Wissenschaftskommunikation in Österreich und die Rolle der Medien. — Teil 2: Was sollte verändert werden?

Do, 31.10.2013 - 23:00 — Josef Seethaler & Helmut Denk

ÖAWJosef SeethalerHelmut DenkDie Kluft zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu verringern ist eine Forderung an die Wissenschaft selbst. Aber auch die Medien – allen voran das öffentlich-rechtliche Fernsehen – sollten hier eine besonders wichtige Rolle spielen: Informationen über wissenschaftliche Forschungen müssten jene Themen begleiten, mit denen sie sich auseinandersetzen, wären also überall zu platzieren, auch in Politik und Wirtschaft, in Kultur und Sport und im Lifestyle.

Die Forschung zum Thema Wissenschaftskommunikation ist sich ziemlich einig: Die unbefriedigende Bilanz des Ist-Zustandes ist auf ein ebenso einseitiges wie überholtes Verständnis von Wissenschaftsjournalismus zurückzuführen, das ausschließlich dem Postulat der Wissenschaftsvermittlung und Wissenschaftspopularisierung gehorcht. Ihm liegt die Vorstellung eines Informationstransfers aus der Wissenschaft in die Öffentlichkeit zugrunde, welche die Medienberichterstattung einerseits nach wissenschaftlichen Maßstäben beurteilt und andererseits Relevanzkriterien und Kommunikationserwartungen des Publikums den Bedürfnissen der Wissenschafts-PR unterordnet.

Kritik an der Wissenschaftspopularisierung

Obwohl in den USA schon in den 1980er Jahren und einige Jahre später auch in der britischen Wissenschaftslandschaft in zunehmendem Maße Kritik an diesem „Popularisierungsparadigma“ formuliert wurde, vollzog sich dennoch in vielen europäischen Staaten die eingangs erwähnte Ausweitung der Wissenschaftsberichterstattung unter seiner Prämisse – und führten zu jener für Wissenschaft, Journalismus und Gesellschaft unbefriedigenden Situation, die sich in den empirischen Daten widerspiegelt:

  • Die Wissenschaft steht unter Druck, sich so gut wie möglich zu „verkaufen“, um die politisch geforderte Legitimierung ihrer Tätigkeit zu erreichen.
  • Der Journalismus steht unter Druck, sein eigenes Selbstverständnis, nämlich die Vermittlung von Lebenszusammenhängen, zu verleugnen, um die Auftraggeber einer als PR-Produkt missverstandenen Wissenschaftsberichterstattung zufriedenzustellen.
  • Die Gesellschaft steht unter Druck, mit einer Wissenschaftsberichterstattung vorlieb zu nehmen, die kaum ihren Bedürfnissen entspricht. Sie verfügt aber über die Freiheit, Wissenschaftsberichterstattung als ein Medienangebot unter vielen zu begreifen, das sie anderen Angeboten hintanstellen kann. Das bedeutet, dass die Wissenschafts-PR vor allem die Forschungspolitik und weniger die Gesellschaft bedient.

Paradigmenwechsel in der Wissenschaftskommunikation

Dem normativen Konzept einer wissenschaftszentrierten „Aufklärung“ der Öffentlichkeit setzen neuere medien- und kommunikationswissenschaftliche Forschungen ein Modell entgegen, dessen Fokus nicht mehr auf der „erfolgreichen“ Vermittlung, sondern auf der Rezeption und Integration wissenschaftlich fundierten Wissens in den Lebenszusammenhang der Menschen liegt.

Statt der zentralen Annahme von Wissenschaft als eine dem Wertfreiheitspostulat unterliegende und gewissermaßen neutrale Tätigkeit, verweist es auf soziale Bedingtheit und Interessengebundenheit auch wissenschaftlicher Erkenntnisse. In diesem Zusammenhang bedeutet Wissenschaftskommunikation nicht Wissenschaftsvermittlung, sondern die kommunikative Einbettung von Wissenschaft in gesellschaftliche Zusammenhänge.

Ein solches Modell geht davon aus, dass in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft die Beobachtung von Ereignissen für die Ausbildung wechselseitiger gesellschaftlicher Umwelterwartungen durch ein eigenes Funktionssystem, die Öffentlichkeit, übernommen werden, als dessen organisiertes Leistungssystem der Journalismus fungiert. Seine gesellschaftliche Funktion besteht darin, die Komplexität der Ereignisse unter dem Gesichtspunkt, ob sie zur Ausbildung von gegenseitigen gesellschaftlichen Umwelterwartungen beitragen können, zu reduzieren. Matthias Kohring von der Universität Mannheim hat die Funktion des Wissenschaftsjournalismus auf den Punkt gebracht:

„Ein Journalist informiert nicht schon deshalb über ein wissenschaftliches Ergebnis, weil es produziert wurde und schon deshalb einen (Nachrichten-)Wert hatte. Dieser Ansicht sind vor allem Wissenschaftler. Ein Journalist informiert über dieses Ergebnis, weil es einen Bezug zur übrigen Gesellschaft aufweist, und zwar aus der Sicht dieser ‚übrigen Gesellschaft“.

Gerade darin, dass der Journalismus – anders als unter der Perspektive einer Wissenschaftspopularisierung – Gesellschaft und Wissenschaft in gleicher Weise auf Ereignisse hin beobachtet, die wechselseitig von Relevanz sind, liegt für beide Seiten der Gewinn begründet. In diesem Prozess kommt nicht einzelnen „Highlights“ und nicht einzelnen „Stars“, sondern der Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit von Wissenschaft (wie dies auch in der Eurobarometer-Umfrage zum Ausdruck kommt) zentrale Bedeutung für die Risikowahrnehmung und Wissensaneignung der Menschen zu.

Empfehlungen

Forderungen an die Wissenschaft

Die Kluft zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu verringern ist also zuallererst eine Forderung an die Wissenschaft selbst. Es geht um das Selbstverständnis der Wissenschaft, die sich angesichts einer zunehmenden Beschränkung der Ressourcen und wachsender administrativer Reglementierungen zusehends dem Diktat der Ökonomisierung vorbeugt.

Dies heißt nicht, dass ökonomische Überlegungen in der wissenschaftlichen Tätigkeit keinen Platz hätten, sondern dass die Selbstkommerzialisierung der Wissenschaft deren besonderen Charakter als meritorisches Gut gefährdet:

Gerade weil die Wissenschaft sich dem Wechselspiel von Angebot und Nachfrage entzieht, kann sie ihre gesellschaftliche Wirkkraft entfalten. Der „Erfolg“ von Wissenschaft bemisst sich nicht allein im wirtschaftlichen oder politischen „Nutzen“, sondern auch in Kategorien wissenschaftlicher Qualität und wissenschaftlicher Ethik.

Diese Alleinstellungsmerkmale der Wissenschaft sollten im öffentlichen Diskurs stärker als Vorteil und als Voraussetzung für wissenschaftliche Erkenntnis positioniert werden.

Die Wissenschaft ist aber auch aufgefordert, ihren Anspruch auf „Wahrheit“ zu überdenken. Eine Wissenschaft, die sich der gesellschaftlichen Bedingtheit und Interessengebundenheit auch wissenschaftlichen Wissens bewusst ist und damit die Pluralität und Diskussion von wissenschaftlichen Meinungen nicht nur für sich als konstitutiv begreift, wird auch der Öffentlichkeit vermitteln, dass Wissen stets im Fluss ist und das Nebeneinander von Meinungen in der Auseinandersetzung keine Schwäche, sondern eine Stärke ist, weil auch die Komplexität der Probleme oft alternative Problemlösungen erfordert.

Der „Wahrheitsanspruch“ hingegen mündet im „Popularisierungsparadigma“, da Wahrheit nicht zur Diskussion stehen, sondern nur in ihrer Komplexität reduziert, „popularisiert“ werden kann – und damit im schlimmsten Fall in der dem wissenschaftlichen Diskurs entkoppelten politischen Öffentlichkeit für populistische Lösungen missbraucht wird.

Forderungen an die Medien

Die Medien sind eingeladen, an diesem Paradigmenwechsel mitzuwirken und Wissenschaft in ihrer Vielfalt der Problemdefinitions- und Problemlösungskompetenz aus dem Ghetto der Wissenschaftsseiten herauszuholen und dort zu platzieren, wo sie hingehört: nämlich mitten ins Leben.

Wissenschaftsjournalismus ist überall: in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kultur, im Sport und im Lifestyle.

Wenn Wissenschaft und Forschung derart als Querschnittsmaterie begriffen werden, sind Auswirkungen auf Programmstrukturen und journalistische Praxis unausweichlich.

Die derzeitige, von der Wissenschafts-PR dominierte Situation ist ja (auch) dadurch entstanden, dass traditioneller Wissenschaftsjournalismus nicht über Anzeigen finanzierbar war. Dies wird in gleicher Weise für den hier angedachten „neuen“ Wissenschaftsjournalismus gelten, der weniger auf PR, aber umso stärker auf die beidseitige Beobachtung von Wissenschaft und Gesellschaft setzt. Auch wenn es in Zeiten von Sparbudgets unpopulär ist:

Die „traditionellen“ Medien, aber auch die neuen Formen der „social media“ brauchen dafür die Unterstützung durch die öffentliche Hand, in Form von Maßnahmen der Medienförderung, der journalistischen Aus- und Weiterbildung und der Qualitätssicherung.

Rolle des Fernsehens

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen spielt in den Beziehungen zwischen Wissenschaften und Medien eine besondere Rolle. Das Fernsehen ist (um nochmals auf die Eurobarometer-Daten zurückzukommen) nicht nur die zentrale, sondern die bei weitem glaubwürdigste Quelle für wissenschaftliche Information (Abbildung 1), woraus sich vor allem für ein öffentlich-rechtliches Unternehmen eine besondere Verantwortung ableiten lässt.

InformationsmedienAbbildung 1. Informationsmedien für Wissenschaftsthemen (Quelle: Special EUROBAROMETER 282. 2007 (QB4))

Fast die Hälfte der österreichischen Bevölkerung nutzt das Fernsehen für den Bezug wissenschaftlicher Informationen, fast zwei Drittel halten es für glaubwürdig. An zweiter Stelle stehen Zeitungen (42 Prozent); die Nutzung des Internets liegt etwa gleich hoch mit jener der Special Interest Magazine an dritter Stelle (mit jeweils an die 25 Prozent), ist aber in besonderer Weise abhängig von Alter und Bildungsgrad. Noch deutlicher lasst sich der Stellenwert des Fernsehens an den Prioritäten des Publikums ablesen: Vier Fünftel aller Österreicher bevorzugen das Fernsehen als Quelle wissenschaftlicher Information. Im europäischen Durchschnitt liegen übrigens tatsachliche Nutzung und Prioritätensetzung viel näher beieinander; die österreichischen Daten lassen sich daher als Aufforderung an die Fernsehverantwortlichen lesen, in das Angebot an wissenschaftlicher Information zu investieren – das Publikum wurde es honorieren.

Das gilt auch für die Forderung, Wissenschaft aus dem Ghetto der Wissenschaftsberichterstattung herauszuholen. So wichtig eigene Wissenschaftssendungen oder gar ein eigener Spartenkanal sein mögen, Informationen über wissenschaftliche Forschungen müssen jene Themen begleiten, mit denen sie sich auseinandersetzen. Gerade bei durchschnittlicher Mediennutzung bevorzugt das österreichische Publikum regelmäßige kurze Berichte – und zwar zur Primetime. Ziel ist die öffentliche Thematisierung grundlegender Fragen durch die Wissenschaft und die Einbindung ihres Problemlösungspotenzials in den gesellschaftlichen Diskurs. Wie das Beispiel der USA und Großbritanniens zeigt, ist der Weg von einem solchen „Public Understanding of Science“ zu einem „Public Engagement with Science“ ein langer und schwieriger Weg, aber er ist unausweichlich, wenn Wissenschaft und Forschung in der Öffentlichkeit jenen Stellenwert einnehmen sollen, der ihnen in einer Gesellschaft, die mehr denn je auf Wissen und Know-how aufbaut, zukommen müsste. Dies gilt insbesondere für der Bildung unserer Jugend, wenn sie später einmal als gut-informierte Staatsbürger handeln sollen (Abbildung 2).

PädagogikAbbildung 2. Antworten zu: “Wissenschaft bereitet die Jugend vor auf ihr Handeln als gut-informierte Staatsbürger“ (Quelle: Special EUROBAROMETER 340,2010) QC15.3)

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften sieht ihren Beitrag darin, eine unabhängige Plattform für einen pluralistischen Diskurs über gesellschaftlich relevante Problemstellungen zu bieten, in dem die öffentliche Beratung gleichwertig zur Problemanalyse und Problembewertung hinzutritt und der Prozess für eine breite Beteiligung eröffnet wird.


Anmerkungen der Redaktion

Der vorliegende Text basiert auf dem Artikel: Josef Seethaler & Helmut Denk: Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Wissenschaft in Österreich. ORF-Schriftenreihe "Texte 8- Öffentlich-rechtliche Qualität im Diskurs (2012). (PDF-DOwnload; zuletzt abgerufen am 8.10.2013).

Auf Grund der Länge dieses Artikels und der Absicht, diesen ungekürzt und zusätzlich mit Illustrationen versehen zu bringen, wurde dieser geteilt. Teil 1: „Wissenschaftskommunikation in Österreich und die Rolle der Medien. Eine Bestandsaufnahme“

Literaturzitate zu beiden Teilen sind unter der angegebenen Quelle zu finden. Die Illustrationen basieren auf „Special Eurobarometer“ Umfragen.

Weiterführende Links

 Zum “Special Eurobarometer” 2007

“During spring 2007, the European Commission undertook a public opinion survey (Eurobarometer) to find out what Europeans think about the reporting of scientific research in the media. The survey was carried out in the 27 EU Member States, interviewing approximately 27 000 people.”

“What is the level of public interest in scientific research? Which information sources do European citizens prefer to use to find out about science and research? How satisfied is the public with the way science and research is communicated in the different media: written, audiovisual, new media? What do citizens think about the quality and quantity of information on science and research available in the media?” D

azu gibt es umfassende Berichte (in Englisch) Scientific research in the media 119p. (PDF-Download; December 2007)

 Public Opinion (PDF-Download)

Special Eurobarometer: Science and Technology Report (2010), 163 p (PDF-Download)

Bisher im ScienceBlog erschienene Artikel zum Thema Wissenschaftskommunikation: