Do, 12.05.2022 — IIASA
Trotz der Erfolge bei der weltweiten Armutsbekämpfung in den letzten zwei Jahrzehnten leben noch immer fast eine Milliarde Menschen ohne Zugang zu verlässlicher und erschwinglicher Elektrizität; dies wirkt sich wiederum negativ auf Gesundheit und Wohlergehen aus und beeinträchtigt eine nachhaltige Entwicklung. Wenn Hilfe und Infrastruktur diese Menschen erreichen sollen, ist es von entscheidender Bedeutung zu wissen, wo sie sich befinden. Eine neue, vom International Institute of applied System Analysis (IIASA) geleitete Studie schlägt eine neuartige Methode zur Schätzung des globalen wirtschaftlichen Wohlstands anhand von nächtlichen Satellitenbildern vor.*
Nächtliche Satellitenbilder
Seit fast 30 Jahren verwenden Forscher Satellitenbilder der Erde bei Nacht, um menschliche Aktivitäten zu untersuchen. Es hat sich gezeigt, dass diese Bilder - gemeinhin als "nighttime radiance" (nächtliche Lichtemission) oder "nighttime lights" (nächtliche Beleuchtung) bezeichnet - helfen können, Aspekte wie Wirtschaftswachstum, Armut und Ungleichheit zu erfassen, insbesondere dort, wo Messdaten fehlen. In Entwicklungsländern weisen nachts unbeleuchtete Gebiete in der Regel auf eine limitierte Entwicklung hin, während hell erleuchtete Gebiete auf besser entwickelte Gebiete wie Hauptstädte hinweisen, in denen reichlich Infrastruktur vorhanden ist.
Bislang haben sich Wissenschaftler eher für die Daten aus den beleuchteten Gebieten interessiert, während die unbeleuchteten Gebiete in der Regel unberücksichtigt blieben. In einer Studie, die eben in Nature Communications veröffentlicht wurde, haben sich Forscher des IIASA und Kollegen aus mehreren anderen Einrichtungen jedoch speziell auf die Daten der unbeleuchteten Gebiete konzentriert, um das globale wirtschaftliche Wohlergehen abzuschätzen [1]. Abbildung 1.
Nächtlich beleuchtete Siedlungsgebiete und Wohlstand
Abbildung 1. Nighttime lights über der Nordhalbkugel. |
"Während sich frühere Arbeiten eher auf den Zusammenhang zwischen beleuchteten Gebieten und wirtschaftlicher Entwicklung konzentrierten, haben wir herausgefunden, dass es auch andersherum funktioniert, und dass unbeleuchtete Gebiete ein guter Indikator für Armut sind. Indem wir diese unbeleuchteten Gebiete identifizieren, können wir gezielt Maßnahmen zur Armutsbekämpfung ergreifen und uns auf Orte konzentrieren, um dort den Zugang zur Energie zu verbessern", erklärt Studienautor und IIASA Strategic Initiatives Program Director, Steffen Fritz.
Die Forscher haben dazu einen harmonisierten georäumlichen Wohlstandsindex für Haushalte in verschiedenen Ländern Afrikas, Asiens und Amerikas verwendet, der im Rahmen des Demographic and Health Surveys (DHS)-Programms errechnet wurde und die einzelnen Haushalte auf einer kontinuierlichen Skala des relativen Wohlstands von ärmer bis reicher einordnet. Anschließend haben sie diese Daten mit Daten aus Satellitenbildern der weltweiten nächtlichen Beleuchtung in diesen Ländern kombiniert und heraus gefunden, dass 19 % der gesamten Siedlungsfläche des Planeten keine nachweisbare künstliche Strahlung aufweisen. Der größte Teil der unbeleuchteten Siedlungsflächen befand sich in Afrika (39 %) und Asien (23 %). Betrachtet man nur die unbeleuchtete ländliche Infrastruktur, so steigen diese Zahlen für Afrika auf 65 % und für Asien auf 40 %. In fast allen Ländern zeigen die Ergebnisse einen eindeutigen Zusammenhang zwischen einem steigenden Anteil unbeleuchteter Gemeinden in einem Land und einem sinkenden wirtschaftlichen Wohlstand. Abbildung 2.
Abbildung 2. Klassifizierung der weltweiten unbeleuchteten Siedlungsflächen. a) Prozentsatz des unbeleuchteten Siedlungsgebietes in den einzelnen Ländern (ländliche und urbane gebiete zusammengenommen). Ranking afrikanischer Staaten mit mehr als 50 Millionen Einwohnern nach dem Prozentsatz an unbeleuchteten städtischen (b) und ländlichen (c) Siedlungsflächen. (Bild: leicht modifizierte Fig. 1 aus McCallum et al.,2022 [1]. Lizenz: cc-by.Bild von Redn. eingefügt-) |
"Basierend auf dem Prozentsatz unbeleuchteter Siedlungen, die wir in nächtlichen Satellitenbildern feststellten, waren wir in der Lage, eine Klassifizierung des Wohlstands von rund 2,4 Millionen Haushalten in 49 Ländern in Afrika, Asien und Nord- und Südamerika mit einer Genauigkeit von insgesamt 87 % vorherzusagen und zu kartieren. Überraschenderweise gab es auch in den Industrieländern, insbesondere in Europa, relativ viele unbeleuchtete Siedlungen. Für dieses Ergebnis kann es mehrere Gründe geben, u. a. die Tatsache, dass die Satellitenbilder nach Mitternacht aufgenommen wurden: Es könnte aber auch auf eine gewissenhafte Energie- und Kosteneinsparungspolitik von Hausbesitzern, Regierungen und Industrie in Europa zurückzuführen sein", so Ian McCallum, Leiter der IIASA-Forschungsgruppe Novel Data Ecosystems for Sustainability, der die Studie leitete.
Elektrifizierung zur Steigerung des Wohlstands
Die Forscher merken an, dass Regierungsbehörden in der Regel der Ausweitung des Stromzugangs eher in städtischen als in ländlichen Gebieten Priorität einräumen. Die Elektrifizierung des ländlichen Raums ist jedoch ein vielversprechender Ansatz zur Steigerung des Wohlstands und kann auch erhebliche positive Auswirkungen auf Einkommen, Ausgaben, Gesundheit und Bildung der Haushalte haben. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) beinhalten ausdrücklich den Zugang zu erschwinglicher, zuverlässiger, nachhaltiger und moderner Energie für alle. Während es Bemühungen gibt, dieses Ziel zu erreichen, und in den letzten zwei Jahrzehnten erhebliche Fortschritte erzielt wurden, so gibt es Anzeichen dafür, dass Regierungen und Industrie Schwierigkeiten haben werden, mit dem erwarteten Bevölkerungswachstum Schritt zu halten.
Vor allem in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara werden den Prognosen zufolge bis 2030 immer noch über 300 Millionen Menschen in extremer Armut leben. Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie werden um 2030 herum wahrscheinlich weitere 88 bis 115 Millionen Menschen in die extreme Armut treiben und damit die Ziele der Vereinten Nationen zur Verringerung der Armut um etwa drei Jahre zurückwerfen. Studien wie die vorliegende können jedoch dazu beitragen die Entwicklungsländer bei der Elektrifizierung zu verfolgen und die Industrieländer bei der Verringerung ihres Lichtenergieverbrauchs.
"Wenn die Methode, die wir in unserer Studie verwendet haben, fortlaufend angewandt wird, könnte sie Möglichkeiten bieten, das Wohlergehen und den Fortschritt in Richtung der SDGs zu verfolgen. Im Hinblick auf die Politik kann sie dazu beitragen, die Energiepolitik auf der ganzen Welt besser zu informieren, und sie kann auch bei der Gestaltung der Entwicklungshilfepolitik hilfreich sein, indem sie sicherstellt, dass wir die abgelegenen ländlichen Gebiete erreichen, die wahrscheinlich energiearm sind. Darüber hinaus könnte sie nützlich sein, um Anzeichen für ein nachhaltiges und ökologisches Beleuchtungsmanagement in den Industrieländern zu erkennen", schließt Shonali Pachauri, Leiterin der Forschungsgruppe Transformative institutionelle und soziale Lösungen.
[1] McCallum, I., Kyba, C.C.M., Laso Bayas, J.C., Moltchanova, E., Cooper, M., Crespo Cuaresma, J., Pachauri, S., See, L., Danylo, O., Moorthy, I., Lesiv, M., Baugh, K., Elvidge, C.D., Hofer, M., Fritz, S. (2022). Estimating global economic well-being with unlit settlements. Nature Communications DOI: 10.1038/s41467-022-30099-9
* Der Artikel " Identifying global poverty from space"https://iiasa.ac.at/news/may-2022/identifying-global-poverty-from-space ist am 5.Mai 2022 auf der IIASA Website erschienen. Er wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu übersetzt und durch eine Abbildung aus der zitierten Originalarbeit [1] und drei Untertitel ergänzt. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung der von uns übersetzten Inhalte seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt.
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