Gesteigerte Produktion von Elektrofahrzeugen könnte unerwünschte Verschmutzungsschwerpunkte schaffen

Sa, 28.12.2024 — IIASA

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Die Umstellung auf Elektrofahrzeuge ist eine zentrale Strategie zur Reduzierung der Schadstoffemissionen und damit zu einem Grundpfeiler der globalen Energiewende geworden. Ein sehr rascher Anstieg der Produktion von E-Autos kann allerdings aufgrund der emissionsintensiven Erzeugung von kritischen Batteriematerialien - insbesondere auf Nickel- und Kobaltbasis - in der Nähe von Produktionszentren zu Hotspots von Umweltverschmutzung führen. Eine aktuelle Studie der Princeton University und des International Institute of Applied Science Analysis (IIASA) zeigt mögliche derartige Umweltauswirkungen auf China und Indien, zwei der am schnellsten wachsenden Märkte für Elektrofahrzeuge.*

Abbildung. Hotspots der Erzeugung von emissionsinensiven Batteriematerialien.

Mit dem Fokus auf Indien und China haben Forscher in der jüngst in der Zeitschrift Environmental Science & Technology veröffentlichten Studie festgestellt, dass dort die nationalen Schwefeldioxidemissionen (SO2) um bis zu 20 % über das derzeitige Niveau ansteigen könnten, sofern die Länder ihre Lieferketten für Elektrofahrzeuge vollständig inländisch gestalten würden [Sharma et al., 2024]. Der überwiegende Teil dieser SO2-Emissionen käme aus der Raffinierung und Produktion von Nickel und Kobalt - wichtigen Mineralien für die heutigen Batterien von Elektrofahrzeugen.

"Viele Diskussionen über Elektrofahrzeuge konzentrieren sich auf die Minimierung der Emissionen aus dem Verkehrs- und Energiesektor", sagt der korrespondierende Autor Wei Peng, Assistenzprofessor für öffentliche und internationale Angelegenheiten sowie für das Andlinger Center for Energy and the Environment an der Princeton University. "Wir zeigen hier aber, dass die Auswirkungen von Elektrofahrzeugen nicht bei den Auspuffemissionen der Fahrzeuge oder bei der Elektrizität enden. Es geht auch um die gesamte Beschaffungskette."

Die Forscher argumentieren, dass die Länder bei der Entwicklung von Dekarbonisierungsplänen strategisch über den Aufbau sauberer Lieferketten nachdenken müssen.

Was die Batterieproduktion betrifft, betonte das Team die Wichtigkeit der Entwicklung und Durchsetzung strenger Luftverschmutzungsnormen, um unbeabsichtigte Folgen der Umstellung auf Elektrofahrzeuge zu vermeiden. Die Forscher haben auch die Entwicklung alternativer Batterien-Chemie vorgeschlagen, um die prozessbedingten SO2-Emissionen bei der Herstellung heutiger Batterien zu vermeiden.

"Wenn man sich tief genug in eine saubere Energietechnologie vertieft, wird man feststellen, dass es Herausforderungen oder Kompromisse gibt", sagt die Erstautorin Anjali Sharma, die die Arbeit als Postdoktorandin in Pengs Gruppe abgeschlossen hat und jetzt Assistenzprofessorin am Zentrum für Klimastudien und am Ashank Desai Centre for Policy Studies am Indian Institute of Technology in Bombay ist. "Die Existenz dieser Kompromisse bedeutet nicht, dass wir die Energiewende stoppen müssen, aber es bedeutet, dass wir proaktiv handeln müssen, um diese Kompromisse so weit wie möglich abzumildern."

Eine Geschichte von zwei Ländern

Sowohl China als auch Indien haben gute Gründe, SO2-Emissionen zu vermeiden: Die Verbindung ist ein Vorläufer von Feinstaub und trägt zu einer Reihe von Herz-Kreislauf- und Atemwegsproblemen bei. Die beiden Länder leiden bereits unter einer hohen Luftverschmutzung. Allein im Jahr 2019 waren rund 1,4 Millionen vorzeitige Todesfälle in China und rund 1,7 Millionen vorzeitige Todesfälle in Indien auf die Feinstaubbelastung zurückzuführen.

Die beiden Länder befinden sich jedoch in unterschiedlichen Entwicklungsstadien für Elektrofahrzeuge. In China ist eine inländische Erzeugungskette für Elektrofahrzeuge der Status quo, während Indien noch im frühen Stadium der Entwicklung von solchen Ketten steckt. Der Vergleich hat den Forschern geholfen, kurzfristige Prioritäten zu identifizieren, während sie an Aufbau und Fortsetzung einer inländischen Lieferkette für Elektrofahrzeuge arbeiten.

"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Indien sich auf die Verringerung der Emissionen des Energiesektors konzentrieren sollte, während China der Verringerung der Emissionen aus der Raffinierung von Batteriematerialien Vorrang einräumen sollte, um die Umweltauswirkungen der Umstellung auf Elektrofahrzeuge abzumildern", bemerkt der Mitautor der Studie, Pallav Purohit, Senior Researcher Scholar in der Pollution Management Research Group des IIASA Energy, Climate, and Environment Program.

In Indien wäre es am einfachsten, sich zunächst auf die Beseitigung der Verschmutzung durch den Energiesektor zu konzentrieren. Dazu müssten strenge Maßnahmen zur Kontrolle der SO2-Verschmutzung in Wärmekraftwerken durchgesetzt werden, wobei ausgereifte Technologien wie die Rauchgasentschwefelung zum Einsatz kämen. In China, wo es bereits strenge Emissionskontrollen für den Energiesektor gibt, muss der Schwerpunkt auf die Verringerung der SO2-Emissionen aus dem Batterieherstellungsprozess verlagert werden, mit dem die Forscher weniger vertraut sind.

Den Forschern zufolge wäre es jedoch ein entscheidender Fehler die Emissionen aus der Batterieherstellung zu ignorieren. In Szenarien, in denen China und Indien ihre Lieferketten vollständig auslagern, trug die Priorisierung eines saubereren Netzes wenig bis gar nicht zur Senkung der SO2-Emissionen bei. Stattdessen konnten nur Szenarien, die sich auf die Säuberung von Batterieherstellungsprozessen konzentrierten, SO2-Verschmutzungs-Hotspots vermeiden.

"Die Menschen gehen im Allgemeinen davon aus, dass der Übergang zu einer umweltfreundlicheren Technologie immer eine Win-Win-Situation ist - es wird Vorteile für das Klima und die Luftqualität geben", so Sharma. "Aber wenn man die Produktion nicht berücksichtigt, kann es sein, dass man zwar die Kohlenstoff- und Stickoxidemissionen senkt, aber die Luftverschmutzung in den Gemeinden in der Nähe der Produktionszentren erhöht."

Menschenzentrierte Ansätze zur Dekarbonisierung

Die Analyse konzentrierte sich zwar auf China und Indien, doch die Forscher argumentieren, dass die Umweltverschmutzung durch die Batterieherstellung mit der zunehmenden Verbreitung von Elektrofahrzeugen zu einem immer größeren globalen Problem werden wird, wenn man nichts dagegen tut. Selbst wenn Länder wie China und Indien die Batterieherstellung auslagerten, würden sie ohne Strategien zur Verringerung der SO2-Emissionen das Problem einfach auf ein anderes Land abwälzen.

"Es ist wichtig, Elektrofahrzeuge aus der Perspektive der globalen Lieferkette zu betrachten", sagt Sharma. "Selbst wenn Indien sich gegen den Aufbau einer inländischen Lieferkette entscheidete und stattdessen die Fahrzeuge aus anderen Ländern importierte, würde die Verschmutzung nicht verschwinden. Sie würde einfach in ein anderes Land verlagert werden."

Neben ihrer politischen Empfehlung für proaktive Luftverschmutzungsnormen, die wahrscheinlich auf nationaler oder subnationaler Ebene erfolgen würden, haben die Forscher auch untersucht, wie eine Änderung der Batteriechemie in Elektrofahrzeugen unerwünschte SO2-Emissionen auf globalerer Ebene vermeiden könnte.

Während die meisten Elektrofahrzeugbatterien heute auf Kobalt und Nickel basieren, könnten mit dem Aufkommen alternativer chemischer Systeme, die Eisen und Phosphat verwenden (so genannte Lithium-Eisenphosphat-Batterien), einige der mit dem Abbau und der Raffinierung von Kobalt und Nickel verbundenen Probleme umgangen werden. Durch den Verzicht auf die beiden Mineralien führten Szenarien mit einem hohen Verbreitungsgrad von Lithium-Phosphat-Batterien zu deutlich weniger SO2-Emissionen bei der Herstellung.

In jedem Fall stellen die Ergebnisse des Teams eine Mahnung dar, bei der Entwicklung von Dekarbonisierungsplänen die Menschen im Auge zu behalten, da selbst die vielversprechendsten Technologien unerwünschte und unbeabsichtigte Folgen haben können.

"Saubere Energietechnologien sind zwar vielversprechend, aber sie haben auch potenzielle Nachteile. Diese sollten uns jedoch nicht davon abhalten, eine nachhaltige Zukunft anzustreben, sondern uns vielmehr dazu motivieren, ihre negativen Auswirkungen abzuschwächen", schließt Koautor Fabian Wagner, Principal Research Scholar in den Forschungsgruppen Pollution Management und Transformative Institutional and Social Solutions des IIASA Energy, Climate, and Environment Program.


 Sharma, A., Peng, W., Urpelainen, J., Dai, H., Purohit, P., Wagner, F. (2024). Multisectoral Emission Impacts of Electric Vehicle Transition in China and India. Environmental Science & Technology Vol 58, Issue 44 DOI: 10.1021/acs.est.4c02694


 *Der Artikel " Increase in electric vehicles could create unwanted pollution hotspots" ist am 20.Dezember 2024 auf der IIASA-Website erschienen. (https://iiasa.ac.at/news/dec-2024/increase-in-electric-vehicles-could-create-unwanted-pollution-hotspots). Der unter einer cc-by-nc-Lizenz stehende Artikel wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu übersetzt. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung der von uns übersetzten Inhalte seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt.


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