Sa, 18.02.2023 — Redaktion
Weltweit ist ein offensichtlich vom Menschen verursachter, besorgniserregender Rückgang von Arthropoden - und hier sind vorerst vor allem Insekten im Fokus - zu beobachten. Viele Fragen zu den, für den Erhalt unserer Ökosysteme unabdingbaren Arthropodenarten sind bislang noch ungeklärt, insbesondere was das Ausmaß der globalen Populationen und deren Zusammensetzung in verschiedenen Lebensräumen und Ökosystemen betrifft. Eine neue Studie aus der Gruppe von Ron Milo (Weizmann Institut, Israel) ermöglicht nun erstmals einen umfassenden, quantitativen Blick auf die Populationen der Arthropoden. Die neuen Befunde bieten eine wertvolle Grundlage zur Abschätzung, wie sich unsere ökologischen Systeme verändern und wie sich dies auf unsere Ökonomie, Ökologie und Lebensqualität auswirken könnte.
Die zunehmende Dominanz des Menschen über den Erdball hat zu massiven ökologischen und geologischen Auswirkungen geführt. Das Artensterben hat sich im Anthropozän um Größenordnungen über die durch natürliche Evolutionsprozesse hervorgerufenen Veränderungen beschleunigt und die Populationen diverser Wirbeltierarten nehmen ab. Wie Untersuchungen aus jüngster Zeit zeigen, gehen auch die im Boden und auf/über dem Boden lebenden Populationen von Gliederfüßern (Arthropoden) - Insekten, Spinnen, Milben, Tausendfüßler und andere Vertreter der Taxa - deutlich zurück. Für den Rückgang werden menschliche Aktivitäten verantwortlich gemacht, welche die Zerstörung von Lebensräumen, die Intensivierung der Landwirtschaft, den verstärkten Einsatz von Pestiziden und das Einschleppen invasiver Arten miteinschließen. Dazu kommen die Folgeerscheinungen des anthropogen verursachten Klimawandels - ein hoher Stickstoffeintrag in der Atmosphäre, Hitzeperioden, Dürren, Waldbrände und veränderte Niederschlagsmuster.
Der Rückgang der Arthropoden
ist besorgniserregend, da ihnen eine zentrale Rolle in den terrestrischen Ökosystemen zukommt: sie sind ein enorm wichtiger Bestandteil vieler Nahrungsnetze und dienen diversen Tierarten - von Vögeln, Reptilien, Amphibien bis zum Vielfraß - als Nahrung und ernähren sich selbst von Pflanzen und Tieren. Arthropoden bestäuben unsere Pflanzen, verbreiten deren Samen und bauen unsere Böden auf, indem sie pflanzliche und tierische Abfälle abbauen/kompostieren.
Trotz ihrer ungeheuren ökologischen Bedeutung hat es bis jetzt kaum Informationen über die globale Verteilung der landlebenden Arthropoden gegeben. Die meisten bisherigen Studien beruhen auf Stichproben, die Trends in der Population oder Biomasse in einem Gebiet gemessen haben, aber nicht den gesamten dortigen Bestand quantifizieren konnten. Die Quantifizierung der Arthropoden in verschiedenen Lebensräumen und an verschiedenen Orten ist aber essentiell, um eine Basis zu schaffen, anhand derer künftige Veränderungen der Populationen gemessen werden können, wie sich diese auf globale Prozesse auswirken und welche Erfolge durch Maßnahmen erzielt werden könnten.
Eine erste Studie zur umfassenden Quantifizierung
In einer neuen Studie haben Forscher um den Biophysiker Ron Milo vom Weizmann Institut nun erstmals ein quantitatives Bild der Mengen an terrestrischen Arthropoden, ihrer Zusammensetzung und ihrer globalen Biomasse erzeugt [1]. Milo und sein Team sind weltweit anerkannt für ihre Studien zur Bestimmung der globalen Populationen und Biomassen verschiedener Artengruppen; ihre Arbeiten sind Tausende Male zitiert. Mit dem Ziel einen ganzheitlichen Überblick über die Zusammensetzung der Biosphäre zu ermöglichen, hat Ron Milo zusammen mit Rob Philipps (Professor am CalTech, USA) vor einigen Jahren eine Bionumbers Database (https://bionumbers.hms.harvard.edu/) entwickelt. Ebenfalls von Forscherteams um Ron Milo und Rob Philipps wurde kürzlich eine neue, separate Datenbank - die Human Impacts Database (www.anthroponumbers.org) - vorgestellt, welche die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf Ökologie und Geologie unseres Planeten zum Thema hat. Über diese und frühere Aktivitäten wurde im ScienceBlog berichtet [2 - 4].
Um auf die gegenwärtige Studie über Arthropoden zurückzukommen, die sich zu einem gigantischen Projekt ausgewachsen hat: Die Forscher haben die Literatur nach Messungen der absoluten Populationen (Zahl der Individuen pro Fläche) und Biomassedichten (= Biomasse pro Fläche) von Arthropoden durchsucht und etwa 7000 solcher Auswertungen gesammelt, die weltweit an rund 500 Standorten und oft über viele Jahre hinweg erfolgt waren.
Abbildung 1. Globale Standorte (A) der Probennahme - unterirdische oder oberirdische Proben - und Untersuchungszeitraum (B) . (Bild leicht modifiziert nach Fig 1.in Rosenberg et al., 2023 [1]. Lizenz: cc-by) |
Diese Standorte haben alle wichtigen Biome umfasst - von Regenwäldern bis hin zu borealen Wäldern, Grünland in tropischen und gemäßigten Zonen, Weiden, Ackerland, Tundra und Wüsten. An insgesamt etwa 440 Stellen wurden Proben des Lebensraums "Boden & abgestorbenes Pflanzenmaterial (Pflanzenstreu)" analysiert, an rund 60 Stellen Proben der oberirdischen Habitate "Bodenoberflächen und Pflanzen". Abbildung 1 gibt einen Eindruck von der globalen Verteilung der Sammelstellen mit den dort geprüften Habitaten - im Boden oder oberirdisch - und den Zeitraum der Untersuchungen.
Arthropoden sind ein riesengroßer, aus über einer Million Arten bestehender Stamm des Tierreichs. Um die an den verschiedenen Standorten erhaltenen Biomassedichten und Populationszahlen vergleichen und global integrieren zu können, wurden die landbewohnenden Arten auf Basis der Taxonomie in große Gruppen eingeteilt; für die im Boden lebenden Arthropoden sind diese Gruppen - unterschiedlich gefärbt - in Abbildung 2 dargestellt.
Abbildung 2. Phylogenetischer Baum der im Boden lebenden Arthropoden. Jede Farbe steht für eine einzelne zusammengefasste taxonomische Gruppe. Die oberirdischen Arthropoden wurden separat analysiert.(Bild leicht modifiziert nach Fig 1.in Rosenberg et al., 2023 [1]. Lizenz: cc-by)., |
Die Analyse
der gesammelten 7000 Daten zeigt, dass der größte Teil der Biomasse der terrestrischen Arthropoden auf Spezies zurückzuführen ist, die im Boden leben (Abbildung 3, oben). Die gesamte globale Biomasse dieser unterirdischen Tiere wird auf rund 200 Millionen Tonnen (200 Mt) Trockengewicht geschätzt, die der oberirdisch lebenden Tiere auf rund 100 Mt. Insgesamt kann man von einem gesamten globalen Trockengewicht von 300 Mt Tieren ausgehen, entsprechend einem Lebendgewicht von etwa 1000 Mt. Umgerechnet mit den Lebendgewichten der einzelnen Arten ergibt dies eine Zahl von 1 x 1019 - 10 000 000 Billionen - Individuen (Unsicherheitsbereich: 0,5 x 1019- 2,0 x 1019).
Abbildung 3. Globale Biomasse der terrestrischen Arthropoden (oben) und taxonomische Gliederung der gesamten Biomasse der im Boden lebenden Arten (unten, links) und relative Biomasse der in Abbildung 2 aufgezeigten Unterstämme (unten, rechts). Die Fehlerbalken im Bild oben markieren den Unsicherheitsbereich, der sich aus der Summe der unteren und oberen Grenzen aller 95 %-Konfidenzintervalle auf Ebene aller untersuchten Lebensräume ergibt (dazu: Abbildung 4) . Das gestrichelte grüne Rechteck ist die zusätzliche Schätzung der oberen Grenze für die oberirdischen Arthropoden. (Bild modifiziert aus Figs 4 und 5 in: Rosenberg et al., 2023 [1]. Lizenz: cc-by). |
Bodenarthropoden
Von den im Boden lebenden Arten sind rund 40 % Termiten; auf Ameisen, Springschwänze und Milben fallen jeweils um die 10 %, (Abbildung 3, unten links), der Rest auf andere Spezies (Abbildung 3, unten rechts). Diese unterirdisch lebenden Tiere, insbesondere die winzigen Springschwänze und Milben, sind für Prozesse verantwortlich, die den Boden aufbauen, düngen und den globalen Kohlenstoffkreislauf beeinflussen und damit für Ökologie des Bodens von entscheidender Bedeutung sind.
Die Biomassen-Dichte (Trockengewicht) der Bodenarthropoden variiert in den einzelnen Habitaten und in der Zusammensetzung. Abbildung 4. Höchste Dichten von etwa 3 g/m2 - Termiten tragen am meisten zur Biomasse bei - gibt es in den tropischen und subtropischen Waldgebieten, niedrigste Werte bis unter 0,1 g/m2 in Wüsten und trockenem Buschland. Auf einzelne Individuen bezogen (beispielsweise wiegt eine Boden-Ameise im globalen Mittel rund 0,84 mg) dominieren in allen Habitaten die kleinen Milben und Springschwänze: ihre Dichte reicht von bis zu 200 000 Tieren pro m2 in den borealen Wäldern bis zu etwa 1000 Tieren pro m2 in Wüsten und trockenem Buschland.
Bemerkenswert dabei: das vom Menschen bearbeitete Ackerland weist eine wesentlich niedrigere Populationsdichte auf als Wälder und Grasland in vergleichbaren Zonen.
Abbildung 4. Abbildung 4. Biomassendichte der Bodenarthropoden in den wesentlichen globalen Lebensräumen. Die Dichte der einzelnen farbig markierten Tiergruppen ist in logarithmischem Maßstab aufgetragen, die Farbstärke spiegelt die Zahl der Untersuchungen an der Meßstelle wider. Die globale Fläche der einzelnen Habitate ist in Klammern in Millionen km2 angegeben. (Bild modifiziert aus Fig 2 in: Rosenberg et al., 2023 [1]. Lizenz: cc-by). |
Oberirdische Arthropoden
Hier gibt es insgesamt bedeutend weniger Untersuchungen in den wesentlichen Lebensräumen (Abbildung 1) und die angewandten Methoden - Vernebelung von Baumkronen und Leeren von Fallen - können wichtige Entwicklungsformen - beispielweise Raupen - unterrepräsentieren. Studien haben in allen Waldarten stattgefunden und ein Drittel der auf Bäumen lebenden Tiere auf Ameisen zurückgeführt. In den tropischen Wäldern dürfte wohl der Großteil der Biomasse zu finden sein, allerdings basiert diese Aussage auf nur zwei Studien, die Proben der Waldbodenfläche und ganzer Baumgemeinschaften untersucht haben.
Da die oberirdischen Arthropoden - Schmetterlinge, Ameisen, Käfer, Heuschrecken und Spinnen - in der Regel viel größer als die hauptsächlich im Boden lebenden Milben und Springschwänze sind, ist ihre auf Basis der Biomassendichte geschätzte Populationsdichte und damit ihr Beitrag zur globalen Populationsdichte viel niedriger als die der Bodenanthropoden.
Fazit
Die Kenntnis der Zusammensetzung der Biosphäre ist von grundlegender Wichtigkeit, um wesentliche Veränderungen verfolgen, verstehen und mögliche Maßnahmen dagegen ergreifen zu können. Mit der Quantifizierung der terrestrischen Arthropoden über alle Lebensbereiche hat das Team um Ron Milo begonnen eine wichtige Lücke zu schließen. Laut Schätzungen der Forscher gibt es auf der Erde rund 10 Millionen Billionen terrestrische Arthropoden mit einer gesamten Biomasse von 300 Millionen Tonnen.
Wie viel ist das in Relation zu anderen Lebewesen und was bedeutet es?
Die Forscher geben die Antwort: Es ist dies eine Biomasse, die mit der von allen Menschen und ihren Nutztieren (400 Millionen Tonnen) vergleichbar und um eine Größenordnung höher als die der Wildtiere ist. Die Biomasse der Regenwürmer, Nematoden und Enchyträen ist etwa gleich hoch, die der Meeres-Arthropoden (dominiert von Krebstieren) um eine Größenordnung, die der Mikroorganismen im Boden um 2 Größenordnungen höher. Trotz der im Vergleich zu den Mikroorganismen viel niedrigeren Biomasse, tragen Boden-Arthropoden wesentlich zur Zersetzung von Pflanzenmaterial, zum Aufbau des Bodens und zur Homöostase der Kohlenstoffbilanz bei.
[1] Rosenberg et al., The global biomass and number of terrestrial arthropods. Sci. Adv. 9, eabq4049 (3 February 2023), https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abq4049
[2] Redaktion, 22.12.2016: Kenne Dich selbst - aus wie vielen und welchen Körperzellen und Mikroben besteht unser Organismus?
[3] Redaktion, 29.12.2016: Wie groß, wie viel, wie stark, wie schnell,… ? Auf dem Weg zu einer quantitativen Biologie
[4] Redaktion, 10.02.2023: "Macht Euch die Erde untertan" - die Human Impacts Database quantifiziert die Folgen
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