Eurobarometer 557: Informationsstand und Kenntnisse der EU-Bürger über Wissenschaft und Technologie haben sich verschlechtert

Di. 25.03.2025  — Inge Schuster

Inge SchusterIcon Politik & Gesellschaft Im Abstand von einigen Jahren gibt die EU-Kommission repräsentative Umfragen in Auftrag, welche die Kenntnisse und Einstellungen der EU-Bürger zu Wissenschaft (d.i. Naturwissenschaft) und Technologie (W&T) ermitteln sollen. Die Ergebnisse der jüngsten diesbezüglichen Umfrage (Eurobarometer 557) sind im Feber 2025 veröffentlicht worden und bislang von Medien, Bildungs- und Forschungseinrichtungen weitestgehend unbeachtet geblieben. Der fast 300 Seiten starke Bericht bietet eine Zusammenfassung von Informationsstand, Kenntnissen und Einstellungen der europäischen Bürger zu W&T. Er zeigt u.a. ihre Ansichten zu den Auswirkungen von W&T auf die Gesellschaft insgesamt und auf spezielle Bereiche von Wirtschaft und wesentliche Aspekte des modernen Lebens, auf die mögliche Steuerung von W&T und die Beteiligung von Bürgern an W&T. Der aktuelle Blog-Artikel betrachtet einige dieser Aspekte in kritischer Weise, wobei auch auf die Situation in Österreich und Deutschland Bezug genommen wird. 

Von jeher hat die Europäische Kommission Wissenschaft und Innovation als  prioritäre Schlüsselstrategien betrachtet, die Lösungen für die wichtigsten, jeden Europäer betreffenden Fragen liefern können: es sind dies Fragen der Gesundheit, der Beschäftigung und damit Fragen der gesamten Gesellschaft und der Wirtschaft. …....Die Zukunft Europas ist die Wissenschaft!“ (Jose M. Barroso, 6. Oktober 2014)

Zum wiederholten Mal erfolgte im Auftrag der Europäischen Kommission im Herbst 2024 eine Umfrage in den 27 Mitgliedsländern, welche Kenntnisse, Informiertheit und allgemeine Ansichten der Bevölkerung zu Wissenschaft (dem englischen Begriff Science entsprechend bedeutet das Naturwissenschaften) und Technologie (W&T) erkunden sollte (auf zusätzliche Erhebungen in den Westbalkanländern, der Türkei und UK soll hier nicht eingegangen werden). Speziell ausgebildete Interviewer befragten in jedem Staat jeweils einen repräsentativen Querschnitt verschiedener sozialer und demographischer Gruppen von rund 1000 Personen ab 15 Jahren in ihrem Heim und in ihrer Muttersprache (derartige "face to face" Interviews liefern die qualitativ hochwertigsten Befragungsdaten). Dabei wurden sowohl die gleichen Standardfragen wie in früheren Umfragen (zur Vergleichbarkeit mit deren Ergebnissen) als auch wechselnde Fragen zu unterschiedlichen Themen - im rezenten Fall zum schnell wachsenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) - gestellt. Die Ergebnisse der Umfrage sind kürzlich im Eurobarometer Spezial 557 veröffentlicht worden [1], wurden aber von Medien, Bildungs- und Forschungsinstitutionen bislang ignoriert.

Auswirkungen von W&T auf die Gesellschaft

Insgesamt herrscht ein breiter Konsens (im Mittel 83 % der EU-Bürger) darüber, dass Wissenschaft und Technologie einen sehr positiven oder einen ziemlich positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben.

Ekaterina Zaharieva, EU-Kommissarin für Start-ups, Forschung und Innovation freut sich „Die insgesamt positive Einstellung gegenüber Wissenschaft und Technologie ist ermutigend, da sie für das Erreichen unserer Wettbewerbsziele unerlässlich ist“.

Dies täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die positive Einstellung in 25 Mitgliedsländern gegenüber den Ergebnissen von 2021 [2] und insgesamt EU-weit um 3 % gesunken ist - in Österreich und Deutschland stärker als im EU27-Mittel von 80 auf 72 % respektive von 87 auf 81 %; dementsprechend haben hier die negativen Einstellungen auf 22 % respektive 15 % zugenommen.

Die größten Auswirkungen durch Forschung und Innovation

wird es nach Meinung der EU27-Bürger in den kommenden Jahren im Gesundheitswesen und der medizinischen Versorgung vor dem Kampf gegen den Klimawandel und der Energieversorgung geben.

Dass W&T unser Leben einfacher, gesünder und bequemer machen werden,

findet die Zustimmung der Mehrheit der EU27-Bürger (67%) , wobei es einen starken Abwärtstrend von vor allem skandinavischen Ländern (bis zu 82 % in Finnland und Schweden) zu ehemaligen Oststaaten (bis zu 49 % in Rumänien), aber auch Deutschland (59 %) und Österreich (58 %) gibt.

Die durch W&T sich ergebenden Chancen für junge Menschen

sieht die Mehrheit der Europäer optimistisch. Dass W&T mehr Möglichkeiten für die Jungen schaffen wird, glauben im Schnitt 68 % der EU-Bürger (1 % weniger als 2021, 65 % der Österreicher und 72 % der Deutschen - beide gleich viele wie 2021). Auch, dass das Interesse der Jungen an W&T maßgeblich für den zukünftigen Wohlstand ist, glauben im Mittel 82 % - 3 % weniger als 2021 - der EU27 (mit 74 % um 3 % mehr Österreicher als 2021, mit 80 % um 7 % weniger Deutsche als 2021).

W&T sollten inklusiv sein,

auch wenn dies (wie es manipulative Fragen suggerieren; s.u.) gegenwärtig nicht unbedingt der Fall ist. Dass bei der Entwicklung neuer Lösungen und Produkte die Bedürfnisse aller Gruppen von Menschen zu berücksichtigen sind, ist für die weitaus überwiegende Mehrheit der EU27 wichtig (77 % gegenüber 78 % im Jahr 2021, wobei 10 Länder mehr - darunter AT - und 14 Länder weniger - darunter D - zustimmen als 2021).

Ein eklatantes Manko der Studie

sind hier mehrere stark manipulative Fragen, die eine bestimmte Antwort oder Antwortrichtung suggerieren wie beispielsweise: Stimmen Sie zu, dass "W&T für Umweltverbesserungen und die Bekämpfung des Klimawandels eingesetzt werden könnten, aber hauptsächlich Unternehmen helfen, Geld zu verdienen“ oder, dass "W&T eingesetzt werden könnten, um das Leben aller zu verbessern, hauptsächlich dadurch aber das Leben von Menschen verbessert wird, die ohnehin bessergestellt sind", oder "Wir haben keine andere Wahl, als denen zu vertrauen, die in Wissenschaft und Technologie das Sagen haben". Derartige Fragen sollten in einer seriösen Umfrage fehl am Platz sein.

Selbsteinschätzung des Informationsstands über W&T

Die Mehrheit der Europäer fühlt sich nach eigenen Angaben sehr gut/einigermaßen gut über neue wissenschaftliche Entdeckungen und technologische Entwicklungen informiert. Am besten informiert fühlen sich die EU-Bürger über Umweltprobleme, einschließlich Klimawandel (79%). Über neue wissenschaftliche Entdeckungen und technologische Entwicklungen sowie über neue Entdeckungen in der Medizin fühlt sich hingegen nur etwas mehr als die Hälfte gut informiert. Abbildung 1.

Abbildung 1: Der Informationsstand der EU-Bürger über wissenschaftliche und technologische Themen hat seit 2021 dramatisch abgenommen. Selbsteinschätzungen von Österreichern, Deutschen und dem EU27-Mittel. Grafik aus Daten von QA1.1 - 3 [1].

Allerdings ist gegenüber den Erhebungen von 2021 [2] ein massiver Rückgang im selbst eingeschätzten Informationsstand festzustellen. Dieser fällt bei Umweltproblemen mit 3 % (Österreich und Deutschland jeweils 8 %) noch geringer aus, als wenn es um neue medizinische Entdeckungen geht - hier liegt der Rückgang im EU27 Schnitt bei 15 % (in Österreich bei 12 %, in Deutschland bei 17 %)- und um neue wissenschaftliche Entdeckungen und technologische Entwicklungen, wo der Rückgang EU27-weit 10 % (in Österreich 19 %, in Deutschland 14 %) beträgt. Auch verglichen mit einer früheren Erhebung im Jahr 2010 [2] liegt der aktuelle Informationsstand bei medizinischen Themen und bei W&T-Themen um jeweils 9 % niedriger - trotz der seitdem enorm gestiegenen Möglichkeiten sich mit diesen Themen auseinandersetzen zu können. Tabelle.

Tabelle. Informationsstand zu wissenschaftlichen und technologischen Themen. Sehr gut/einigermaßen gut informierte Bürger im EU27-Schnitt laut Selbsteinschätzung [%].

Kenntnisse und Verständnis von Wissenschaft

Ähnlich wie der Informationsstand haben auch die Kenntnisse der EU-Bürger abgenommen. Dies wurde nicht durch Selbsteinschätzung der EU-Bürger sondern an Hand von Testfragen festgestellt. Zu zehn Aussagen aus mehreren Themenbereichen, von denen einige sachlich richtig und andere frei erfunden waren, sollten die Teilnehmer angeben, ob diese ihrer Meinung nach richtig oder falsch wären (oder sie es nicht wüssten). Dieselben Fragen wurden zuvor schon 2021, 2005 und zum Teil 2001 gestellt.

Aussagen zu Naturkunde, Demographie und Geografie:

  • „Die Kontinente, auf denen wir leben, bewegen sich seit Millionen von Jahren und werden sich auch in Zukunft weiter bewegen“ (RICHTIG);
  • „Die ersten Menschen haben zur gleichen Zeit wie die Dinosaurier gelebt“ (FALSCH);
  • „Menschen, wie wir sie heute kennen, haben sich aus früheren Tierarten entwickelt“ (RICHTIG);
  • „Die Weltbevölkerung liegt derzeit bei mehr als 10 Milliarden Menschen“ (FALSCH);

Aussagen zu Naturwissenschaften und Technologie:

  • „Der Sauerstoff, den wir einatmen, stammt von Pflanzen” (RICHTIG);
  • „Antibiotika töten Viren genauso gut wie Bakterien” (FALSCH);
  • „Laser funktionieren durch die Bündelung von Schallwellen” (FALSCH);
  • „Der Klimawandel wird zum Großteil durch natürliche Zyklen anstatt durch menschliches Handeln verursacht” (FALSCH).

Aussagen zu Verschwörungstheorien:

  • „Es gibt ein Heilmittel für Krebs, das jedoch aus kommerziellen Interessen vor der Öffentlichkeit zurückgehalten wird“ (FALSCH);
  • „Viren wurden in staatlichen Laboren erzeugt, um unsere Freiheit zu kontrollieren“ (FALSCH).

 

Im Vergleich zu 2021 haben die EU-Bürger häufiger falsche Antworten gegeben, auch in Bezug auf Verschwörungstheorien. Abbildung 2.

jpg" />

Abbildung 2: Die Kenntnisse der EU-Bürger über viele W&T-Themen haben seit 2021 abgenommen. Falsche Antworten EU27-weit und aus Österreich und Deutschland zu Fragen aus Naturkunde, Demographie und Geografie (links oben), Naturwissenschaften und Technologie (links unten), sowie Glaube an Verschwörungstheorien (rechts). Grafik zusammengestellt aus Daten zu QA17 in [1].

Ebenso bedrückend ist die Zunahme der für Verschwörungstheorien affinen Bevölkerung. Die Liste wird mit bis 63 % Zustimmung von ehemaligen Ostblockländern, Griechenland und Zypern angeführt, am anderen Ende der Skala stehen skandinavische Länder aber auch Österreich und Deutschland.

Naturwissenschaftliche Grundbildung im EU-weiten Überblick

Abbildung 3: W&T Kenntnisse der EU-Bürger beurteilt aus der Beantwortung von Testfragen. 2024 (oben) wurden 10 Testfragen gestellt, 2021 waren dieselben 10 Fragen plus einer zusätzlichen Frage gestellt worden. (Bilder übernommen aus [1] und [2]).

EU-weit gesehen sind die Befragten aus den skandinavischen Ländern am ehesten in der Lage, mehr als acht der 10 Fragen richtig zu beantworten ("Schulnote": gut - sehr gut)). In Richtung Südosten nehmen die Kenntnisse stark ab - in Zypern, Bulgarien (jeweils 55%) und Griechenland (51%) gibt es die höchsten Anteile an Befragten, die weniger als fünf Fragen richtig beantworten ("Schulnote": nicht genügend). Abbildung 3.

Die Ergebnisse von 2021 [2] zeigen ein qualitativ sehr ähnliches Bild der W&T-Kenntnisse in Europa: Der Nordwesten Europas schneidet wesentlich besser ab als der Südosten die Balkanländer, Griechenland und Zypern. Ein direkter Vergleich der Zahlen ist allerdings nicht möglich, da 2021 eine zusätzliche Testfrage gestellt worden war.

Warum finden EU-Bürger es schwierig sich mit W&T zu befassen?

Die EU-weit 3 am häufigsten genannten Gründe sind Zeitmangel (EU27: 40%; AT: 38%; D: 43%), mangelndes Interesse (EU27: 37%; AT: 43 %; D: 41 %) und Mangel an Wissen auf dem Gebiet von W&T (36%, AT: 33 %; D: 35 %). In insgesamt 19 Ländern stimmen mehr als 50 % der Befragten zu, dass W&T so kompliziert seien, dass sie nicht viel davon verstünden: 53 % im EU27-Mittel (2021: 46 %), 55 % (2021: 51 %) der Österreicher und 47 % (2021: 32 %) der Deutschen; erstaunlicherweise teilen in Rumänien - einem Land, das in Punkto Kenntnissen und Informiertheit am unteren Ende der Länderskala rangiert, aber nur 40 % (2021: 56 %) der Befragten diese Meinung.

Mangelndes Interesse dürfte auch daran liegen, dass Kenntnisse über Wissenschaft zu besitzen für das tägliche Leben vieler Europäer nicht von Bedeutung ist, und deren Anteile seit 2021 in 15 Ländern zugenommen haben. Im EU27-Mittel stimmen 36 % (2021: 33 %) dieser Aussage zu, 34 % (2021: 27 %) in Deutschland und 46 % (2021: 53 %; 2010: 57 % [2]) in Österreich. Wie auch in früheren Umfragen rangiert Österreich in der "es geht auch ohne" Reihung weit oben: nun liegt es gleichauf mit Italien hinter der Slowakei (58 %), Polen (54 %), Bulgarien (52 %) und Estland (49 %), gefolgt von anderen ehemaligen Ostblockländern und Portugal. Am anderen Ende der Liste stehen die skandinavischen Länder. Abbildung 4.

Abbildung 4: Es geht auch ohne: In 10 Ländern sehen mehr als 40 % der Befragten wissenschaftliche Kenntnisse für das tägliche Leben als nicht erforderlich an. (Grafik QA7.2 aus [1] übernommen.)

Fazit

Eigentlich hatte die Europäische Union mit der Lissabon Strategie im Jahr 2000 das Ziel verfolgt sich bis 2010 zur weltweit wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Ökonomie zu entwickeln. Dass die Kernziele nicht annähernd erreicht würden, war bald evident. Für die von 2014 - 2020 laufende Nachfolgestrategie Horizon 2020 - die eine Reihe neuer Forschungsthemen aufnahm - wurden die Finanzmittel mit 70 Mrd € dotiert; das neue bis 2027 laufende Programm Horizon Europe dotiert mit 100 Mrd € soll schlussendlich soll die Forschung in den Bereichen Klimawandel, Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) und Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken.

In bestimmten Zeitabständen werden von der EU Umfragen beauftragt, die den Weg der Bevölkerung zur wettbewerbsfähigen Wissensgesellschaft aufzeigen und der EU Informationen zu Maßnahmen liefern sollen. Der aktuelle Bericht Eurobarometer 557 berichtet nun, dass in vielen EU-Ländern Informationsstand, Kenntnisse und Verständnis für Wissenschaft und wissenschaftliche Methoden leider abgenommen haben. Nicht angesprochen in den Ergebnissen wird der seit Anfang an bestehende große Graben, der sich von Nord-West nach Süd-Ost durch Europa zieht - von den Ländern, in denen W&T zum täglichen Leben gehört, die daran interessiert und gut informiert sind und gute Kenntnisse besitzen, zu den großteils dem ehemaligen Ostblock angehörenden Ländern, für die W&T viel zu kompliziert und ihre Kenntnisse zu dürftig sind und sie im Alltagsleben daher ohne diese auskommen.

Unangenehm fallen eine Reihe manipulativer Fragen auf, welche die suggerierten Antworten dann als wesentliche Ergebnisse der Umfrage präsentieren (siehe Schlussfolgerungen in [1].

"Man merkt die Absicht und man ist verstimmt."


[1] Eurobarometer Spezial 557: Kenntnisse und Einstellungen der europäischen Bürger zu Wissenschaft und Technologie(03.02.2025).doi: 10.2777/1446670.

[2]Eurobarometer 516: European citizens’ knowledge and attitudes towards science and technology (September 2021).


Über die Ergebnisse der Eurobarometer Umfragen 2010, 2013, 2014 und 2021 wurde mit speziellem Fokus auf Österreich im ScienceBlog berichtet.

J.Seethaler, H.Denk, 17.10.2013:Wissenschaftskommunikation in Österreich und die Rolle der Medien — Teil 1: Eine Bestandsaufnahme.

J.Seethaler, H. Denk, 31.10.2013: Wissenschaftskommunikation in Österreich und die Rolle der Medien. — Teil 2: Was sollte verändert werden?

 I. Schuster, 28.02.2014:Was hält Österreich von Wissenschaft und Technologie? — Ergebnisse der neuen EU-Umfrage (Spezial Eurobarometer 401).

I. Schuster, 02.01.2015: Eurobarometer: Österreich gegenüber Wissenschaft*, Forschung und Innovation ignorant und misstrauisch.

I. Schuster, 3.10.2021:Special Eurobarometer 516: Interesse der europäischen Bürger an Wissenschaft & Technologie und ihre Informiertheit

I. Schuster, 30.10.2021: Eurobarometer 516: Umfrage zu Kenntnissen und Ansichten der Europäer über Wissenschaft und Technologie - blamable Ergebnisse für Österreich.