Die Impfung gegen Gürtelrose senkt das Risiko an Demenz zu erkranken

Mi, 9.04.2025— Redaktion

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In den letzten Jahren mehren sich die Hinweise, dass Herpesviren eine Rolle bei der Entstehung von Demenzen spielen dürften und eine Herpes-Impfung Schutz vor diesen Erkrankungen bieten könnte. Eine neue Studie nutzt die einzigartige Art und Weise, in der der Gürtelrose-Impfstoff Zostavax in Wales eingeführt wurde, um in überzeugender Weise darzulegen, dass offensichtlich ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und der Reduktion von Demenzerkrankungen besteht. Über einen Nachbeobachtungszeitraum von sieben Jahren hat die Impfung die Diagnose von neuen Demenzerkrankungen um etwa 20 % gesenkt - eine nebenwirkungsfreie und dabei wirksamere und kostengünstigere Intervention als die bestehenden pharmazeutischen Maßnahmen.

Von Feuchtblattern zur Gürtelrose......

Das zur Gruppe der Herpesviren gehörende Varicella-Zoster-Virus (VZV) ist ein weltweit verbreitetes neurotropes - d.i. Nervengewebe infizierendes - Virus. VZV ist hochansteckend und löst primär Feuchtblattern (Windpocken) aus, eine Hauterkrankung, an der vor allem Kinder erkranken und die mit Fieber und juckendem bläschenförmigen Ausschlag aber meistens ohne schwere Komplikationen einhergeht. Eine Impfung gegen das Virus gibt es bereits seit mehr als 30 Jahren; dies hat die Zahl der Fälle und vor allem der seltenen schweren Komplikationen enorm verringert. Über 90 % der Erwachsenen in Europa weisen Antikörper gegen das Virus auf, weil sie entweder mit VZV infiziert waren oder als Kinder dagegen geimpft wurden - dies macht sie gegen einen neuen Feuchtblattern-Ausbruch immun.

Abbildung 1. Zur Infektion mit dem Varicella-Zoster-Virus.Vereinfachtes Schema. Die Erstinfektion mit dem Virus (rechts oben) erfolgt in der Regel durch Einatmen hochinfektiöser Partikel von akut an einer Varizelleninfektion erkrankten Personen. Man nimmt an, dass VZV die Epithelschleimhaut (Mukosa) in den oberen Atemwegen und dabei lokale dendritische Zellen infiziert (links), über die das Virus in die Lymphknoten übertragen wird, wo es T-Zellen infiziert. Über die Blutbahn wird das Virus in der Haut verbreitet und führt dort zu den juckenden Bläschen der Feuchtblattern. Daneben gelangt VZV in die sensorischen Nervenzellen der Spinalganglien (DRG - dorsal root ganglia) und verbleibt dort in latenter, d.i. reaktivierbarer Form. Dies geschieht im Alter und/oder bei geschwächtem Immunsystem; das Virus gelangt wieder in die Haut und löst nun den charakteristischen Herpes-Zoster-Ausschlag aus.

(Bild links modifiziert aus: Chelsea Gerada et al., Front. Immunol. 2020 Sec. Viral Immunology. Vol 11. https://doi.org/10.3389/fimmu.2020.00001; Lizenz CC-BY. Bild oben rechts: NIAID - Electron micrograph of Varicella-zoster Virus, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39933260 CC BY 2.0. Bild unten rechts: Gürtelrose, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:DGK_Guertelrose.jpg, CC-BY-SA.)

Wenn die Feuchtblattern-Infektion abgeklungen ist, ist das Virus allerdings nicht völlig aus dem Organismus verschwunden. Über die Nervenbahnen in Nervenzellen des Rückenmarks (in den dorsalen Spinalganglien) und auch in Hirnnerven gelangt verbleibt es dort - solange es von der antiviralen Immunantwort in Schach gehalten wird - in einem inaktiven (latenten) Zustand. Ist aber das Immunsystem infolge des Alterungsprozesses, schweren Erkrankungen oder Therapien - schwächer geworden, so kann das Virus auch noch nach Jahrzehnten reaktiviert werden, sich vermehren und über die Nervenbahnen ausbreiten - in den entsprechenden Hautabschnitten (Dermatomen) können dann Gürtelrose und in vielen Fällen sehr schmerzhafte Post-Zoster-Neuralgien ausgelöst werden.

Zu Feuchtblattern führende Primärinfektion und Gürtelrose auslösende Reaktivierung des VZV sind in Abbildung 1 vereinfacht dargestellt.

...........und zu kognitiven Beeinträchtigungen

Wie auch das nahe verwandte Herpes simplex Virus kann VZV im zentralen Nervensystem Hirnentzündung (Enzephalitis) und Hirnhautentzündung (Meningitis) auslösen.

Darüber hinaus mehren sich die Hinweise, dass das Virus eine Rolle in der Pathogenese von Demenzerkrankungen, insbesondere der Alzheimerkrankheit spielen dürfte: Untersuchungen haben gezeigt, dass VZV zu zerebralen Vaskulopathien (Gefäßerkrankungen), Amyloidablagerungen, Aggregation von Tau-Proteinen und Neuroinflammation und in Folge zu kognitiven Beeinträchtigungen führen kann.

Wenn also VZV maßgeblich in diese Pathogenese involviert sein dürfte, sollte die (für ältere Menschen empfohlene) Impfung gegen Gürtelrose das Risiko für Demenzerkrankungen reduzieren. Dies haben in jüngster Zeit eine Reihe von epidemiologischen Studien berichtet, die elektronische Gesundheitsdaten heranzogen, um Kohorten, die eine Gürtelrose-Impfung erhalten hatten mit solchen zu vergleichen, die nicht geimpft wurden. Allerdings leiden solche Korrelationen unter dem Bias, dass sich solche Kohorten in (auch mit Demenz zusammenhängenden) Merkmalen unterscheiden können, insbesondere da gesundheitsbewusste/-kompetente Menschen sich eher impfen lassen und weniger häufig an Demenz erkranken.

Ein "natürliches" Experiment

Eine transdisziplinäres Team von Wirtschaftswissenschaftern und Medizinern aus den US, Deutschland und Österreich konnte an Hand von vollständigen elektronischen Gesundheitsdaten- d.i. über erhaltene Impfungen, primäre und sekundäre Gesundheitsversorgung, Geburts- und Sterbedaten -, wie sie in Wales (SAIL-Datenbank) erhoben werden, nun in überzeugender Weise zeigen, dass offensichtlich ein kausaler Zusammenhang zwischen der Gürtelrose-Impfung und der Reduktion von Demenzerkrankungen besteht [1].

In Wales wurde am 1. September 2013 die Impfung mit der abgeschwächten Lebendvakzine Zostavax (dem damals einzigen Gürtelrose-Impfstoff) für 70 bis 79 Jährige eingeführt. Das Impfprogramm zeigte dabei eine Besonderheit, die es möglich machte äußerst ähnliche Kohorten von Geimpften und Nichtgeimpften zu vergleichen: Da die Wirksamkeit des Impfstoffs für Personen ab 80 Jahren niedriger ausfällt und damit als nicht kosteneffizient galt, wurden nur Personen zur Impfung zugelassen, die mit dem Stichtag 1. September 2013 jünger als 80 Jahre (also nach dem 2. September 1933 geboren) waren [2].

Die Forscher verglichen nun über eine Nachbeobachtungsperiode von sieben Jahren die Gesundheitsdaten, das Auftreten von Gürtelrose, Post-Zoster-Neuralgien und von Demenzerkrankungen von Senioren, die eine Woche vor dem Stichtag 80 geworden waren und daher von der Impfung ausgeschlossen waren, mit denen, die in der Woche nach dem Stichtag 80 wurden und daher berechtigt waren geimpft zu werden (47 % dieser Impfberechtigten ließ sich auch impfen). Vom minimalen Altersunterschied abgesehen lagen daher zwei weitestgehend gleichartig zusammengesetzte Personengruppen (also auch hinsichtlich der Impfwilligen und Impfunwilligen) vor, die sich nur durch den Faktor Impfung unterschieden. Besser als diese, von den Forschern als "natürliches Experiment" bezeichnete Analyse lässt sich auch der Goldstandard klinischer Untersuchungen, die randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie nicht designen!

Abbildung 2. Die Zulassung zur Gürtelrose-Impfung bewirkt einen großen Sprung (Diskontinuität) in der Wahrscheinlichkeit innerhalb der folgenden sieben Jahre an Demenz zu erkranken. Regression-Diskontinuitäts-Analyse. Normiert auf den Anteil der tatsächlich geimpften Personen, resultiert eine Reduktion der neuen Demenzfälle um 3,5 % (95% CI = 0.6–7.1; p= 0.019) oder rund 20 % der neuen Demenzdiagnosen. (Bild modifiziert aus Fig.3.in Eyting et al. 2025 [1]; Lizenz CC-BY)

Diese "Quasi-Randomisierung" wurde dann in Regressions-Diskontinuitäts-Analysen benutzt, statistischen Verfahren, die in den Wirtschaftswissenschaften häufig Verwendung findenum auf kausale Effekte zu testen; es handelt sich dabei um statistische Verfahren, die in den Wirtschaftswissenschaften häufig Verwendung finden, aber in die klinische Forschung noch kaum Eingang gefunden haben.

Auswirkungen der Gürtelrose-Impfung

Getestet auf die eigentlichen Targets der Impfung zeigten die Analysen, dass der Impfstoff Zostavax die neuen Gürtelrose-Diagnosen in vergleichbarem Ausmaß (um rund 37 %) verringerte, wie dies aus vorangegangenen klinischen Studien (von Sanofi Pateur MSD) bekannt war. Es gab auch einen starken Hinweis darauf, dass der Impfstoff die Wahrscheinlichkeit einer Post-Zoster Neuralgie reduziert.

Getestet auf das Off-Target Demenzerkrankungen demonstrierte die Analyse eine große signifikante Diskontinuität in der Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten sieben Jahre an Demenzen zu erkranken: bezogen auf zur Impfung Berechtigte und Nichtberechtigte betrug dieser Sprung absolut 1,3 %, (Abbildung 2), auf tatsächlich Geimpfte und Nichtgeimpfte bezogen waren es 3,5 %. Relativ zur Inzidenz der Erkrankungen entsprach dies rund 20 % der neuen Demenzdiagnosen.

Zostavax reduziert spezifisch die Inzidenz von Gürtelrose und Demenz. An Hand der Gesundheitsdaten testeten die Forscher auch, ob Zostavax einen Einfluss auf das Auftreten der in Wales führenden zehn Ursachen für Morbidität und Mortalität (darunter Herz-Kreislauferkrankungen, Nierenkrankheiten, Rheuma, Leukämien) haben könnte. Sie konnten keinen statistisch signifikanten Effekt auf diese Krankheiten feststellen und ebenso auch nicht auf die Inanspruchnahme präventiver Gesundheitsmaßnahmen (andere Impfungen oder Medikamente)der Geimpften vor und nach Beginn des Impfprogramms.

Abbildung 3. Die Gürtelrose-Impfung reduziert in den folgenden acht Jahren die Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit von Demenzdiagnosen insgesamt um -3,5 % (Abbildung 2); bei Frauen aber viel stärker (-5,6 %) als bei Männern (-01 %). (Bild modifiziert aus Supplement Fig.22. in Eyting et al. 2025 [1]; Lizenz CC-BY).

Die gegen Demenz schützende Wirkung von Zostavax ist bei Frauen viel stärker ausgeprägt als bei Männern. In Bezug auf die Wirkung der Wirkung des Impfstoffs auf die Diagnose von Gürtelrose und Post-Zoster-Neuralgien hatte es keinen signifikanten Geschlechtsunterschied gegeben. Dagegen betrug die Reduktion neuer Demenzdiagnosen bei geimpften Frauen 5,6 % (p= 0,001), während bei Männern eine 0,1 % -ige Reduktion statistisch nicht signifikant (p= 0,94) war. Abbildung 3.

Die Unterschiede können möglicherweise u.a. auf geschlechtsspezifische Immunreaktionen auf Impfstoffe und/oder eine unterschiedliche Pathogenese der Demenz bei Männern und Frauen zurückzuführen sein.

Ausblick

Ein Manko der Studie: Die untersuchte abgeschwächte Lebendvakzine Zostavax ist vor wenigen Jahren in sehr vielen Ländern durch den wesentlich wirksameren rekombinanten Totimpfstoff Shingrix® (GlaxoSmithKline) - mit unbekanntem Effekt auf Demenzen - abgelöst worden. Basierend auf den elektronischen Gesundheitsdaten in den US stellte der dort im Oktober 2017 erfolgte Umstieg für eine englische Forschergruppe ein "natürliches" Experiment dar, um auf die Wirksamkeit des neuen Impfstoffs gegen Demenzen zu prüfen. In dieser Beobachtungsstudie (Kausalität wurde nicht nachgewiesen) wurde die Schutzwirkung bestätigt, wobei diese bei Frauen um 9 % größer war als bei Männern, aber wie in den Waliser Ergebnissen nicht durch einen besseren Schutz vor Gürtelrose bei Frauen als bei Männern erklärt werden kann [3].

Zweifellos sollten nun weitreichende randomisierte klinische Studien folgen, um ein optimales Impfprogramm zum Schutz vor Demenzen zu ermitteln.

Ohne hier auf Hypothesen auf den Mechanismus eingehen zu wollen, wie die Gürtelrose-Impfung Demenzerkrankungen beeinflussen könnte, machen die Untersuchungen klar: Die Impfungen wirken offensichtlich besser gegen Demenz als die bislang verfügbaren Arzneimittel!

Oder wie es die Autoren der Waliser Studie formulieren:

" Wenn diese Ergebnisse wirklich kausal sind, so impliziert die beträchtliche Größe unseres Effekts verbunden mit den relativ geringen Kosten des Gürtelrose-Impfstoffs, dass dieser weitaus wirksamer und auch kosteneffizienter als bestehende pharmazeutische Maßnahmen sein wird, um Demenz vorzubeugen oder zu verzögern."


[1] Eyting, M., Xie, M., Michalik, F. et al. A natural experiment on the effect of herpes zoster vaccination on dementia. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-025-08800-x.

[2] Vaccination against shingles for adults.https://111.wales.nhs.uk/pdfs/am%20i%20at%20risk%20hep%20b/qas%20for%20welsh%20govt%20leaflets/shingles%20qa%20for%20health%20care%20professionals.pdf

[3] Taquet M, Dercon Q, Todd JA, Harrison PJ. The recombinant shingles vaccine is associated with lower risk of dementia. Nat Med. 2024 Oct;30(10):2777-2781. doi: 10.1038/s41591-024-03201-5.


Videos zur Studie:

Stanford Medicine, Shingles vaccine may reduce the risk of dementia: Interview mit Pascale Geldsetzer, einem der Studienautoren: Video, 2:20 min. https://www.youtube.com/watch?v=unnePZUqi1o

Could the shingles vaccine also help prevent dementia? Video 1:27 min. AJE VideoBytes https://www.youtube.com/watch?v=o-PRFD_DN4M

Diese bekannte Impfung schützt auch vor Demenz. Video 1:35 min. MSN. https://www.msn.com/de-de/video/other/diese-bekannte-impfung-sch%C3%BCtzt-auch-vor-demenz/vi-AA1Cssd1