Sa, 29.07.2023 — Redaktion
Internet und digitale Werkzeuge sind nicht länger ein Spielzeug für anfängliche Anwender, sondern für Bürger, Unternehmen, Organisationen und Regierungen zu einem wesentlichen Bestandteil der heutigen Gesellschaft geworden. Im "Politikprogramm 2030 für die digitale Dekade" sind EU-Mitgliedstaaten und EU-Kommission gemeinsame Verpflichtungen eingegangen, die mit konkreten und überprüfbaren Zielvorgaben und Zielpfaden den digitalen Wandel vorantreiben sollen. Vier Ziele stehen dabei im Fokus: die Erhöhung der digitalen Kompetenzen, die sichere und nachhaltige digitale Infrastruktur, der digitale Wandel in Unternehmen und die Digitalisierung öffentlicher Dienste. Wie die EU-Bürger den digitalen Wandel und dessen Auswirkungen auf ihr persönliches Leben und die Gesellschaft betrachten, hat kürzlich eine europaweite Umfrage erhoben (Special Eurobarometer 532: The Digital Decade [1]).
Wie bereits erstmals im Jahr 2021 [2] wurde auch in der aktuellen Umfrage ermittelt, wie EU-Bürger die Zukunft von digitalen Werkzeugen und Internet und sehen und welche Auswirkungen ihrer Meinung nach Internet, digitale Produkte, Dienstleistungen und Werkzeuge bis 2030 auf ihr persönliches Leben haben werden.
Im Auftrag der EU-Kommission ließ Kantar Public (Kantar Belgium) die Umfrage in den 27 Mitgliedstaaten vom 2. bis 26. März 2023 durchführen; insgesamt 26 376 Personen ab 15 Jahren und aus unterschiedlichen sozialen und demographischen Gruppen - rund 1000 Personen je Mitgliedsland - nahmen teil. Diese wurden persönlich (face to face) in ihrem Heim oder in Video-Ferninteraktion in ihrer Muttersprache interviewt.
Der neue Bericht: Die digitale Dekade [1]
knüpft an die Ergebnisse der früheren Umfrage [2] an und behandelt das Thema in drei großen Fragenkomplexen.
Der erste Teil untersucht, wie wichtig digitale Werkzeuge und Internet nach Meinung der EU-Bürger in ihrem Leben bis 2030 sein werden und welche Auswirkungen aus deren Anwendung resultieren werden. Teilnehmer wurden gefragt, ob sie erwarteten, dass digitale Werkzeuge und Internet ihr tägliches Leben erleichtern werden, beispielsweise beim Zugang zu allgemeiner und berufsbildender Bildung, zu Gesundheitsdiensten oder zu Kontakten mit anderen Menschen.
Der zweite Teil des Berichts ermittelt, wie die EU-Bürger die nationalen Prioritäten im Bereich der digitalen Technologien einschätzen und welche Bedeutung sie der Zusammenarbeit der EU- Mitgliedstaaten in den digitalen Technologien beimessen (beispielsweise in Hinblick auf erhöhte Investitionen in innovativere und sicherere digitale Technologien oder, um sicherzustellen, dass die gleichen digitalen Technologien und Dienste für alle und überall in der EU zugänglich sind).
Der dritte Teil des Berichts befasst sich damit, wie EU-Bürger Anwendung und Schutz der Grundrechte im Onlinebereich wahrnehmen. Konkret wurden sie gefragt, ob ihnen bewusst ist, dass Rechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung Meinungsfreiheit, Privatsphäre oder Nichtdiskriminierung sowohl online als auch offline gelten sollten. Sie sollten auch angeben, wie gut ihrer Meinung nach die EU ihre Rechte im Onlinebereich schützt und wie gut die digitalen Rechte und Grundsätze in ihrem Land angewandt werden, z. B. in Bezug auf die Wahrung der Privatsphäre im Internet, d.i. das Respektieren der Vertraulichkeit von Kommunikation und Informationen auf Geräten.
Da die Darstellung der wesentlichen Umfrage-Ergebnisse die übliche Länge der ScienceBlog-Artikel weit übersteigt, wird über das für Europas Zukunft so wichtige Thema in zwei Teilen berichtet. Der gegenwärtige Artikel zeigt nur die Meinungen zum digitalen Wandel und dessen Auswirkungen auf zehn wesentliche Lebensbereiche auf (Teil 1 der Umfrage). Es werden dazu die Antworten der Bürger im EU27-Durchschnitt den Antworten unserer Landsleute in Österreich und unseren Nachbarn in Deutschland gegenüber gestellt.
Die Bedeutung der Digitalisierung im Alltag.................
Der (weitaus) überwiegende Anteil der Bevölkerung in allen Mitgliedstaaten ist der Ansicht, dass digitale Werkzeuge und Internet in ihrem Leben bis 2030 eine sehr wichtige oder ziemlich wichtige Rolle spielen werden. Insgesamt gesehen ist dies die Meinung von rund vier Fünftel der Bürger (79 %) im EU27-Schnitt. Die Länderanalyse zeigt allerdings große Unterschiede - während über 90 % der Bevölkerung in Holland, Schweden und Dänemark den digitalen Wandel für ihr persönliches Leben als wichtig betrachten, messen die Länder in Richtung Osten/Südosten dem offensichtlich weniger Bedeutung bei; Österreich (71 %) und Rumänien (59 %) sind die Schlusslichter. Abbildung 1.
Abbildung 1: Abbildung 1. Länderanalyse der Antworten auf Frage 1: Wie wichtig werden Ihrer Meinung nach digitale Technologien in ihrem Leben bis 2023 sein? Die Antworten "sehr wichtig" und "ziemlich wichtig" sind zusammengenommen in % der Antworten je Land angegeben. (Bild leicht modifiziert aus [1]) |
Im Vergleich zu 2021 ist in 22 Mitgliedstaaten der Anteil der Befragten, die angeben, dass digitale Werkzeuge und das Internet bis 2030 in ihrem Leben wichtig sein werden, aber zurückgegangen, vor allem in Belgien und Tschechien um 10%, in Finnland um 9 %, in Deutschland um 7 %; der EU-Schnitt lag 2021 bei 81 %, in Österreich bei 72 %, in Rumänien bei 61 % [2].
.......in wesentlichen Lebensbereichen
Insgesamt wurden die Teilnehmer zur Bedeutung der Digitalisierung bis 2030 für sie persönlich in zehn wesentlichen Lebensbereichen befragt. Die Antworten, gelistet nach fallender Wichtigkeit im EU27-Schnitt, sind in Abbildung 2 aufgezeigt und die jeweiligen Antworten aus Österreich und Deutschland gegenüber gestellt. Offensichtlich haben Teilnehmer aus Österreich und Deutschland die Rolle der Digitalisierung in allen diesen Bereichen für weniger wichtig gehalten, als dies im EU27-Schnitt der Fall war.
Abbildung 2: Antworten auf Fragen zur persönlichen Wichtigkeit des digitalen Wandels in bestimmten Lebensbereichen; im EU27-Schnitt, sowie in Österreich und Deutschland. Angaben in % der Antworten; Je EU27 und Land bedeuten dunklere Blautöne: sehr wichtig, hellere Blautöne: ziemlich wichtig, hellere Rosetöne: nicht sehr wichtig, dunkle Rosetöne: völlig unwichtig und Grautöne: keine Aussage. (Bilder von Redn. erstellt/modifiziert aus Abbildung QB2 und Daten von [1]). |
Listet man die Wichtigkeit, die nach Meinung der Europäer digitale Technologien in ihrem persönlichen Leben bis 2030 spielen werden, so liegt an erster Stelle deren zentrale Rolle bei Kontakten mit anderen Menschen, Freunden und Familie: dies erwartet die weitaus überwiegende Mehrheit der EU27 (82 %); in Österreich sind dies 76 %, in Deutschland 74 %. Fast ebenso viele Europäer (81 %) sehen auch den digitalen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen als wichtig an (in Österreich 73 %, in Deutschland 77 %).
An dritter Stelle der Wichtigkeit scheint der digitale Wandel im Gesundheitswesen auf: 76 % im EU27- Schnitt (67 % in Österreich, 71 % in Deutschland) erwarten eine Verbesserung im Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen oder in deren Inanspruchnahme. Ähnlich viele Europäer (EU27: 74 %, jeweils 70 % in Österreich und Deutschland) haben ähnliche Erwartungen in Bezug auf Online-Handel und Dienstleistungen mit anderen EU-Ländern, sowie für den Zugang zu und die Nutzung von Verkehrsdienstleistungen (EU27: 73 %, Österreich 62 %, Deutschland: 66 %).
In weiterer Folge geht es um die Rolle, die digitale Technologien für den Zugang zu Bildungs- und Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten spielen werden - etwa sieben von zehn Europäern (71 %) sehen diese als wichtig an; in Österreich sind dies nur 63 %, in Deutschland 68 %. Den Zugang zu, die Interaktion mit und/oder die Erstellung von Online-Materialien/Inhalten halten ebenso 71 % der EU27 für wichtig; in Österreich sind dies 62 %, in Deutschland 63 %.
Etwas mehr als zwei Drittel der EU-Bürger (68 %) erwarten, dass sich der digitale Wandel positiv auf die Art und Weise auswirkt, wie sich die Menschen am demokratischen Leben beteiligen; in Österreich sind dies 63 %, in Deutschland 65%.
Rund zwei Drittel (66 %) der Europäer meinen, dass digitale Technologien, wie beispielsweise zur Überwachung der persönlichen Emissionen, des Energieverbrauchs oder der Teilnahme an online-Meetings, einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten können; 59 % der Österreicher und Deutschen teilen diese Meinung.
Eine Mehrheit (63 %) der Europäer erwartet, dass digitale Technologien einen großen Einfluss auf die Fernarbeit (Homeoffice) haben werden; in Österreich sind dies 57 % in Deutschland 56 %.
Eine demographische Analyse
der Antworten zeigt eine klare Abhängigkeit von Alter und Ausbildung der Befragten. Die Ansicht, dass digitale Werkzeuge und das Internet in Leben eine wichtige Rolle spielen werden, nimmt von der Altersgruppe 15 bis 24 Jahre bis zur Altersgruppe 40 - 54 Jahre kontinuierlich ab. Ab 55 Jahren erscheinen digitale Technologien dann im wesentlichen für den Kontakt mit anderen Menschen (71 %), den Zugang zu öffentlichen Diensten (68 %) und zu Gesundheitsdiensten (65 %) wichtig, in den meisten anderen Lebensbereichen ist die Wichtigkeit auf um die 50 % und darunter gesunken.
Insgesamt sehen Befragte mit Hochschulbildung digitale Technologien mit größerer Wahrscheinlichkeit als für ihr Leben wichtig an (90 %), als Absolventen mit einem Sekundarschulabschluss (16 bis 19 Jahre) (75 %) und Personen, die nur bis zum Alter von 15 Jahren zur Schule gingen (49 %).
Fazit
Wenn im Durchschnitt 79 % der EU-Bürger die Ansicht äußern, dass digitale Technologien für ihr Leben bis 2030 wichtig sein werden, so weist dies auf den ersten Blick auf eine sehr hohe Zustimmung zu einem schnellen Fortschreiten der europäischen Digitalisierung hin. Allerdings ist seit der ersten Umfrage 2021 der Anteil positiven Antworten in 22 der 27 EU-Mitgliedsländern gesunken, und es wird in dieser Umfrage auch nicht erhoben, ob und welche erforderlichen Kompetenzen die Befragten bereits besitzen. Verstörend sind die Antworten der Teilnehmer aus den "reichen" Ländern Österreich und Deutschland, welche die Rolle der Digitalisierung in allen Lebensbereichen für weniger wichtig halten, als dies im EU27-Schnitt der Fall ist. Insbesondere ist die Nutzung der digitalen Technologien für allgemeine und berufliche Bildung hervorzuheben, die 35 % der Österreicher und 28 % der Deutschen für unwichtig halten, und die Nutzung von Online-Materialien/Inhalten - diese halten 33 % der Österreicher und 32 % der Deutschen für unwichtig.
Im Übrigen weist die angegebene Wichtigkeit digitaler Technologien das gleiche Gefälle in Richtung Osten/Südosten auf, wie das Interesse der EU-Bürger an Wissenschaft und Technologie und ihre diesbezügliche Informiertheit [3].
[1] Special Eurobarometer 532: The Digital Decade (June, 2023). doi: 10.2759/14051
[2] Special-Eurobarometer 518: Digital rights and principles (December 2021). doi: 10.2759/30275
[3] I. Schuster, 3.10.2021: Special Eurobarometer 516: Interesse der europäischen Bürger an Wissenschaft & Technologie und ihre Informiertheit
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