Do, 04.12.2025— Inge Schuster
Weltweit sind Herz-Kreislauferkrankungen die häufigste Todesursache und Atherosklerose ist deren Hauptursache. In deren Entstehung spielen laut aktuellen Untersuchungen chronische Entzündungen und Darmmikrobiom - hier insbesondere das von bestimmten Bakterien aus Histidin produzierte Imidazolpropionat (ImP) - eine wichtige Rolle. Eine neue Studie zeigt, dass in einem etablierten Atherosklerose Modell an der Maus ein kausaler Zusammenhang zwischen hohen ImP-Konzentrationen und Induktion von Atherosklerose besteht: Der auf Immunzellen lokalisierte I1-Imidazolinrezeptor (I1R) fungiert als ImP-Rezeptor. ImP aktiviert über I1R die Immunzellen, dies führt zu deren Freisetzung von Entzündungsfaktoren, welche die Zell-Infiltration in der innersten Wandschicht der Aorta und Ansammlung im Atherom-Plaque starten. Wird I1R blockiert oder ausgeschaltet, so wird die ImP-induzierte Atherosklerose vollständig verhindert. In Langzeitstudien an scheinbar gesunden Personen wurden erhöhte ImP-Blutspiegel auch bei subklinischer Atherosklerose, also in deren Anfangsstadien nachgewiesen. Die Bestimmung von ImP könnte somit ein früher Indikator für das Erkrankungs-Risiko sein, ImP selbst und sein Rezeptor ein vielversprechendes neues Target für therapeutische Maßnahmen darstellen.
Fragte man in den 1970er Jahren Experten, die über die Aufnahme von Nahrung im Verdauungstrakt forschten, welche Rolle die dort ansässigen Mikroorganismen dabei spielten, so war die einhellige Antwort: "Das wissen wir nicht". Erst in den letzten beiden Jahrzehnten konnten mit Hilfe modernster Techniken der Genomsequenzierung, der Probenanalytik und der Speicherung und Analyse gigantischer Datenmengen erste Einblicke in das Zusammenleben mit unserem Mikrobiom, in seine Vielfalt und seine Bedeutung für den Erhalt von Gesundheit und ebenso für die Entwicklung chronischer Erkrankungen gewonnen werden. Mit dem Ziel Forschungsressourcen für das neue Gebiet zu entwickeln haben die US-National Institutes of Health (NIH) im Jahr 2007 das Human Microbiome Project ins Leben gerufen. Diese über 10 Jahre laufende, 215 Millionen Dollar teure Initiative wirkte als Katalysator auf die Mikrobiomforschung: So verzeichnet die US-Literaturdatenbank PubMed unter "microbiome AND food" seit 2015 einen rasanten Anstieg auf über 50 000 Veröffentlichungen. Viele dieser Studien haben sich mit unverdaulichen Ballaststoffen (Präbiotika) befasst, mit deren Auswirkungen auf Zusammensetzung und Eigenschaften des Mikrobioms und deren Fermentation zu kurzkettigen Fettsäuren, die mit positiven Effekten auf Stoffwechsel, Immunsystem und insgesamt auf die Gesundheit assoziiert sind.
Schädliche Produkte unseres Mikrobioms
Neben den vorteilhaften Aspekten unserer Symbiose mit Mikroorganismen, können diese auch eine Fülle schädlicher Substanzen generieren - aus dem Abbau unserer Stoffwechselprodukte, dem Abbau von Nahrungsbestandteilen, aber auch aus aufgenommenen Umweltstoffen -, welche die Entstehung von Krankheiten begünstigen, vielleicht auch auslösen können. Beispiele dafür sind u.a. das von bestimmten E.coli Stämmen produzierte gentoxische Colibactin, das mit einem erhöhten Risiko von Darmkrebs einhergeht, das aus Cholin oder Carnitin gebildete Trimethylamin-N-oxid, das ebenfalls das Risiko für Darmkrebs, aber auch für Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen erhöht und eine Fülle von Verbindungen, die aus Aminosäuren entstehen. In den letzten Jahren hat der aus der Aminosäure Histidin entstehende Metabolit Imidazolpropionat (ImP) auf Grund seiner engen Korrelation mit Stoffwechselstörungen und Herz-Kreislauferkrankungen besonderes Interesse erregt.
Imidazolpropionat - Entstehung und Auswirkungen
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Abbildung 1. .Die Blutspiegel des bakteriellen Metaboliten Imidazolpropionat sind bei Stoffwechsel- und Herz-Kreislauferkrankungen erhöht. Stark vereinfachtes Schema. (Quelle: modifizierter Ausschnitt von Figure 2 in Quian Xu et al., Front. Immunol., 15:1454210. https://doi.org/10.3389/fimmu.2024.1454210. Lizenz: cc-by.) |
Histidin ist eine essentielle Aminosäure, die unser Körper nicht selbst synthetisieren kann und daher mit proteinreicher Nahrung zugeführt werden muss. Das aus den Proteinen freigesetzte Histidin wird zur Biosynthese neuer Proteine und Peptide eingesetzt, zum Neurotransmitter/Gewebshormon Histamin abgebaut und in mehreren Schritten zur Glutaminsäure umgebaut. Dieser Umbau beginnt mit der enzymatischen Abspaltung (durch Histidase) der Aminogruppe; das daraus entstehende Produkt (Urocaninsäure/Urocanat) wird durch ein Enzym (Urocanatreduktase), das nur bestimmte Bakterienarten, nicht aber der Wirtsorganismus besitzen, zu ImP reduziert, einer nicht mehr verstoffwechselbaren Verbindung, die aus dem Darm in den Blutkreislauf aufgenommen wird. (Strukturformeln der Metabolite: Abbildung 1). Unter physiologischen Bedingungen erreichen die ImP-Blutspiegel maximal wenige Nanogramm pro ml, unter pathologischen Bedingungen - im Fall von Stoffwechsel- oder kardiovaskulären Erkrankungen - können sie auf das Hundertfache ansteigen. Die Höhe der Spiegel wird in erster Linie nicht von der Menge des zugeführten Histidin bestimmt, sondern von Zusammensetzung und enzymatischer Aktivität der Bakterienpoulation.
Im Jahr 2018 hat ein Team von Universität und Universitätskrankenhaus Gotheburg (Schweden) erstmals einen engen Zusammenhang zwischen Diabetes Typ2 und einer erhöhten Produktion von ImP bei den Erkrankten festgestellt und die dafür verantwortlichen Bakterien identifiziert (Koh et al., 2018). Es zeigte sich, dass ImP offensichtlich den Signalweg des Insulins über den Insulinrezeptor inhibiert und in der Folge zu gestörtem Glukosestoffwechsel und Insulinresistenz führt. In der Folge weisen nun immer mehr klinische Studien und Versuche an Tiermodellen auf die enge Korrelation von Blutspiegeln des ImP und - über Typ-2-Diabetes hinaus - anderen Stoffwechselstörungen und Herz-Kreislauferkrankungen hin. Ein vereinfachtes Schema der pathologischen Auswirkungen von ImP ist Abbildung 1 dargestellt.
Eine 2023 veröffentlichte Studie hat den Zusammenhang zwischen Blutspiegeln von ImP, Herz-Kreislauferkrankungen und Mortalitätsrisiko von Erwachsenen untersucht (Molinaro et al., 2023). Die Studie stützte sich auf zwei große, unabhängige Kohorten - die europäische MetaCardis-Kohorte mit knapp 2000 Personen und die nordamerikanische GeneBank-Kohorte mit rund 2160 Personen -, mit verschiedenen Schweregraden von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einschließlich Herzinsuffizienz. Die Studie zeigte in überzeugender Weise, dass auf beiden Kontinenten, in beiden Kohorten und unabhängig von traditionellen Risikofaktoren die ImP-Spiegel mit Herz-Kreislauferkrankungen , einer reduzierten Ejektionsfraktion, erhöhten natriuretischen Peptidwerten und Herzinsuffizienz assoziiert sind. Erhöhte ImP-Spiegel Werte erwiesen sich als signifikanter unabhängiger Prädiktor für die 5-Jahres-Mortalität . Abbildung 2.
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Abbildung 2. Das Darmmikrobiom produziert Imidazolpropionat aus Histidin. Mit steigenden ImP-Spiegeln (Quartil 1 - 4) steigt das Risiko an Herzinsuffizienz zu sterben. (Quelle: Molinaro et al., 2023, doi: 10.1016/j.jchf.2023.03.008 Lizenz cc-by.) ) |
Von Mäusen zu Menschen: Wie aber beginnt Atherosklerose ..................
Um zu verstehen, wie Atherosklerose beginnt und frühe Biomarker in noch symptomlosen Menschen zu fnden, hat ein Team um David Sancho vom Centro Nacional de Investigaciones Cardiovasculares (CNIC) in Madrid vor 15 Jahren eine Langzeitstudie an 2 Kohorten von insgesamt mehr als 2 000 scheinbar gesunden Personen, Mitarbeitern der Banco Santander, im Alter von 40 - 55 Jahren gestartet. 2D- oder 3D-Gefäßsonographie, Computertomographie ohne Kontrastmittel und Positronen-Emissions-Tomographie (PET) ermöglichten bereits sehr frühe Stadien der Atherosklerose zu detektieren und quantitative Bestimmung der Konzentrationen von ImP (und anderen Metaboliten) ließen den Zusammenhang mit der Entstehung der Atherosklerose prüfen.
Es zeigte sich, dass in beiden Kohorten hohe ImP-Spiegel mit atherosklerotischen Veränderungen korreliert waren, wobei Personen mit metabolisch aktiven Plaques (mittels PET festgestellt) höhere ImP-Spiegel hatten als solche mit inaktiven Plaques. Des Weiteren untersuchten die Forscher, wie sich unterschiedliche Diäten auf die Zusammensetzung des Mikrobioms, speziell auf ImP-produzierende Bakterien auswirken, wie ImP mit Risikofaktoren (Blutdruck, Body-Mass-Index, C-reaktives Protein, LDL-/HDL-Cholesterin) von Herz-Kreislauferkrankungen zusammenhängt.
Eingehende Studien zur Rolle von ImP in der Entstehung von Atherosklerose an Mäusemodellen unterstützten die am Menschen erzielten Ergebnisse und konnten vor allem aufklären, wie ImP auf molekularer Ebene wirken dürfte. Diese vielerorts als Durchbruch gefeierte Studie wurde kürzlich im Fachjournal Nature publiziert (Mastrangelo et al., 2025).
.......und welche Rolle spielt dabei ImP?
Tierversuche an etablierten Atherosklerose Modellen der Maus zeigten, dass bei ansonsten normaler Diät die Zufuhr von ImP im Trinkwasser über 8 Wochen ausreicht, um Atherosklerose in der Aorta hervorzurufen (Abbildung 3: Kontrolle (Ctrl) versus ImP), ohne dass sich das Lipidprofil, speziell der Cholesterinspiegel verändert hätte, d.i. auch bei physiologischen Cholesterin Konzentrationen entwickelten die mit ImP behandelten Tiere Atherosklerose.
Einzelzell-Sequenzierungsanalysen des Aortengewebes ergaben, dass ImP in Immunzellen und Fibroblasten Signalwege aktivierte, die darauf mit der Freisetzung von Entzündungsfaktoren antworteten. Histologische Analysen der Aorta zeigten eine erhöhte T-Zell-Infiltration in der innersten Wandschicht der Aorta und vermehrt entzündliche Makrophagen im Atherom-Plaque.
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Abbildung 3. .Die Blutspiegel des bakteriellen Metaboliten Imidazolpropionat sind bei Stoffwechsel- und Herz-Kreislauferkrankungen erhöht. Stark vereinfachtes Schema. (Quelle: modifizierter Ausschnitt von Figure 2 in Quian Xu et al., Front. Immunol., 15:1454210. https://doi.org/10.3389/fimmu.2024.1454210; Lizenz: cc-by.) |
Die Vermutung der Forscher, dass ImP mit seinem Imidazolrest an einen in Zellmembranen lokalisierten Imidazolinrezeptor (IR) binden und damit das Entzündungssignal auslösen könnte, bestätigte sich: Wurde einerseits ein vom Team entwickelter hochpotenter Antagonist (AGN192403) des Imidazolin-1-rezeptors (I1R) gleichzeitig mit ImP verabreicht (Abbildung 3: ImP versus AGN), oder die Expression von I1R verhindert (in I1R-knockout Tieren), so wurde auch das Entzündungssignal blockiert und die Atherogenese verhindert. Die Blockierung der I1R-ImP-Achse hemmte auch die durch hohes Cholesterin induzierte Entstehung von Atherosklerose.
Fazit
Die CNIC-Studie zeigt, dass bereits im Frühstadium der Atherosklerose, bei symptomfreien Personen die ImP-Blutspiegel erhöht und mit dem Fortschreiten der Veränderungen eng korreliert sind. Im Tiermodell wurde I1R als Rezeptor für ImP identifiziert. ImP löst über den I1R Entzündungssignale in Immunzellen aus, die zu deren Infiltration in der Aortawand und Ansammlung in abgelagerten Plaques führen. Die Bestimmung von ImP könnte somit ein früher Indikator für das Erkrankungs-Risiko sein, ImP selbst und sein Rezeptor ein vielversprechendes neues Target für therapeutische Maßnahmen darstellen.
Dass die ImP induzierte Atherosklerose auch bei Tieren mit niedrigem Cholesterinspiegel erfolgt, lässt an dem Paradigma einer kausalen Rolle des Cholesterins in der Entstehung der Atherosklerose zweifeln.
Koh A., et al., Microbially Produced Imidazole Propionate Impairs Insulin Signaling through mTORC1. Cell (2018) 175, 4, 947 - 961.e1. DOI: 10.1016/j.cell.2018.09.055
Molinaro A. et al. Microbially produced imidazole propionate is associated with heart failure and mortality. JACC Heart Fail. (2023) 11:810–21. doi: 10.1016/j.jchf.2023.03.008
Mastrangelo, A. et al. Imidazole propionate is a driver and therapeutic target in atherosclerosis. Nature https://doi.org/10.1038/s41586-025-09263-w
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