden laufend neue, noch nicht beschriebene Enzymfunktionen benötigt. Die Suche nach geeigneten Enzymen für derartige Funktionen war bis jetzt äußerst aufwendig, vergleichbar mit der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. acib-Forscher in Graz haben nun eine Internet-Suchmaschine – das Catalophor System – entwickelt, das von den angenommenen Strukturmerkmalen in und um das aktive Zentrum eines gesuchten Enzyms ausgeht. Damit durchforstet dieses „Enzym-Google“ zur Zeit rund 100.000 Datenbankeinträge von Enzymstrukturen nach Ähnlichkeiten und listet mögliche Kandidaten auf. Die vielversprechendsten Kandidaten können dann biotechnologisch hergestellt und auf die gewünschte Funktion experimentell geprüft werden. Die Datenbank erweitert sich selbständig, durchsucht öffentlich zugängliche Datenbanken nach neuen Enzymstrukturen. Das Projekt hat 2014 den Innovationspreis bei der er weltgrößten Messe für die chemische und Pharmaindustrie (CPhI: Convention of Pharmaceutical Ingredients) gewonnen.
Über das acib
Die genannten Beispiele sind eine Auswahl aus mehr als 50 Forschungsprojekten, die derzeit am acib zusammen mit internationalen Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft abgewickelt werden. Das acib
- gibt es als öffentlich gefördertes Kompetenzzentrum seit 2010 mit dem Ziel, die Forschung in industrieller Biotechnologie in Österreich zu bündeln und ein Zentrum von internationalem Gewicht zu schaffen.
- entwickelt neue, umweltfreundlichere und ökonomischere Prozesse für die Industrie (Biotech, Chemie, Pharma) und verwendet dafür die Methoden der Natur als Vorbild und Werkzeuge der Natur als Hilfsmittel.
- beschäftigt rund 200 Personen mit bis zu 30 Jahren Erfahrung in industrieller Biotechnologie.
- verzeichnet bereits mehr als 1100 Publikationen und Konferenzbeiträge und mehrere Dutzend Patente und Erfindungen.
Mit Standorten in Graz, Wien, Innsbruck, Tulln, Hamburg, Heidelberg und Bielefeld (D), Pavia (I) und Barcelona (E) ist das acib ein Netzwerk von 130+ internationalen Projektpartnern, darunter BASF, DSM, Sandoz, Boehringer Ingelheim RCV, Jungbunzlauer, voestalpine, VTU Technology und Clariant.
Eigentümer sind die Universitäten Innsbruck und Graz, die TU Graz, die Universität für Bodenkultur Wien sowie Joanneum Research.
Öffentliche Fördermittel bekommt das acib von der nationalen Forschungsförderung. Es wird im Rahmen von COMET – Competence Centers for Excellent Technologies - durch das BMVIT, BMWFW sowie die Länder Steiermark, Wien, Niederösterreich und Tirol gefördert. Das Programm COMET wird durch die FFG abgewickelt. In der ersten, bis Ende 2014 laufenden Förderperiode funktionierte das mit einem Budget von rund 60 Mio Euro (die Hälfte davon sind öffentliche Förderungen, die andere Hälfte kommt von den Industriepartnern) so gut, dass das Budget für die zweite, bis Ende 2019 laufende Förderperiode auf 65 Mio Euro aufgestockt wurde.
* Austrian Center of Industrial Biotechnology (acib) homepage: www.acib.at
Weiterführende Links
acib -- Innovationen aus der Natur. Video 3:35 min. https://www.youtube.com/watch?v=_FVa2glNTl4
Take Tech 2014 - ACIB GmbH. Video 2:17 min. https://www.youtube.com/watch?v=8PKu8Vaky80
acib - innovations on video Video 2:02 min https://www.youtube.com/watch?v=fD4hapu0Gwo
Höhepunkte der industriellen Biotechnologie Video 2:45 min. https://www.youtube.com/watch?v=q56-lIr9D-Q
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