Sa, 19.10.2024— Inge Schuster
„Künstliche Intelligenz (KI) ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren.“ (Europäisches Parlament, Webseite). In rasantem Tempo hat sich die KI-Forschung von einem teilweise als Science Fiction belächelten Gebiet zum unverzichtbaren, effizienten Werkzeug in Wissenschaft und Wirtschaft entwickelt und in zunehmendem Maße auch in unserem Alltag Einzug gehalten. Seit mehr als zehn Jahren wird im ScienceBlog über Erfordernisse, Anwendungen aber auch Risiken der KI informiert. Der folgende Bericht ist eine Zusammenstellung der bereits sehr umfangreichen Artikelsammlung, die laufend ergänzt werden soll.
Von der uralten Vision.....
Seit jeher besteht der Wunsch künstliche, dem Menschen an Fähigkeiten gleichende Kreaturen zu schaffen. So berichtet die griechische Mythologie von Hephaistos, dem Gott der Kunstfertigkeit, der u.a. auf Geheiß des Göttervaters Zeus die wunderschöne, mit allen positiven Eigenschaften versehene weibliche Figur, Pandora, aus Lehm fabrizierte (Abbildung 1). Mit Hilfe dieses unwiderstehlichen Wesens wollte Zeus aber die Menschen für den Diebstahl des Feuers durch Prometheus bestrafen; Pandora sollte Epimetheus, den erst im Nachhinein denkendenBruder des Prometheus verführen und von Neugier geplagt einen Krug öffnen, der mit allem Leid und Übel gefüllt war. Neugier und fehlendes Überlegen möglicher Folgen führten dazu, dass sich alles Böse über die Erde ergoss - eine auch für unsere heutige Wissenschaft gültige Metapher.
Abbildung 1. Pandora - eine Metapher für von Neugier getriebenes vorschnelles Handeln. Vase aus dem 5 Jh- v.Chr, Oben: Pandora (Mitte) wird von den Göttern mit allen positiven Atrtributen versehen; untere Reihe : Tanzende Satyren. (Bild: British Museum, London (CC BY-NC-SA 4.0) |
Die Literatur ist voll von weiteren fiktiven Kreationen. Einige hervorstechende Beispiele sind der im 12. Jahrhundert vom Prager Rabbi Löw aus Lehm mittels eines Buchstabencodes geschaffene Golem, ein Befehlsempfänger ohne eigenen freien Willen, die im 19. Jh. von E.T.A. Hoffmann im Sandmann beschriebene Puppe Olimpia oder Mary Shelley's Frankenstein. Einige Darstellungen haben die realen Entwicklungen der künstlichen Intelligenz vorweg genommen.
............ zum Forschungsgebiet
Der Anfang des Forschungsgebiets Künstliche Intelligenz ist mit der Dartmouth Conference (New Hampshire) im Jahr 1956 festzusetzen. Die Konferenzteilnehmer - u.a. Marvin Minsky, Claude Shannon und John Mc Carthy - waren über Jahrzehnte hinweg führend in der KI-Forschung. In einem Antrag auf Förderung an die Rockefeller Foundation schrieben die Initiatoren: „Wir schlagen vor, im Laufe des Sommers 1956 über zwei Monate ein Seminar zur künstlichen Intelligenz mit zehn Teilnehmern am Dartmouth College durchzuführen. Das Seminar soll von der Annahme ausgehen, dass grundsätzlich alle Aspekte des Lernens und anderer Merkmale der Intelligenz so genau beschrieben werden können, dass eine Maschine zur Simulation dieser Vorgänge gebaut werden kann. Es soll versucht werden, herauszufinden, wie Maschinen dazu gebracht werden können, Sprache zu benutzen, Abstraktionen vorzunehmen und Konzepte zu entwickeln, Probleme von der Art, die zurzeit dem Menschen vorbehalten sind, zu lösen, und sich selbst weiter zu verbessern. Wir glauben, dass in dem einen oder anderen dieser Problemfelder bedeutsame Fortschritte erzielt werden können, wenn eine sorgfältig zusammengestellte Gruppe von Wissenschaftlern einen Sommer lang gemeinsam daran arbeitet.“ (http://www-formal.stanford.edu/jmc/history/dartmouth/dartmouth.htm).
Die Hauptthemen dieses Workshops zeigten - neben Informatik und Mathematik - bereits viele, aus verschiedenen Forschungsrichtungen stammende Teildisziplinen. Anfängliche Erfolge beim Lösen einfacher mathematischer Probleme oder im Schachspiel führten zu überoptimistischen Einschätzungen. Einer der Pioniere in KI, Marvin Minsky meinte 1970: "In 3 bis 8 Jahren werden wir eine Maschine mit der allgemeinen Intelligenz eines Durchschnittsmenschen haben." Die Enttäuschung folgte. Es fehlten damals noch ausreichende Computerkapazitäten zur Verarbeitung und Speicherung von Daten. Die anfängliche Hype brach in sich zusammen, es kam zu einer "Eiszeit" der KI.
Erst mit dem exponentiellen Anstieg der Computerleistung und neuen Technologien, die nicht nur in den Lebenswissenschaften zu einem explosionsartigen Anstieg von gespeicherten Datenmengen - den Big Data - führten, erlebte die KI ab den 1990er Jahren eine Renaissance. Auf der Basis von Maschinellem Lernen und dem vom diesjährigen Physik-Nobelpreisträger Geoffrey Hinton entwickelten tiefen Neuronalen Netzwerk, dem Deep Learning, ermöglichten nun Datenbanken die Erkennung von Mustern in riesigen, komplexen wissenschaftlichen Datensätzen.
---------- und unverzichtbarem Werkzeug in Forschung, Industrie und Alltag
Wir stehen am Beginn eines neuen, durch maschinelle Intelligenz geprägten Zeitalters. In vielen unserer Lebensbereiche gibt es bereits künstliche Unterstützung - dies reicht vom allgegenwärtigen Smartphone, Übersetzungstools und dem immer häufiger genutzten Sprachmodell ChatGPT, über Ansätze zum autonomen Fahren und in Dienstleistungsbereichen eingesetzte Roboter bis zu präziser medizinischer Diagnostik und Einsatz von Implantaten für immer mehr Körperfunktionen. Einige Beispiele sind in Abbildung 2 zusammengefasst.
Abbildung 2. Künstliche Intelligenz – Nutzen im Alltag und mögliche Einsatzgebiete. (© Europäische Union, [20-06-2023 ] – Quelle: Europäisches Parlament) /em> |
In vielen naturwissenschaftlichen Disziplinen hat sich die Künstliche Intelligenz bereits gut etabliert. KI ist aus Biologie und medizinischer Diagnostik nicht mehr wegzudenken; die in Genanalyse, Mikroskopie, Computertomographie und MRI-Analyse anfallenden enormen Datenmengen können nun schnell verarbeitet werden und aussagekräftige Muster/Diagnosen liefern. Auch in der Suche nach neuen Wirkstoffen und nach Systemen, die Umweltgifte abbauen, spielt die KI eine wichtige Rolle. In den Geowissenschaften wird KI eingesetzt, um belastbare Vorhersagen über die Auswirkungen von Klimaextrema zu erhalten und die Gesellschaften dagegen widerstandsfähiger zu machen. Die Liste könnte fast endlos fortgesetzt werden.
Welche Bedeutung Künstliche Intelligenz (KI) heute in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft hat, lässt sich wohl am besten daran zu erkennen, dass der Nobelpreis 2024 sowohl in Physik als auch in Chemie für Pionierleistungen in diesem Gebiet vergeben wurde. Die Physik-Preisträger John Hopfield (USA) und Geoffrey Hinton (Kanada) waren Wegbereiter, die für »bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen, die maschinelles Lernen mit künstlichen neuronalen Netzen ermöglichen« ausgezeichnet wurden. Darauf aufbauend ist es den Chemie-Preisträgern Demis Hassabis (UK) und John Jumper (UK) gelungen mit ihrem KI-Modell AlphaFold2 die räumliche Struktur praktisch aller Proteine mit hoher Genauigkeit aus den Aminosäuresequenzen vorherzusagen; David Baker (US) hat mit Rosetta ein Computerprogramm zum Design von völlig neuen Proteinen mit speziellen Eigenschaften entwickelt. Die nun ausgezeichneten KI-gestützten Technologien sind öffentlich frei zugänglich und wurden in den wenigen Jahren seit ihrer Freigabe bereits von Millionen Forschern für "unzählige" Fragestellungen des Proteindesigns und der Strukturvorhersage genutzt. Die Ergebnisse werden wohl unsere Welt verändern.
Wo viel Licht ist, ist auch Schatten
In zunehmendem Maße wird Kritik laut, dass KI sich auch zu einer dunklen Seite entwickeln kann. So meint der Evolutionsbiologe Paul Rainey: "Wie Viren oder andere invasive Organismen den Menschen, die Umwelt und sogar den Planeten bedrohen können, besteht auch die reale Gefahr, dass vermehrungsfähige KI unbeabsichtigte negative Auswirkungen auf den Menschen und die Erde hat. Sie könnte sich unkontrolliert verbreiten, die Ressourcen der Erde erschöpfen und die Ökosysteme schädigen" (Paul Rainey, 2023).
Schärfer formuliert es das Center for AI Safety, dem neben anderen prominenten KI-Forschern auch der diesjährige Chemie Nobelpreisträger Demis Hassabis angehört, in einem Aufruf im Jahr 2023: "Die Minderung des Risikos für eine Auslöschung der Menschheit durch künstliche Intelligenz sollte neben anderen Risiken von gesellschaftlichem Ausmaß wie Pandemien und Nuklearkrieg eine globale Priorität haben“.
Auch der diesjährige Physik-Nobelpreisträger Geoffrey Hinton warnt vor der Technologie, die er miterschaffen hat, weil sie die Menschen überfordern, durch kriegerische Anwendungen und poltische Manipulationen sogar gefährden könne.
Die eingangs erwähnte Metapher von der Neugier-getriebenen Nutzung einer Technologie ohne Überlegen der möglichen Folgen sollte bedacht werden, um nicht eine Büchse der Pandora zu öffnen.
Artikel im ScienceBlog über Erfordernisse für und Anwendungen von Künstlicher Intelligenz
Inge Schuster, 15.10.2024: Chemie-Nobelpreis 2024 für die KI-gestützte Vorhersage von Proteinstrukturen und das Design völlig neuer Proteine
Roland Wengenmayr, 03.10.2024: Künstliche Intelligenz: Vision und Wirklichkeit
Andreas Merian, 30.05.2024: Künstliche Intelligenz: Wie Maschinen Bilder verstehen und erzeugen
Ricki Lewis, 08.09.2023: Warum ich mir keine Sorgen mache, dass ChatGTP mich als Autorin eines Biologielehrbuchs ablösen wird
Redaktion, 08.06.2024: Aurora - mit Künstlicher Intelligenz zu einem Grundmodell der Erdatmosphäre
Lebenswissenschaften
Michael Simm, 06.05.2021: Das Neuronengeflecht entwirren - das Konnektom
Wolf Singer, 05.12.2019: Die Großhirnrinde verarbeitet Information anders als künstliche intelligente Systeme
Wolf Singer, Andrea Lazar, 15.12.2016: Die Großhirnrinde, ein hochdimensionales, dynamisches System
Ruben Portugues, 22.04.2016: Neuronale Netze mithilfe der Zebrafischlarve erforschen
Redaktion, 25.04.2019:Big Data in der Biologie - die Herausforderungen
Francis S. Collins, 26.04.2018: Deep Learning: Wie man Computern beibringt, das Unsichtbare in lebenden Zellen zu "sehen
Gottfried Schatz; 24.10.2014: Das Zeitalter der “Big Science”
Ricki Lewis, 06.09.2024: CHIEF - ein neues Tool der künstlichen Intelligenz bildet die Landschaft einer Krebserkrankung ab und verbessert damit Diagnose, Behandlung und Prognose
Ricki Lewis, 25.01.2024: Bluttests zur Früherkennung von Krebserkrankungen kündigen sich an
Inge Schuster, 27.02.2020: Neue Anwendungen für existierende Wirkstoffe: Künstliche Intelligenz entdeckt potentielle Breitbandantibiotika
Ricki Lewis, 13.09.2018: Zielgerichtete Krebstherapien für passende Patienten: Zwei neue Tools
Norbert Bischofberger, 16.08.2018: Mit Künstlicher Intelligenz zu einer proaktiven Medizin
Norbert Bischofberger; 24.05.2018: Auf dem Weg zu einer Medizin der Zukunft.
Robotics
Roland Wengenmayr, 02.12.2023: Roboter lernen die Welt entdecken Paul Rainey, 2.11.2023: Können Mensch und Künstliche Intelligenz zu einer symbiotischen Einheit werden?
Georg Martius, 09.08.2018: Roboter mit eigenem Tatendrang
Inge Schuster, 12.12.2019: Transhumanismus - der Mensch steuert selbst seine Evolution
Ilse Kryspin-Exner, 31.01.2013: Assistive Technologien als Unterstützung von Aktivem Altern.
Algorithmen, Computer, Digitalisierung, Big Data
Redaktion, 29.07.2023: Welche Bedeutung messen EU-Bürger dem digitalen Wandel in ihrem täglichen Leben bei? (Special Eurobarometer 532)
IIASA, 24.09.2019: Die Digitale Revolution: Chancen und Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung
Peter Schuster, 19.08.2016: Das Ende des Moore'schen Gesetzes — Die Leistungsfähigkeit unserer Computer wird nicht weiter exponentiell steigen
Manfred Jeitler; 13.11.2015: Big Data - Kleine Teilchen. Triggersysteme zur Untersuchung von Teilchenkollisionen im LHC.
Gerhard Weikum, 20.06.2014:Der digitale Zauberlehrling
Peter Schuster, 28.03.2014:Eine stille Revolution in der Mathematik.
Peter Schuster, 03.01.2014: Computerwissenschafter — Marketender im Tross der modernen Naturwissenschaften
Peter Schuster, 28.03.2013: Wie Computermethoden die Forschung in den Naturwissenschaften verändern
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