Fr, 27.06.2013 - 20:43 — Gerhard Wegner
Themenschwerpunkt Synthetische Biologie
Im 2.Teil seines, anläßlich des ÖAW-Symposiums „Synthetische Biologie“ gehaltenen Votrags diskutiert Gerhard Wegner die Konstruktion kleinster lebensfähiger Einheiten – u.a. als „Chassis“ für die Montage verschiedenster Funktionseinheiten – und die Versprechungen der erwarteten und erwartbaren Nützlichkeit dieser Forschungen. (Ungekürzte Fassung des Vortragsmanuskripts; der 1. Teil erschien am 21.6.2013.)
Gebiete der Synthetischen Biologie
Wenn wir zusammenfassend und in grober Vereinfachung akzeptieren wollen, dass es der Synthetischen Biologie im Wesentlichen darum geht, Konstrukte zu definieren und experimentell zu verifizieren, die Phänomene des Lebens auf der Ebene von „Minimalzellen“ aufweisen und im gewünschten Grenzfall „leben“, dann muss man fragen, wie wir „Leben“ als biologisch-physikalisch-chemisches Phänomen denn definieren wollen.
Wie können wir Leben definieren?
Es gibt – so glaube ich – einen Minimalkonsens darüber, wann wir ein Objekt als „lebend“ bezeichnen können. Das lässt sich mit 3 Stichworten zusammenfassen in Form von Eigenschaften, die das Objekt aufweisen muss:
- Metabolismus (Stoffwechsel, d.h. Kommunikation mit der Umgebung des Objekts in Form von Stoff- und Informationsaustausch
- Replikation (ein Programm, das alle Informationen über Synthese und Relation zwischen den Bauelementen des Konstrukts enthält und sich selbst replizieren kann.
- Kompartimentierung (eine Umhüllung der Elemente des Konstrukts, die ihr „Identität“ verleiht und durch die das „Innenleben“ von der Außenwelt abgegrenzt wird.)
Es geht also um den Entwurf einer Chemischen Maschine, für die früher bereits der Name „Chemoton“ erfunden worden ist. Die Definitionen sind unabhängig von der konkreten Realisierung und abstrahieren die Phänomene, die wir aus den Befunden des „Lebens-wie-wir-es-kennen“ hergeleitet sind. Dieses „Leben-wie-wir-es-kennen“ ist an Bedingungen geknüpft, die auf dem Planeten Erde irgendwann herrschten und heute noch herrschen. Leben könnte unter anderen Umständen, d.h. irgendwo anders im Sonnensystem oder im Weltall auch ganz anders konstruiert sein, jedenfalls gibt es keinen Grund anzunehmen, dass „Leben“, wo immer es entstanden sein mag, stets aus den identischen Strukturelementen besteht.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf einen sehr lesenswerten, kürzlich erschienenen Artikel von Stephen Mann (University Bristol, UK) [1]
In diesem Artikel schlägt der Autor den Bogen von den Zielen und dem Stand der Synthetischen Biologie zur Präbiotischen Chemie und den zurzeit sehr populären Missionen der NASA und anderer Agenturen, die das Ziel haben, Spuren von „Leben-wie-wir-es-kennen“ auf dem Planeten Mars oder sonstwo zu finden. Der Autor legt u.a. dar, dass es sehr viel sinnvoller wäre, Forschungsmittel in ähnlichem Umfang wie sie für eine Mars-Mission ausgegeben wurden, nämlich ca 1.5 – 2.0 Milliarden US $, in die Forschung zur Synthetischen Biologie zu stecken, wenn man dem „Geheimnis der Funktion und der Entstehung von Leben“ tatsächlich näher kommen wollte.
Folgen wir offiziellen Stellungnahmen zur Beschreibung des Arbeits- und Wissensgebietes der Synthetischen Biologie – ich wähle hier zugegeben etwas willkürlich, weil in deutscher Sprache – die gemeinsame Stellungnahme von DFG, Acatech und Leopoldina [2] aus dem Jahr 2009 – so zählen zu den wichtigsten Zielen:
- „Die Konstruktion von Minimalzellen mit dem Ziel, eine kleinste lebensfähige Einheit zu gewinnen; derartige Zellen sind unter definierten Laborbedingungen lebensfähig, haben jedoch eingeschränkte Fähigkeiten, sich an natürlichen Standorten zu vermehren.“ Wir konstatieren, dass es um die Konstruktion von „Leben“ geht, wobei im zweiten Satz sogleich eine tiefe Verbeugung vor einem bestimmten Teil der Öffentlichkeit, also dem Publikum, gemacht wird, das diese Arbeiten kritisch und mit Befürchtungen aller Art betrachten könnte. Es handelt sich um die einschränkende Versicherung, dass es sich bei der Konstruktion der „Minimalzelle“ lediglich und nur um ein Laborartefakt handele, etc. etc. Woher diese Einschränkung kommt, und welchen irrationalen Hintergrund sie hat, wird uns im Weiteren noch beschäftigen.
- „Die Synthese von Protozellen mit Merkmalen lebender Zellen“. Es ist beabsichtigt, sie langfristig „als Chassis für die Herstellung von Substanzen einzusetzen“. Hier werden zwei Begriffe verwendet, nämlich „Minimalzelle“ und „Protozelle“. Dies dient der Unterscheidung von „Bottom-up“ und „Top-down“ Zugängen zum Phänomen „lebendes Konstrukt“. Man kann aus der als Modell dienenden natürlichen Zelle Bauelemente entfernen bzw. „ausschalten“ bis man einen Zustand erreicht hat, bei dem das weitere Ausschalten von Funktionselementen zum Verlust der Funktionsfähigkeit, heißt zum Tod der Zelle führt. Dieser letzte Zustand definiert die Minimalzelle. Man kann aber auch versuchen, aus vollsynthetischen oder aus Zellen gewonnenen Funktionselementen ein Konstrukt aufzubauen, das Phänomene des „Lebens“ zeigen wird, sobald eine gewisse Komplexität erreicht worden ist: „ der Motor beginnt zu laufen“. Dies bezeichnet den Zustand der Protozelle, nämlich ein Konstrukt aus nicht-biogenen Komponenten.
Die beiden Statements, die hier zitiert worden sind, beschäftigen sich mit „Leben“ als Phänomen und dies ist in der Tat eher ein philosophisches Konzept, das im Wandel der Zeit zudem einem Bedeutungswandel unterliegt. Als Beleg sollen vier Zitate dienen, die helfen, die Epistemologie des Begriffs „Leben“ offenzulegen (Abbildung 1).
Louis Pasteur: Die apodiktische Feststellung von, „Lebendiges entsteht nur aus dem Lebendigen“ bezieht sich auf die von ihm streng festgelegten Bedingungen von Experimenten. Sie schließt eine kontinuierliche „Urzeugung“ neuen Lebens aus toter Materie im Sinne spontaner Organisation aus. Sie besagt jedoch nicht, dass rationales Konstruieren einer „chemischen Maschine“ möglich ist.
Manfred Eigen (und seine Schüler): halten es 50 Jahre später für möglich, dass Selbstorganisation unter bestimmten äußeren Bedingungen über verschiedene Stufen zu Lebensformen führen kann, sobald ein bestimmter Grad der Komplexität erreicht ist.
Sidney Bremer: kommt unter dem Eindruck der Ergebnisse der molekularen Zellbiologie zu der Aussage: „Es ist alles ein molekulares Konstrukt“.
Christian de Duve: gibt der Hoffnung Raum, dass die Einsichten der Wissenschaften andere und neue Wege zur Machbarkeit von Leben eröffnen.
Abbildung 1. Was ist Leben – aus der Sicht von (Natur)wissenschaftern.
Exkurs zum Thema „Lebenskraft“ und „Beseelung“
Warum verursacht die Synthetische Biologie mit ihren Konzepten heftige Reaktionen in der Presse und Schlagzeilen wie z.B. „Konkurrenz für Gott“ (Der Spiegel) oder „Leben aus dem Baukasten: Hat denn die Ära der Evolution 2.0 schon begonnen?“ (FAZ), und warum haben Gruppen von besorgten Bürgern in den USA bereits ein Moratorium für die Forschung gefordert, da diese Forschung nicht nur gefährlich, sondern von Anfang an unmoralisch sei ?
Ich vermute, das hängt mit dem kulturellen Gedächtnis und wenig reflektierten religiös-philosophischen Vorstellungen vieler Zeitgenossen zusammen, wobei überzogene Voraussagen und Projektionen einiger Wissenschaftler, verbunden mit sprachlich und philosophisch unsauberer Argumentation ihren Beitrag leisten.
Ich kann die Problematik nur kurz zu schildern versuchen und verwende dazu einige Bilder und Stichworte, die zum kulturellen Erbgut unserer Gesellschaft gehören.
Abbildung 2. Die „Beseelung“ des Adam (Michelangelo, um 1511; Sixtinische Kapelle)
„Leben“ ist für viele von uns verbunden mit dem Begriff „Lebenskraft“ oder für die eher religiös verankerten Menschen unseres Kulturkreises mit „Beseelung“. Niemand hat die dahinter liegenden Vorstellungen besser illustriert als Michelangelo mit seinem Fresko „Beseelung des Adam“ in der Sixtinischen Kapelle. Die dahinterliegende Vorstellung ist, dass die tote Materie wohl in der Lage ist, sich selbst so zu organisieren, dass Form und Funktionen eines Organismus (hier Adam) entstehen, aber eigentliches Leben entsteht erst, wenn eine übernatürliche Kraft (Gott-Vater) den bereits vorgeformten Körper „beseelt“, ihn also mit „Seele“ bzw. „Lebenskraft“ versieht. Ob diese Lebenskraft etwas Immaterielles und Übernatürliches ist, ob es eine noch unbekannte Energieform oder im Sinne einer Autopoiese „nur“ die Konsequenz des Komplexitätsgrades der molekularen Maschine höherer Lebewesen und des Menschen ist, hat zahlreiche Philosophen, Naturforscher, Denker und Dichter beschäftigt. Es ist ein ungelöstes Rätsel, zu dem – da bin ich ganz sicher – die Synthetische Biologie einen kleinen aber wesentlichen Beitrag leisten kann.
Wie suggestiv und gleichzeitig prägend Michelangelos Bild ist, wird erst in seiner Persiflage deutlich, von denen es zahlreiche gibt. Viele dieser Persiflagen bringen prägnant zum Ausdruck, wie falsch und voreingenommen das Gottesbild (Gott Vater) in der Darstellung Michelangelos ist.
Man sollte bedenken, dass das Wesen, das in dieser Darstellung als „Gott“ bezeichnet wird, im Prinzip unvorstellbar ist und daher auch der Prozess der „Beseelung“ im keinem noch so einleuchtenden Bild dargestellt werden kann.
Daher ist auch die Aussage, dass die Adepten der Synthetischen Biologie „Gott spielen wollen“ in jeder Hinsicht falsch und ganz unzutreffend.
Es ist aber so, dass es in der Geschichte der Naturwissenschaft und Medizin immer wieder Forscher und durch sie ausgelöste Strömungen gegeben hat und gibt, die behaupteten, die „Lebenskraft“ entdeckt zu haben und ihr Wirken kontrollieren zu können.
Eine der bedeutendsten und kulturhistorisch interessantesten ist die Entwicklung des Galvanismus um die Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts. Die Nachwirkungen dieser Bewegung sind noch heute zu spüren.
Ausgelöst durch die Entdeckung des Arztes und Naturforschers Luigi Galvani im Jahr 1780, dass nämlich Froschschenkel bei Kontakt mit einer Volta’schen Säule spontan Kontraktionen durchführen, also Elektrizität Muskelkontraktion auslöst, entwickelte sich rasch eine Bewegung, die ganz Europa erfasste. Man glaubte in der (damals noch wenig verstandenen Elektrizität) die Lebenskraft gefunden zu haben, mit der auch Tote wieder zum Leben erweckt werden könnten. Es lag nahe, entsprechende Versuche an Leichen durchzuführen, die ja durch die Erfindung der Guillotine und den Verlauf der französischen Revolution reichlich zur Verfügung standen (Abbildung 3).
Abbildung 3. Entstehung der „Lebenskraft“ durch Galvanismus. Cartoon um 1836 (Bild: Wikimedia)
Natürlich (wie wir heute sagen) blieben Erfolge aus, was die Medizin bis in die heutigen Tage nicht daran hindert, Patienten elektrischen Strömen auszusetzen. Immerhin wurde bereits im Jahr 1803 in Preußen ein Verbot erlassen, solche Versuche mit den Körpern von Hingerichteten durchzuführen. Dennoch blieb die Faszination des Galvanismus erhalten und kumulierte in dem Roman „Frankenstein oder der moderne Prometheus“, den die englische Schriftstellerin Mary Shelley im Jahr 1818 veröffentlichte. In unzähligen Auflagen wird er noch heute gelesen und bildet die Vorlage für viele Horrorfilme. In ihm wird dargestellt, wie wahnsinnige Wissenschaftler aus Teilen von Leichen neue Körper zusammensetzen, die sie dann mittels elektrischer Kräfte zum Leben erwecken. Die entstandenen Ungeheuer wenden sich alsbald gegen ihre Schöpfer und bringen diese in grausamer Weise ums Leben.
Frankenstein und die verrückten Wissenschaftler in ihren finsteren Laboratorien bilden die Versatzstücke, die bis heute wirken, wenn über die Anwendung gentechnischer Methoden in der Tier- und Pflanzenzüchtung, über Transplantationsmedizin und schließlich auch über Synthetische Biologie unkritisch und unbedarft berichtet und diskutiert wird.
Weitere Aussagen zur Synthetischen Biologie
Kehren wir wieder zurück zu der Aussage des Standpunkte-Papiers von DFG, Acatech und Leopoldina [2]. Die Aussage, dass Synthetische Biologie ein „Chassis“ für die Montage verschiedenster Funktionseinheiten bereitstellen könne, bedarf näherer Betrachtung und Kritik. Dazu gehört die Aussage über die Ziele eines solchen Vorgehens:
„Die Produktion neuer (?) Biomoleküle (?) durch baukastenartiges Zusammenfügen einzelner Stoffwechselfunktionen. Diese können aus verschiedensten genetischen Spenderorganismen stammen“.
Die Fragezeichen habe ich eingefügt, um anzudeuten, dass man über die Formulierung trefflich streiten kann: Sind die aus synthetischen Organismen stammenden Moleküle noch als Biomoleküle zu bezeichnen? Vor allem dann, wenn sie „neu“ sind, also in biologischen (d.h. natürlichen) Organismen gar nicht vorkommen?
Aber viel grundsätzlicher, und erläutert an einem Beispiel aus gängiger Technik:
Nehmen wir ein modernes Automobil als komplexes System aus sehr vielen Funktionseinheiten, die alle zum Gesamtzweck des Autos zusammengefügt werden und operativ funktionieren müssen und betrachten wir – pars-pro-toto - nur den Motorraum, so erscheint das Objekt dem laienhaften Betrachter zunächst als „komplex“. Wir wissen aber, dass im Motorraum verschiedenste Funktionseinheiten zu einem Konstrukt zusammengefügt sind. Nehmen wir an, es handele sich um ein Auto der Firma Toyota; dann können wir selbstverständlich versuchen, den Vergaser des Originals durch einen Vergaser aus dem Motorraum eines Wagens der Firma VW zu ersetzen, die Zündkerzen könnten wir durch solche aus einem BMW, die Nockenwelle von Mercedes nehmen usw. Am Ende würde der Motor vielleicht noch laufen (oder auch nicht), aber: was hätten wir gelernt und wäre das Unternehmen sinnvoll?
Ein weiteres Beispiel aus heutiger Technik soll helfen, die Ziele des Top-down-Prozesses, nämlich Erzeugung einer Minimalzelle durch Dekonstruktion lebender Zellen zu hinterfragen.
Betrachten wir eines der modernsten Flugzeuge, den „Dreamliner“ der Fa. Boing. Können wir aus diesem Objekt der Technik – sicher ein „komplexes Konstrukt“ - die Evolution der Flugzeuge ableiten und durch „Ausschalten“ von Bauelementen auf ein „Minimalflugzeug“ zurückschließen? Das wäre schwierig, ist aber auch unnötig, denn im Fall des Flugzeugs kennen wir die Geschichte der Evolution in allen Details. Wir wissen, wie die ersten Flugmaschinen ausgesehen haben und wer ihre Erfinder waren. Diese Flugmaschinen haben außer bestimmten Prinzipien der Aerodynamik herzlich wenig mit einem modernen Verkehrsflugzeug gemein und dennoch stehen die Wright’schen Flugzeuge am Beginn der Evolution der Avionik.
Im Fall der Ziele der Synthetischen Biologie kennen wir den Pfad der Evolution nicht.
Es scheint mir zweifelhaft, dass man durch Ausschalten bzw. Herausnahme von Funktionselementen aus Zellen, die „leben“ auf eine Minimalzelle“ schließen kann, wie sie zu Beginn der Evolution vorgelegen haben mag: wir kennen den Weg der Evolution nicht, der zur ersten „lebenden“ Zelle geführt hat und solange wir nicht entschlüsselt haben, wann „Leben“ aus der komplex und hierarchisch akkumulierten Materie entsteht, werden wir auch nicht weiterkommen. Deshalb halte ich den Weg des Top-down in der Synthetischen Biologie für wenig zielführend.
Was bleibt ist die Forderung nach den elementaren Funktionen als Konsequenz einer Autopoiesis der Konstrukte. Für die Diskussion mag es interessant sein, andere Gebiete als die Biologie zu betrachten, die sich historisch parallel entwickelt haben und zu fragen, ob es dort ähnliche Bewegungen gibt, wie sie die Synthetische Biologie für die Biologie bedeutet. Ich wähle die Psychologie als Beispiel. Sie hat sich ähnlich wie die Biologie an der Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts als eigenes Feld der Wissenschaft herausgebildet. Im Zentrum dieser Wissenschaft steht das Leib-Seele (Geist)-Problem hinter den verschiedenen Teildisziplinen dieses Feldes.
Man darf fragen: Gib es eine Synthetische Psychologie? Die Antwort lautet: Ja, nur wird diese Nomenklatur nicht verwendet. Historisch haben Biologie und Psychologie parallele Entwicklungsschritte durchlaufen. Auch in der Psychologie spielt der bereits genannte Galvanismus eine merkwürdige Rolle.
In moderner Zeit haben Fragen der „künstlichen Intelligenz“ und der Methodik der „neuronalen Netze“ Fragen aufgeworfen, die von ähnlicher Brisanz für das Weltbild der menschlichen Gemeinschaft sind, wie bei der Synthetischen Biologie. Die IT-Technologie stellt Fragen, wie z.B. ab welchem Grad von Komplexität der Hard- und Software von Rechenanlagen so etwas wie „Selbstbewusstsein“ der Anlage auftreten könnte; und diese Frage dient als Vorlage für Horrorgeschichten und Hollywood-Filme.
Es besteht aber kaum ein Zweifel, dass man hier von einer Parallele zur Synthetischen Biologie sprechen darf.
Versprechungen und Aussagen zur Nützlichkeit
Kehren wir noch ein letztes Mal zu den Kernsätzen des Standpunkte-Papiers von Acatech, DFG und Leopoldina [2] zurück. Dort – wie auch in vielen anderen ähnlichen Papieren – finden sich Aussagen zu dem erwarteten und erwartbaren Nutzen dieser Forschung, Zitat: „(Die Synthetische Biologie“) wird die Konstruktion regulatorischer Schaltkreise (erlauben). Diese erlauben es, komplexe biologische oder synthetische Prozesse zu steuern. (Ferner) die Konzeption sogenannter orthogonaler Systeme. Dabei werden modifizierte Zellmaschinerien eingesetzt, um beispielsweise neuartige Biopolymere zu erzeugen“. Und weiter liest man:
„Die ökonomische Bedeutung lässt sich derzeit noch nicht präzise abschätzen, es sind jedoch bereits marktnahe Produkte erkennbar. Der Katalog umfasst Medikamente, Nukleinsäurevakzine, neuartige Verfahren zur Gentherapie, umwelt- und resourcen-schonende Fein- und Industriechemikalien, Biobrennstoffe sowie neue Werkstoffe, wie polymere Verbindungen.“
Solche Aussagen, die man – wie gesagt – in fast allen Statements zu Stand und Zukunft der Synthetischen Biologie findet – sind nicht nur ohne Substanz, sondern enthalten grobe Irreführung des Publikums. Beispiel: Was unterscheidet einen „Biobrennstoff“ von einem „Brennstoff“? Sind nicht Erdöl und Erdgas ebenfalls „Biobrennstoffe“, weil biogenen Ursprungs? Warum soll die Gewinnung von z.B. Fettsäuren als „Biobrennstoff“ aus (noch gar nicht verfügbaren) Methoden der Synthetischen Biologie „resourcenschonender“ sein als z.B. die Verwendung von Holz oder Stroh zur Energiegewinnung? Die Aufzählung von „neuen Werkstoffen“ und „polymeren Verbindungen“ im Katalog der Nützlichkeiten erzeugt bei mir als Materialwissenschaftler nur Kopfschütteln, wenn nicht Lachen.
Wäre es nicht ehrlicher, sich ein Beispiel an dem englischen Physiker und Naturforscher Michael Faraday (1791 – 1867) zu nehmen. Als ihn die noch junge Königin Victoria kurz nach ihrer Krönung in der Royal Institution besuchte, um sich seine Experimente zum Elektromagnetismus vorführen zu lassen, fragte sie ihn: „Wozu ist denn elektrischer Strom gut?“ Michael Faraday antwortete „Your Majesty –ich weiß es nicht, aber ich bin ganz sicher, dass Ihre Regierung in wenigen Jahren eine Steuer darauf legen wird“.
Mit anderen Worten: der wissenschaftliche Gewinn, der durch Forschung entsteht, bedarf nicht der Rechtfertigung durch den unmittelbaren Nutzen.
Genauso wenig wie sich der Aufwand für die Weltraumforschung daraus rechtfertigen lässt; dass dabei bessere Materialien für Bratpfannen entwickelt wurden, kann ein noch nicht einmal existenter Produktionsweg für Chemikalien den Aufwand der Forschung rechtfertigen. Insbesondere sollte man sich nicht in Argumentationen in „Neusprech“ bewegen, indem man glaubt, dass die gewollte und gewünschte Forschung „neue“ und „resourcenschonende „Bio“-materialien erzeugen kann.
Die Größe der Aufgabe, nämlich wie und wann Komplexität zu einer Autopoiese führt, d.h. eine sich selbst reproduzierende chemische Maschine entsteht, ist Rechtfertigung genug.
Alles andere heißt nur, den Gaukler in Hieronymus Bosch’s Bild nachzuahmen, bzw. den Arzt, der den Dummen kuriert, indem er ihm Biomaterial (nämlich Bachblüte) aus dem Hirn extrahiert, wobei die „Wissenschaft“ mit der Literatur auf dem Kopf assistiert.
Kritische Zeitgenossen gibt es ja genügend, die sich mit den Ergebnissen der Forschung und den Forschern auseinandersetzen werden. Bis dahin wollen wir hoffen, dass die Leitmotive der großen Symphonie namens Synthetische Biologie hier zum Durchbruch kommen und sich dabei auch der große Dirigent oder Dirigentin zu erkennen gibt, von der ich eingangs gesprochen habe.
[1] Stephen Mann (2013) The Origin of Life; Old Problems, New Chemistry, Angewandte Chemie, Int. Ed. 52:155-62.
[2] Synthetische Biologie – Standpunkte (2009). Wiley-VCH Verlag; Hsg. Deutsche Forschungsgemeinschaft (www.dfg.de), acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (www.acatech.de) und Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften (www.leopoldina-halle.de) http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/2009/s... (96 Seiten, abgerufen am 27.6.2013; free download)
Weiterführende Links
Musei Vaticani: Interaktive 3D-Animation der Sixtinischen Kapelle ("Gott beseelt Adam" befindet sich senkecht über dem Beobachter)
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