Das Element Zufall in der Evolution

Do, 16.08.2012- 05:20 — Peter Christian Aichelburg

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Die Bedingungen, die zur Entstehung und Entwicklung von Leben führten, sind eng mit der Entwicklung des gesamten Kosmos verknüpft. Wie sieht ein theoretischer Physiker die Aussage, die Evolution sei zufällig verlaufen.

Nach der allgemein anerkannten Urknall-Theorie hat sich das Universum aus einer dichten, sehr heißen Urphase über nahezu 14 Milliarden Jahre zum heutigen Zustand in Form von Milliarden von Sternen zusammengeballt zu Galaxien und Galaxienhaufen, Superhaufen und Filamenten entwickelt, eingebettet in einen Kosmos der mit zunehmender Geschwindigkeit expandiert. Die heute beobachtbaren Strukturen des Universums sind also erst allmählich entstanden (Abbildung 1).

UrknallAbbildung 1. Urknall-Modell: Entstehung und Expansion des Weltalls. Das anfänglich sehr dichte und heißere Universum enthielt im kosmischen Plasma Photonen, die vorerst an den geladenen Teilchen gestreut wurden, Nach der Abkühlung und Entstehung von Atomen konnten sich die Photonen nahezu ungehindert ausbreiten = Hintergrundstrahlung. Danach begann allmählich unter der Wirkung der Gravitation die Kondensation der Materie zu den Strukturen wie wir sie heute beobachten.

Die biologische Evolution auf der Erde ist eng mit der Evolution des ganzen Kosmos verknüpft. Voraussetzung für das Leben auf der Erde war die Existenz von Kohlenstoff. Dieser kann aber nur im Inneren von Sternen durch Kernfusion entstanden sein: Waren in den ersten Sekunden nach der „Geburt des Kosmos“ aus der „Ursuppe“ von Elementarteilchen nur die leichtesten Atomkerne – Wasserstoff und Helium (und Spuren von Lithium, Beryllium) entstanden, so wurden die schwereren Elemente durch Kernfusionsprozesse im Innern der ersten, aus kollabierten Gaswolken entstandenen Sterne erzeugt. Somit ist die Entstehung von Leben erst nach dem Ausbrennen und Explodieren der ersten Sterne (Supernovae), das heißt erst ab der zweiten Sterngeneration möglich.

Unsere Sonne entstand vor zirka 4,5 Milliarden Jahren aus Gaswolken, angereichert mit schweren Elementen, die von Explosionen früherer Sterngenerationen stammen, Damit begann die Evolution unseres Planeten Erde, auf der vor rund 3,5 Milliarden Jahre die ersten Lebensformen entstanden, deren immer weiter fortschreitende Evolution vor rund 6 Millionen Jahren zur Spezies Mensch geführt hat.

Für die Entstehung von Leben bedurfte es anscheinend nicht nur besonderer Bedingungen in unserer unmittelbaren Umwelt, sondern im gesamten Kosmos.

Was bedeutet nun die Aussage, die Evolution sei zufällig, das heißt ungerichtet, verlaufen?

Ich möchte die Frage präziser fassen, um aufzuzeigen, dass eine klare Antwort vielleicht nicht so einfach ist. Ohne einer Designer-Theorie das Wort zu reden oder auf die Möglichkeit des Erkennens einer höheren Macht in den Naturgesetzen einzugehen.

Nach Darwin entstanden die Arten durch Variation und Selektion. Heute wissen wir, daß Variationen durch Mutationen in der Erbsubstanz, der DNA, hervorgerufen werden. Die Kernaussage ist, dass diese Mutationen nicht zielgerichtet sind, das heißt, ihr Auftreten unabhängig davon ist, ob eine Mutation günstig für die Weiterentwicklung ist oder nicht. Die Ideen Darwins haben sich im Lauf der Zeit verfeinert: Evolutionsbiologen haben neben Mutation und Selektion noch andere, für die Evolution maßgebliche Mechanismen aufgefunden: Einschränkungen der Möglichkeit evolutionären Wandels bestimmen, wohin sich eine Art entwickeln kann, und wie sehr bestimmte Probleme ganz bestimmte Lösungen erzwingen. Die Evolution ist demnach keineswegs beliebig verlaufen.

Dennoch bleibt der Zufall ein Element der Evolution.

In der theoretischen Beschreibung wird das Auftreten von Mutationen durch Wahrscheinlichkeiten charakterisiert. Wie aber kommt es zu diesen? Biologische Abläufe werden auf der elementarsten Ebene durch physikalisch-chemische Prozesse beschrieben. Also erhebt sich die Frage: Woher kommt der Zufall in der Physik?

Woher kommt der Zufall in der Physik?

Würfeln als Prototyp für zufällige Resultate. Wenn jeder Augenzahl die Wahrscheinlichkeit 1/6 zugeordnet wird, ergibt sich nach einer großen Zahl von Würfen tatsächlich eine recht gute Gleichverteilung der Augenzahlen.

Dennoch ist der Fall des Würfels in der klassischen Physik streng deterministisch, d.h. vorherbestimmbar: Wenn wir genau wissen, wie der Würfel die Hand verlässt und auch alle anderen Bedingungen (etwa Härte der Unterlage) genau beschreiben können, sollten wir voraussagen können, auf welche Augenzahl er fällt. Das ist zwar praktisch und auch theoretisch unmöglich, doch es geht hier ums Prinzip.

Wieso aber stellt sich die mathematische Zufallsverteilung ein?

Vereinfacht gesagt: Weil wir nicht darauf achten, wie wir werfen - im Gegenteil: Der Würfel wird manchmal vor dem Wurf in einem Becher geschüttelt. Genauer: Die Gleichverteilung der Augenzahlen kommt zustande, weil das Resultat sehr empfindlich auf auch nur kleine Änderungen des Wurfs ist und wir außerstande sind, völlig gleiche Würfe auszuführen.

Wärmelehre – Beschreibung durch Wahrscheinlichkeiten. Der Wiener Physiker Ludwig Boltzmann hat Ende des 19. Jahrhunderts die Wärmelehre (Thermodynamik) auf statistische Mechanik zurückgeführt. Dabei wird etwa die Temperatur eines Gases als mittlere kinetische Energie der Atome (Moleküle) verstanden. Man interessiert sich nicht für die Bewegung einzelner Teilchen, sondern nur für gemittelte, also makroskopische Größen wie Temperatur. Hier kommt die Wahrscheinlichkeit ins Spiel: Ein Makrozustand ist umso wahrscheinlicher, je mehr mikroskopische Konfigurationen zu ihm gehören. (Daraus folgt z.B. dass zwei Körper mit zunächst unterschiedlichen Temperaturen ( mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit) sich im Laufe der Zeit angleichen. Diese Wahrscheinlichkeiten sind aber kein intrinsisches Element der klassischen Theorie, sondern werden durch die Beschreibung hineingetragen, weil wir eine vollständige Beschreibung nicht anstreben oder gar nicht dazu imstande wären.

Oft wird chaotisches Verhalten als Quelle für zufällige Entwicklung genannt. Das ist missverständlich, denn dieses tritt bereits in streng deterministischen Systemen auf, deren Entwicklung in der Zeit eindeutig bestimmt ist. Wir sind nur außerstande, sie vorauszusagen, weil jede Messung nur mit endlicher Genauigkeit möglich ist.

Der Zufall der Quantentheorie ist von ganz anderer Qualität: Wir beobachten im Mikrokosmos Ereignisse, deren Eintreten die Theorie prinzipiell nicht vorhersagen kann. Etwa den Zerfall eines radioaktiven Atomkerns: Niemand kann sagen, wann er stattfindet. Alles, was wir voraussagen können ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit er in einem bestimmten Zeitintervall zerfällt. Dies gilt beispielsweise auch für die Aussendung eines Photons durch ein angeregtes Atom: Es lassen sich die Frequenz und die Wahrscheinlichkeit berechnen, aber wir können nicht den Augenblick voraussagen.

Einstein hat sich stets gegen diese Konsequenz der Quantentheorie gewehrt. Auch andere Physiker haben nach "verborgenen Parametern" gesucht, um zu einer vollständigeren Beschreibung der Natur zu gelangen - ohne Erfolg. Nach unserem heutigen Wissen sind diese Wahrscheinlichkeiten der Natur immanent und nicht die Konsequenz einer unvollständigen Beschreibung.

Bringt also die Quantentheorie den Zufall in die Evolution? Natürlich sind letztlich Atombindungen für die Kodierung in der DNA verantwortlich. Man weiß auch, dass Mutationen durch elementare Strahlungsprozesse ausgelöst werden können. Aber beschrieben werden sie eher als statistische Prozesse und damit durch klassische Wahrscheinlichkeiten.

Unsere Beschreibung der Welt mittels der Quantentheorie ist zweifellos extrem erfolgreich. Ihre Gültigkeit bei der Erklärung lokaler Prozesse ist so gesichert, wie es eine physikalische Theorie nur sein kann. Macht es aber Sinn, sie auf das gesamte Universum anzuwenden?

Liegt der Zufall schon im Urknall? Was heißt, das Universum ist mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit aus einer Quantenfluktuation des Vakuums entstanden?

Welche Bedeutung hat dabei der Begriff "Wahrscheinlichkeit"?

Wir kennen bis heute keine konsistente Quanten-Kosmologie, und niemand kann sagen, ob eine solche Theorie nicht die Grundlagen der heutigen Physik erschüttern und uns zwingen wird, den Zufall unter einer gänzlich neuen Perspektive zu beurteilen.

Biologen werden zu Recht den pragmatischen Standpunkt einnehmen und darauf hinweisen, dass Evolutionsmodelle, die Wahrscheinlichkeitsverteilungen annehmen, sehr erfolgreich sind, ob es dafür eine weitergehende Erklärung gibt oder nicht. Aber erkenntnistheoretisch macht es einen Unterschied! So bleibt für mich offen: Liegt der Zufall in unserer Beschreibung, oder ist er ontologisches Element der Evolution?

(Teile des Artikels sind dem in Der Presse publizierten Essay „Zufall in der Physik“ entnommen.)


Weiterführende Links

Video 2 - Vom Zufall und der Notwendigkeit in der Evolution (7:56 min) Prof. Dr. Axel Meyer (Universität Konstanz) Evolution - Nicht einfach nur Zufall - Logischer Zufall (1:34 min) Leben und Tod der Sterne ... (Doku; 26:44 min)