So 26.06.2022 — Inge Schuster
Zerkarien-Dermatitis, auch Badedermatitis genannt, wird vor allem im Sommer durch freischwimmende Larven von Saugwürmern verursacht und tritt weltweit sowohl im Süßwasser als auch im Meerwasser auf. Als Parasiten von Vögeln, die im und am Wasser leben, durchleben gewisse Saugwürmer (Schistosomen) einen komplexen Zyklus mit mehreren Larvenstadien und Lungenschnecken als Zwischenwirten. Angelockt von ähnlichen Lipidkomponenten der Haut befallen Zerkarien nicht nur ihren Wirt - zumeist Enten - sondern auch Menschen. Letztere erweisen sich allerdings als Fehlwirte; die Erreger werden noch in der Haut durch rasch einsetzende entzündliche Immunreaktionen zerstört, bevor sie in das venöse System gelangen und sich weiter entwickeln können. An den Eindringstellen in der Haut entsteht - je nach Sensibilität der betreffenden Person - ein Hautauschlag mit geröteten Quaddeln und Bläschen, die tagelang sehr stark jucken können.
Viele von uns, die unter der Hitze des diesjährigen Mai stöhnten, haben in Seen, Bächen und Flüssen die ersehnte Abkühlung gefunden - in Badegewässern, die in Europa (laut Europäischer Umweltagentur) zum weitaus überwiegenden Teil exzellente Wasserqualität aufweisen. (Österreich nimmt mit 97,7 % den Spitzenplatz ein; https://www.umweltbundesamt.at/news220603). Aber auch, wenn das Wasser "kristallklar" erscheint, kann ein Befall mit Zerkarien vorliegen, kleinen Saugwürmerlarven, die mit dem bloßen Auge nicht erkennbar sind und auf die in den Analysen zur Wasserqualität nicht geprüft wird. Diese Larven können sich auch in die Haut von Menschen bohren - dieser ist zwar ein Fehlwirt - und einen massiven entzündlichen Hautausschlag (Erythem) mit sehr stark juckenden Quaddeln und Pusteln - die sogenannte Badedermatitis oder Zerkarien-Dermatitis - auslösen.
Aktuelle Meldungen weisen darauf hin, dass es sich dabei um ein erhebliches gesundheitliches Problem handelt, das für die Freizeitindustrie an betroffenen Badegewässern auch ökonomische Folgen hat. Abbildung 1 zeigt einige Schlagzeilen aus Deutschland und auch aus den USA.
Abbildung 1: Einige Beispiele von deutschen und amerikanischen Medien, die vor Zerkarienbefall in Badegewässern warnen. |
Zerkarien-Dermatitis - ein lang bekanntes, weltweites Phänomen
Dass der Aufenthalt im Wasser zu Hautausschlägen führen kann, wurde bei Reisbauern in Japan, also arbeitsbedingt, bereits vor 175 Jahren festgestellt und vor rund 100 Jahren als unerwünschter Nebeneffekt bei Badenden in Deutschland berichtet. Kurz darauf (1927) entdeckte der amerikanische Parasitologe W.W. Cort die eigentlichen Verursacher dieser Erytheme, als er Schnecken am Ufer eines Sees in Michigan sammelte und an den Händen lang anhaltende, stark juckende Hautausschläge entwickelte. Die Untersuchung der Schnecken ergab, dass diese massenhaft winzige, stark bewegliche Saugwürmerlarven - Zerkarien - absonderten, die für die Hauterscheinungen verantwortlich gemacht werden konnten.
In der Folge wurden Ausbrüche dieser Zerkarien-Dermatitis in vielen Ländern Europas und in Nordamerika beschrieben. In Österreich wurde vor mehr als 50 Jahren über Fälle von Zerkarien-Dermatitis am Neusiedlersee berichtet, später dann über weitere Vorkommen an vielen Badegewässern und in allen Bundesländern [1].
Zerkarien-Dermatitis tritt offensichtlich überall dort auf, wo Wasservögel (vor allem Stockenten und Gänsesäger) als Wirtstiere der Saugwürmer und geeignete Schnecken als Zwischenwirte in einem Ökosystem zur Verfügung stehen (zum Lebenszyklus der Parasiten: s.u.). Dies trifft vermutlich für viele Gewässer auf der Nordhalbkugel zu:
- Stockenten und Gänsesäger sind weit über die ganze Nordhalbkugel verbreitet und kommen fast überall vor, wo sie in und am Wasser leben können; teils sind sie dort ganzjährig angesiedelt, teils migrieren sie, haben Brutplätze im Norden und Überwinterungsplätze in südlicheren Gebieten. (Wo beispielsweise Stockenten siedeln, brüten und überwintern ist in Abbildung 2. dargestellt.) Dass migrierende infizierte Vögel die globale Verbreitung der Parasiten treiben, ist evident.
Abbildung 2: Weltweite Verbreitung der Stockenten. Ganzjährige Siedlungsgebiete: dunkelgrün, Brutgebiete: hellgrün, Überwinterungsgebiete: blau, Einführungsgebiete: braun, Streifzüge: pink. (Bild: AnasPlatyrhynchosIUCN2019 2.png. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:AnasPlatyrhynchosIUCN2019_2.png. Lizenz cc-by-sa). |
- Verschiedene Arten von Lungenschnecken, die als Zwischenwirte dienen, werden im selben Ökosystem wie die Wasservögel angetroffen. Zwei wesentliche Vertreter, die Spitzschlammschnecke und die Ohrschlammschnecke, sind in vielen Teichen, Seen und Flüssen auf der gesamten Nordhalbkugel beheimatet.
Wirte und Zwischenwirte sind also im selben Ökosystem aufzufinden - die Zerkarien-Dermatitis hat die Menschheit wahrscheinlich von Anfang an begleitet.
Zum Entwicklungszyklus der Saugwürmer
Die Erreger der Zerkarien-Dermatitis sind Larven von Saugwürmern (Trematoden) aus der Familie der Schistosomatiden. In dieser großen Familie (die einige humanpathogene, Bilharziose-auslösende Arten enthält) wurden (bis jetzt) 85 Spezies als Parasiten charakterisiert, deren Wirte Vögel sind. In unseren Breiten sind es häufig verschiedene Arten der Gattung Trichobilharzia.
Der Entwicklungszyklus dieser Vogel-Schistosomen beginnt mit der Infektion eines Vogels (z.B. einer Stockente) durch freischwimmende Gabelschwanzlarven (Zerkarien). Diese saugen sich üblicherweise an der Haut der Füße des schwimmenden Vogels fest, werfen ihren Schwanzteil ab, durchbohren die Haut und dringen in das Gefäßsystem des Wirts vor. Dort reifen sie zu männlichen und weiblichen Parasiten heran und paaren sich. Die Ablage von befruchteten Eiern erfolgt je nach Art der Schistosomen dann in den Venen des Darmtrakts - von wo sie in das Darmlumen gelangen und mit dem Kot ins Wasser ausgeschieden werden - oder in der Nasenschleimhaut. Abbildung 3.
Abbildung 3: Charakteristischer Lebenszyklus eines Vogel-Schistosomen (hierTrichobilharzia stagnicolae). Ausführliche Beschreibung im Text. (Bild modifiziert nach E.S.Loker et al.,2022, 11 [2], Lizenz cc-by). Inserts: Unten links: Mirazidium 1 Stunde nach Eindringen in eine Schlammschnecke, a: Keimzellen, b: keine Infiltration von Haemozyten ("Immunzellen") des Wirts. Skala: 0,02 mm. (Bild: V.Skala et al., [3], Lizenz cc-by.) Unten Mitte: Ausstoß von Zerkarien aus einer infizierten Schnecke. Screen-shot aus: Snail releasing its schistosome parasites. Video 3:19 min. https://www.youtube.com/watch?v=c_p6cCj7OWU&t=14s. Rechts: Zerkarie von Trichobilharzia Skala: 0,1 mm. (Bild: N.Helmer et al., 2021,[4], Lizenz cc-by) |
Innerhalb weniger Minuten entstehen aus den Eiern freischwimmende bewimperte Larvenformen, sogenannte Mirazidien, die in ihrer nur sehr kurzen Lebensspanne (sie können keine Nahrung aufnehmen) auf passende Schnecken stoßen müssen, um die Infektion weiter zu tragen. Mirazidien reagieren auf Lichtreize und auf von Schnecken abgesonderte chemische Signale (Glykoproteine), die ihnen die für sie spezifische Schnecke anzeigen. Treffen sie auf eine solche Schnecke, so bohren sie sich in deren Körper (Abbildung 3, Insert unten links) und verwandeln sich innerhalb von 2 - 3 Monaten in sogenannte Sporozysten, das sind Brutschläuche, in denen durch ungeschlechtliche Vermehrung (Knospung) die nächste Larvenform entsteht ("Redien") und aus dieser entwickeln sich schlussendlich die knapp 1mm großen Zerkarien (Abbildung 3, Insert rechts). Diese können in der Schnecke im Schlamm auch überwintern.
Mit steigenden Wassertemperaturen im Frühjahr/Sommer beginnen infizierte Schnecken Unmengen an Zerkarien auszustoßen (Abbildung 3, Insert unten Mitte). Untersuchungen an der Spitzschlammschnecke nennen einen mittleren täglichen Ausstoß von 2 600 Zerkarien/Schnecke und über eine Million Zerkarien über die Lebensdauer der Schnecke. Bezogen auf Gewicht sondern die Schnecken damit mehr Biomasse ab, als sie selbst besitzen [5]. Wie die Mirazidien leben Zerkarien von ihren Energiespeichern (Glykogen), da sie keine Nährstoffe aufnehmen können. In den 1 -1,5 Tagen ihrer Lebenszeit suchen sie aktiv nach ihrem Endwirt, zumeist Enten. Dabei werden sie negativ geotaktisch (d.i. sie schwimmen an die Oberfläche) und über pigmentierte Augen-Flecke von Lichtreizen getriggert und von chemischen Komponenten der Vogelhaut - Cholesterin, Ceramiden - angelockt. Mit dem Ansaugen an die Vogelhaut und durch Fettsäuren (Linolsäure, Linolensäure) stimulierte Penetration in die Haut schließt sich der Zyklus. Dies gelingt allerdings nur einem verschwindenden Bruchteil der Zerkarien, die erfolglosen Zerkarien enden als abgestorbene Biomasse und/oder als Beute anderer Organismen - sie sind also erhebliche Bestandteile des Ökosystems.
Bevor noch das Wasser für uns zum Schwimmen ausreichend warm geworden ist, können aus dem Vorjahr stammende Zerkarien, die in den Schnecken im Schlamm überwintert haben, Jungvögel ebenso wie die ältere Population und Vögel auf dem Durchzug infizieren und damit einen neuen Schistosomen Zyklus einleiten.
Der Mensch als Fehlwirt
Vogelhaut und Menschenhaut weisen eine ähnliche Zusammensetzung aus Lipidkomponenten auf. Dies führt dazu, dass Zerkarien auf Menschen, die im Wasser waten, schwimmen oder Arbeiten verrichten in gleicher Weise wie auf Vögel reagieren. Sie saugen sich an unserer Haut fest und beginnen Sekunden später in diese einzudringen. Im Schnitt ist dieser Prozess in 4 Minuten (1:23 min bis 13:37 min) abgeschlossen. Dann verhindern rasch einsetzende allergische Reaktionen offensichtlich ein weiteres Vordringen in den Organismus und die Entwicklung zu adulten Schistosomen, verursachen aber Entzündungsreaktionen in der Haut.
Vorerst kommt es zur Histamin-Freisetzung durch Mastzellen, gefolgt von Entzündungsreaktionen ausgelöst durch Cytokine von einwandernden Granulozyten und Makrophagen und einer T-Zell-Antwort. Je nach Sensibilität des Zerkarienopfers entsteht an den Penetrationsstellen der Haut ein Ausschlag mit geröteten, sehr stark juckenden Quaddeln und Bläschen, die u.U. auch von tagelang anhaltendem Fieber begleitet werden können [6]. Nach mehreren Tagen sind die eingedrungenen Zerkarien abgestorben und zersetzt. Die allergische Reaktion auf diese ist selbstlimitierend; nach 2 Wochen sind die Symptome zumeist abgeklungen. Ist man gegen Zerkarien bereits sensibilisiert, so bedeutet eine neuerliche Infektion - auch Jahre später - eine gesteigerte Entzündungsreaktion.
Wie kann man Zerkarien-Dermatitis behandeln/verhindern?
Als lästig, aber ungefährlich betrachtet gehört Zerkarien-Dermatitis zu den bislang wenig-beachteten Hauterkrankungen - als zu wenig interessant für Medizin, Pharma und biochemische Forschung. Es gibt kaum epidemiologische Untersuchungen zur Zahl der Fälle und auch keine klinischen Studien zur Behandlung. Und dies obwohl manche Studien berichten, dass 30 - 40 % der Menschen auf Zerkarien sensibel reagieren.
So gibt es, wenn überhaupt, ein Standard-Procedere: Zur Linderung des tagelangen, häufig fast unerträglichen Juckreizes können Antihistaminika oder Kortikosteroide eingesetzt werden. Ist durch Kratzen eine Sekundärinfektion entstanden, so wird diese topisch mit Antiseptika oder Antibiotika behandelt.
Ebenso wenig bekannt wie die Inzidenz der Zerkarien-Dermatitis ist vielerorts auch der Verseuchungsgrad von Wirtstieren und Zwischenwirten und damit von Badegewässern:
- Bei Wasservögeln wurden sehr variable Infektionsraten von einigen % bis zu mehr als 60 % berichtet [7].
- Für Schnecken, die man in Europa an unterschiedlichen Stellen von Flüssen, Teichen und Seen gesammelt hat, gibt es sehr unterschiedliche Angaben zu Infektionsraten - zwischen 0,1 und mehr als 20 % (20 % mit Trichobilharzia verseuchte Schnecken wurden beispielsweise in der niederösterreichisch/burgenländischen Region zwischen Orth/Donau und Zicksee nachgewiesen: L.Gaub et al., 2020, Arianta 8, 13 -19).
Natürlich steigt die Gefahr infiziert zu werden mit der Infektionsrate der Schnecken; allerding skann bei dem hohen Ausstoß von Zerkarien (täglich mehrere tausend Spezies/Schnecke) auch eine einzelne Schnecke ausreichen, um in einem limitierten Bereich mehrere Personen zu infizieren. Schnecken und damit Zerkarien sind vor allem im seichten Wasser im Uferbereich anzutreffen; Kinder. die hier spielen, können besonders gefährdet sein.
Zur Bekämpfung der Zerkarien schreibt das Wisconsin Department of Natural Sciences [8]:
"Es gibt keine wirksame Methode, um die Zerkarien-Dermatitis am eigenen Strand zu beseitigen. Alle Versuche, bei der entweder die Zerkarien oder ihre Schneckenwirte abgetötet werden, sind unwirksam, da die Zerkarien in der Lage sind, über große Entfernungen von unbehandelten Bereichen her zu schwimmen/zu treiben. Es macht keinen Unterschied, ob Ihr Strandbereich sandig, felsig oder bewachsen ist. Die Wirtsschnecken leben an allen Standorten......"
"In den letzten Jahren gab es Versuche, die Wirtsvögel mit Arzneimitteln zu behandeln. Die Theorie ist, die Vögel von den erwachsenen Parasiten zu befreien, bevor sie die Schneckenpopulation mit Mirazidien infizieren können... Bislang wird das Verfahren in Wisconsin als nicht praktikabel für die gesamte Seefläche angesehen."
"Moderne Pestizidgesetze verbieten Behandlungen, wie sie in der Vergangenheit versucht wurden (d.i. Anwendung von Kupfersulfat, Anm. Redn.). Behandlungen zur Abtötung von Schnecken sind sehr aggressiv und töten viele Pflanzen und Tiere, die nicht zu den Zielgruppen gehören, und können auch zu kontaminierten Sedimenten führen. ..."
Wozu wird also geraten?
"Es ist am besten, die Zerkarien-Dermatitis genauso zu betrachten wie Mücken und Bremsen: Man kann wirklich nichts tun, um sie zu beseitigen, und es ist am besten, wenn man lernt, wie man die Exposition reduziert." [8]
Bedeutet dies also so viele verdächtige Badegewässer von vornherein zu meiden? (Dazu gehört leider auch mein Schwimmteich, in dem ich - vor Jahren bereits sensibilisiert - mir vor einem Monat, nach 10 Minuten im Wasser, eine fast 3 Wochen dauernde Dermatitis zugezogen habe.)
[1] H.Auer & H.Aspöck: „Vogelbilharzien" als Erreger einer Hautkrankheit: die Zerkarien-Dermatitis. Denisia 6, Nr. 184 (2002), 321-331
[2] E.S.Loker et al., Scratching the Itch: Updated Perspectives on the Schistosomes Responsible for Swimmer’s Itch around theWorld Pathogens 2022, 11, 587. https://doi.org/10.3390/pathogens11050587
[3] V.Skala et al., Influence of Trichobilharzia regenti (Digenea: Schistosomatidae) on the Defence Activity of Radix lagotis (Lymnaeidae) Haemocytes. PLoS ONE 2014, 9(11): e111696. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0111696
[4] N.Helmer et al., First Record of Trichobilharzia physellae (Talbot, 1936) in Europe, a Possible Causative Agent of Cercarial Dermatitis. Pathogens 2021, 10(11), 1473; https://doi.org/10.3390/pathogens10111473
[5] M.Soldanova et al., The Early Worm Catches the Bird? Productivity and Patterns of Trichobilharzia szidati Cercarial Emission from Lymnaea stagnalis. PLoS ONE 2016, 11(2): e0149678. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0149678.
[6] P. Kourilová et al, Cercarial Dermatitis caused by Bird Schistosomes Comprises Both Immediate and Late Phase Cutaneous Hypersensitivity Reactions. J Immunol 2004; 172:3766-3774; http://www.jimmunol.org/content/172/6/3766
[7] E.K. lashaki et al., Association between human cercarial dermatitis (HCD) and the occurrence of Trichibilarizia in duck and snail in main wetlands from Mazandaran Province, northern Iran. 2021. Parasite Epidemiology and Control. https://doi.org/10.1016/j.parepi.2021.e00211
[8] Wisconsin Department of Natural Resources: https://dnr.wi.gov/lakes/swimmersitch/
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