Unheimliche Gäste — Können Parasiten unsere Persönlichkeit verändern?

Do, 26.07.2012- 00:00 — Gottfried Schatz

Icon Gehirn

Gottfried Schatz

Wenn der Parasit Toxoplasma gondii Nagetiere infiziert, setzt er sich in Gehirnregionen fest, welche Emotionen steuern und manipuliert diese. Latente Infektionen mit diesem Parasiten gehören zu den häufigste Infektionen des Menschen. Untersuchungen zu Persönlichkeits-Profilen, Verhalten und Psychomotorik zeigen ausgeprägte Unterschiede zwischen infizierten und nicht-infizierten Menschen.

Das Besondere an uns Menschen ist, dass wir zwei Vererbungssysteme besitzen – ein chemisches und ein kulturelles. Das chemische System besteht aus DNS-Fadenmolekülen und einigen Zellstrukturen und bestimmt, was wir sein können. Das kulturelle System besteht aus der Zwiesprache zwischen den Generationen und bestimmt, was wir tatsächlich werden. Unser chemisches System erhebt uns kaum über andere Säugetiere, doch unser kulturelles System ist in der Natur ohne Beispiel. Seine formende Kraft schenkt uns Sprache, Kunst, Wissenschaft und sittliche Verantwortung. Die Genauigkeit, mit der diese zwei Vererbungssysteme Wissen von einer Generation zur anderen tragen, ist hoch, aber nicht absolut. Übermittlungsfehler – sogenannte Mutationen – im chemischen System verändern unseren Körper und solche im kulturellen System unser Denken und Verhalten.

Saugwurm und Toxoplasma gondii

Langfristig schützen uns diese Fehler vor biologischer und kultureller Erstarrung, doch kurzfristig können sie in Katastrophen münden. Im frühen Mittelalter bewirkte die Tay-Sachs-Mutation im chemischen System eines osteuropäischen Aschkenasen, dass dessen Gehirn verkümmerte und vielen seiner heutigen Nachkommen das gleiche Schicksal droht. Und das 20. Jahrhundert hat uns wieder einmal daran erinnert, welche Grauen kulturelle Mutationen bewirken können. Welches dieser beiden Vererbungssysteme ist dafür verantwortlich, dass Menschen verschiedener Kulturen so unterschiedlich denken und handeln? Vielleicht ist es manchmal keines der beiden, sondern ein Parasit, der unseren Charakter verändert. Dass Parasiten das Verhalten von Tieren verändern können, ist klar erwiesen. Wenn Larven eines Saugwurms den im Pazifik lebenden Killifisch infizieren, wirft dieser seine angeborene Vorsicht über Bord und macht durch wilde Kapriolen und Körperverdrehungen an der Meeresoberfläche Raubvögel auf sich aufmerksam. Diese fressen deshalb im Durchschnitt etwa dreissigmal mehr infizierte als gesunde Fische. Der biologische Sinn dieser Gehirnwäsche gründet im Lebenszyklus des Saugwurms, der drei verschiedene Wirte benötigt. Der Wurm bildet seine Eier im Darm von Vögeln, welche die Eier in Salzsümpfe an der kalifornischen Pazifikküste ausscheiden. Dort frisst sie eine Schnecke, in der sie sich zu Larven entwickeln. Die Larven infizieren einen Killifisch und kehren schliesslich mit diesem zurück in einen Vogeldarm.

Noch eindrücklichere Beispiele liefern intelligente Säugetiere wie Mäuse und Ratten. Wenn das einzellige Tierchen Toxoplasma gondii diese infiziert, bevorzugt es die Gehirnregionen, welche Emotionen und Furcht steuern. Als Folge davon verkehrt sich die angeborene Furcht der Nager vor Katzenduft in ihr Gegenteil: Sie wird zur tödlichen Vorliebe. Dies erhöht natürlich die Chance, dass die infizierten Tiere einer Katze zum Opfer fallen – und der Parasit in eine Katze zurückkehren kann. Toxoplasma gondii kann nämlich nur im Darm von Katzen eierähnliche Oozysten bilden, die dann mit verunreinigter Nahrung in einen warmblütigen Zwischenwirt – zum Beispiel eine Ratte – gelangen. Der Parasit verändert das Verhalten von Mäusen und Ratten höchst präzise, denn er lässt deren angeborene Furcht vor offenen Flächen oder unbekannter Nahrung unverändert.

Auch wir können für Toxoplasma gondii Zwischenwirt sein – und Milliarden von uns sind es auch, weil wir verseuchtes ungewaschenes Gemüse oder rohes Fleisch verzehren oder nicht bedenken, dass auch die geliebte Hauskatze uns den Parasiten schenken kann. Etwa ein Drittel aller Nordamerikaner und fast die Hälfte aller Schweizer tragen in ihrem Blut Antikörper gegen den Parasiten – ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie einmal infiziert waren oder es noch immer sind.

Viele Infektionen werden nämlich nicht erkannt und bleiben für den Rest des Lebens bestehen, ohne auffallende Schäden anzurichten. Bei Schwangeren, die gegen den Parasiten noch nicht immun sind, kann eine Infektion allerdings zu Missbildungen des Embryos führen oder diesen töten – und bei einigen Menschen vielleicht sogar Schizophrenie auslösen. Tatsächlich sind einige gegen Schizophrenie eingesetzte Medikamente auch gegen Toxoplasma gondii wirksam. Zerebrale ToxoplasmoseAbbildung 1. Zerebrale Toxoplasmose: Histologischer und immunhistochemischer Nachweis (kleines Bild) von Pseudozysten (Pfeile), Hirnbiopsie eines immungeschwächten Patienten. Bild: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Toxoplasmose.jpg

Einige Untersuchungen sprechen dafür, dass Toxoplasma unsere Psyche auch auf subtilere Weise verändern kann: Es macht Frauen oft intelligenter, dynamischer und unabhängiger, Männer dagegen eifersüchtiger, konservativer und gruppenhöriger. In beiden Geschlechtern erhöht es die Neigung zu Schuldbewusstsein, was manche Psychologen als negative emotionale Grundhaltung deuten.

Substanzlose Schmarotzer

Haben Parasiten den Charakter menschlicher Kulturen mitgeprägt? Wenn Toxoplasma gondii Männer tatsächlich traditionsbewusster und gruppentreuer macht, könnte es vielleicht dafür mitverantwortlich sein, dass manche Kulturen mehr als andere die herkömmlichen Geschlechterrollen hartnäckig verteidigen oder Ehrgeiz und materiellen Erfolg über Gemütstiefe und menschliche Beziehungen stellen. Und könnte es sein, dass verringerte Offenheit gegenüber Neuem die Innovationskraft ganzer Kulturen geschwächt hat? Ausführliche Befragungen in 39 Staaten sprechen in der Tat dafür, dass die negative emotionale Grundhaltung einer Bevölkerung umso ausgeprägter ist, je stärker diese mit Toxoplasma gondii infiziert ist. Natürlich lässt es sich nicht ganz ausschliessen, dass kulturelle Eigenheiten nicht Folge, sondern Ursache der Infektion sind. Vieles spricht jedoch gegen diese Interpretation, so dass Untersuchungen zur Rolle von Parasiten bei der Entwicklung menschlicher Kulturen noch einige Überraschungen liefern könnten.

Die Vorstellung, dass Parasiten mein Denken und Handeln mitbestimmen könnten, verletzt mein Selbstverständnis und mein Menschenbild. Darf ich das Lied «Die Gedanken sind frei» immer noch mit der gleichen Überzeugung singen, wie ich es als Kind tat? Oder sollte ich versuchen, meine wissenschaftliche Sicht zu überwinden und die Natur als Ganzes zu fühlen, wie Künstler und Mystiker dies vermögen? Aus dieser Sicht wären gedankenverändernde Parasiten nur ein besonders grossartiges Beispiel für die Einheit des Lebensnetzes auf unserem blauen Planeten. Unser Verstand schenkt uns ja auch die Waffen, um solche Parasiten zu erkennen und zu vernichten.

Doch wer schützt uns vor den substanzlosen Parasiten, die sich unserer Gedanken und Emotionen bemächtigen? Es gibt ihrer zuhauf – Rassenwahn, religiöser Fanatismus, Nationalhysterie, Spiritismus und Aberglaube. Sie sind hoch infektiös und entmenschlichen uns mehr, als es Toxoplasma gondii je vermöchte. Solange wir nicht gelernt haben, diese unheimlichen Gäste rechtzeitig zu erkennen und wirksam zu bekämpfen, sind sie unsere grösste Bedrohung.


Weiterführende Links

Gedankenkontrolle — Wie Parasiten ihre Wirte steuern (Die Presse)

Können Parasiten unser Verhalten steuern? (Der Spiegel)

Jaroslav Flegr (2007) Effects of Toxoplasma on Human Behavior. Schizophrenia Bulletin 33 (3):757–760 H

as Your Cat Infected You With a Mind-Controlling Parasite? Probably.

Parasites and the Brain: An Investigation of Toxoplasma Gondii and Schizophrenia. In English, 6:27 min.